Somalias Piraten: Asien schlägt zu (2)
Die Bereitschaft der nicht-westlichen Nationen, gegen die Piraten aus Somalia mit Gewalt vorzugehen (und damit auch möglicherweise Geiseln zu gefährden), nimmt offensichtlich zu. Nachdem vor gut einer Woche Soldaten aus Malaysia und Südkorea gekaperte Schiffe frei geschossen haben, haben jetzt erneut die Inder (erneut) zugeschlagen: Nach einem gescheiterten Angriff auf den Containerfrachter CMA CGM Verdi verfolgte das Jet-Boot INS Cankarso einen bereits früher gekaperten thailändischen Fischtrawler, der als Mutterschiff der Piraten diente. Nach einem kurzen Feuergefecht – die Inder sagen: die Piraten haben zuerst gefeuert – ging das Mutterschiff in Flammen auf. Unter den Männern, die über Bord sprangen und gerettet waren, war auch ein wohl großer Teil der 20-köpfigen Originalbesatzung des Fischerboots.
Berichte in den indischen Medien zu der Auseinandersetzung am gestrigen Freitag gibt es heute hier und hier. Bei dem Seegefecht wurde, so heißt es, einer der Prantalay-Fischtrawler gestellt und versenkt:
Die drei thailändischen Fischerboote Prantalay 11, Prantalay 12 und Prantalay 14 (die beiden Fotos oben zeigen Nr.11 und Nr.14, Quelle NATO) waren bereits im Dezember 2008 gekapert worden und dienten den Piraten schon länger als Mutterschiffe.
Die Aktion der Inder passierte praktisch in deren Einzugsgebiet, in der Nähe der Lakshadweep-Inseln nördlich der Malediven. Die Cankarso, ein Water Jet Fast Attack Craft, dient ja vor allem der Patrouille der Küste des Subkontinents. Die Inder hatten übrigens schon mal ein Mutterschiff aus dem Wasser geblasen – ebenfalls einen gekaperten Fischtrawler, auf dem die Besatzung als Geiseln saß. Damals überlebte sie es nicht.
Die Aktionen der Malaysier, der Südkoreaner, der Inder und vermutlich – obwohl es bislang keine Bestätigung dafür gibt – das Vorgehen von Soldaten der Seychellen gegen die Piraten auf der Beluga Nomination deutet darauf hin, dass jenseits von EU und NATO eine andere Vorgehensweise gegen gekaperte Schiffe mehr und mehr die Regel werden könnte. Mit aller Todesgefahr für die Besatzungen (und jetzt vielleicht nicht unbedingt eine Diskussion mit dem Tenor, dass sich der Westen eben diese verweichlichte Menschenrechtsdiskussion nicht leisten könne). Ich warte ja darauf, was passiert, wenn ein afrikanisches oder asiatisches Kommando bei einer solchen Aktion den deutschen Kapitän der York irrtümlich erschiesst. Oder, auch die Diskussion kann umgekehrt kommen, ein Kommando aus einem NATO-Staat Piraten und Fischer als Geiseln nicht auseinanderhalten kann.
(Das wird wieder sehr viel Piraterie an diesem Wochenende. Aber so ist halt die Lage.)
@T. Wiegold
„…und jetzt vielleicht nicht unbedingt eine Diskussion mit dem Tenor, dass sich der Westen eben diese verweichlichte Menschenrechtsdiskussion nicht leisten könne…“
Wenn es gute Argumente gegen Kritik an einer Pirateriebekämpfung gibt, die dem Wohlergehen der Piraten auf Kosten der Effektivität ihrer Bekämpfung einen sehr hohen Stellenwert einräumt, könnte man diese doch einfach nennen anstatt zu Diskussionsverzicht aufzurufen, oder? Sonst könnte u.a. der Eindruck entstehen, dass die Gegenargumente gar nicht so stark sind wie manche vielleicht meinen.
@Freund Hein
Kein Aufruf zu Diskussionsverzicht – und ich verstehe diesmal wie auch schon vorher nicht, wieso die Überlegung, dass dort schützenswerte und unschuldig in diese Situation geratene Geiseln geschont werden müssen, als sehr hoher Stellenwert des Wohlergehens der Piraten auf Kosten der Effektivität ihrer Bekämpfung angesehen wird.
