Petraeus macht Special Operations zum PR-Thema
Interessanter Bericht aus Kabul: ISAF-Kommandeur David Petraeus redet weit offener als seine Vorgänger über die Einsätze von Spezialkräften in Afghanistan. Unter anderem, schreibt die AP-Kollegin, um die skeptische Heimatfront zu überzeugen, dass dieser Krieg Aussicht auf Erfolg hat: Special-ops on show to woo war skeptics.
TALOQUAN, NORTHERN AFGHANISTAN – AUGUST 28: U.S. Army Special Forces soldier nicknamed ‚Cowboy‘ secures an airstrip during an operation August 28, 2002 in the town of Taloquan in Northern Afghanistan. U.S. Special Forces have recently begun to step up their presence in Northern Afghanistan to more aggressively pursue possible al Qaeda and Taliban fugitives they believe to be operating in the region. (Photo by Scott Nelson/Getty Images via picapp)
AP:
Bloomberg:
Der britische General Barrons der für Petraeus arbeitet schätzte< im März das es 25.000 bis 36.000 Widerstandskämpfer gibt und 900 davon Führungskräfte sind.
Petraeus behauptet jetzt das mehr als ein Viertel der Führungskräfte des Gegners von den SpecOps vernichtet wurden? Innerhalb von drei Monaten?
McChrystal und seine Vorgänger waren ja auch nicht zimperlich mit SpecOps Einsätzen. Wenn das also so erfolgreich ist warum gibt es da denn überhaupt noch gegnerische Führungskräfte?
Und was machen denn die anderen 125,000 Soldaten da wenn die SpecOps in spätestens neun Monaten alle Führungskräfte des Gegners erledigt haben werden?
Und zuletzt die wichtigste Frage? Woher wollen denn die SpecOps die zuverlässigen Informationen haben um an jedem Tag 40(!) Raids zu veranstalten? Durch ihre überragenden ethischen Verhörmethoden? Durch „Tips“ von Leuten die ihre Rivalen loswerden wollen? Oder per Zufall?
Hatte sich nicht erst vor kurzem Petraeus „Intelligence“-Chef aufgeregt das die Truppe keine genauen Information über die jeweilige lokale Bevölkerung hat?
Diese Lügerei und Propaganda von dem Herrn Petraeus geht mir mächtig auf den Geist.,
@b
Der Leiter CJ2 bei HQ ISAF hatte negativ angemerkt, dass zu wenig Erkenntnisse über ethnische Strukturen etc. vorlägen und der Schwerpunkt zu stark auf der taktischen Seite läge. Es ergibt sich somit kein Widerspruch zum Anstieg der Zahl der „direct action“ SOF-Operationen, die sich ja auf taktische Erkenntnisse stützen.
Die Zahlen stimmen ansonsten vermutlich, aber „Propaganda“ sind sie dennoch, denn Aufständische in Afghanistan zu töten war noch nie ein wirkliches Problem. Das Problem war und ist das Halten von Räumen, und dieses kann die beschriebene „direct action“ allenfalls unterstützen.
Batucada
– Die Zahlen über die angeblich ausgschalteten Führungskräfte können nicht stimmen. Petraeus und Barrons widersprechen sich da offensichtlich.
– Das Problem dieser SpecOps Einsätze ist jedoch ein ganz anderes. Es werden viel zu häufig die Falschen getötet oder gefangengenommen und der Kollateralschaden dieser Aktionen ist zu hoch.
Zudem ist der Ruf dieser Truppen bei den Afghanen schon lange sehr schlecht. Grund dafür sind u.a. die Folterungen in Baglam die diese SpecOps durchgeführt haben.
Diese Aktionen sorgen damit für den Nachschub an „Taliban-„kämpfern und unterstützen deren Propaganda. Sie sorgen für vermehrten allgemeinen Missmut der Bevölkerung gegen die „Besatzer“ – siehe aktuell die Demonstration in Jalalabad. Sie sind damit schlicht kontraproduktiv zu den angeblichen Zielen des Einsatzes.
Das Petraeus die dann auch noch so hervorhebt ist sicher nicht hilfreich.
Zur Demonstration in Jalalabad gibt es einen Artikel auf Free Range International, allerdings war der Protest schon rum als Tim Lynch dort ankam:
Rocky Road
Das Problem wird da eher bei der Informationspolitik der ISAF gesehen.
(Einen anderen Vor-Ort-Blick auf einen SF-Einsatz hat es auch in Happy Mujahedin Victory Day )
@b
Es kommt vor, dass die falschen getroffen worden, doch der Anteil der durch SOF-Operationen verurteilten zivilen Opfer ist relativ gering. Einzelne Beispiele wie z.B. in Imam Sahib werden m.E. so stark wahrgenommen, dass die Wahrnehmung für die Gesamtverhältnisse verloren geht. Luftnahunterstützung spielt eine viel größere Rolle, was unbeabsichtige Opfer angeht.
