Darf’s ein bisschen mehr sein?
Das ist doch eine lustige Situation. Auf eine Aussetzung der Wehrpflicht lassen sich jetzt alle Parteien ein (FDP, Grüne und Linkspartei ohnehin, die SPD hat noch ihr Konstrukt einer freiwilligen Wehrpflicht, und die Spitzen von CDU und CSU sind jetzt auch für die Abschaffung dieses Zwangsdienstes). Aber damit haben die großen Parteien nur die Hälfte der Frage beantwortet, wie die künftige Bundeswehr aussehen soll: Um die Antwort, wie groß die deutschen Streitkräfte künftig sein sollen, drücken sich alle ein wenig herum.
Zum Beispiel die Präsidien von CDU und CSU. Von denen ist zwar hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass sie eine Bundeswehr-Größe von 180.000 bis 190.000 Soldaten anstreben, deutlich mehr als die bislang von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vorgeschlagenen und von Generalinspekteur Volker Wieker planerisch aufgeschlüsselten 163.500 Soldatinnen und Soldaten: «Wir haben gestern im Präsidium beschlossen, dass die Truppenstärke deutlich über das bisher Bekannte ausgedehnt werden muss», sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Aber auf eine konkrete Zahl legen sich die Spitzen der beiden C-Parteien offiziell nicht fest.
Ähnlich unpräzise verhält sich die SPD, die auf ihrem Parteitag zwar den Vorschlag der Fraktions-Verteidigungsexperten für eine Truppenstärke von 200.000 zur Kenntnis nahm, aber die konkrete Zahl in ihrem Parteitagsbeschluss vermied.
Bundeswehrsoldaten beim Manöver in Grafenwöhr (Foto: Sean Gallup/Getty Images via picapp)
Mit anderen Worten: Das Gezerre im Hintergrund geht auch nach Einigung auf das Ende der Wehrpflicht weiter. Aus doppeltem Grund. Denn einerseits, wie sagte es die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner so schön, Je mehr Soldaten die Bundeswehr hat, desto mehr Standorte bleiben erhalten.
Andererseits: je mehr Soldaten die Bundeswehr hat, um so teurer wird es. Wenn ich mich recht erinnere, lautet die Faustformel: 10.000 Mann kosten 500 Millionen. Allein an Sold, Ausrüstung nicht mitgerechnet.
Und alle Seiten sind sich bewusst: Wer bestellt, bezahlt. Wer also jetzt eine konkrete Truppenstärke fordert, muss dann auch sagen, wo das Geld dafür herkommt.
Da hilft es vielleicht, sich zu erinnern, wie die aktuelle Diskussion los ging – nämlich mit der Sparklausur des Bundeskabinetts am 7. Juni dieses Jahres:
Aus den Sparbeschlüssen des Bundeskabinetts vom 7. Juni 2010:
4. Anpassung der Bundeswehr an neue Anforderung
Das Bundesministerium der Verteidigung prüft im Rahmen der derzeitigen Reformüberlegungen
die Optimierung der Strukturen der Bundeswehr an den Erfordernissen der Befähigung
zum Einsatz. In diese Überlegungen sind auch die Organisation und Zusammensetzung der
Streitkräfte, einschließlich des Personalumfangs der verschiedenen Statusgruppen einbezogen.
Gleichzeitig obliegt dem Bundesministerium der Verteidigung – zusammen mit allen anderen
Ressorts der Bundesregierung –, auch zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes und zur Einhaltung
der verfassungsrechtlich vorgegebenen Schuldenbremse beizutragen.
Vor diesem Hintergrund wird der Bundesminister der Verteidigung in Zusammenarbeit mit
der Strukturkommission der Bundeswehr beauftragt, bis Anfang September 2010 aufzuzeigen,
welche Folgen eine deutliche Reduzierung der Streitkräfte um bis zu 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten
für die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands, die Einsatz- und
Bündnisfähigkeit, Fragen der Beschaffung, die Strukturen und den Gesamtumfang der Bundeswehr
sowie die Wehrform und deren Ausgestaltung hätte. Darüber hinaus wird die Kommission
beauftragt, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie durch eine bessere Arbeitsteilung im
Bündnis Einsparpotentiale gewonnen werden können.
Unabhängig von einem aus dieser Prüfung resultierendem Entscheidungsbedarf wird am Wehrrechtsänderungsgesetz
2010 in der vom Bundeskabinett beschlossenen Fassung festgehalten,
um den zum 01. Juli 2010 einberufenen Wehr- und Zivildienstleistenden Planungs- und
Rechtssicherheit dahingehend zu geben, dass ihr Grundwehr- bzw. Zivildienst 6 Monate dauert.