Die Überlegung, das Wegballern aller Piraten einschließlich des bewussten Tötens der Geiseln an Bord als einen zielführenden Weg anzusehen, finde ich, gelinde gesagt, erschreckend.
@ Freund Hein
Wer die Kommentarspalten dieses Blogs in der vergangenen Zeit verfolgt hat, könnte sich bei einer weiteren Diskussion in diese Richtung vielleicht Langweilen. Man könnte ja auch mal weitere Aspekte beleuchten, anstatt sich ständig bei der gleichen Streitfrage im Kreis zu drehen.
@T. Wiegold
„…einschließlich des bewussten Tötens der Geiseln…“
Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass das irgendjemand gefordert hatte. Ich meine einen gewissen Überblick über die Diskussion zu haben, und dort ging es m.E. stets nur um Risikoabwägungen und niemals um das gezielte Töten von Geiseln. Habe ich da irgendetwas verpasst? Und ist nicht gerade die andere Risikoabwägung der Asiaten der Kern Ihres Beitrags? Wäre es da nicht interessant das Problem weiterzudenken und zu überlegen, warum die Asiaten das machen und zu diskutieren, welche Wirkung es hat? Sollte man stattdessen grundsätzlich ausschließen, dass es vielleicht etwas von den Asiaten zu lernen geben könnte, die u.a. die Piraterie in der Straße von Malaka erfolgreich unterbunden haben? Oder soll hier (wie ich es anderswo erlebt habe und mir bei Ihnen eigentlich nicht vorstellen kann) Kritik am Vorgehen des Westens durch Zuschreibung nie geäußerter Positionen delegitimiert werden, nach dem Motto: „Die Kritiker wollen alle unschuldigen Geiseln ermorden“?
Ich habe nicht von gezieltem, sondern vom bewusstem Töten gesprochen – das ist ein kleiner Unterschied. Und das Feuer auf ein Mutterschiff zu eröffnen, fällt leicht in diese Kategorie…
Aber vielleicht streiten wir uns da völlig umsonst. Der Eigner der Beluga Nomination sagte dem Weser-Kurier, sowohl das Patrouillenboot der Seychellen als auch das dänische Schiff hätten das Feuer auf die Piraten eröffnet (http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/313016/Tote+und+Vermisste+auf+entfuehrtem+Frachter+.html.
Ich bemühe mich derzeit bei der NATO um Klärung. Das gäbe der Geschichte ja wieder eine andere Wendung.
@T. Wiegold
„Ich habe nicht von gezieltem, sondern vom bewusstem Töten gesprochen – das ist ein kleiner Unterschied.“
OK. Ist „bewusste Inkaufnahme des Risikos des Todes der Geiseln“ das, was Sie meinen? Dies wäre nämlich überhaupt nichts neues und wird von vielen westlichen Regierungen im Fall von anderen Entführungen und Geiselnahmen bereits seit langem und mit nachgewiesenem Erfolg praktiziert. Wo man es nicht tut, hat man es in der Regel danach nur mit noch mehr Entführungen zu tun. Die Bundesregierung musste dies in den 70ern lernen und ist seitdem etwas zurückhaltender bei der Erfüllung der Forderungen von Erpressern geworden, mit der Folge, dass nach dem Fall Schleyer oder nach der Landshut-Befreiung (mit hohem Risiko für die Geiseln, wenn z.B. die Handgranaten der Palästinenser besser funktioniert hätten…) die Zahl der Entführungen durch Linksterroristen deutlich zurückging. Aufgrund der Präzedenzfälle sollte man m.E. nicht reflexhaft ausschließen, dass ähnliche Wirkung auch am Horn von Afrika erzielbar sein könnte. Ist es denn wirklich so menschenverachtend, darauf hinzuweisen?
Wenn die Priorität nicht dem Wohlergehen der Geiseln gilt, ja – dann verachtet man diese Menschen. Wie viel ist denn das Leben eines Seemanns wert?
@Sebastian S.
