RC N Watch: „Clearing Operation“ in Char Darrah (mit Update)
Das Vorgehen der ISAF im Distrikt Char Darrah bei Kundus, einer Taliban-Hochburg, scheint eine neue Qualität zu bekommen. Erstmals, wenn ich das richtig sehe, spricht ISAF bei den Aktionen in dieser Region von einer deliberate clearing operation – bislang war immer von gezielten Aktionen gegen einzelne Führer der Aufständischen die Rede. Ob die Meldung der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, in Char Darrah sei ein wichtiger Taliban-Kommandeur festgenommen worden, zu dieser clearing operation gehört oder eine separate Aktion ist, ist noch unklar.
Bislang habe ich auch noch keine Informationen, ob die Bundeswehr an dieser Operation neuer Qualität in dem von Taliban kontrollierten Distrikt beteiligt ist. Das ist ja
Nach Angaben der Bundeswehr sind an dieser clearing operation keine deutsche Soldaten beteiligt. Ein wenig erstaundlich, denn das wäre ja genau die Art von Vorgehen, für das die Task Force Kunduz, im deutschen (politischen) Sprachgebrauch lieber Ausbildungs- und Schutzbataillon genannt, vorgesehen ist. Und ihr Kommandeur, Oberstleutnant Christian von Blumröder, war ja schon im August entsprechend zitiert worden: The new German commander of the battalion in Kunduz province expects to begin a series of attacks in October. “This is a new mission,” said Lt. Col. Christian von Blumröder, who took command this month. “My orders are to get this done.”
Zur Begriffsklärung: In der Counterinsurgency (COIN)-Strategie der ISAF werden die Phasen shape, clear, hold, build unterschieden, die sich auch überlappen: Vorbereitung – sei es durch gezielte Angriffe auf einzelne Führungspersonen oder durch PR-Arbeit (shape), das klassisch militärische Vorgehen, einen Raum von Feinden freizukämpfen (clear), mit hinreichend starken Kräften in dieser Region dann auch präsent zu bleiben (hold) und anschließend mit Entwicklung und (Wieder)Aufbau zu beginnen (build). In dieser Terminologie wären die ISAF-Truppen jetzt beim Freikämpfen des Distrikts Char Darrah angelangt – was nach einem systematischen Vorgehen klingt, im Unterschied zu den bisherigen Einzelaktionen.
Mehr Details to follow? Mal schauen.
Update: Inzwischen habe ich gelernt (und finde es ärgerlich, dass ich das nicht vorher wusste), dass die Task Force Kunduz derzeit in Baghlan im Einsatz ist, also für Operationen rund um Kundus nicht zur Verfügung steht. Also offensichtlich als Ablösung der Quick Reaction Force. Irgendwie, scheint mir, gibt es zu wenig Kräfte im Norden.
Eigenartig, dass sich die Bundeswehr da raushaelt. Oder der Pressesprecher des BMVg ist einfach schlechter informiert als ISAF oder Xinhua. Das will ich nichtmal kategorisch ausschliessen.
Ich erinner mich an einen Vorfall, da dementierte die Bw ganz eifrig und gleichzeitig bestaetigten die Amerikaner ganz unbefangen die Beteiligung deutscher Kraefte und lobten sogar deren Arbeit und Einsatzwillen. Peinlich…
Man kann fast davon ausgehen daß wenn immer eine Operation tatsächlich mal Sinn macht, dt. Kräfte nicht beteiligt sind :(
Eine Zeitlang sah es ja nach einer Wende zum Besseren aus, aber inzwischen sind da die alten Handlungsmuster wieder da.
@JCR
Solange die Aufstellung der beiden AusbSchtzBtl nicht abgeschlossen ist, wird es allein aufgrund der Bindung dieser Kräfte in die laufenden Operationen, insbesondere in BAGHLAN wie aber auch im Raum KUNDUZ, wohl noch nicht dazu kommen, dass zusätzliche Aufträge erfüllt werden. Hat m.E. aber nichts mit „nicht wollen“, sondern mit „noch nicht können“ zu tun.
Wenn das so geht wie in Marjah, Korrengalvalley und andernorts, dann wird das „Shape, clear, hold, hold, hold … retreat“
Die Buildphase kommt nie zur Geltung weil die Aufständischen diese u.a. durch Anwendung des alten U.S. Field Manual 5-31 dauerhaft und erfolgreich verhindern können.
Etwas Off Topic:
Die Amerikaner haben Anfang der Woche mir Hubschraubern pakistanisches Gebiet angegriffen. Die pakistanische Armee drohte daraufhin den Nachschub der Amerikaner zu unterbrechen.