Da eine die allgemeine Wehrpflicht betreffende Veränderung auch unmittelbare Auswirkungen
auf den der Wehrpflicht rechtlich folgenden Zivildienst haben würde, wird die Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragt, ebenfalls bis Anfang September
darzustellen, welche Auswirkungen mögliche Veränderungen der Wehrpflicht für den
Zivildienst und die Funktionsfähigkeit der vom Einsatz der Zivildienstleistenden unmittelbar
profitierenden sozialen Infrastruktur hätte.
Der nächste logische Schritt war der umfangreiche Bericht des Generalinspekteurs, der nicht nur angeblich die Wendung des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer vom überzeugten Wehrpflicht-Anhänger zum Befürworter des Wehrpflicht-Endes machte, sondern vor allem die möglichen Optionen auf der Basis dieses Kabinettsbeschlusses auflistete.
Und jetzt? Irgendwie bleibt es merkwürdig verwaschen. Der GI kann ja mal eine Option mit 190.000 Soldaten inklusive freiwilliger Kurzdiener erstellen – vermutlich eher: aus der Schublade ziehen. Merkwürdigerweise hat er in seinem Bericht ja bei größeren Umfängen immer Grundwehrdienstleistende mit eingeplant, die es künftig nicht mehr gibt. Andererseits bin ich sicher, dass der alte Fuchs Wieker ebenso wie sein Minister die Zahl 163.500 in Poker-Manier als zu geringe Zahl in die Debatte geworfen hat – und auf den Widerspruch der Politik hoffte.
Und ebenso verwaschen bleibt die Frage der Standorte. Schien es doch so, dass Guttenberg den Garnisonen mit weniger als 900 Dienstposten schon den Todesstoss versetzt hatte – doch halt, wie sagte sein Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt (ebenfalls CSU) neulich in seiner Manfred-Wörner-Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Wir müssen uns die Verteilung der Bundeswehr in der Fläche auch was kosten lassen. Und: Wir werden nicht Standorte aufgeben, nur weil sie klein sind.
Unterm Strich: Weder die endgültige Größe der Streitkräfte noch die Zahl und Größe der künftigen Standorte ist bislang entschieden. Und damit ist, außer der Wehrpflicht, eigentlich noch keine wirkliche Entscheidung gefallen. Und erst recht völlig unklar bleibt, ob der Verteidigungsminister die Sparvorgaben des Bundeskabinetts einhält – da sollten doch in den nächsten vier Jahren 8,3 Milliarden Euro als Einsparung rauskommen. Davon war der ganze Plan schon vorher weit entfernt. Mit jedem Soldaten, den die Politik zusätzlich fordert, rückt dieses Ziel weiter in die Ferne. Aber es gilt ja: wer bestellt, bezahlt.
Nachtrag: hier die gemeinsame Erklärung der Präsidien von CDU und CSU – Kernsatz: Die künftige Truppenstärke der Bundeswehr ist so zu wählen, dass sie allen Aspekten der sicherheitspolitischen Aufgabenbeschreibung gerecht wird. CDU und CSU gehen davon aus, dass für die Bewältigung der gestellten Aufgaben eine wesentlich größere Truppenstärke erforderlich sein wird, als die bislang genannte absolute Untergrenze.
und ganz verwaschen wird es bei der Frage:
Was soll diese Bundeswehr mit 163.000 oder 190.000 Soldaten können?
Warum knapp 30.000 Soldaten mehr? Welche Aufgaben sollen diese erfüllen? Was fehlt der Politik bisher? Oder doch nur fürs stationiert sein?
Bleibt es bei dem Anspruch aus Weißbuch und VPR?
Wenn ja: Wie realistisch ist dieser?
Wie sinnvoll ist dieser (NRF, EUBG)?
Wenn nein:
Was soll die Bundeswehr noch leisten (außer Sport- und Industrieförderung)?
Fragen über Fragen…
… man wartet weiter (vergeblich) auf Antworten…
Solange das ursprüngliche Konzept – weniger Kopf und mehr boots on the ground – erhalten bleibt, sollen die neuen Zahlen doch nicht das Problem sein.
Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass die Überlegung „Wer bestellt – zahlt.“ nicht aufgeht. Ging sie ja noch nie. Die Bundesregierung hat ja bis jetzt auch nur Aufgaben und nicht Mittel bereitgestellt.
Zu den Einsparzielen hat sich Frau Merkel ja heute ausdrücklich geäußert:
„Merkel machte deutlich, dass sie an den Sparzielen für die Bundeswehr festhalten wollte. Das festgelegte Finanztableau gelte, sagte sie. Das Kabinett hatte bei seiner Sparklausur Anfang Juni beschlossen, bis 2014 im Verteidigungsetat 8,3 Milliarden Euro einzusparen.“
Dann wäre die Unterfinanzierung einer Truppe von 180000 nach der Reform auch in trockenen Tüchern!