„Wenn die Priorität nicht dem Wohlergehen der Geiseln gilt, ja – dann verachtet man diese Menschen.“
Denkt man Ihre Logik zuende, dann müsste man konsequenterweise alle Maximalforderungen der Geiselnehmer sofort erfüllen, denn jedes Zögern kann das Risiko für Geiseln erhöhen, und wenn es nur das Gesundheitsrisiko aufgrund verlängerter Dauer der Geiselnahme während der Verhandlungen ist.
Man hat realistischerweise also gar keine Wahl, als sich darüber Gedanken zu machen, welche Kompromisse man macht, was die Risiken für die Geiseln angeht. Jegliches Handeln außer bedingungslosem Nachgeben bringt solche Risiken mit sich. Kompromisse mit erhöhtem Risiko für Geiseln gibt es daher längst, auch am Horn von Afrika.
Man kann sich natürlich vormachen, dass dies nicht der Fall sei, und die Erinnerung an die Tatsachen als menschenverachtend abtun, aber warum sollte man das tun? Es hilft weder den Geiseln (aktuellen und künftigen), noch trägt es zur Lösung des Piratenproblems bei.
Es macht keinen Spaß mit ihnen zu diskutieren, weil sie nur versuchen einem das Wort im Munde umzudrehen, um es dann auf die Spitze treiben. Vielleicht versuchen sie mal nicht jede „Logik zu ende zu denken“ und dabei übers Ziel hinaus zu schießen.
Das Ziel das ich dabei vor Augen habe ist die Seefahrt sicherer zu machen und das bei verhältnismäßigem Aufwand.
@Sebastian S.
„Vielleicht versuchen sie mal nicht jede “Logik zu ende zu denken…”
Ist das nicht das Wesen rationaler Diskussion? Greifen Sie bitte jederzeit meine Logik an, so wie ich Ihre angreife!
„Das Ziel das ich dabei vor Augen habe ist die Seefahrt sicherer zu machen und das bei verhältnismäßigem Aufwand.“
Jetzt versuchen Sie m.E. auszuweichen. Sie haben die Inkaufnahme von Risiken für Geiseln vorhin als „menschenverachtend“ bezeichnet. Kennen Sie irgendeine Vorgehensweise ohne Risiko für Geiseln? Falls nein (und ich kenne keine), dann bedeutet das, dass Sie sich selbst vor die Wahl stellen, entweder gar nicht oder „menschenverachtend“ zu handeln. Warum muss man sich selbst unter derartigen moralischen Druck setzen? Man könnte alternativ anerkennen, dass es auch am Horn von Afrika keinen sauberen Krieg ohne Risiko gibt.
@Sebastian S. | 29. Januar 2011 – 19:54
„Wie viel ist denn das Leben eines Seemanns wert?“
Nicht alles was hinkt ist zwar ein Vergleich, aber speziell die deutsche Herangehensweise an das somalische Piraterieproblem hat doch einen berühmten Präsedenzfall, der von Gerichten bis herunter zum allerletzten Besserwisser in Zeitungsredaktionen kommentiert und bewertet wurde.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an den sogenannten „Fall Daschner“. http://de.wikipedia.org/wiki/Daschner-Prozess
Paralellen bestehen mE. im deutschen Umgang mit dem Piratenproblem durchaus, nur sind sie noch nicht offen ausgesprochen.
Um Ihre Frage in diesem Sinne zu beantworten: Das Leben eines Semannes ist dem deutschen Staat genau schnurzegal.
Bei Geiselbefreiungen ist das Risiko für Geiseln und Befreier meist hoch. Auch in diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf in dieser Hinsicht erfahrenere Nationen. Bei der Befreiung der Segelyacht Tanit vor Somalia vor zwei Jahren ist durch französische Kräfte auch eine Geisel getötet worden. In Frankreich löst so etwas keine Krise aus. Staatsraison erfordert manchmal leider das Abwägen und Wahl des geringeren Übels.
Aber wie oben schon angedeutet ist in dieser Diskussion an ähnlicher Stelle meisten Argumente bereits ausgetauscht.
Nix für ungut, aber auf internationaler Ebene machen wir Deutsche uns mit unserer zögernden aber übermoralischen Betrachtungsweise eher lästig, wenn nicht gar zum Hindernis.
Geiseln in der Hand der Piraten = hohes Risiko beim Zugriff und somit bereitwillige Inkaufnahme des Todes der Geiseln.
