Nach mehr als fünf Monaten bleibt der Tod auf dem Marsch noch ungeklärt

Am 19. Juli brachen bei einem Marsch des Offizieranwärterbataillons Munster vier Soldaten zusammen. Einer starb, ein weiterer liegt bis jetzt, mehr als fünf Monate später, noch im Krankenhaus. Aber Klarheit darüber, was diese Gesundheitsprobleme mit ihren schwer wiegenden Folgen bei einem Eingewöhnungsmarsch der kaum in die Bundeswehr eingestellten Soldaten ausgelöst hat, gibt es nach wie vor nicht.

Der Stern hat in seiner jüngsten Ausgabe vom (heutigen) Donnerstag den Marsch mit seinen Komplikationen und den – weniger schweren – gesundheitlichen Problemen bei weiteren Soldaten nachgezeichnet (nur hinter Paywall verfügbar). Doch auch diese Darstellung des Magazins beruht nur auf dem Zwischenbericht, den das Heer bereits Ende August veröffentlicht hatte: Mehr Details vom Marschgeschehen und mehr Aufklärung gibt es leider nicht.

Klarheit gibt es lediglich in einem Punkt: Verschiedene Substanzen, die in den Spinden der Offizieranwärter gefunden wurden und deren Bedeutung für die Erkrankungen und den Todesfall als mögliche Ursache angesehen wurden, haben offensichtlich keine Bedeutung, wie der Stern unter Berufung auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft Lüneburg schreibt:

Im Dezember erreichte die Staatsanwaltschaft das Ergebnis der chemischtoxikologischen Tests. Das Ergebnis: Bei keinem der vier schwer betroffenen Soldaten gebe es irgendeinen Hinweis auf Substanzmissbrauch. Der Test auf den als Diätmittel verwendeten Stoff 2,4-Dinitrophenol verlief ebenfalls „eindeutig negativ“. Und in K.s Blut, das auch auf andere mögliche Todesursachen hin untersucht wurde, fand sich nichts, womit sich das Drama von Munster erklären ließe.

Ein komplettes rechtsmedizinisches Gutachten liegt noch nicht vor und wird für das kommende Jahr erwartet. Und auch bei der Bundeswehr laufen die Untersuchungen weiter – bislang ohne abschließendes Ergebnis.

Um den Ablauf des Marsches nachvollziehen zu können, wie ihn auch der Stern nachvollzieht, hier zur Dokumentation die zeitliche Abfolge aus dem Heeres-Untersuchungsbericht vom August. Der als S1 bezeichnete Soldat ist der verstorbene Rekrut, dessen Nachnamen das Magazin abgekürzt mit K. angibt.

