NRF – No Response Force?
Die NATO, genauer: der NATO-Rat, die Botschafter der 28 Mitgliedsländer, hat heute beschlossen, Pakistan bei der Bekämpfung der verheerenden Flutfolgen zu unterstützen. Im Wesentlichen sollen fünf Flugzeuge der Allianz, drei Miliärtransporter vom Typ C-17 und zwei Boeing B707 aus dem Transportanteil der AWACS-Luftüberwachungsflotte, für Transporte von Hilfslieferungen zur Verfügung stehen.
So weit, so gut. Und diese Entscheidung fiel, natürlich, einstimmig: Denn nach dem Konsensprinzip fällt ein Beschlus im NATO-Rat nur dann, wenn alle Mitglieder zustimmen.
Nicht so gut ist allerdings, dass es auch weiter gehende Pläne gab – die aber nicht die Zustimmung aller Mitgliedsländer des Bündnisses fanden. Nach Informationen von Augen geradeaus! gab es nämlich durchaus Überlegungen, die NATO Response Force (NRF), die Feuerwehr-Organisation der Allianz, in Marsch zu setzen: Rund 1.500 Soldaten hätten dann recht bald die U.S.-Soldaten abgelöst, die von Afghanistan aus zur Flutfolgen-Bekämpfung ins Nachbarland Pakistan geschickt wurden. Und darüber hinaus Fähigkeiten mitgebracht, die bei solchen Überschwemmungen dringend gebraucht werden – zum Beispiel ABC-Abwehreinheiten mit ihren Möglichkeiten der Trinkwasseraufbereitung. Nach dem schweren Erdbeben in Pakistan 2005 hat die NATO genau solche Spezialisten eingeflogen. Das steht ja auch in der Arbeitsbeschreibung der NRF: deploy as a stand-alone force for Article 5 (collective defence) or non-Article 5 crisis response operations such as evacuation operations, support disaster consequence management (including chemical biological, radiological and nuclear events), humanitarian crisis situations and counter terrorism operations.
Dem Plan, die NRF einzusetzen, stimmten allerdings nach meinen Informationen zwei NATO-Mitglieder nicht zu – unter anderem Deutschland.
Ich habe natürlich beim für den NATO-Rat zuständigen Auswärtigen Amt angefragt, warum Deutschland gegen eine NRF-Entsendung war. Die Antwort, die ich am Freitagabend bekam, war ebenso richtig wie diplomatisch: Der Nordatlantikrat habe in großer Einmütigkeit (wie auch anders, s.o.) strategischen Luft- und Seetransport zur Unterstützung Pakistans angeboten, und an diesem Angebot beteilige sich auch Deutschland. Weitere Optionen seien debattiert worden, aber aus der vertraulichen Beratung könnten natürlich keine Einzelheiten bekannt gegeben werden.
Ein Dementi ist das nicht. Und nach wie vor wüsste ich gerne, welche Bedenken die Bundesregierung hatte, die gegen einen Einsatz der NATO Response Force im pakistanischen Hochwasser sprachen. Kann ja noch kommen – bislang hat auch das Bündnis seine jetzt geplante Hilfe nicht bekannt gegeben. Bislang steht als letzte Pressemitteilung auf dessen Seite noch was vom 7. August.
Also erstmal danke für den Artikel und auch das Blog. Habe beides erst vorhin entdeckt und zwar über Flattr ;-).
Ich finde es auch befremdlich, dass jetzt in Afghanistan tausende von zusätzlichen (vor allem US-)Soldaten im Einsatz sind, um die dortigen Taliban zu bekämpfen, aber gleichzeitig die Gelegenheit zu umfassenderer Hilfe für die Pakistanis vertan wird. Hier böte sich doch eine gute Gelegenheit den pakistanischen Taliban auf friedliche Art und Weise zu schwächen, indem man den betroffenen Flutopfern dort hilft.
Aber leider wird es auch im zivilen Bereich wohl keine große Spendenaktion seitens der Europäer geben. Anders als noch beim Tsunami in Südostasien 2004. Das mag auch an den Medien liegen, schließlich sendete die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender Weihnachten 2004 pausenlos Sondersendungen zur besten Sendezeit. Nun gibt es zwar auch Sondersendungen in ARD und ZDF aber meist nur nach 23 Uhr.