Geiseln sicher in der Zitadelle = geringeres Risiko beim Zugriff.
Die Tatsache das jedes Handeln Risiken birgt bedeutet nicht das es nur Null oder Eins gibt.
@Sebastian S.
„Es ist simpel: Geiseln in der Hand der Piraten = hohes Risiko beim Zugriff und somit bereitwillige Inkaufnahme des Todes der Geiseln. Geiseln sicher in der Zitadelle = geringeres Risiko beim Zugriff. Die Tatsache das jedes Handeln Risiken birgt bedeutet nicht das es nur Null oder Eins gibt.“
So simpel ist es eben nicht. Sie haben m.E. recht wenn Sie sagen, dass es „nicht nur Null und Eins“ gibt, sondern nur höhere oder geringere Risiken. Dann widersprechen Sie sich aber und nennen wieder nur zwei mögliche Ausgänge, „Geiseln grundsätzlich sicher“ oder „Geiseln potentiell tot“. Bei den hier erwähnten Beispielen war die Realität nur in Ausnahmefällen so einfach, wie Sie es darstellen.
Wie „Seestratege“ es am konkreten Fall der französischen Jacht schon andeutete, sehen reale Optionen häufig anders aus. In diesem Fall: Risiko des Todes der Geiseln bei Verbringung an Land (Verkauf an militante Islamisten, gesundheitliche Belastung etc.) oder Risiko des Todes bei Befreiung. Einfache bzw. risikolose Lösungen gab es hier nicht, und ich halte es weiterhin für Selbsttäuschung davon auszugehen, dass es diese überhaupt gibt, außer vielleicht in seltenen Glücksfällen. Die Moral kommt einem bei solchen Thema bei der Auswahl von Optionen erfahrungsgemäß nur selten zur Hilfe.
Reale Optionen? Na toll, der französische Staat legt einen Hippie um. Operation gelungen, Patient tot. Vielleicht wollte der ja gar nicht „gerettet“ werden? Egal, es geht ja schließlich nur darum das der Staat demonstriert das er nicht erpressbar ist.
Wenn sich die Geiseln in der Hand der Piraten befinden, dann ist ein Angriff nicht guten Gewissens zu verantworten. So simpel ist das.
@Sebastian S.
„Wenn sich die Geiseln in der Hand der Piraten befinden, dann ist ein Angriff nicht guten Gewissens zu verantworten. So simpel ist das.“
Nur wenn man die Folgen der resultierenden Erpressbarkeit und zusätzlichen Motivation für noch mehr Geiselnahmen vollständig ausblendet.
Es ist eine gewagte These man könne die Piraterie auf diesem Wege bezwingen. Bis jetzt sehe ich da nur das es zunehmend härter zugeht.
@Sebastian S.
„Es ist eine gewagte These man könne die Piraterie auf diesem Wege bezwingen. Bis jetzt sehe ich da nur das es zunehmend härter zugeht.“
Geringes Risiko für die Piraten bei hohem Profit ist der Grund dafür. Versuche des Vorgehens gegen die Piraten waren bislang nur punktuell konfrontativ. Die Piraten werden bei erhöhtem Druck möglicherweise versuchen, Abschreckungswirkung aufzubauen und haben möglicherweise im aktuellen Fall auch eine Geisel als Reaktion getötet. Lässt man sich davon nicht abschrecken, dann haben die Piraten nicht mehr viel Spielraum für weitere Eskalation, und mit steigendem Risiko würde die Zahl der Vorfälle zurückgehen.
Ich verweise erneut auf den Präzedenzfall ideologisch motivierter Terroristen in den 70ern, die Geiselnahmen und Anschläge gegen das unter Brandt erpressbar gewordene Deutschland solange ausweiteten, bis Schmidt unter Inkaufnahme erheblicher Risiken für die Geiseln durch Eskalation das Risiko für die Terroristen in unakzeptable Höhe trieb und damit das Terrorismusproblem größtenteils neutralisierte. Was bei ideologisch motivierten Terroristen funktioniert, sollte bei finanziell motivierten Piraten nicht unwirksam bleiben. Dafür muß man aber bereit sein, Risiken und Rückschläge in Kauf zu nehmen. Tut man dies nicht, bleibt man dadurch nicht unschuldig, sondern hätte weitere Geiselnahmen und andere Folgen von Erpressbarkeit zu verantworten. Die Welt ist eben nicht einfach.
