Petraeus‘ Interview-Offensive erreicht die Deutschen
Etwa einen Monat nach dem Beginn seiner Medienoffensive an der US-Heimatfront erreicht der Interviewmarathon des ISAF-Kommandeurs David Petraeus jetzt auch die Deutschen. Nachdem Uli Gack vom ZDF den General am 29. August zwar als erstes deutsches Medium hatte, dafür ein bisschen zwischen Tür und Angel vor dem Stabsgebäude in Kabul (hier der Beitrag in der ZDF-Mediathek; ich bin mir nicht sicher, wie lange er da zugänglich bleibt), folgen jetzt nahezu zeitgleich die Interviews von Spiegel (Wir werden Afghanistan nicht in eine Schweiz verwandeln) und Bild (Ich bin beeindruckt von der Bundeswehr).
Der neue ISAF-Kommandeur, US-General David Petraeus, am 4. Juli 2010 bei der Amtsübernahme in Kabul (Foto REUTERS/Ahmad Masood via picapp)
Das Bild-Interview ist bislang nur in Auszügen online, deshalb erst mal der Blick auf das Spiegel-Interview des Kollegen Uli Fichtner (der Petraeus schon aus dessen Zeit im Irak kennt): Der US-General beschreibt als seine Hauptsorge die Vernetzung der verschiedenen Aufständischen-Organisationen – und vor allem den Know-how-Transfer innerhalb dieses Netzwerks.
Und mir fällt auf, dass der ISAF-Kommandeur zwar Tag für Tag gezielte Einsätze von Spezialkräften gegen Taliban-Führer befiehlt, darin aber keineswegs das Allheilmittel für den Konflikt sieht.
Man braucht in der Tat Anti-Terror-Einheiten, Spezialkräfte, die die Anführer und Schaltstellen aufspüren, aber das reicht nicht – das haben wir im Irak gelernt. … Fünf Jahre lang hatten wir Operationen der Spezialkräfte in Ramadi, Nacht für Nacht – aber wir wurden der Gewalt nicht Herr. Erst als im Zuge des „surge“ konventionelle Streitkräfte nachrückten, um die Stadt von Feinden zu räumen, sie zu halten und wiederaufzubauen, hatten wir Erfolg. Wir brauchen solche Abläufe auch hier in Afghanistan, und wir brauchen die Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften, dem einheimischen Militär und der neuen „lokalen Polizei“, die wir gerade in 68 Gemeinden aufstellen. Stellen Sie sich eine Art Nachbarschaftswache mit Kalaschnikows vor, aber abgesegnet von den lokalen Räten und kontrolliert vom Innenministerium.
Interessant ist diese Aussage deswegen, weil bisweilen die Überlegung auftaucht, eine Verringerung der internationalen Truppen in Afghanistan ab dem Sommer kommenden Jahres könnte durch solche Spezialkräfte-Operationen kompensiert werden. Auch der deutsche Verteidigungsminister deutet bisweilen solche Nachsorgeoperationen an, ohne allerdings da bislang ins Detail zu gehen.
Übrigens, das gehört wohl zu jedem Petraeus-Interview mit einem deutschen Medium, lobt der General ausdrücklich die deutschen Soldaten. Bild macht daraus die Titelzeile, der Spiegel hat es eher weiter hinten:
Die Deutschen leisten wunderbare Arbeit. Ein deutsches Kampfbatallion hat gerade eine sehr eindrucksvolle Anti-Terror-Operationen in Baghlan ausgeführt. Meines Wissens war das die erste deutsche Operation dieser Art überhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg. Und sie haben ihre Aufgabe hervorragend erledigt.
(Mehr zu den von Petraeus erwähnten Operationen in Baghlan hier und hier.)
Nachtrag: Ein Petraeus-Interview jetzt auch in der ARD (wieder vor der Tür…)
Ich finde es sehr gut, wenn der ISAF-Kommandeur bemüht ist, den Menschen eines Landes, das wichtige Verantwortung in Afghanistan trägt, den Einsatz zu erklären. Sicherlich ist das PR – aber keine PR, die weh tut. Das spricht für einen neuen Stil mit einem breiteren Gesamtkonzept.
Ich glaube mich daran erinnern zu können, dass General McCrystal ebenfalls eine PR-Offensive durch Interviews mit deutschen Medien gemacht hat, bevor er über rollende Steine stolperte. Gut ist es dennoch.
Der Einsatz von Spezialkräften ist im Rahmen von Counterinsurgency (COIN) nie als „Allheilmittel“ betrachtet worden, auch wenn deutsche Medien manchmal einen anderen Eindruck erwecken. Gerade Petraeus war im Irak mit dafür verantwortlich, den Schwerpunkt auf Präsenz von Sicherheitskräften in der Fläche zu legen, und die Strategie der Amerikaner (und der NATO) in Afghanistan sieht dies auch in Afghanistan vor. Wenn aktuell über „Nachsorgeoperationen“ etc. gesprochen wird, dann ist dies zumindest implizit mit der Forderung nach einem Strategiewechsel und einer Abkehr von COIN verbunden.
Wenn es nicht gelingen sollte (was wahrscheinlich ist) Sicherheit in der Fläche zu schaffen und eine funktionierende afghanische Regierung aufzubauen, wird der Schwerpunkt wohl auf die Bekämpfung transnationaler militanter Netzwerke („Al-Qaida“) gelegt werden. Dazu braucht man dann tatsächlich vor allem Spezialkräfte.
Thomas Ruttig hat sich vor kurzem etwas bissig über die „Afghanistan ist nicht die Schweiz“ Sprüche, nicht nur von Petraeus, geäußert: 2010 Elections 6: All Together Now: ‚This Is Not Switzerland‘