Das hat man anscheinend nicht ernst genommen: Nato helicopters kill three Pakistani soldiers in Kurram.
Die Pakistanis hatten das allerdings ernst gemeint und beweisen das jetzt auch: Pakistan Blocking NATO Supplies to Afghanistan –
Officials Told to Stop Vital NATO Traffic at Border Crossing after NATO Copter Allegedly Kills Pakistani Troops
Ähnliches passierte im September 2008. Nach U.S. Angriffen auf pakistanisches Gebiet machten die Pakistanis die Grenze zu. Die Amerikaner waren dann gezwungen zu Kreuze zu kriechen. Gleiches wird wohl jetzt auch geschehen.
Die Nachschublinien durch Pakistan sind so unsicher, dass ich befürchte das die tatsächlich mal für längere Zeit gesperrt werden. Ein kleiner Paschtunenaufstand in Karachi oder ähnliches dürfte dafür reichen.
Taliban Could Defeat NATO in 30 Days – Logistics is the Achilles heel of Western forces
@Ash
Die Aufstellung des Ausbildungs- und Schutzbataillons in Kundus ist sehr wohl abgeschlossen. So sehr, dass die de facto noch den Oktober und vielleicht den November haben, ehe sie wieder rausgehen…
@b
Nur als ergänzender Hinweis: Seit 2008 hat die NATO mit Hochdruck daran gearbeitet, die Nachschubroute über den Norden, via Usbekistan, Tadschikistan etc. auszubauen. Das ist ja ein Grund, warum die Region um Kundus und insbesondere das Highway Triangle im Norden Baghlans so eine strategische Bedeutung haben.
Es wäre nicht die erste „Clear“-Operation dort. Alle sind bislang nicht an der Build-Phase gescheitert (wie b schreibt), sondern bereits an der Hold-Phase. Die Aufständischen wichen in der Regel in Räume ohne Präsenz von Sicherheitskräften aus und kehrten zurück, nachdem die Operation beendet war.
Dieser Ablauf hat sich in Afghanistan in allen Landesteilen bislang dutzendfach wiederholt und spielte eine wichtige Rolle bei der Erodierung des Vertrauens der afghanischen Bevölkerung in die Durchsetzungsfähigkeit von ISAF und afghanischer Regierung.
Wenn keine Deutschen direkt beteiligt sind, waere es denn moeglich, dass die Haubitzen da mitspielen? Der Einsatzraum ist wohl in Reichweite, wenn ich das richtig sehe?
Wenn die Auftstellung des ASB KDZ abgeschlossen ist, wissen sie evtl. ob die Umgliederung der SanKräfte das ebenfalls ist? Könnte mir glatt vorstellen, dass das nämlich noch nicht geklappt hat und dann fehlt dem oben genannten ASB die zugeteilte SanKp, beweglicher Einsatz. Wenn dem tatsächlich so ist, dann wundert es mich nicht, das man sich aus großangelegten Operationen raushält ;-)
Ich finde gerade die Quelle nicht (ich hab hier alles durchsucht, weil ich dachte, es wäre hier vor einiger Zeit gepostet worden), aber ich erinnere mich daran, dass von Blumröder im Zusammenhang einer Oktoberoffensive zitiert wurde. Es ging also darum, dass eben das ASB KDZ im Oktober eben in Baghlan offensiv werden sollte. Nun kann es ja sein, dass die momentan aktiven Kräfte den ersten Akt der Operation durchführen und das ASB dann Anfang, mitte Oktober im zweiten Akt reingeht. Aber schauen wir mal :)
Ach Mann! Jetzt hab ich das tatsächlich überlesen ^^ Steht ja oben ^^ Sorry.
@T.Wiegold
„@b
Nur als ergänzender Hinweis: Seit 2008 hat die NATO mit Hochdruck daran gearbeitet, die Nachschubroute über den Norden, via Usbekistan, Tadschikistan etc. auszubauen. Das ist ja ein Grund, warum die Region um Kundus und insbesondere das Highway Triangle im Norden Baghlans so eine strategische Bedeutung haben.“
Danke für den Hinweis. Ich habe das Thema seit Jahren unter Beobachtung und die Angriffe auf die Nordroute und die BW Probleme hatte ich vorhergesehen..
Ein paar Aussagen dazu:
1. Die Brücken die die Verbindungen im Norden bilden sich alle nicht gehärtet genug um Anschlägen zu widerstehen (LKW mit 10Tonnen TNT macht mitten auf der Brücke Boom – Brücke wech) und sind unzureichend bewacht.