Äpfel und Birnen. Da die Eskalationsspirale sich ja bereits heftig dreht werden wir ja sehen ob diese Strategie bei somalischen Piraten fruchtet.
Für mich ist es jedenfalls nicht nachvollziehbar warum man die Seeleute im Stich lässt weil man gefasste Piraten nicht einsperren möchte und die Reeder sich vor den Kosten der Sicherheit scheuen. Sicherheit kostet nun mal Geld und wenn man anfängt Menschenleben aufzuwiegen, dann kann man damit nur auf dem Holzweg sein.
Am meisten wiedert mich die Sorte Armchair General an, die sicher vor ihrem PC in Deutschland sitzt und nach Blut dürstet. Vielleicht sollte man mal die Seeleute fragen, wie die das sehen. Und damit meine ich nicht irgendwelche Interessenverbände, deren größtes Interesse ist Kosten zu minimieren.
Wie dem Piratenproblem begegnet wird ist doch nichts weiter als verzweifelte Augenwischerei. In Somalia will man nicht nachhaltig für Sicherheit sorgen, ok.
Gefasste Piraten werden laufen gelassen. Bewaffnete Sicherheitskräfte werden mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt. Und die Folgen dürfen die Seefahrer ausbaden.
@Sebastian S.
Bleiben Sie doch mal sachlich. Wer „dürstet“ denn bitteschön „nach Blut“?
„abknallen statt einsperren™“
Diese Ausdrucksweise finde ich auch nicht gut.
Ich bin ganz und gar nicht der Ansicht das man den Piraten alles durchgehen lassen sollte/darf.
Aber ganz gleich was man tut, es muss an erster Stelle um die Sicherheit der Seefahrt gehen und alles andere ist sekundär.
„Vielleicht sollte man mal die Seeleute fragen, wie die das sehen.“
Genau. Hier meldet sich einer:
1) Aktive Piratenabwehr durch bewaffente Security an Bord von besonders gefährdeten Schiffen (langsam, wenig Freibord, wie Beluga Nomination).
Security OHNE Schusswaffen nützen auch nichts, wie der Fall des Tankers NEW YORK STAR zeigt:
http://www.icc-ccs.org/home/piracy-reporting-centre/live-piracy-report/details/57/49
Signalraketen kann ich als Kaptän auch selber abfeuern. Davon lassen sich Piraten kaum beeindrucken.
2) Auf schnellen Schiffen (v>20 kn) mögen (vorläufig?) passive Maßnahmen nach BMP ausreichend sein. Muss man abwarten.
3) Alternative zu Schusswaffen wären noch ferngesteuerte Wasserkanonen. (Nicht die bordeigenen Feuerwehrschläuche, nein, richtige Wasserkanonen). Gibt es schon im Angebot. Sind aber wohl teuer – und damit sind wir wieder bei dem bekannten Dilemma: Sicherheit zum Nulltarif?
Ich kann auch nicht verstehen warum die Bordwände so halbherzig mit bisschen Stacheldraht befestigt werden. Das ordentlich zu machen wäre doch immer noch die passive Maßnahme mit dem besten Preis/Leistungsverhältnis.
Stacheldraht hält die Piraten nur kurzfristig bis gar nicht auf.
Die haben lange Leitern mit langen Auslegern, damit können sie diese „razor wire“ Hürden spielend überwinden.
„Bei der Befreiung der Segelyacht Tanit vor Somalia vor zwei Jahren ist durch französische Kräfte auch eine Geisel getötet worden.“
Nur soviel zu diesem Thema: Die Crew der Yacht wusste, dass sie sich in gefährlichen Gewässern aufhielt. Vor der Gefangennahme durch die Piraten wurden sie an der Küste von Yemen durch einen Helikopter der französischen Marine gewarnt. Sie wussten also definitiv, auf welches Riskio sie sich einlassen – man bedenke, mit einem Kleinkind an Bord. Mit den Konsequenzen muss die Witwe nun leben – zurecht.
