RC N Watch: Polizeichef von Kundus ermordet
Keine Ruhe in Kundus, auch wenn es in den vergangenen Tagen so schien: Heute wurde offensichtlich der Provinz-Polizeichef Abdul Rahman Sayedkhili bei einem Selbstmordattentat in der Stadt Kundus ermordet. Bei dem Anschlag soll außerdem der örtliche Chef des afghanischen Geheimdienstes NDS verletzt worden sein, wie die Kollegin der niederländischen Zeitung Volkskrant berichtet.
Bittere Ironie: Ausgerechnet der jetzt getötetePolizeichef hatte in den vergangenen Monaten mehrfach verkündet, die Aufständischen seien aus Kundus vertrieben.
Dazu passt eine Analyse des Institute for War and Peace Reporting: Taleban step up pressure with suicide strikes.
Und es gibt noch ein anderes schlimmes Ereignis: Gestern wurde eine Bundeswehrpatrouille in Char Darrah, südwestlich von Kundus, angegriffen – und nach dem Gefecht wurde eine schwer verletzte afghanische Frau gefunden, die wenig später starb. Der heute ermordete Distrikt-Polizeichef hatte den Deutschen vorgeworfen, sie seien für den Tod der Frau veranwortlich. Geklärt ist dieser Vorfall noch nicht. (Nachtrag: die Bundeswehr weist darauf hin, dass der Vorwurf nicht, wie von AFP gemeldet, vom (später ermordeten) Provinz-Polizeichef, sondern vom örtlichen Distrikt-Polizeichef erhoben wurde.)
Ergänzung zum Tod der afghanischen Frau. Zitat:
„According to the statement, an investigation into the incident found that the woman with the head wound was in her house, 1.3km from where the firing took place, it said. There was also no damage to the woman’s house, it said.“
Vollständiger Bericht:
http://www.rawa.org/temp/runews/2011/03/10/police-chief-says-isaf-killed-woman-in-kunduz.html#ixzz1GDrhnEAi
Bleibt abzuwarten, ob das nur den Boden für den Frühling bereiten sollte…
Mal ganz blöd gefragt: Gibt es zur Ermordung des Provinz-Polizeichefs eigentlich eine Reaktion der Bundeswehr? Auf der (zugegeben etwas unübersichtlichen) Bundeswehrseite konnte ich zumindest mal nichts finden.
BrigGen Abdul Rahman Sayedkheli war ja jetzt was die Sicherheitslage im deutschen Zuständigkeitsbereich angeht ja schon eine ziemlich zentrale Figur.
Auf der einen Seite wird sich immer beschwert, dass die Opfer der Soldaten zu wenig gewürdigt werden, und dann macht man es selbst nicht besser.
(Und ob all jene, die gestern den Zapfenstreich des Verteidigungsminister geschaut haben, lieber ein Breaking-News-Kunduz-Special gesehen hätten darf dann auch bezweifelt werden.)
@J.R.
Äh, nein. Zumindest hab ich keine gehört oder gesehen; es ging da nur um den Vorwurf wg. der getöteten Frau.
Mein lieber J.R., im Intranet der Bw könnte es schon eine Nachricht gegeben haben. Aber warum sollte die Bw auf ihrer öffentlichen HP darüber informieren, das ein afghanischer Polizeichef getötet wurde? Lassen sie die Kirche doch mal bitte im Dorf…
Was ich trauriger finde ist die Tatsache, das keine Zeitung ein Update zu den Vorwürfen in Kunduz druckt – im Grunde ist „Bw erschiesst Frau“ einfach mal so stehen geblieben.
Naja, ein BrigGen ist dann doch nicht nur eine kleine Nummer…
Aber dass natürlich ein Interesse der BW daran besteht, Negativmeldungen nicht noch selber zu verbreiten, ist ja verständlich.
@ Voodoo
Letztlich läuft es auf zwei Szenarien hinaus:
Entweder die Arbeit der Bundeswehr im Rahmen von ISAF ist relevant, dann sind es auch unsere Verbündeten die einen Erfolg der Mission erst möglich machen. In dem Fall wäre eine kleines Zeichen von Respekt das Mindeste was der Anstand gebietet, immerhin erwartet man ja selbst nichts anderes.
