RC N Watch: Gouverneur von Kundus in Takhar getötet
Die nordafghanische Provinz Takhar, Nachbarprovinz von Kundus, rückt zunehmend ins Blickfeld von Aufständischen wie von ISAF: Beim Freitagsgebet in einer Moschee von Taloqan wurde der Gouverneur der Provinz Kundus, Engineer Mohamad Omar, mit einem Sprengstoffanschlag getötet.
Mehr Details, wenn auch noch spärlich, bei der BBC: Head of Afghanistan’s Kunduz province ‚killed in blast‘ und bei CNN:
Suicide attack kills provincial governor in northern Afghanistan
Nachtrag: CNN zeigt ein Video der Situation nach dem Anschlag:
ohoh, das wird definitiv einiges an Kopfzerbrechen im PRT und auch im RC N auslösen. Wahrscheinlich wird der Vorfall aber in den deutschen Medien nicht großartig analysiert werden.
Mal sehen ob spiegel.de etwas zum Tod seines langjährigen Interviewpartners sagen wird…
pi
Noch bis Mitte letzten Jahres war TLQ die Insel der Glückseligen. Klein, eng, wenig Infrastruktur, aber relativ ruhig. Jetzt kommen die Einschläge dichter und mit dem Kräfteansatz vor Ort kann man nur beten, dass keiner auf die Idee kommt, das PAT selbst anzugreifen. Ausgeschlossen wurde das nie, aber immer irgendwie verdrängt….
da war bestimmt ein bißchen action im pat tlq… schließlich liegt die moschee direkt neben dem pat…
Hatte der nicht immer über die passive Bundeswehr geschimpft?
@Stoltenow:
Ja, der war zwar pro ISAF, hat sich aber immer über die passive Bundeswehr beschwert.
War es nicht auch Ing. Omar, der einen Bruder verloren hat, als dieser in seiner Funktion als Chief of Police (CoP) von Insurgents getötet wurde?
@commander das ist richtig der bruder wurde in seinem amt als polizist ebenfalls ermordet
Es kommt ja oft der Vorwurf, dass die ISAF sich micht falschem Verhalten die Zivilbevölkerung nicht zum Freund macht.
Wie sieht es den mit den Taliban aus? Ich kann mir (oder denke ich in falschen Kategorien?) nicht vorstellen, dass das Töten in einer Moschee während des Gebets nicht ein Versoß gegen Koran, Überlieferungen oder einfach örtliches Rechts/Unrechtsempfinden sind. Vielleicht weiß einer der Leser oder der Hausherr wie es die Afghanen mit solchem Verhalten halten?
@Janus
Absolut richtiger Hinweis. Die Taliban setzen jedoch nicht auf „Winning Hearts and Minds“, sondern auf eine Mischung aus Einschüchterung und Akzeptanz. Sie sind selten beliebt, aber wo sie stärker sind als ihre Gegner, kann man sich zumindest als Paschtune mit ihnen arrangieren. Versetzen Sie sich in die Lage eines Afghanen: Die Regierung ist schwach und über das erträgliche Maß hinaus korrupt, die westlichen Kräfte sind man meistens nur in Form durchrasender Konvois oder in der Luft, aber die Taliban sind vor Ort und erledigen jeden ihrer Gegner konsequent. Kann es da nicht sinnvoller sein, sich den Taliban zu fügen?
Den Taliban kommen dabei die allgemeine Xenophobie der afghanischen Bevölkerung sowie andere kulturelle Faktoren entgegen. Die Präsenz nichtmuslimischer Ausländer wird allgemein als Problem empfunden. Wenn die Taliban eine Moschee absichtlich angreifen, so wird dies von den meisten Afghanen zwar abgelehnt, aber nicht als Demütigung empfunden, weil es gewissermaßen in der Familie stattfindet. Wenn irgendwo in Dänemark jedoch jemand eine Karikatur zeichnet oder in Spinner in den USA einen Koran verbrennen will, dann nehmen viele Afghanen dies als Teil eines von ihnen vermuteten allgemeinen christlichen Angriffs auf den Islam dar und fühlen sich gedemütigt und reagieren aggressiv auf diese Herausforderung ihrer kollektiven Ehre.
