Darf’s ein bisschen mehr sein?

Das ist doch eine lustige Situation. Auf eine Aussetzung der Wehrpflicht lassen sich jetzt alle Parteien ein (FDP, Grüne und Linkspartei ohnehin, die SPD hat noch ihr Konstrukt einer freiwilligen Wehrpflicht, und die Spitzen von CDU und CSU sind jetzt auch für die Abschaffung dieses Zwangsdienstes). Aber damit haben die großen Parteien nur die Hälfte der Frage beantwortet, wie die künftige Bundeswehr aussehen soll: Um die Antwort, wie groß die deutschen Streitkräfte künftig sein sollen, drücken sich alle ein wenig herum.

Zum Beispiel die Präsidien von CDU und CSU. Von denen ist zwar hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass sie eine Bundeswehr-Größe von 180.000 bis 190.000 Soldaten anstreben, deutlich mehr als die bislang von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vorgeschlagenen und von Generalinspekteur Volker Wieker planerisch aufgeschlüsselten 163.500 Soldatinnen und Soldaten: «Wir haben gestern im Präsidium beschlossen, dass die Truppenstärke deutlich über das bisher Bekannte ausgedehnt werden muss», sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Aber auf eine konkrete Zahl legen sich die Spitzen der beiden C-Parteien offiziell nicht fest.

Ähnlich unpräzise verhält sich die SPD, die auf ihrem Parteitag zwar den Vorschlag der Fraktions-Verteidigungsexperten für eine Truppenstärke von 200.000 zur Kenntnis nahm, aber die konkrete Zahl in ihrem Parteitagsbeschluss vermied.

GRAFENWOEHR, GERMANY - AUGUST 24: German Bundeswehr soldiers training for ISAF deployment in Afghanistan demonstrate a manuever for Defense Minister Karl-Theodor zu Guttenberg at the military training facility on August 24, 2010 at Grafenwoehr, Germany. Zu Guttenberg announced the day before plans to restructure the German armed forces by ending compulsory military service and reducing the number of troops by one third. (Photo by Sean Gallup/Getty Images)

Bundeswehrsoldaten beim Manöver in Grafenwöhr (Foto: Sean Gallup/Getty Images via picapp)

Mit anderen Worten: Das Gezerre im Hintergrund geht auch nach Einigung auf das Ende der Wehrpflicht weiter. Aus doppeltem Grund. Denn einerseits, wie sagte es die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner so schön, Je mehr Soldaten die Bundeswehr hat, desto mehr Standorte bleiben erhalten.

Andererseits: je mehr Soldaten die Bundeswehr hat, um so teurer wird es. Wenn ich mich recht erinnere, lautet die Faustformel: 10.000 Mann kosten 500 Millionen. Allein an Sold, Ausrüstung nicht mitgerechnet.

Und alle Seiten sind sich bewusst: Wer bestellt, bezahlt. Wer also jetzt eine konkrete Truppenstärke fordert, muss dann auch sagen, wo das Geld dafür herkommt.

Da hilft es vielleicht, sich zu erinnern, wie die aktuelle Diskussion los ging – nämlich mit der Sparklausur des Bundeskabinetts am 7. Juni dieses Jahres:

Aus den Sparbeschlüssen des Bundeskabinetts vom 7. Juni 2010:

4. Anpassung der Bundeswehr an neue Anforderung

Das Bundesministerium der Verteidigung prüft im Rahmen der derzeitigen Reformüberlegungen
die Optimierung der Strukturen der Bundeswehr an den Erfordernissen der Befähigung
zum Einsatz. In diese Überlegungen sind auch die Organisation und Zusammensetzung der
Streitkräfte, einschließlich des Personalumfangs der verschiedenen Statusgruppen einbezogen.
Gleichzeitig obliegt dem Bundesministerium der Verteidigung – zusammen mit allen anderen
Ressorts der Bundesregierung –, auch zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes und zur Einhaltung
der verfassungsrechtlich vorgegebenen Schuldenbremse beizutragen.
Vor diesem Hintergrund wird der Bundesminister der Verteidigung in Zusammenarbeit mit
der Strukturkommission der Bundeswehr beauftragt, bis Anfang September 2010 aufzuzeigen,
welche Folgen eine deutliche Reduzierung der Streitkräfte um bis zu 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten
für die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands, die Einsatz- und
Bündnisfähigkeit, Fragen der Beschaffung, die Strukturen und den Gesamtumfang der Bundeswehr
sowie die Wehrform und deren Ausgestaltung hätte. Darüber hinaus wird die Kommission
beauftragt, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie durch eine bessere Arbeitsteilung im
Bündnis Einsparpotentiale gewonnen werden können.