Chronologische Sachverhaltsdarstellung:
Am Morgen des 19. Juli 2017, um 07:15 Uhr, traten die Soldatinnen und Soldaten des III. Zuges in ihrem Unterkunftsgebäude vor ihren Stuben an. Eine Anwesenheitskontrolle wurde durchgeführt. Gemäß Aussage des Kompaniechefs 2./OA-Btl 1 sind die OA grundsätzlich verpflichtet zu melden, wenn sie sich gesundheitlich nicht in der Lage sehen, an der Ausbildung teilzunehmen. Das Antreten fand in Feldanzug mit Unterhemd (ohne Feldbluse), Splitterschutzweste und Feldjacke statt. Rucksack und Trageausrüstung, einschließlich mitgeführtem Helm und gefüllter Wasserflasche, wurden bereits vor dem Antreten neben dem Unterkunftsgebäude abgelegt.
Im Anschluss an das Antreten wurden Waffen empfangen und die Ausrüstung danach auf den ca. 07:30 Uhr eingetroffenen Lkw verladen. Die Ausbilder A3 und A8 verlegten um ca. 07:20 Uhr mit einem weiteren Lkw, auf dem sich das Material für die Ausbildung befand, zum Ausbildungsort, um die Lehrvorführung „Tarnen und Täuschen“ vorzubereiten. Die OA wurden per Kraftomnibus (KOM), begleitet durch A1, A2, A5, A6 und A7, zum Ausbildungsort (Übungsraum (ÜbR)Z,Truppenübungsplatz MUNSTER NORD) verbracht.
12- Am Ausbildungsort war bereits die Ausbildung „Tarnen und Täuschen“ als Vorführung durch A3, unterstützt durch A8, vorbereitet. Diese sollte gemäß Dienstplan um 08:00 Uhr beginnen.
Nach Ankunft im ÜbR Z nahmen die OA ihre Ausrüstung auf, verbrachten diese zu den jeweiligen Plätzen der Gruppe (PdG) und legten den befohlenen Anzug, Feldanzug mit Unterhemd (ohne Feldbluse), Splitterschutzweste und Feldjacke, für die Lehrvorführung an.
Die Lehrvorführung begann um ca. 08:15 Uhr im Bereich der Betonfläche, zeitlich etwas später als geplant, und dauerte bis ca. 09:35 Uhr. Gegen 09:25 Uhr traf auch der Zugführer, der bis dahin in der Teileinheitsführerbesprechung im Kompaniegebäude der 2./OA-Btl 1 gebunden war, am Ausbildungsort ein.
Nach Abschluss der Lehrvorführung verlegten die OA wiederum zu den PdG, nahmen ihre Ausrüstung auf und traten erneut auf der Betonfläche an. Es wurde eine Vollzähligkeitsüberprüfung der Ausrüstung durchgeführt. Es hat sich bestätigt, dass diese Kontrolle bereits bei der Ausbildereinweisung durch den Zugführer im Vorfeld festgelegt wurde. Bei der Kontrolle wurde der den OA bekannte Verpackungsplan als Referenz genutzt. Die OA waren am Tag zuvor nochmals auf das Mitführen der Ausrüstung gemäß Verpackungsplan hingewiesen worden.
Bei 29 Soldatinnen und Soldaten wurde festgestellt, dass unterschiedliche Ausrüstungsgegenstände nicht mitgeführt worden waren.
Der Zugführer hielt an seiner Entscheidung vom Vortag fest, dass zum ca. 3km entfernten Unterkunftsgebäude zurückmarschiert werden sollte, um die Ausrüstung zu vervollständigen.
Dieser Marsch A begann um ca. 10:45 Uhr und wurde mit Splitterschutzweste, Feldjacke, Feldmütze, Waffe, jedoch ohne Trageausrüstung, Gefechtshelm, Handschuhe, Rucksack und Wasserflasche durchgeführt. Gesichtstarnung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht angelegt. Zur Vorbereitung des Marsches wurden die OA aufgefordert, ca. einen halben Liter Wasser zu sich zu nehmen. A2 führte ca. zwei Liter Wasser im Rucksack mit. Dies war den OA nicht bekannt. Das Wasser war für „Notfälle“ bestimmt.
Der Marsch, zu ca. 70% auf beschatteten Wegen, fand anfangs in zügigem Tempo, nach derzeitigem Untersuchungsstand über kurze Strecken im Laufschritt, statt. Nach frühestens 800m nahm S1 zwei Hübe seines Asthmasprays, welches er bei dem Versuch, es anschließend wieder in der Jackentasche zu verstauen, zunächst verlor, dann wieder aufnahm. Der Zugführer sah dies und befragte den Soldaten daraufhin, ob alles in Ordnung sei und ob er weitermarschieren könne, was dieser bejahte.
Nach ca. 1500m befahl A2 eine ca. fünfminütige Pause und rief die Soldatinnen (vermeintlich leistungsschwächer) zu sich nach vorn. S1 befand sich im vorderen Drittel der Reihe und setzte den Marsch nach der Pause unverändert an dieser Position fort. Mit Erreichen der Kaserne Panzertruppenschule (PzTrS), nach ca. 2400m, wurde in Marschformation umgegliedert.
