RC N Watch: „Night Raid“ in Kundus – drei Versionen
In der vergangenen Nacht hat es in Kundus erneut einen der Night Raids, der nächtlichen Kommandooperationen gegen Aufständische, gegeben. Das scheint relativ klar. Was passiert ist, dazu gibt es drei etwas unterschiedliche Varianten:
Laut ISAF haben afghanische und internationale Truppen einen der Drahtzieher des Anschlags vom 19. Dezember 2010 auf ein Armee-Rekrutierungszentrum in Kundus festgenommen. Insgesamt seien fünf Aufständische arretiert worden. Der Anführer sei auch involviert in den tödlichen Anschlag auf den Gouverneur der Provinz Kundus im Oktober vergangenen Jahres.
Der stellvertretende Provinzguverneur Hamdullah Danishi sagte nach Angaben der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, afghanische Sicherheitskräfte (internationale Truppen werden nicht erwähnt) hätten bei der Nachtoperation fünf Personen wegen angeblicher Verbindungen zu den Taliban und zu al-Qaida festgenommen.
Und die in Pakistan ansässige Agentur Afghan Islamic Press wiederum berichtet (Link nicht offen zugänglich) unter Berufung auf den selben stellvertretenden Provinzgouverneur, U.S. Special Forces (hier kein Wort von afghanischen Sicherheitskräften) hätten den Vorsteher einer Moschee in Kundus festgenommen. Der Mann mit dem Namen Qari Nurollah, Familienmitglieder und Freunde seien bei der nächtlichen Aktion inhaftiert worden. Bei der mit der Moschee zusammenhängenden Khiaban-Madrassa, einer Religionsschule, handele es sich um eine von Saudi-Arabien finanzierte Einrichtung.
Alle Klarheiten beseitigt?
AIP steht bekanntermaßen den Aufständischen nahe und übernimmt häufig deren Darstellungen ungefiltert. Während die Informationsarbeit von ISAF das afghanische Gesicht solcher Operationen in den Vordergrund stellt, macht die Propaganda der Aufständischen in der Regel das Gegenteil.
Dem Kontext der Meldung nach würde ich vermuten, dass z.B. von westlichen Spezialkräften mentorierte ANA-Kommandos (oder andere afghanische Spezialkräfte) die Operation durchgeführt haben könnten.
Aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten werden übrigens nicht nur Koranschulen finanziert. Saudische Diplomaten und der Königsfamilie nahestehende „karitative“ Stiftungen arbeiten auch in Deutschland z.T. eng mit dem militant-salafistischen Spektrum zusammen. Gegen so etwas vorzugehen hätte einen wesentlich größeren Beitrag zur Reduzierung des Terroristenproblems geleistet als der Einsatz in Afghanistan es tut, aber das ist ein anderes Thema.
@Orontes:
Haben Sie zu den im letzten Absatz aufgestellten Behauptungen Quellen?
Unterschiedlich ja, aber widersprüchlich sind die drei Berichte der Razzia jetzt nicht.
Ein bisschen habe ich da den Eindruck, dass da die Entwicklung weg geht von „Kommandooperationen“, und hin zu „Razzien“. Zumindest betont ISAF in letzter Zeit ja vermehrt die Beteiligung von Afghanen und das vorherige Auffordern zum Verlassen des Gebäudes. Ein gewisser Lernprozess scheint da durchaus stattzufinden.
Dass da aber noch lange nicht alles rund läuft kann man etwa in folgendem deutschsprachigen Bericht auf Afghanistan Today über eine amerikanische Razzia im Oktober 2010 nachlesen.
Das stellt halt schon irgendwie die Frage nach einem übergreifenden „institutionellen Gedächtnis“ der NATO-Truppen. Zumindest ich hab da den Eindruck, dass einiges an gewonnenen Kenntnissen und Erfahrungen nicht den Sprung über Kontingentswechel oder Nationaltitätsgrenzen schafft.
Sagen sie, J.R., finden sie es nicht etwas gewagt, sich auf solche Berichte zu verlassen?
Nach der Lektüre ihres Links kommt mir spontan der Gedanke: „Ein bisschen viel Gefühl drin.“ Brechen wir das mal herunter: Man wird mit viel Details über den Ramadan versorgt. Amerikaner dringen mit Hunden in Wohnhäuser ein; sie treten dabei Türen ein. Die afghanischen Familien hungern, zu guter Letzt werfen die Amerikaner den Topf mit Essen in den Hof. Die Männer nehmen sie mit nach Baghlan.
Das Ganze hört sich für mich eher nach Propaganda, als denn nach ungefärbten Tatsachen an. Tut mir leid.
@Dominik
Hier ist einer der prominenteren Fälle der Kollaboration saudischer Regierungsstellen mit militanten Islamisten in Deutschland:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-26740785.html
Das Auswärtige Amt hat bei anderen Fällen darum gebeten, diese nicht so auffällig zu diskutieren. Solche Fälle betreffen entweder direkt die saudische Königsfamilie bzw. saudische Regierungsstellen oder mit deren Unterstützung handelnde Stiftungen.