Andere Afghanen wollen nicht glauben oder nicht offen zugeben, dass Muslime jemals in der Lage wären, eine Moschee anzugreifen, und erfinden Verschwörungstheorien. Es fällt vielen Menschen in diesem Kulturkreis unglaublich schwer, in einem Konflikt mit Kräften aus einem anderen Kulturkreis das Handeln auch von solchen Kräften aus der eigenen Kultur offen in Frage zu stellen, selbst wenn man diese Kräfte eigentlich ablehnt. Das geht oft nur, wenn diese Kräfte symbolisch exkommuniziert werden und die Taliban als fremde Agenten, die ihrerseits an einer Verschwörung beteiligt seien, dargestellt werden.
ISAF wird sich große Teile der Bevölkerung niemals zum Freund machen können, aber es gab zeitweise die Chance, dass ISAF als Ordnungsfaktor ernstgenommen hätte werden können und man sich mit ISAF (solange ISAF sich aus dem Alltag raushält) so arrangiert hätte, wie man sich mit anderen Kräften arrangiert. Dafür ist es jetzt zu spät, zumal die Masse der relevanten Afghanen sehr gut über die westlichen Rückzugsdiskussionen informiert ist. ISAF hat kaum noch eine reale Chance, ihre Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen. Den Kampf um die paschtunische Bevölkerung hat man nicht wegen CIVCAS oder zu schnellem Fahren verloren, sondern weil man nicht rechtzeitig als glaubwürdiger Ordnungsfaktor zur Verfügung stand.
@ S.W.
Naja, die Taliban setzen sehr wohl auf Hearts and Minds*. Sie konkurrieren sowohl mit der Regierung um Akzeptanz und Legitimität (Hearts), als auch um die Wahrnehmung, dass ihr Sieg letztlich nicht verhindert werden kann (Minds).
Der Kern ist nicht Sympathie, sondern Vertrauen und gemeinsame Interessen.
Und da muss man dann auch klar feststellen: Internationales Engagement, das schlicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei geht oder gar als unverhältnismäßige Bürde betrachtet wird, stört beides.
Nüchtern betrachtet muss man für den Norden sagen: Die Taliban sind immer noch schwach. Nur wenige wünschen sich die Taliban zurück, und die Taliban sind (noch) nicht stark genug, um als unvermeidbar oder unbesiegbar angesehen zu werden.
Nur schießt sich die internationale Gemeinschaft in Nord-Afghanistan selbst in den Fuß. Die ISAF kümmert sich nur sehr nachrangig um den Schutz der Bevölkerung, im Vordergrund stehen die Sicherheit der Feldlager und der Nachschublinien. Die Verwaltung ist korrupt und die internationale Gemeinschaft interessiert sich nicht dafür, oder trägt noch zu Korruption und Ausbeutung bei indem die die örtlichen Warlords unterstützt.
Die Taliban können sich im Norden auf einen ganz simplen Narrativ zurückziehen:
„Unsere Herrschaft wird nicht schlimmer sein als die der Regierung (und wir werden euch immerhin zuhören und konsequent sein), und es wird uns eh niemand davon abhalten können.“
Dabei sind die Taliban nichtmal besonders glaubwürdig. Der Anschlag auf eine Moschee hat das ja wieder mal unterstrichen.
Allerdings ist die Hoffnung auf die internationalen Unterstützung am Abnehmen. Gerade Deutschland war da ja, bei allen infrastrukturellen Erfolgen, in den Kernbereichen Verwaltung und Schutz sehr enttäuschend.
Den Kampf um eine bessere Verwaltung hat man bisher noch nicht geführt, und was den Schutz der Bevölkerung angeht wird sich zeigen, wie sich die Amerikaner schlagen. Immerhin scheinen sie weniger Berührungsängste mit den Afghanen zu haben und deren Sorgen ernster zu nehmen.
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* FM 3-24:
“Hearts” means persuading people that their best interests are served by COIN success. “Minds” means convincing them that the force can protect them and that resisting it is pointless. Note that neither concerns whether people like Soldiers and Marines. Calculated self-interest, not emotion, is what counts. Over time, successful trusted networks grow like roots into the populace. They displace enemy networks, which forces enemies into the open, letting military forces seize the initiative and destroy the insurgents.
@J.R.
Wenn Sie es so darstellen muss ich Ihnen natürlich zustimmen. In der politischen Diskussion ist das Stichwort „Hearts and Minds“ aber leider zu häufig synonym für „wir müssen nur nett zu den Afghanen sein“. Dass das Gewinnen von „Minds“ auch die Erzeugung der Wahrnehmung von überlegener Stärke und glaubwürdiger Durchsetzungsfähigkeit beinhalten müsste, scheint in der deutschen Diskussion noch nicht angekommen zu sein.