Bei der Handelsschifffahrt sieht das nicht gänzlich anders aus. Entweder durch das piratenverseuchte Gebiet ohne Garantie auf Hilfe durch die NATO bzw. EU bzw. Drittländer schippern oder den natürlich kostensteigernden Weg auf einer Alternativroute in Kauf nehmen. Private Sicherheitsteams an Bord oder passiver Schutz durch ferngesteuerte Wasserkanonen sind die einzig wirksame Option, denn ein Einsatz gegen die eigentliche Ursache – gegen die Piratennester im Küstengebiet Somalias – wird derzeit wohl unwahrscheinlich sein.
Es sollte eigentlich Grunsatz jedes Handelns sein, dass man sich von vorneherein selbst in keine gefährliche Situation bringt, aus der man nicht selbst wieder herauskommen kann. Das ist für mich das Hauptargument für die Bewaffnung der Handelsschiffe zum Selbstschutz. Und zwar notfalls der Seeleute selber, soferne diese das möchten.
Dass Deutschland die Matrosen nicht schützt, sondern nur so tut als ob, ist ein eingespieltes Verhaltensmuster der Obrigkeit dieses Staates. Analoge Beispiele findet man überall bei Polizei, Justiz und der Bundeswehr im Kriegseinsatz wenn man genau hinsieht. Opfer der Gewalt werden dabei mehr oder weniger offen verhöhnt.
Beispiel Polizei:
Der Berliner Polizeipräsident empfiehlt im Falle eines Angriffes laut zu singen (!).
http://www.berlin.de/imperia/md/content/polizei/praevention/verhalten_bei_gewalt_und_aggression_in_der__ffentlichkeit.pdf
Deutschland wird nie etwas zum Schutz der Seeleute tun, und damit die deutschen Behörden nicht alt und nutzlos aussehen, wenn Schiffe sich anfangen, selbst zu schützen, werden sie alles in ihrer Macht stehende tun, um dies zu verhindern. Das ist nicht anders als am Festland. Erst wenn man diese Leitsätze der deutschen Politik erkennt, kann man anfangen sich für die Fahrten im indischen Ozean das richtige Konzept zurechtzulegen. Nämlich, es muß ohne den „Schutz“ von Deutschland oder gegen die Gängelei aus Deutschland gehen, oder man hört mit der deutschen Handelsschiffahrt überhaupt auf.
Die Aktion passt in das Bild, was ich vom indischen Sicherheitsbereich habe.
Eigentlich eine traurige Geschichte, denn in der Vergangenheit hat sich Indien der Kooperation mit Know-How-Trägern eher verschlossen, was sehr leicht durch das vorherrschende Menschenbild in Indien erklärbar ist. Soll jetzt aber nicht Stein des Anstoßes sein.
Die Inder haben ein Qualitätsproblem und ballern rum wie wilde Hühner.
Die Koreaner haben dieses Problem offenbar nicht. Im Übrigen ist es ja ein positives Vorurteil, dass Koreaner zu den fleißigsten Menschen der Welt gehören :)
Sehr pauschal, aber meist zutreffend.
@MK:
„Mit den Konsequenzen muss die Witwe nun leben – zurecht.“
Auch wenn ich den Hintergrund dieses Falles ganz gut kenne und über die Unvernunft manch eines Seglers dort nur den Kopf schütteln kann: der letzte Satz ist mir deutlich zu zynisch.
Dabei können wir Deutschen offensichtlich jede wie oben angesprochene Unvernunft noch toppen, wie der Fall der nach Somilia aus freien Stücken zurückgekehrten ehemaligen deutschen Geisel zeigt
Dennoch verstehe ich nicht den Zusammenhang zu meiner Aussage, dass eine Befreiung auch unter Inkaufnahme von Opfern unter den Geiseln langfristig das geringere Übel sein kann.
Wenn die Entsendung moderner Marineschiffe einen technisch unterlegenen Gegner abschreckt und zum Rückzug bewegt, spricht einiges dafür, es im Hinblick auf eine denkbare Entschärfung der Sicherheitslage dabei bewenden zu lassen.
