Bundeswehr-Verbandschef Kirsch: „Keine Frage, dass wir präventiv vorgehen“

Die Stuttgarter Nachrichten, genauer: ihre Sonntagsausgabe Sonntag Aktuell, haben ein Interview mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, geführt: Über die Erwartungen dieses Berufsverbandes an die bevorstehende Bundeswehr-Reform ebenso wie über Bezahlung der Truppe, aber auch das präventive Vorgehen gegen Aufständische in Afghanistan.

Da der Text bislang nicht online zu finden ist, stelle ich mit freundlicher Erlaubnis der Kollegin Claudia Lepping, die das Interview geführt hat, hier mal den Wortlaut ein:

Herr Oberst Kirsch, Verteidigungsminister zu Guttenberg will die Bundeswehr wegen zunehmender und gefährlicher Auslandseinsätze kleiner und effizienter machen. Wie viel feiner muss sie werden?

Die Arbeitnehmer stehen angesichts der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung vermutlich vor richtig guten Zeiten. Der Wettbewerb um die besten Köpfe und geschicktesten Hände wird groß werden – wir werden in Konkurrenz stehen mit BMW, BASF, starken mittelständischen und kleinen Unternehmen. Da wird es darauf ankommen, dass die Bundeswehr Angebote macht, die so attraktiv sind, dass jemand diesen Beruf wählt, obwohl er mit hohen Risiken verbunden ist – weil er zum einen überzeugt ist, dass es ein guter Beruf ist, und zum anderen weiß, dass sich der Arbeitgeber rundum um ihn kümmert. Diese Gewissheit brauchen er und seine Familie vor allem, wenn er sich im Einsatz befindet.

LIMASSOL, CYPRUS - JUNE 24: German sailors serving in the UNIFIL peacekeeping mission await the arrival of German Defense Minister Karl-Theodor zu Guttenberg on the German Navy minesweeper 'Kulmbach' on June 24, 2010 in Limassol, Cyprus. The 'Kulmbach' and two other German naval vessels are among an international, United Nations-mandated task force patrolling the waters off the coast of Lebanon in order to prevent smuggling and other actions that would conflict with UN resolutions designed to help create peace between Israel and Lebanon. (Photo by Sean Gallup/Getty Images)

(Foto: Sean Gallup/Getty Images via picapp)

Wie viel mehr wollen Sie also dafür bekommen, dass sie mehr leisten sollen?

Das Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr besteht darin, dass wir die einzige Berufsgruppe sind, die auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam in Einsätze geht. Diese Attraktivität gibt es nicht zum Nulltarif. Wir fordern eine bessere Ausstattung, Ausrüstung und Einsatzversorgung, schnellere Beförderungen, mehr Kinderbetreuung, ein dauerhaftes Trennungsgeld, Pendlerunterkünfte, dynamischere Besoldungssätze und Versorgungsbezüge, die von der Einkommensentwicklung abhängen.

Warum fordern sie nicht gleich eine Berufsarmee?

So weit gehen wir in der Tat nicht. Dass wir für unsere Aufträge eine Profi-Armee brauchen, ist allen bewusst, die sich politisch damit beschäftigen. Heute, wo die Zeichen auf Aussetzung der Wehrpflicht stehen, melden sich deren Lordsiegelbewahrer zu Wort – vermutlich aus machtpolitischem Kalkül. Die Debatte hätte längst geführt gehört. Ich bin fest überzeugt, dass niemand die Wehrpflicht abschaffen wird – sie wird im Grundgesetz verankert bleiben.

Minister zu Guttenberg nennt Ihre Forderungen knapp, präzise und teuer. Was hält Kanzlerin Angela Merkel von Ihren Forderungen für die Armee im Einsatz?

Die Kanzlerin wollte von uns als Berufsverband der Soldaten wissen, wo die besonderen Herausforderungen sind, wenn die Streitkräfte reformiert werden. Ich rechne damit, dass es eine Milliarde Euro kostet, was wir als Attraktivitätsagenda fordern – vielleicht auch zwei Milliarden. Es kommt nun darauf an, Gesetze zu schreiben, um die geplanten Einsparungen durch Reduzierungen tatsächlich so zu verwenden, um die Truppe in unserem Sinne attraktiver zu machen. Ich kann nur warnen, die Dinge anzugehen, ohne die Wirte ins Boot zu ziehen.

Werden Sie im Gegenzug die Position aufgeben müssen, dass Soldaten nur für vier Monate in Auslandseinsätze gehen?

Wir fordern, dass Auslandseinsätze von begründeten Ausnahmen abgesehen grundsätzlich nicht länger als vier Monate dauern.

Deutsche Generäle in Nato-Verbänden plädieren für sechs Monate vor allem für die Afghanistan-Mission.

Diese Ausnahmen muss es geben können, wo es nicht um reine Auftragserfüllung im Zug- oder Gruppenrahmen geht – also um Patrouillenfahren, Spähtruppfahren oder die Sicherung von Gebieten. Wenn es um Stabsaufgaben geht oder um das Kommando Spezialkräfte, sind je nach Anforderung sicher andere Stehzeiten nötig. Schon bei der Zusammenarbeit mit der Zivilbevölkerung kann es erforderlich sein, dass Soldaten länger bleiben, weil sie Vertrauen aufgebaut haben. Wer aber vier Monate lang Minen und Kampfmittel beseitigt, muss dann ausgewechselt werden, weil die Konzentration nachlässt. Und wer als einfacher Soldat jeden Tag Patrouille fährt, der muss nach vier Monaten auch heraus, weil er ausgepowert ist. Diese Soldaten brauchen anschließend 18 bis 24 Monate Ruhe. Das alles zeigt: Wir brauchen eine Struktur der Streitkräfte, die eine flexible Ausgestaltung der Einsatzdauer möglich macht, um genug durchhaltefähige Brigaden im Heer zu haben.

Sind Sie für ein neues Aufgabengesetz für deutsche Soldaten?

Unsere Soldaten im Auslandseinsatz brauchen Rechtssicherheit – also ein klares Bundeswehraufgabengesetz für ihre Aufträge und die rechtliche Lage. Die Diskussion liegt zurzeit leider auf Eis: Welche persönliche Strafbarkeit liegt in Situationen vor, die noch nicht als bewaffneter Konflikt eingestuft sind? Wir brauchen dringend eine Befugnisnorm, die die Strafbarkeit wegen auftragsgemäßen Handelns ausschließt. Und wir brauchen ein Wehrstrafgericht für Strafverfahren gegen deutsche Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen.

Korrespondiert das mit zu Guttenberg, der für den Afghanistan-Einsatz international einheitliche Rechtsgrundlagen für gezieltes Fahnden und Töten von Taliban verlangt?

Da verstehe ich die ganze Aufregung nicht. Denn es ist doch deutlich: Ein Taliban, von dem wir wissen, dass er uns bei nächster Gelegenheit ans Leben will, der hat keinen völkerrechtlichen Schutz.

Auch nicht, wenn er sich außerhalb von Gefechten befindet und keine Waffe trägt? Dann dürfte ihn keiner angreifen.

Dann gilt nach unserem Menschenbild immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, selbst dann. Aber wenn ich weiß, das ist derjenige – und wenn ich weiß, dass keine Dritten gefährdet sind und keine Kollateralschäden erzeugt werden in großem Umfang –, dann kann es ja wohl keine Frage sein, dass wir präventiv gegen einen solchen Mann vorgehen. Das ist an Rahmenbedingungen gebunden, aber ich verstehe die Aufregung nicht. Dass unsere Frauen und Männer schauen, wer ihnen ans Leben will, ist doch wohl logisch.