Diese vergleichsweise große Gleichgültigkeit ist meines Erachtens auch ein Grund, warum der Bundeswehreinsatz in Afghanistan nach nunmehr 8 Jahren keine Basis mehr in der Bevölkerung findet. Den meisten Deutschen ist es schlichtweg unwichtig oder egal, was in Afghanistan oder Pakistan passiert. Deswegen lautet die häufigste Ablehnungsgrund angesichts des Bundeswehreinsatzes nicht unbedingt, dass die Bundeswehr dort einen verbrecherischen Krieg führt, wie es so manche Linke gerne haben wollten, sondern einfach nur: „Was haben wir da am Hindukusch verloren?“
Das selbe Spiel wie bei/nach dem Libanonkrieg 2006. Die NRF war gerade frisch einsatzbereit (noch nicht erklärt, aber mit der Übung auf den Kapverdischen Inseln nachgewiesen) und das Szenario (Evakuierung eigener Staatsbürger, schnelle friedenssichernde Anfangsoperation, geografische Nähe zu Europa, …) konnte man 1:1 im NRF-Konzept nachlesen.
Statt dessen tat sich lange nichts und jeder hat mal wieder nach eigenen Interessen mitgemacht. Zum Schluss durfte dann wieder die UN ran. Toll.
Die Bedenken sind m.E. ganz einfach. Deutsche Soldaten sind in Pakistan, verteilen Wolldecken, bereiten Wasser auf, tun also Gutes. Das gefällt den bösen Jungs nicht, sie greifen die Deutschen an. Die Deutschen schießen zurück und auf der Straße liegen 10 tote böse Jungs und ein Kind, das zufällig da spielte.
Die Ströbeles dieser Welt verfallen in ihr übliches Wutgeheul und allen ist klar, dass damit die Invasion Pakistans durch den Westen begonnen hat.
Ein wenig stellt sich da ja die Frage, ob die Zweckentfremdung des Militärs für solche humanitären Hilfsmissionen wirklich effektiv ist. Für einen Bruchteil des Geldes dürfte sich an entsprechend spezialisierter Stelle (etwa UNHCR oder UNICEF) ein Vielfaches bewirken lassen.
Warum es eine transatlantische militärische Eingreiftruppe gibt, aber keine zivile, läßt sich wohl nur historisch und über die größeren Verteidigungs-Budgets erklären.
Und trotzdem: Wenn das welttgrößte Militärbündnis gerade mal 5 Flugzeuge locker macht ist das schon arg peinlich und wohl auch gefährlich. (Nebenbei: Sind Flugzeuge wirklich die Schwachstelle, oder läßt sich da nicht mehr Transportkapazität am freien Markt mieten?)
Aber vermutlich läuft es wirklich darauf hinaus: Wenn man da was gutes tut kriegt es eh niemand im Inland mit (humanitäre Hilfe ist halt nicht ereignisreich/sexy genug um es groß in die Nachrichten zu schaffen – die Situation in Haiti interessiert ja auch keinen mehr). Auch öffentlichen Druck, in Pakistan aktiv zu werden, gibt es ja nicht. Aber wenn ein deutscher Soldat stürbe ginge gleich wieder das Deutschland-kolonisiert-Pakistan-Gegreine und die nächste Was-haben-wir-da-eigentlich-verloren-Debatte los.
@J.R.
„Ein wenig stellt sich da ja die Frage, ob die Zweckentfremdung des Militärs für solche humanitären Hilfsmissionen wirklich effektiv ist. Für einen Bruchteil des Geldes dürfte sich an entsprechend spezialisierter Stelle (etwa UNHCR oder UNICEF) ein Vielfaches bewirken lassen.“
Das bezweifle ich ein wenig. Wenn schon die Arbeit in einem „ruhigen“ (damit sind Klima, zumindest rudimentär vorhandenes STraßen/Wegenetz etc.gemeint) AFG durch das unübersichtliche Geflecht und unabgestimmte Arbeit der internat. Hilfsorganisationen gekennzeichnet ist, warum soll in einem Katastrophengebiet (wo es auf noch schnellere Hilfe ankommt) diese Struktur kostengünstiger und effektiver arbeiten. Und wie immer wird ein Großteil der Hilfe auf dem Weg vom Spender zum Bedürftigen in den Taschen der unterschiedlichen, der Korruption nicht abgeneigten offiziellen Stellen verschwinden. Das Militär ist auch hier keine Dauerlösung, aber um die schnellstmögliche Anfangshilfe zu organisieren und vor allem damit zu verhindern, dass die Islamisten in dieses Vakuum stoßen bzw. sich noch weiter ausbreiten, wäre doch eine Überlegung wert.