2. Es gehen derzeit nur 20% des gesamten NATO Nachschubs durch den Norden. 80% geht durch Pakistan.
3. Falls man die Brücken und die Route im Norden sichert bleibt der Salang Tunnel als Engpass. Der wurde für 2000 Kfz pro Tag gebaut und hat heute ein Aufkommen von 7-8000 Kfz. Da jetzt noch den Nachschub für mehrere spritdurstige U.S. Divisionen im Süden durchzubekommen ist nicht möglich.
4. Die USA werden jetzt – selbst verschuldet – weltweit gedemütigt da es keine Alternative (ausser einem Frieden mit Iran) dazu gibt den Forderungen der Pakistani nachzukommen und sie die Finger von Pakistan lassen sowie dort mehr zu bezahlen.
5. Wer immer die ROE für Angriffe auf pakistanisches Gebiet geändert hat und damit die jüngsten Angriffe erlaubt hat gehört sofort gefeuert (Petreaus?).
6. Nicht nur die pakistanische Armee sondern auch die Taliban kann die derzeitigen Versorgungrouten nach Afghanistan unterbrechen (Brücken im Norden sprengen, Aufstand in Karachi, …)
7. Die Spritvorräte der Truppen in Afghanistan reichen 30 Tage. Danach ist stillsitzen und „incoming“ rufen angesagt. Ausreichende Spritversorgung aus der Luft is nicht möglich.
8. Es droht eine Tet Offensive.
Leider schreibt in den üblichen Medien keiner etwas dazu. Das wäre ein saftiges Thema Herr Wiegold – ich helfe gerne mit Hintergund.
Ein ehemaliger U.S. Soldat im Generalsrang hat mir zur aktuellen Lage per Email gesagt: „People just don’t want to know how dangerous this is.“
@b
Das meiste nachvollziehbar. Bis auf Punkt 8: Es droht eine Tet-Offensive?
@ b
Gibt es Informationen über den aktuellen (und eventuell möglichen) Anteil der Versorgung über den Luftweg am Gesamtaufkommen?
Wie sieht es mit dem Übergang von Turkmenistan z.B. bei Kara-Tepe nach Herat aus?
Wieviel läuft da und wieviel ist da möglich?
Entschuldigung, aber so „saftig“ ist das Thema beileibe nicht.
Erstens sind das bekannte Tatsachen (die soweit ich weiß immer mal wieder in der Berichterstattung präsent sind / waren).
Zweitens sind die Erkenntnisse doch eher schmunzelnd zu bewerten (zeigen sie mir eine Brücke in Deutschland, die nach 10to TNT noch mit Schwerlastverkehr befahrbar ist). Drittens wissen gerade die Amerikaner sehr wohl, wie verwundbar ihr Nachschub ist. Es würde mich also nicht verwundern, wenn bald der Nachschub über andere Routen läuf, wenn man sich so bewusst mit Pakistan anlegen kann. Kleiner Tipp: Es gibt im RC N wieder eine funktionierende Eisenbahn aus Usbekistan.
Laut Loosing Afghanistan 101: Lesson 1: Terrain wird ein Viertel des Materials eingeflogen; knapp 400.000 Tonnen im Jahr.
@b
– Zum Salang-Tunnel: Dieser ist zwar in schlechtem Zustand (der Straßenbelag im Tunnel ist stellenweise kaum noch vorhanden), und man kommt im Tunnel nur langsam voran, aber grundsätzliche Probleme sehe ich dort nicht. Die Strecke Kabul-Kunduz ist ansonsten gut ausgebaut, und trotz verschlechterter Sicherheitslage nördlich von Pol-e-Khomri sind die Aufständischen dort bislang nicht in der Lage gewesen, Angriffe auf Nachschub im Maßstab wie in Nordwestpakistan zu verüben.
– Zu den ROE: „Hot Pursuit“ war immer schon erlaubt und kam auch schon öfters vor. Neu ist nur die Reaktion der Pakistanis, die sich wohl Sorgen um zu hohe Verluste ihres Haqqani-Netzwerks machen.
– Die Tet-Offensive scheiterte aus Perspektive des Vietkong auf operativer Ebene und führte dazu, dass ein Großteil dessen Fähigkeiten in Südvietnam verloren ging. Sie wurde dank hysterischer US-Medien allerdings zu einem strategischen Erfolg.
Ansonsten sind die logistischen Probleme in Afghanistan sehr ernstzunehmen. Das gilt nicht nur für Treibstoff, sondern auch für Wasser.
@all
Zum Thema Pakistan vs. ISAF und den Nachschubrouten habe ich mal einen eigenen Thread aufgemacht: http://augengeradeaus.net/2010/10/pakistan-vs-isaf/