Unabhängig von einem aus dieser Prüfung resultierendem Entscheidungsbedarf wird am Wehrrechtsänderungsgesetz
2010 in der vom Bundeskabinett beschlossenen Fassung festgehalten,
um den zum 01. Juli 2010 einberufenen Wehr- und Zivildienstleistenden Planungs- und
Rechtssicherheit dahingehend zu geben, dass ihr Grundwehr- bzw. Zivildienst 6 Monate dauert.
Da eine die allgemeine Wehrpflicht betreffende Veränderung auch unmittelbare Auswirkungen
auf den der Wehrpflicht rechtlich folgenden Zivildienst haben würde, wird die Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragt, ebenfalls bis Anfang September
darzustellen, welche Auswirkungen mögliche Veränderungen der Wehrpflicht für den
Zivildienst und die Funktionsfähigkeit der vom Einsatz der Zivildienstleistenden unmittelbar
profitierenden sozialen Infrastruktur hätte.

Der nächste logische Schritt war der umfangreiche Bericht des Generalinspekteurs, der nicht nur angeblich die Wendung des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer vom überzeugten Wehrpflicht-Anhänger zum Befürworter des Wehrpflicht-Endes machte, sondern vor allem die möglichen Optionen auf der Basis dieses Kabinettsbeschlusses auflistete.

Und jetzt? Irgendwie bleibt es merkwürdig verwaschen. Der GI kann ja mal eine Option mit 190.000 Soldaten inklusive freiwilliger Kurzdiener erstellen – vermutlich eher: aus der Schublade ziehen. Merkwürdigerweise hat er in seinem Bericht ja bei größeren Umfängen immer Grundwehrdienstleistende mit eingeplant, die es künftig nicht mehr gibt. Andererseits bin ich sicher, dass der alte Fuchs Wieker ebenso wie sein Minister die Zahl 163.500 in Poker-Manier als zu geringe Zahl in die Debatte geworfen hat – und auf den Widerspruch der Politik hoffte.

Und ebenso verwaschen bleibt die Frage der Standorte. Schien es doch so, dass Guttenberg den Garnisonen mit weniger als 900 Dienstposten schon den Todesstoss versetzt hatte – doch halt, wie sagte sein Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt (ebenfalls CSU) neulich in seiner Manfred-Wörner-Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Wir müssen uns die Verteilung der Bundeswehr in der Fläche auch was kosten lassen. Und: Wir werden nicht Standorte aufgeben, nur weil sie klein sind.

Unterm Strich: Weder die endgültige Größe der Streitkräfte noch die Zahl und Größe der künftigen Standorte ist bislang entschieden. Und damit ist, außer der Wehrpflicht, eigentlich noch keine wirkliche Entscheidung gefallen. Und erst recht völlig unklar bleibt, ob der Verteidigungsminister die Sparvorgaben des Bundeskabinetts einhält – da sollten doch in den nächsten vier Jahren 8,3 Milliarden Euro als Einsparung rauskommen. Davon war der ganze Plan schon vorher weit entfernt. Mit jedem Soldaten, den die Politik zusätzlich fordert, rückt dieses Ziel weiter in die Ferne. Aber es gilt ja: wer bestellt, bezahlt.

Nachtrag: hier die gemeinsame Erklärung der Präsidien von CDU und CSU – Kernsatz: Die künftige Truppenstärke der Bundeswehr ist so zu wählen, dass sie allen Aspekten der sicherheitspolitischen Aufgabenbeschreibung gerecht wird. CDU und CSU gehen davon aus, dass für die Bewältigung der gestellten Aufgaben eine wesentlich größere Truppenstärke erforderlich sein wird, als die bislang genannte absolute Untergrenze.