Der Angriff auf die UN: Was machten die Deutschen?
Nach dem tödlichen Angriff eines afghanischen Mobs auf das Gebäude der Vereinten Nationen in Masar-i-Scharif am vergangenen Freitag wüsste man gerne, ob die Bundeswehr – mit ihrem Hauptsitz in Afghanistan in der Nähe der Stadt präsent – von den UN-Mitarbeitern zu Hilfe gerufen wurde und ob und wie sie reagiert hat. Entsprechend dem Leserauftrag, aber natürlich auch aus journalistischem Interesse, habe ich deshalb heute in der Bundespressekonferenz mal nachgefragt – leider ohne wirklich schlauer zu werden. Stefan Paris, der Sprecher des Verteidigungsministeriums, verwies auf die (sparsame) Pressemitteilung der Bundeswehr vom vergangenen Samstag, Regierungssprecher Steffen Seibert drückte noch mal das allgemeine Bedauern der Kanzlerin aus:
(Direktlink: http://audioboo.fm/boos/321454-un-angriff-mes-bpk-04-april-2011)
Das ist merkwürdig. Vor allem, wenn man sich die recht detaillierte Schilderung des Wall Street Journal anschaut:
Only about 60 police were deployed, and they appeared uncertain how to respond. Initial attempts to disperse the crowd by firing warning shots appeared only to inflame the demonstrators. The besieged U.N. staffers headed to two safe rooms intended to shield against intruders and bombs.
They phoned for help from the nearby military bases of German and Swedish forces, according to a person briefed on the situation. The U.S.-led military said the situation „escalated rapidly“ and that a swift-reaction team didn’t arrive until after rioters were gone.
Once demonstrators flooded the compound, a dozen Afghan police guards—the first line of defense—dropped their weapons, said Brig. Gen. Esmatullah Alizai, the provincial police chief. „They were surrounded and confused,“ he said.(Hervorhebung von mir, T.W.)
Also scheint es doch Hilferufe an ISAF gegeben zu haben. Und es wäre ja verständlich, dass die Situation so schnell eskalierte, dass eine sinnvolle Unterstützung durch die internationalen Truppen nicht mehr möglich war. Aber dass das BMVg auch vier Tage nach dem Vorfall nur darauf verweisen mag, dass die UN-Mitarbeiter anschließend evakuiert und die Leichen der Getöteten überführt wurden, ist doch…. merkwürdig.
Nachtrag: zum Angriff selbst empfehle ich die Lektüre dieses Beitrags auf registan.net – und vor allem den Kommentar von Steve Magribi.
Ja, ich hatte beim Lesen des wirklich guten Artikels im WSJ den Eindruck, die zur Hilfe gerufenen Schweden und Deutschen hätten wiederum die Amerikaner um Hilfe gerufen, die vielleicht von weiter her kommen mussten und so nie im UN-Compound in Mazar erschienen, um die Mitarbeiter zu retten.
Als sich im September 2010 – bei der letzten Koranverbrennungsaktion des US-Predigers – eine wütende Menge vor dem Lager der Bundeswehr in Mazar versammelte, waren es auch die Amerikaner, die für Ruhe sorgten, dennoch dauerte der ganze Aufruhr etwa fünf Stunden.
Man könnte fast vermuten, daß eben 3 tote UN-Mitarbeiter ein besseres Ergebnis waren als eventuell gegen eine afghanische Demonstration vorgehen zu müssen.
Allein von den Schlagzeilen her ist es wohl besser daß man im Lager bleibt und nicht riskiert, auf Demonstranten schießen zu müssen, auch wenn dabei eben Unschuldige gelyncht werden.
Ähnlich wie im Kosovo 2004.
Im Moment kommt es einem eh so vor als arbeite die Bundeswehr weltweit im „Schlagzeilenvermeidungsmodus“.
Dabei sind die Landtagswahlen doch vorbei?
2004 im Kosovo blieb man aber nicht „freiwillig“ im Lager (zumindest nicht das EinsBtl und MP etc.), denn da wurden die Ausfahrten blockiert. Weiterhin ist das Risiko, Unschuldige zu treffen bei gezielten Schüssen in die Menge recht weit weg, wenn es technische und rechtliche Mittel gibt um mit einem solchen Mob fertig zu werden. Inwieweit die technische Voraussetzungen hier gegebn waren entzieht sich aber uns als Außenstehenden.
OT: Ein geleakter Target Folder zu einem Ziel im Kosovo.
http://cryptome.org/0003/xhavit-haliti.zip
Vielleicht für den einen oder anderen interessant, weil er einen Eindruck über jene Dokumente verschafft, die auch in Afghanistan u.a. zu JPEL-Zielen geführt werden. Manche Beobachter in Deutschland beklagen ja, dass dieser Ablauf nicht ausreichend transparent sei.
@Thomsen.
Das war eine politische Entscheidung. Mit Waffengewalt (die Bundeswehr ist eine Armee) hätte man diese Blockaden wohl sprengen können. Ich denke eine „richtige“ Armee wäre damit anders umgegangen (Franzosen, Briten).
Die politische Entscheidung war eben, dass man die ethnische Säuberung tausender und die Vernichtung von jahrhundertealtem Kulturgut plus einige Tote für ein politisch opportuneres Ergebnis hielt, wie die, einige Kosovaren erschießen zu müssen und sich damit „schuldig“ zu machen. Leichtgemacht wurde diese Entscheidung wohl auch deswegen, weil die Opfer 2004 ja „böse“ Serben waren und die ethnische Säuberung dieser Serben die Gründung des Kosovo als unabhängiger Staat erleichterte.