Ca. 250m vor Erreichen des Unterkunftsgebäudes, um ca. 11:25 Uhr, brach S1 unvermittelt zusammen (t: ca. 23°C). Kameradenhilfe erfolgte sofort durch den Zugführer und A6. Der Soldat wurde durch die Besatzung eines zufällig vorbeifahrenden Fahrzeugs aufgenommen und unmittelbar in den ca. eine Minute entfernten Sanitätsbereich der Kaserne PzTrS verbracht. Eine Verlegung in das Heidekreis-Klinikum SOLTAU erfolgte nach Eintreffen des Notarztes. Am selben Abend wurde der Soldat per bodengebundenem Intensivtransport ins UKE verlegt.
Die übrigen OA des Zuges vervollständigten, nach Erreichen des Unterkunftsgebäudes um ca. 11:30 Uhr, ihre Ausrüstung, wurden darauf hingewiesen genug zu trinken und traten nach ca. 20 Minuten, um ca. 11:50 Uhr, den Rückmarsch (Marsch B/Anlage 2) an. Im Verlauf dessen, nach ca.1300m, wurde dann in zwei Marschgruppen (vermeintlich laufstärkere und laufschwächere) umgegliedert. S2 wurde der schwächeren, S3 und S4 der stärkeren Marschgruppe zugeteilt. Nach ca. 2200m wurden in einer Pause in der laufstärkeren Marschgruppe, auf Befehl A6, zehn Liegestütze durch die OA absolviert. Im weiteren Verlauf des Marsches B marschierte die Marschformation mindestens einmal bis zu 50m geschlossen in die entgegengesetzte Marschrichtung, um zurückgefallene OA wieder in die Formation einzugliedern. Die Aussagen der Soldaten unterscheiden sich und sprechen bei beiden Märschen von bis zu dreimal, mit einer zusätzlichen Marschleistung von maximal 200m. Marsch B verlängerte sich aufgrund eines Orientierungsfehlers des vorweg marschierenden Hilfsausbilders auf ca. 3,6km und war damit ca. 600m länger als Marsch A.
Die Stärke der Marschgruppen betrug insgesamt 26 OA. Neben S1 verblieben S9 (persönliche Gründe) und S10 (Schmerzen im Unterschenkel) zunächst in der Unterkunft. Der Zugführer führte, nach seiner Rückkehr aus dem Sanitätsbereich, ein Gespräch mit S9 und motivierte S9 weiter an der Ausbildung teilzunehmen. S9 verlegte anschließend im Fahrzeug mit dem Zugführer wieder in den ÜbR Z.
Bei Marsch B (Anlage 2), zu ca. 70% auf beschatteten Wegen, in den ÜbR Z war S5 kurzeitig nicht ansprechbar. Maßnahmen der Kameradenhilfe griffen, sodass S5 marschfähig im ÜbR Z ankam.
Um 12:52 Uhr empfahl der Truppenarzt, der die Versorgung von S1 eingeleitet hatte, dem Zugführer telefonisch, den für den Nachmittag geplanten Eingewöhnungsmarsch ohne Splitterschutzweste durchzuführen. Diese Empfehlung wurde nach Abschluss der Ausbildung „Bewegungsarten im Gelände“ im Rahmen der anschließenden Marschvorbereitungen umgesetzt. Die weiteren Untersuchungen haben ergeben, dass gemäß Dienstplan  der Gefechtsanzug  mit Splitterschutzweste für den Marsch vorgesehen war.
Die OA des Zuges, die nicht an Marsch A und B teilnahmen, legten ihre Gesichts- und Helmtarnung an und führten in der Zwischenzeit die Ausbildung „Bewegungsarten im Gelände“ im befohlenen Anzug mit Trageausrüstung, Splitterschutzweste, Feldjacke, Helm, Handschuhen und Schießbrille durch. Bei dieser Ausbildung gab es keine Ausfälle.
Bei Eintreffen der Marschgruppen (Marsch B) im ÜbR Z um ca. 12:40 Uhr wurde diese Ausbildung unterbrochen. Alle Soldatinnen und Soldaten empfingen die Mittagsverpflegung auf der Betonfläche und nahmen diese im Schatten ein. Die Mittagspause betrug ca. 60 Minuten inkl. Organisationszeit.
Im Anschluss (ca. 14:00 Uhr) nahmen die Soldatinnen und Soldaten die Ausbildung „Bewegungsarten im Gelände“ (wieder) auf. Ab ca. 13:40 Uhr bereiteten sich die OA auf diese Ausbildung vor. Die OA, die Marsch A und B absolviert haben, legten zusätzlich Gesichtstarnung an. Die Ausbildung wurde ca. 14:45 Uhr beendet. Während der Ausbildung befahl der Zugführer den Gruppenführern über Funk, dass spätestens um 14:55 Uhr alle OA zum Verladen der Gepäcke am Lkw sein sollten. Bei der Marschvorbereitung wurden die OA u.a. angewiesen, ausreichend Wasser zu trinken. S3 trank aus seiner eigenen Wasserflasche und füllte diese, obwohl möglich, nicht nach, was dazu führte, dass er während des Marsches nach eigener Aussage nicht genügend Wasser zur Verfügung hatte. Durch Zeugenaussagen anderer OA wird bestätigt, dass ab Mittag zusätzlich Wasser zur Verfügung stand und ausgegeben wurde. Dass insgesamt ausreichend Wasser vorhanden war, wird durch die Ausbilder dadurch belegt, dass das für den Ausbildungstag mitgeführte Wasser nicht vollständig verbraucht wurde.