Wenn jedoch der Gegner blind entschlossen oder mit dem Mut der Verzweiflung weiter agiert, muss die eigene Besatzung genauso entschlossen sein, das Feuer zu eröffnen und den Feind zu vernichten.
Nachdem dies oft genug geschehen ist, genügt bereits wieder eine hinreichende Präsenz, um Nachahmungstäter abzuschrecken.
„Ich warte ja darauf, was passiert, wenn ein afrikanisches oder asiatisches Kommando bei einer solchen Aktion den deutschen Kapitän der York irrtümlich erschiesst.“
Die bilateralen Beziehungen würden zwischenzeitlich einer schwerwiegenden Dämpfer erhalten. Das wäre es auch, im Wesentlichen. Aber das Thema haben wir ja hier schon diskutiert, wenn ich mich recht erinnere.
@Seestratege
Auch wenn Ihnen mein letzter Satz wohl auch nach folgender Information noch zu zynisch klingen mag: Vor nicht allzu langer Zeit lief bei ARTE eine Reportage über eben diesen Vorfall auf der Tanit, ein Interview der Witwe eingeschlossen. Diese hat natürlich das aggressive Vorgehen der französischen Kommandosoldaten angeprangert und letztendlich die militärische Führung für den Verlust ihres Mannes beschuldigt. Von Reue bezüglich der eigenen Unvernunft keine Spur. Da fehlen einem glatt die Worte.
Grundsätzlich bin ich zum Thema Geiselbefreiung Ihrer Meinung, wobei die Gewaltspirale eventuell dadurch in Gang gesetzt würde und die Piraten wohl mit deutlich härterer Gangart die gekidnappten Schiffsbesatzungen behandeln würden.
Das wichtigste war doch, dass bis vor kurzem die als Geiseln genommenen Seeleute frei kamen. (Zumindest wenn sie von Schiffen der Industriestaaten kamen, von den aermeren fischern hoert man nicht viel. Sklaverei?)
Es entsteht natuerlich ein sehr grosser wirtschaftlicher Schaden wenn die Schiffe bis zu Monaten festgehalten werden. Die Loesegeldzahlung kommt dazu. Diese Kosten koennten durch Befreiungen in einigen Faellen verringert werden.
Es gibt einen grossen Unterschied zwischen den Terroristen in den 70ern und den Piraten heute. Die terroristen hatten einen Mangel an Menschen die zum Handel bereit und in der Lage waren. Zumeist haben die Organisatoren selbst das Risiko getragen und konnten abgeschreckt werden. Bei den Piraten ist das anders, es steht fuer die Initiatoren ja nur das investierte Material und sehr wenige vertrauenswuerdige Handlanger auf dem Spiel. Hoehere Verluste koennen einfach durch Erhoehung der Loesegeld-Forderungen ausgeglichen werden.
Wenn ich mir Kommentare hier anlese, hab ich oft den Eindruck es stehen nicht der Schutz der Seeleute oder wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Schiffseigner im Fordergrund, sondern die Bekaempfung der Piraterie. Als waere Kriminalitaetsbekaempfung ausserhalb des eigenen Staatsgebiets ein Wert an sich.
Auch finde ich es bezeichnend, dass die indische Marine sich anscheinend nach dem Wert der Schiffe richtet. Bei einem Wertlosen alten Kahn auf dem nur Dritte-Welt-Geiseln sind, wird kein riskantes Boarding versucht. Ethisches Handeln kann nur auf eine minimierung des Leids (der Toten) zielen, man darf dabei nicht Werten oder Waehlen. Das es hier keinen grossen Aufschrei gibt, kann ich nicht verstehen.
„Auch finde ich es bezeichnend, dass die indische Marine sich anscheinend nach dem Wert der Schiffe richtet. Bei einem Wertlosen alten Kahn auf dem nur Dritte-Welt-Geiseln sind, wird kein riskantes Boarding versucht. Ethisches Handeln kann nur auf eine minimierung des Leids (der Toten) zielen, man darf dabei nicht Werten oder Waehlen. Das es hier keinen grossen Aufschrei gibt, kann ich nicht verstehen.“
Ganz offenkundig wollten sich die indischen Seeleute nicht im ethischen Handeln überbieten, sondern pragmatisch und wirtschaftlich handeln.