@mietsch
Es bringt wahrscheinlich nichts, hier humanitäre Soforthilfe und Nation Building in einen Topf zu werfen. Für erstere gibt es mindestens in Ansätzen entsprechende Strukturen, Vorrats-Lager, Notfallpläne und internationale Aufgabenteilung. Leider mit einem eher begrenzten Budget, so dass ein Großteil der Mittel immer noch mühsam zusammengebettelt werden muß. Aber dass dergleichen grundlegend funktioniert sieht man ja auch an den Flüchtlingslagern in/um Afghanistan oder der Arbeit der UNICEF. Wer aber genauer hinschaut sieht ebenfalls, wie mies die Lebensumstände und wie knapp die Resourcen da sind.
Über diesen Aufwand hört man halt eher selten etwas – stirbt halt kein Europäer bei, der Adrenalin-Faktor ist minimal und sexy technisches Spielzeug gibt es auch nicht zu beobachten.
Hier könnte halt mehr tun – ersteinmal indem man entsprechende Mittel bereitstellt, aber eben auch durch das Bereitstellen entsprechender Soforthilfen-Organe. Und da könnte man dann auch gleich die Brücke zum langwierigeren Nation Building schlagen. Und da sieht es eben extremst mies aus. Deutschland hat das THW (und ist damit „führend“ in Europa), das aber fast nur aus Freiwilligen besteht und daher für Auslandseinsätze im großen Maßstab kaum geeignet ist. Auf europäischer Ebene gibt es gar nichts.
Letztlich gibt es nur drei Gründe um Militär für die humanitäre Soforthilfe oder zum „Brunnenbohren“ einzusetzen:
– Es gibt schweres Gerät wie Laster, Planierraupen, Hubschrauber etc.
– Es gibt mehrere hundert Mann die sonst nichts besseres zu tun haben und daher „verfügbar“ sind
– Es gibt eine Hierarchie, die halbwegs organisiertes Vorgehen erlaubt
Jeder einzelner dieser Punkte wäre durch eine zivilie Organisation billiger und besser erbringbar. Das geht beim günstigeren Gerät los (Ein Black Hawk kostet 6-10 Mio $, einen zivilen Transporthubschrauber gibt es für unter eine Million). Das geht mit der Ausbildung los, die bei den Soldaten schlicht nicht gegeben ist. Und das betrifft die Verwaltungskosten, die beim Militär so groß sind, dass selbst inkompetente Hilfsorganisationen im Vergleich gut weg kommt.
(Kurze Anmerkung am Rande: Es gab da mal ein Bundeswehr-Video über die Luftversorgung in iirc Feizabad. Dort konnte man beobachten, wie „russische“ Subunternehmer mit Hubschrauber den Stützpunkt versorgten während die Bundeswehrmaschinen wegen irgendwelchen Flughöhen-Vorschriften nicht starten durften. Hier wäre es sehr interessant mal eine Kostengegenüberstellung zivil/militärisch zu sehen. Leider finde ich das Video nicht mehr…)
Meine Erklärung zum Thema:
Schon als ich noch tiefer im Geschäft war, wurden die Fähigkeiten doppelt bzw. dreifach verplant, in der Hoffnung das niemand die NRF oder EUBG abruft. Nur so konnte überhaupt das Material (nicht Personal) für den AFG Einsatz zur Verfügung gestellt. werden.
Es ist sicherlich vielen Deutschen auch nicht unwichtig oder egal was in PAK passiert, nur die Angst mit der Not- Hilfe auch die dort etablierten Taliban zu unterstützen (Koran-schulen Swat-Tal etc.) damit sie weiterhin gegen uns zu Felde ziehen schreckt doch schon etwas ab.
P.S. Schön das Sie und der Blog wieder online sind.