Oder die Bundeswehr hat mit dem Einsatz schon abgeschlossen und steht mental wieder an der Odergrenze. Was hat das, was in Afghanistan vor sich geht schon mit uns zu tun? Nur sollte man sich dann nicht wundern, wenn den deutschen Soldaten das gleiche Desinteresse entgegenschlägt. Wäre halt letztlich nur ein gefährlicher Job – wie die Arbeit auf einer Ölplattform auch. Nur dass der deutsche Autofahrer da immerhin weiß was er daran hat.
Mit den nachrangigen Effekten fängt man lieber gar nicht an:
– Auch Rückschläge anzusprechen, weil sonst die angeblichen Erfolgsmeldungen schlicht an Glaubwürdigkeit verlieren
– Die Gelegenheit dem Einsatz ein Human Face zu verpassen
– Die Möglichkeit, dass ein Bruchteil solcher Anstrengungen auch den Weg nach Afghanistan findet und dem deutschen Engagement dort Glaubwürdigkeit verleiht
– Die einfache Abstraktion: Wenn die IO daheim schon nicht funkioniert, in der eigenen Sprache, in der eigenen Kultur, unter Rückgriff auf so komfortable Werkzeuge wie das Internet: Wie sieht das dann erst drüben im Einsatzland mit Hearts and Minds aus?
Dass es einer Organisation mit 300.000 Leuten nicht gegeben ist 30 Minuten für einen kurzen Nachruf aufzubringen ist ehrlich gesagt ein ziemliches Armutszeugnis. Aber wahrscheinlich greift auch hier das Bundeswehr-Mantra: Nicht zuständig.
Öh – nö. Denn dann müsste die Bw auch Meldungen über ALLE gefallenen Verbündeten im Verantwortungsbereich verfassen, nicht nur Afghanen. Skandinavier, Ungarn, Amerikaner, gerade bei letzteren dürfte das schlimmstenfalls täglich Arbeit bedeuten. Ich glaube, sie haben sich ein wenig zu sehr in ihre Sichtweise festgebissen.
Rückschläge zu berichten, könnte unter anderem übrigens auch bedeuten, dass einem Schwäche ausgelegt wird. Sie kennen ja die Kultur vor Ort, das bedarf keiner Erläuterung.
Letzteres glaub ich mal weniger, zumindest hat es den Präsidenten nicht von einer kurzen Stellungnahme abgehalten. ;)
Und ja, sie haben durchaus recht – sowas sollte eigentlich für alle Ereignisse im RC Nord zutreffen. Womöglich durchaus nach Relevanz gefiltert. Aber wie Nico ja anmerkte: Das war keine Kleinigkeit, sondern ein für die Sicherheit in der Provinz einschneidendes Ereignis.
Wenn man sich hingegen den Twitter-Stream der Bundeswehr anschaut, dann ist das an Heile Welt-Belanglosigkeit kaum zu überbieten. Mediendesigner bei der Bundeswehr, Gutti-Fotos, Schiffe bei „Boxenstop“ oder beim Kanal durchqueren. Dass gestern in Kunduz ein US-Soldat starb wird dort in der Tat wohl genausowenig auftauchen.
Vielleicht bin ich auch einfach nur enttäuscht, ist ja bei der Bundeswehr nicht erst seit gestern so. Kann sein.
Wenn schon die Bundeswehr nicht wie eine Armee im Einsatz agiert, warum soll dann der Rest der Bevölkerung so tun als sei man in einen „Krieg“ verwickelt?
@Voodoo: Da haben Sie Ihre Folgemeldung: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,750434,00.html
J.R. hat schon Recht, mit dem was er sagt , insbesondere „Auch Rückschläge anzusprechen, weil sonst die angeblichen Erfolgsmeldungen schlicht an Glaubwürdigkeit verlieren“
Erinnert an die Meldungen von mnf-iraq ~2004-2007, überall Erfolge, höchstens Zwischendurch mal die KIA-Meldungen. Mit sowas diskreditiert man sich nur selbst.
Und: Der Tod eines PFC im RC North ist nicht weiter bedeutend, der eines hochrangigen und wichtigen Verbündeten allerdings schon.
Wenn das KSK einen halbwegs wichtigen INS erwischt, ist das doch auch eine Meldung wert…
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„Wenn es sich um einen Krieg gegen Terroristen und den internationalen Terrorismus handelt, sollten sie ihn in den Regionen führen, die wir ihnen in den letzten neun Jahren gezeigt haben und die sie auch kennen“, sagte Karzai an die Adresse der Nato-Truppen. „Wir sind sehr tolerante Menschen, aber jetzt ist unsere Toleranz zu Ende.“
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Vor Tagen wäre dies noch eine Schlagzeile gewesen