Hier ist noch ein Beispiel für etwas indirektere Kollaboration, diesmal über den Umweg des „Zentralrats der Muslime in Deutschland“, der nichts zu befürchten hat, weil unsere Regierung ihn zum institutionellen Ansprechpartner in Islamfragen aufbauen will und daher kein Interesse an einer öffentlichen Diskussion hat. Man könnte ja nicht offen zugeben, jahrelang auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Die Briten waren im Vergleich dazu offen genug, die Kooperation mit dem auch durch Saudis geförderten „Muslim Council of Britain“ einzustellen, nachdem es dort ähnliche Vorfälle gegeben hatte.
http://www.welt.de/print-welt/article692435/Djerba_Anschlag_Zentralrat_der_Muslime_geraet_ins_Zwielicht.html
@Dominik
In meiner ersten Antwort auf Ihre Frage waren wohl zu viele Links drin, weshalb sie separat freigeschaltet werden muss.
Hier noch ein aktuellerer Bericht über Stipendien für militante Islamisten aus Deutschland für Aufenthalte in „Sprachschulen“ in Ägypten, die primär der Bildung internationaler Netzwerke und Vermittlung u.a. von Kämpfer nach Zentralasien dienen. Die Stipendien wurden von einer Stiftung gezahlt, die sehr eng mit dem saudischen Königshaus verbunden ist. Der Artikel erschien zunächst in der Online-Ausgabe der „Welt“, die ihn dann aber leider aus nicht genannten Gründen wieder gelöscht hat. Freundlicherweise macht eine koptische Organisation den Inhalt weiterhin zugänglich:
http://koptisch.wordpress.com/2010/10/25/saudi-arabien-finanziert-terror/
Der Artikel zitiert auch Mitarbeiter des BfV, die u.a. auf den Wunsch der Bundesregierung nach zurückhaltenden Ermittlungen gegen die Saudis eingehen.
Ich behaupte: Angesichts dieser Zustände ist der deutsche Einsatz in Afghanistan eine Farce. Wer Anschläge in Deutschland verhindern möchte, könnte problemlos bei unseren saudischen (und pakistanischen) „Partnern“ ansetzen. Das wäre billiger und würde sofort Wirkung zeigen.
Orontes:
Danke für die umfassenden Informationen!
Und in der Tat, eine Farce! Es ist ja geradezu Skandalös wie damit umgegangen wird!
Nein, nicht mehr als bei anderen Berichten auch. Städtische Lehramts-Studenten sind jetzt nicht gerade die typische Taliban-Klientel, und die anderen Berichte des Autors wirken ebenfalls ziemlich gewöhnlich.
Ich finde die Beschreibung des Vorgehens der US-Truppen nicht besonders überraschend/unglaubwürdig, da gibt es ja auch ähnliche Berichte aus US-Perspektive. Gerade zum Türeneintreten findet findet sich viel Material, und auch zum Richten von Waffen auf Zivilisten. (Ganz nebenbei wird nirgendends gesagt, dass die Hunde auch in Häuser geschickt wurden.) Den bei der Durchsuchung angerichteten Schaden finde ich krass, aber ich schätze, sowas ist von nicht anders geschulten Soldaten fast schon zu erwarten. Nicht weil Soldaten schlechtere Menschen wären, sondern vor allem weil bei Ausbildung und Einsatzdurchführung andere Schwerpunkte gesetzt werden.
Im Ernst: Wenn man das Vorgehen mit anderen Raids vergleicht, dann sind da sogar diverse Fortschritte zu erkennen. (Etwa dem schonmal anderswo erwähntenhier in Jalalabad Stadt.)
Wenn die Nachfrage wirklich da ist kann ich auch noch ein paar andere Quellen zusammensuchen. Ich halte den Bericht jetzt wirklich nicht für Propaganda (wenn auch aufgrund der Erlebnisse des Autors womöglich für subjektiv gefärbt – oder wie würden sie über eine ähnliche Razzia berichten?)
Nur: Bei einem Vorgehen wie diesem, ist es wirklich überraschend dass Raids bei der Bevölkerung so auf Ablehnung stoßen?
Und vor allem: Sollte man es mittlerweile nicht besser können?
Nachtrag: Einen etwas ausführlicheren Bericht über Night Raids hat es auf AAN: „Strangers kicking in your door“.
Mehr zu dem Vorfall und den Protesten und Verwirrungen danach: http://www.tuscaloosanews.com/article/20110109/API/1101090583?p=1&tc=pg
AAN hat gestern einen Blog-Eintrag zu Night Raids online gestellt: Because the Night Belongs to Raiders: Special Ops in Nangrahar.
Unter anderem wird angemerkt, dass viele (auch tödliche) Night Raids in städtischen Vororten stattfinden, in denen die Aufständischen nicht gerade stark sind, und es wohl keinen überfallartigen Spezialkräfteeinsatz bräuchte um Zielpersonen festzunehmen. Tatsächlich scheint es vielen Afghanen schwerzufallen Night Raids von Überfällen zu unterscheiden – auch dank der anscheinend oft nicht vorhandenen ISAF-Informationspolitik.