Was die Wahrnehmung der Bevölkerung angeht: SOF sind tatsächlich eher unbeliebt, wobei Hausdurchsuchungen offenbar eine wichtige Rolle spielen. Auch allgemeine Ängste spielen wohl eine Rolle. Bagram und die diversen Gerüchte über Vorgänge dort scheinen eher lokal begrenzt für Aufregung zu sorgen, und auch dann wird meiner Erfahrung nach nicht immer ein direkter Zusammenhang zu SOF hergestellt.
Der oft behauptete starke Zusammenhang zwischen Kollateralschäden und Unterstützung für die Aufstandsbewegung konnte bislang nicht belegt werden. Wenn es diesen gäbe, müsste es zudem zu einer Massenmobilisierung der Bevölkerung kommen, die viel mehr Zivilisten töten, und auch beim in dieser Hinsicht eher transparenten Kunduz-Vorfall letztes Jahr war so eine Mobilisierungswirkung nicht in relevantem Maße festzustellen. Im Gegenteil: Nach den Luftangriffen beruhigte sich die Situation etwas, und die nichtpaschtunische Bevölkerung reagierte mit Masse positiv (wenn auch deutschen Lesern die Gründe dafür nicht gefallen würden).
Wo weltanschauliche Ablehnung von ISAF das Motiv von Aufständischen ist, ist diese Ablehnung ohnehin meist grundsätzlich vorhanden und wäre auch ohne Kollateralschäden existent. Wichtigere Faktoren für die Mobilisierung von Kämpfern sind vorhandener Einfluss der Aufständischen, ethnische Strukturen sowie finanzielle Anreize.
@ b
– Die 40 Missionen am Tag beinhalten auch unspektakuläre Patrouillen.
– Die militärischen Spezialeinheiten foltern oder verhören nicht selber. Sie meinten wohl Bagram. Dafür gibts anderes Personal.
– Der Zusammenhang zwischen Kollateralschäden und speziellen Operationen erschließt sich mir nicht. Ganz im Gegenteil. „Nachschub“ an Taliban würde wohl eher eine Methode von vermehrten konventionellen Großoperationen verursachen, bei denen schwere Waffen in großer Zahl eingesetzt würden.
Der Grund warum viele Afghanen Spezialeinheiten nicht mögen dürfte sein, dass sie wirklich an die Wurzeln gehen. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, von der afghanischen Mehrheit heiß und innig geliebt zu werden und die Taliban seien eine eigentlich völlig unafghanische Randerscheinung. Nichts da ^^
Den Free Range International-Post über ein verpatztes Kommandounternehmen auf das Anwesen einer Parlamentsabgeordneten in Jalalabad hat es jetzt auch auf deutsch: Guten Mujahedin-Siegestag
Darin komt auch zur Sprache, ob es wirklich mit Hubschraubern eingeflogene Spezialkräfte braucht um jemandem aus einem afghanischen Anwesen abzuholen, oder ob es nicht ein paar Lastwagen mit ANP und ein paar Militärpolizisten auch tun.
Zu dem Punkt „Warum sind Kommandounternehmen so besonders schlecht“ nur zwei Stichpunkte:
– Sie Mißachten die Unverletztlichkeit der Wohnung auf brutalstmögliche Weise. Hört sich jetzt vielleicht nach Wohlstandsbürger-Grundrechtegelaber an. Aber ich denke, auch Einsatzsoldaten hätten einiges zu berichten wie wichtig ein sicherer Rückzugsort bei allgegenwärtiger Gefahr ist, und wie belastend es sein kann wenn es den nicht gibt und man sich ständig angreifbar fühlt. Genauso ist es mit diesen Überfällen auch – hier wird den Afghanen ihr sicherer Rückzugsort genommen. Und zwar nicht nur denen, die es trifft, sondern auch denen, die es treffen könnte.
– Es handelt sich um Vorgänge jenseits des Gesetzes, selbst der afghanische Staat hat da nichts mitzureden. Die Afghanen haben keine Kontrolle darüber, keine Mitsprache, nichtmal ein Recht auf Anhörung oder Aufklärung – nichts. Ein paar Männer in Schwarz kommen, nehmen Leute mit, töten vielleicht noch ein paar, und dann sind sie wieder weg. Judge Dread oder Gestapo sind nichts dagegen.
@J.R.
„… oder Gestapo sind nichts dagegen.“
Ich bitte Sie. Geht es auch ohne Nazi-Vergleich? Ich gewöhne mich zwar langsam dran, finde das aber immer noch irgendwie plump.