Sehe ich anders. Es fehlte an Ausrüstung (Umsetzung Eskalationsstufen), es fehlte an taktischen Mitteln (LMT –> Ohr im Volk), es fehlte an Personal (Stadtkompanie ~ 80 Mann vs. vierstelliger Anzahl im Mob). Hinzu kommt aber auch noch der Dilettanstismus auf einzelnen Dienstposten.Das lethale Vorgehen gegen Demonstranten war meines Wissens nach damals unter dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtlich auch nicht möglich (vgl. Aufstellung blue & red box in den Jahren darauf). Das die Politik dabei keine Rolle gespielt hat will ich nicht sagen, dafür kennen wir ja unsere Pappenheimer zu gut (Standardkontrollfrage des deutschen Michels am Abend: „Habe ich es heute auch wieder allen Recht gemacht?“). Andererseits, Dutzende dahingemähte Frauen und Kinder wären suboptimal für die Legitimation des Einsatzes gewesen. Wie gesagt, danach waren auch die hohen Herren wieder schlauer und man ging an die technische und rechtliche Umsetzung.
Zum Thema „richtige Armeen“: ich erinnere mal an das klägliche Versagen der frz. KFOR-Kräfte vor ziemlich genau drei Jahren in MITROVICA mit einem Toten und etlichen Schwerverletzten auf UNMIK-/KFOR-Seite.
Ganz böse Zungen behaupten ja, daß der Mob 2004 aus dem Grund aufgestachelt wurde, damit die Politschmugglermafia in aller Ruhe ihre Großgeschäfte an der Grenze anbziehen konnten, ohne von Sicherheitskräften gestört zu werden. Das meinte ich auch in dem anderen Thema mit „offiziell angegebene Gründe“ für den marodierenden Mob. Von wegen brennender Koran…
Kann JCR nur zustimmen. Wie bitte rechtfertigen, wenn Bundeswehrsoldaten auf „unbewaffnete und friedliche“ Demonstranten geschossen hätten? Wenn es verhindert worden wäre (durch Waffengewalt), dann hätte niemand gewusst und es auch niemanden interessiert, dass diese „Demonstranten“ Zivilisten massakrieren wollten. Ein innenpolitischer Super-GAU: Deutsche Soldaten schießen auf Zivilisten! Da drückt man lieber nachher sein Bedauern über die toten UN-Mitarbeiter aus. Das ist einfacher, man ist halt zu spät gekommen. Thema erledigt.
Ob Absicht oder nicht – bequemer für die Bundesregierung sind die Geschehnisse so, wie sie passiert sind, allemal.
Ich denke wir sollten erstmal in Richtung der UN und anderen zivilen Organisationen schauen, die sich strikt weigern an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen es auch nur nach Militär klingen könnte. Wir hatten in jüngster Vergangenheit einige Veranstaltungen die umbenannt werden mußten, weil sonst die zivile Seite nicht teilgenommen hätte.
Man darf es sich tatsächlich so extrem vorstellen… diese Organisationen meiden aus verschiedenen Gründen das Militär wie der Teufel das Weihwasser.
Wenn es dann „schief geht“, ist es immer einfach gegen das Militär zu wettern.
Die Hinweise auf die „richtigen Soldaten“ kommen i.d.R. aus Kneipengesprächen, in denen der Tunnelblick auf Ereignisse die Regel ist. Um zu verstehen was genau abgelaufen ist, müßte etwas mehr in der aktuellen Lage stecken… aber das ist eben nicht für alle möglich.
Es ist Sache der UNAMA den eigenen Bedarf an Sicherheit zu definieren und dafür auch Sorge zu tragen. Wenn man sich allerdings komplett gegen alle Bedenken und Ratschläge stellt, dann kann man niemanden dazu zwingen.
Das zu bewerten ist richtig schwer. Zum einen stellt sich die Frage, wie schnell die Ereignisse von statten gegangen sind und wie schnell man hätte effektiv etwas tun können.
Zum anderen drängt sich die Frage auf, was man denn hätte machen können und wie die juristische Lage dazu aussieht. Immerhin handelte es sich bei vermutlich den meisten Beteiligten um Zivilisten und ein paar afghanische Polizisten, oder nicht?
Hätte man versuchen sollen, eine mustergültige Eskalationstufentaktik zu fahren, mit der Gefahr so richtig in die Tinte zu greifen? Oder hätte man mal ganz locker flockig mit der Granatmaschinenwaffe durch die Menge gepflügt? Irgendwie klingt beides eher weniger naheliegend.
Ich würde den UN-Vögeln grundsätzlich (übrigens ist vorgestern in der Cote d’Ivoire eine Schwedin der UN von einem Querschläger getötet worden) sich mal etwas mehr mit den Gefahren ihrer „Reiseziele“ auseinander zu setzen und sie möglichst korrekt zu bewerten. Wenn das Lager so unbedarft gesichert ist/war, wie sich der ein oder andere in gewissen Ländern bewegt, wundert mich gar nichts. Dann werden sich ähnliche Vorfälle wiederholen, ohne dass man irgendeiner vorhandenen Streitkraft einen Strick draus drehen kann.
@thomsen
Zum Thema „richtige Armee“:
Am 17.03.2008 habe nicht die Franzosen in Nord-Mitrovica versagt. Die Räumung des Gerichtsgebäude wurde von UNMIK geplant und durchgeführt. FRA wurde nur zur Unterstützung herangezogen. Eindeutig Fehlplanung von UNMIK. Eine solche Aktion an einem 17. März durchzuführen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da dieser Tag für die Kosovoserben ein Trauma ist.
Und wer musste aus der Postenkette erst mit dem Rechtsberater Rücksprache halten ob er jetzt schießen darf? UNMIK hat auch Mist gebaut, keine Frage.
Gruß von einem, der zu dem Zeitpunkt NTM 2h hatte (und NICHT erst nachgefragt hätte was er tun darf).