RC N Watch: Selbstmordanschlag bei Masar-i-Scharif
Die Provinz Balkh im Norden Afghanistans, wo in Masar-i-Scharif auch das Hauptquartier des ISAF-Regionalkommandos Nord (und die meisten deutschen Soldaten) stationiert sind, gilt bislang als recht sicher. Jedenfalls kein Vergleich mit Kundus oder dem Norden der Provinz Baghlan.
Deshalb lässt einen die Meldung heute aufschrecken, deren Details langsam bekannt werden: Ein Selbstmordattentäter hat mit seinem Wagen heute einen Konvoi der schwedischen ISAF-Truppen angegriffen. Die Soldaten in ihren geschützten Fahrzeugen blieben unverletzt – aber im nachfolgenden Bus mit einer Hochzeitsgesellschaft kam ein Kind ums Leben, 29 weitere Zivilisten wurden verletzt. Bei der Truppe wurde nur ein Fahrzeug beschädigt und war fahrunfähig.
Auch in MeS kommen die Einschläge so langsam näher, erinnern wir uns bloß an die ungarische Ärztin die vor gar nicht allzu langer Zeit, auf dem Weg von PeK nach MeS, kurz vor MeS einem IED-Anschlag zum Opfer gefallen ist.
Ich prophezeie, mit Beginn der nächsten Taliban-Sommeroffensive (also in Knapp 6-8 Monaten), ist in MeS die verhältnismäßige Ruhe auch vorbei…
Pardon, da muss ich widersprechen: Die ungarische Ärztin ist in Baghlan gefallen, nicht kurz vor MeS (war zu der Zeit zufällig in MeS). Was die Zukunftsaussichten angeht, würde ich Ihnen nicht widersprechen.
Richtig, das war in Raum Baglan. Dort haben übrigens die TICs (Troops in Contact / Gefechte) in den letzten Wochen zugenommen.
Da ist zur Zeit noch mehr los in Balgkh:
– Drei Wahlhelfer wurden am Wahltag im Chemtal District entführt und getötet.
– Am 17ten sind neun Afghanen durch eine IED in Balkh umgekommen.
– Der Governeut von Balkh Atta Mohammad Noor hat lokale tajikische Milizen aufgebaut die nicht der Zentralregierung untersteht – Time Bericht. Für die Bevölkerung sind diese Milizen scheinbar eher Mafiabanden die es hauptsächlich auf Paschtunen abgesehen haben.
Wenn soll jetzt die BW da unterstützen? Die Zentralregierung Karzai oder die lokale Regierung und die Milizen des Governeurs? Paschtunen oder Tajiken?
@b
Danke für die Ergänzung.
@b
„Wenn soll jetzt die BW da unterstützen? Die Zentralregierung Karzai oder die lokale Regierung und die Milizen des Governeurs? Paschtunen oder Tajiken?“
Ich habe eine Vermutung, wer in fünf Jahren unterstützt werden wird: Atta ist einer der effektiveren afghanischen lokalen Führer, hat schon mehr als einen Konflikt mit Karzai überstanden und wird auch noch da sein, wenn Karzai nicht mehr relevant ist und man in Nordafghanistan Partner bzw. Basen für „Nachsorgeoperationen“ braucht. Die Amerikaner bereiten sich ja schon ziemlich offen darauf vor: http://www.wired.com/dangerroom/2010/06/army-plans-100-mil-spec-ops-hq-in-afghanistan/
S.W. – „Atta ist einer der effektiveren afghanischen lokalen Führer, hat schon mehr als einen Konflikt mit Karzai überstanden und wird auch noch da sein, wenn Karzai nicht mehr relevant ist “
Na, da würde ich nicht drauf wetten. Der Mann macht auf Warlord und das Überleben nur wenige. So wie Atta sich benimmt macht er sich mehr Feinde als Freunde.
Es gibt anscheinend immer noch die Illusion der Norden sei auf Dauer weniger gegen die „Besatzer“ als der Süden. Das scheint mir ein Irtum zu sein.
@b
„Es gibt anscheinend immer noch die Illusion der Norden sei auf Dauer weniger gegen die “Besatzer” als der Süden. Das scheint mir ein Irtum zu sein.“
Sie scheinen die Aufstandsbewegung immer noch für einen Volksaufstand zu halten. Ich habe den Eindruck, dass sie hier antikoloniale Denkmuster aus den 70ern auf Afghanistan übertragen.
Tatsächlich kann man sich außerhalb der paschtunischen Gebiete in großen Teilen des Nordens und der Mitte des Landes sogar unbewaffnet bewegen, ohne besonderen Risiken (mal abgesehen von Kriminalität) ausgesetzt zu sein. Beispiele für Rückhalt für die Aufständischen außerhalb der paschtunischen Bevölkerung beschränken sich auf anekdotische Einzelfälle, und selbst in den „Pashtun Pockets“ haben die Aufständischen den vorhandenen Rückhalt größtenteils nur durch Einschüchterung herbeiführen können. Sie werden dort allenfalls akzeptiert, aber eine Massenbewegung sind sie nicht.
Die übergroße Mehrheit der Nichtpaschtunen im Norden lehnt die Aufständischen entschieden ab und erinnert sich noch an die diversen Massaker der Taliban, z.B. an den Hazara oder an das Massaker von Mazar-e-Sharif. Die Aufständischen werden vor allem als paschtunische Bewegung wahrgenommen und haben schon deshalb fast keinen Rückhalt. Atta kann durchaus auf die Loyalität großer Teile der Bevölkerung in seinem Machtbereich zählen, mit Ausnahme der tatsächlich fast überall im Norden seit Ende 2001 wieder verstärkt unter dem Druck der anderen Ethnien stehenden Paschtunen.
Zunehmend geringen Rückhalt hat hingegen die Zentralregierung, auch in der Bevölkerung des Nordens. Die Unterstützung für den Paschtunen Karzai ist im Süden wesentlich höher als im Norden. Ethnische Faktoren sind hier viel wichtiger als das Verhalten der jeweiligen Person. Auch (oder gerade?) unangenehme Gestalten wie Dostum haben kein Problem, zehntausende loyale Anhänger zu mobilisieren, die von ihnen in der einen oder anderen Form über ethnische Netzwerke abhängig sind.
Es irren sich jene, die behaupten, dass ein Rückzug der NATO „Frieden für Afghanistan“ etc. bedeute: Statt dessen ist ein erneues Aufflammen der ethnischen Konflikte wahrscheinlicher. Dass ist aus meiner Sicht allerdings ein Problem der Afghanen und kein ausreichender Grund für eine Fortsetzung von ISAF.