„Sie Mißachten die Unverletztlichkeit der Wohnung auf brutalstmögliche Weise.“
Es ist etwas anders: Mangels durchsetzungsfähigem Rechtsstaat hängt die Stellung von Familien in der Gesellschaft auch von der Wahrnehmung ihrer „Ehre“ ab, wozu auch die Fähigkeit gehört, die Frauen der Familie zu kontrollieren. Kontrolle definiert sich u.a. dadurch, dass Männer, die nicht der Familie angehören, diese Frauen nicht zu sehen bekommen. Auch alles andere als „brutal“ verlaufende Hausdurchsuchungen, die nach westlichen Menschenrechtsmaßstäben absolut korrekt durchgeführt wurden, können das Familienoberhaupt bloßstellen, wenn Frauen nicht separiert werden. Es soll vor allem früher Fälle gegeben haben, bei denen die Familienoberhäupter danach meinten, ihre „Ehre“ durch Gewalt wieder herstellen zu müssen.
@ J.R.
Wir reden hier immerhin über Terroristen, Insurgenten und Verdächtige.
Die Einheiten machen doch nicht aus Spaß Hausbesuche. Und das Gefühl der Verwundbarkeit beim Feind ist doch gerade das Wünschenswerte.
Ich will jetzt kein Arsch sein, aber manche verstehen es nicht so recht.
Wir befinden uns in einem Krieg. Da kann man nicht mit „Unverletzlichkeit der Wohnung“ kommen. Krieg ist immer eine Sauerei und wir haben nicht den Casus Belli erbracht.
Es interessiert doch also herzlich wenig, ob der ganze Schlamassel ein Wohlfühlerlebnis für ein paar Afghanen ist oder nicht oder ob ihre Kultur geachtet wird oder nicht.
Im Übrigen wird sie das zu Genüge.
@J.R.
„schwadronieren Sie nicht“, lautet das erst Gebot bei der Abgabe von Kommentaren. Nach dem Völkerrecht dürfen Orte und Gebäude nur dann nicht angegriffen werden, wenn alle feindlichen Kämpfer abgezogen und alle Waffen und militärische Ausrüstung verlegt worden sind. Wenn sich also gegnerische Kräfte in einem Ort befinden, rechtfertigt dies den Angriff auf den Ort. Dass die ISAF-Kräfte unterhalb dieser Stufe bleiben und nur gezielt Hausdurchsuchungen durchführen, verdeutlicht die Bemühungen von ISAF, die afghanische Zivilbevölkerung so wenig wie möglich mit den Kriegsfolgen zu überziehen.
@ Niklas
„Wer in Afghanistan ist befindet sich im Krieg“ ist in dieser Pauschalität eben schlicht falsch. Es gibt Unruhedistrikte mit offenen Gefechten, es unsichere Gebiete (meist wegen bewaffneten Kriminellen) und es gibt relativ sichere Gebiete.
Warum es für Festnahmen in den sicheren Gebieten Spezialkräfte braucht, die in bester DINA-Marnier Leute verschwinden lassen und dabei nicht unbeträchtlichen Personen- und Sachschaden verursachen will mir nicht einleuchten.
Der Zwischenfall in Imam Sahib ist da ja ein abschreckendes Beispiel. Jalalabad war bis vor kurzem ja auch ziemlich sicher. Und in diesen Kommentaren zum Video eines zweimonatigen Embedds bei den Green Berets in Afghanistan kommen die auch nicht gut weg.
Hier werd ich einfach den Eindruck nicht los, dass mindestens eine der folgenden Sachen schief läuft:
– Die Koalitionstruppen haben einfach keinen Überblick über die Sicherheitslage und gehen daher immer vom Worst Case aus, auch wenn das dann das Leben unschuldiger Afghanen kosten
– Die Koalitionstruppen trauen den afghanischen Truppen eine solche Festnahme allein nicht zu
– Die Koalitonstruppen haben nicht ausreichend Mentoring-Kapazität um den afghanischen Sicherheitskräften bei einer solchen Festnahme auf die Finer zu schauen
– Der Draht der Koalitionstruppen zu ihren afghanischen Partnern ist einfach zu lang zeitnah eine solche Festnahme zustande zu kriegen
– In den Koalitionstruppen weiß eine Hand nicht was die andere tut
– Spezialkräfte erscheinen den Kommandeuren am unkompliziertesten, egal welche Nebenwirkungen das hat
Es gibt ja so ein paar Binsenweisheiten zu Afghanisten.
Eine davon ist, dass die ISAF die Sicherheit wahren und Entwicklung ermöglichen soll. Wie es dazu paßt in stabilen Regionen den Frieden zu stören und weit mehr Waffengewalt einzusetzen als notwendig ist mir schleierhaft. Verwundbarkeit bei der Bevölkerung ist eben das Gegenteil von Erfolg.
Eine andere ist, dass letztlich nicht zählt was die ISAF leisten kann, sondern was die Afghanen leisten können. Wenn es da nichtmal für Festnahmen in sicheren Umgebungen reicht…