Marsch C  fand zu ca. 60% auf beschatteten Wegen statt. Marschpausen waren bei Antreten des Marsches nicht vorgesehen, ergaben sich dann aber, den Ausfällen geschuldet, im Verlauf des Marsches. Der durch den Zugführer für den Marsch C befohlene Anzug (Feldjacke, keine Splitterschutzweste und kein Rucksack, jedoch mit aufgesetztem Helm, Waffe, Trageausrüstung mit Trinkflasche, ohne Handschuhe) wurde hergestellt. Im Zuge der Untersuchung wurde festgestellt, dass der Eingewöhnungsmarsch, der grundsätzlich gemäß Anweisung für die Truppenausbildung (AnTrA) Nr. 1 eine Länge von 6km haben soll, nur über eine Strecke von 5km führte.
Marschbeginn war ca. 15.00 Uhr. Der Marsch erfolgte im Zugrahmen, zunächst in Dreierrotten, später wurde die Marschformation den Geländebedingungen angepasst.
Ca. 15:05 Uhr, nach ca. 400m, hörte S8 erschöpfungsbedingt mit dem Marschieren auf, brach den Marsch C ab und saß auf den begleitenden Lkw auf. Nach ca. 1100m fiel S7 nach einem Sturz mit Schmerzen im Knie aus und saß ebenfalls auf den Lkw auf, so dass der bis dahin auf dem Lkw mitfahrende A8 absitzen musste (insgesamt können nur zwei Beifahrer mitfahren) und dann den Marsch C begleitete.
Nach ca. 2000m fiel S5 aus. S5 war kurzfristig nicht ansprechbar, konnte den Marsch aber nach kurzer Pause weiter fortsetzen. S5 wurde eine Anzugserleichterung befohlen. S5 nahm den Helm ab und befestigte ihn an der Trageausrüstung. Bis zum Erreichen der Kaserne PzTrS wurde S5 von A5 eng begleitet. S5 stellte sich im weiteren Verlauf nicht weiter beim Truppenarzt vor.
Nach ca. 2100m fiel S6 kurzzeitig aufgrund von Schmerzen im Fuß aus. S6 wurde eine Anzugserleichterung befohlen und S6 verlud die persönliche Ausrüstung auf den Lkw. S6 setzte den Marsch, zunächst eng begleitet durch A3, weiter fort. Im weiteren Verlauf übernahm die Begleitung A5, der auch S5 begleitete. S6 wurde am Abend durch den Truppenarzt gesehen, dieser hat eine Wiedervorstellung für den nächsten Tag als ausreichend erachtet.
Nach ca. 2800m klagte S11 über Bauchschmerzen, setzte aber nach einer kurzen Trinkpause den Marsch weiter fort.
Nach ca. 3000m fiel S5 erneut aus, war wieder kurzzeitig nicht ansprechbar, setzte den Marsch aber auf eigenen Wunsch in Begleitung von A5 weiter fort und beendete diesen ohne weitere Ausfälle auch später.
Nach ca. 3400m fiel S2 aus (t: ca. 27°C). Er war zunächst bei Bewusstsein und ansprechbar, sodass Maßnahmen der Kameradenhilfe ausreichend erschienen, die durch A6 unterstützt wurden. Wenige Minuten später traf A2 ein. Als S2 kurze Zeit später zusammenhanglos zu fluchen begann, dann krampfte und bewusstlos wurde, forderte A2 um 15:56 Uhr sofort einen zivilen Notarzt an. Der zufällig um ca. 16:34 Uhr am Geschehen vorbeifahrende Truppenarzt unterstützte die um ca. 16:23 Uhr eingetroffene Besatzung des Rettungswagens.
Nach Eintreffen des Notarztes um ca. 17:09 Uhr wurde S2 um ca. 17:47 Uhr per Hubschrauber ins UKE verbracht.
Nach ca. 4000m wurde eine zehnminütige Pause eingelegt und anschließend der Marsch in Marschordnung weiter fortgesetzt.
Ca. 16:07 Uhr fielen S3 und S4 (t: ca. 27°C) in Sichtweite des Unterkunftsgebäudes, ca. 250m vor Marschende, unvermittelt aus. S3 war zunächst noch ansprechbar, jedoch verwirrt, S4 wurde direkt bewusstlos. Beide wurden nach notärztlicher Erstbehandlung um ca. 17:54 Uhr (S4) und ca. 18:17 Uhr (S3) ins BwKrhs HH geflogen. S4 wurde am 20. Juli 2017 um ca. 06:00 Uhr per Intensivtransport ins UKE verlegt.
Der übrige Zug beendete den Marsch ca. 16:15 Uhr am Unterkunftsgebäude. (Gesamtmarschstrecke ca. 5km) und bereitete ihn unter Führung von A1 nach. Dabei wurde S6, auf einem Stuhl in seiner Stube sitzend, um ca. 16:30 Uhr kurzzeitig bewusstlos. Es erfolgte anschließend die Betreuung durch einen Truppenarzt.
Über die vier in Krankenhäuser verbrachten Soldaten und die zwei kurzzeitig nicht ansprechbaren OA hinaus, haben insgesamt fünf weitere OA zum Teil marschtypische Beeinträchtigungen/Verletzungen erlitten.

(Archivbild 2015: Rekruten des Fallschirmjägerregiments 26 auf dem Marsch – Bundeswehr/Carl Schulze)