Es wird in der Diskussion immer nur über einen Teil der Bundeswehr geredet, nämlich über die Streitkräfte. Es gibt ja noch einen zweiten Teil, die Wehrverwaltung. Wie sieht es denn da aus. Nach meinem Wissen hat die Wehrverwaltung nach der jetzigen Zielstruktur in 2010 noch ca. 25000 Dienstposten übern Durst. Bei einer weiteren Reduzierung der Streitkräfte müsste die Zielstruktur der Wehrverwaltung ja nochmals angepasst werden. Ohne betriebsbedingte Kündigungen läuft da gar nichts und wie sieht es mit den ganzen Beamten aus???
In irgendeiner Publikation habe ich mal gelesen, dass die 25000 Zivil(Zuviel)bediensteten der Bundeswehr mit mindestens 800 Mio € ins Kontor schlagen. Wäre man die heute schon los ergeben sich bis 2014 ja schon mindestens 3,2 Milliarden € der geforderten 8,3 Milliarden €.
Wieso thematisiert das Thema Wehrverwaltung eigentlich keiner?
Zumal viele Soldaten (nahe 100%) den Teil der Bundeswehr nicht als Dienstleister für den Grundbetrieb und Einsatz sehen, sondern als Bremsfallschirm plus Schubumkehr.
Genau das ist m.E. der Knackpunkt der ganzen Sparerei.
Die Wehrverwaltung wurde und wird nie oder zumeist zu wenig angetastet. Womöglich bis zu dem Zeitpunkt, an dem jeder Soldat einen Verwaltungsbeamten hat, der ihm die Schuhe besohlt.. Und der Öffentlichkeit bleibt dies bisher immer verborgen. Auch ein Aspekt, der mich an der Liebe zur Darstellung eines wesentlichen Hintergrundes bei manchen Journalisten zweifeln lässt.
Warum die Wehrverwaltung nicht thematisiert wird? Ganz einfach. Weil zivile Beamte der Wehrverwaltung eben solche Konzepte erarbeiten. Keine Krähe hackt der anderen die Augen aus. Zumal viele Beamte der Wehrverwaltung denken das sich die Welt nur um sie dreht und die Soldaten lediglich für die da sind und das zu machen haben was die Verwaltung will.
@McKenzie: Spätestens, wenn Ende nächsten Monats die ersten Details aus dem Bericht der Weise-Kommission an die Öffentlichkeit dringen, sollte das Thema Wehrverwaltung, Modernisierung, Rüstung, und allgemein die Thematik 87a/87b angesprochen werden. Jedenfalls mache ich mir, seit ich den Text der Rede KTzG’s vor der FüAk vor ein paar Monaten gelesen habe, Hoffnung in der Richtung.
@ T.W.
„…Abschaffung dieses Zwangsdienstes). “
Ärgerlich ist diese, unhistorische und in ihren Folgen nicht bedachte Bewertung der allgemeinen Wehrpflicht.
Ich meine daran erinnern zu dürfen, dass Pflicht nicht Zwang ist.
Ist die allgemeine Schulpflicht eine Zwangsschulpflicht oder eine Errungenschaft derjenigen, die sich dieses Recht, welches dann als allgemeine Schulpflicht Eingang in die Gesetzgebung fand, nicht ein Gewinn für die Emanzipation aus der herrschaftlich organisierten Unmündigkeit geworden?
Zwangsdienste kennen Dikataturen und die Nazis in Deutschlands wussten das. Und dies bis zum Tode derjenigen, die Zangsdienste leisten mussten. Mit dem Verweis auf die allgemeine Wehrpflicht als Zangsdienst beleidigt man diejenigen, die unter den Bedinungen des Zwangdienstes unter Dikaturen, bis heute , zu Tode kommen.
Ich finde die ständige Verwendung des Begriffes Zangsdienst mit Blick auf die allgemeine Wehrpflicht für alle diejenigen, die dieser Pflicht nachkamen, für ungemein beleidigend. Sie leisteten diese Pflicht als Bürger genauso wie diejenigen, die der Pflicht nachkommen, Steuer zu entrichten .. und das ehrlich und guten Gewissens.
Nix für ungut
Ich meine mich zu erinnern, dass diverse Komissionen bezüglich Bundeswehr (u.a. Weizsäckerkomission) die Zahl von 200 000 Soldaten als absolute Untergrenze für eine dann noch akzeptable Verkleinerung der Bundeswehr ansahen. Weshalb jetzt Zahlen deutlich darunter ?