Kieler Woche statt Kampf: Don’t mention the war!

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Wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul an der NATO-Ostgrenze beklagt, kann er eine Gruppe im eigenen Land mit Sicherheit nicht gemeint haben: diejenigen, die für die Öffentlichkeitswirkung der deutschen Streitkräfte zuständig sind. Denn die tun in diesen Tagen alles, in ihren eigenen medialen Auftritten ja nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als sei die Bundeswehr an Kriegsspielen, pardon, Übungen an der Ostgrenze des Bündnisses beteiligt.

Das ist um so auffälliger, als die Öffentlichkeitsarbeiter der Truppe derzeit im Dauereinsatz sind. Ob Tag der Bundeswehr (am 11. Juni) oder Kieler Woche (am vergangenen Wochenende): An Berichten und Bildern gibt es keinen Mangel, zeitnah und schnell und ausführlich und umfassend (Beispiele siehe unten).

Doch wenn es um Großübungen der vergangenen zwei Wochen wie BALTOPS in der Ostsee, Anakonda in Polen oder jetzt Saber Strike im Baltikum geht, übt sich die mediale Bundeswehr in größtmöglicher Zurückhaltung.

Beispiel BALTOPS: Die Deutsche Marine war daran zwar mit mehreren Schiffen und Booten sowie erstmals mit dem Seebataillon beteiligt. Doch auf marine.de ist die Darstellung, nun, sparsam. Bis zum (gestrigen) Sonntagabend gab’s zu der zweiwöchigen Übung gerade mal eine knappe Meldung zur deutschen Beteiligung, eine Besuchs-Meldung von der Fregatte Sachsen sowie einen nachrichtlichen Beitrag zur Abschluss-Pressekonferenz in Kiel. Letzteren immerhin mit dem Versprechen: Marine.de wird demnächst ausführlicher über den Einsatz des Seebataillons und die Kooperation mit der niederländischen Marine bei amphibischen Operationen während BALTOPS berichten.

Dabei gab es an Bildern und Berichten von der zweiwöchigen Übung schon bisher keinen Mangel – jedenfalls bei den Verbündeten. Zum Beispiel von einer amphischen Übung auf der schwedischen Insel Uto, an der das deutsche Seebataillon beteiligt war. Oder symbolträchtige Fotos wie dieses hier:

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A United States Air Force ‪‎B52‬ Stratofortress leads a formation of aircraft including two Polish air force ‪‎F16‬ Fighting Falcons, four U.S. Air Force F16 Fighting Falcons, two German ‪‎Eurofighter‬ ‎Typhoons and four ‪‎Swedish‬ ‎Gripens over the Baltic Sea, June 9, 2016 – U.S. Air Force photo/Senior Airman Erin Babis

Dass zwei deutsche Eurofighter dabei waren, erfuhren die Interessierten nur aus dem (amerikanischen) Bildtext. Das Foto, immerhin, schaffte es als Bild der Woche in die jüngste Ausgabe des Wochenblatts Bundeswehr aktuell. Dafür kam diese Publikation auf dem Rest ihrer Seiten ganz ohne Erwähnung der großen Übungen im Osten aus  – und machte dagegen mit der schon länger abgeschlossenen Evakuierungsübung Storm Tide III in Belgien auf dem Titel auf.

Bei Anakonda16, der – in der NATO nicht unumstrittenen – Großübung in Polen, unter massiver Beteiligung der US-Armee, war die Bundeswehr auch dabei. Aber nicht mit Kampftruppe, sondern mit Pionieren, die zusammen mit den Briten eine Schwimmbrücke über die Weichsel schlagen. Folgerichtig besteht die Bundeswehr-Berichterstattung bislang aus einem Video, das diese technische Leistung würdigt.

 

Im Text-Bericht dazu geht es ebenfalls praktisch ausschließlich um die Pionier-Leistung. Nicht um die Übung selbst, ihre Aufgabe und ihre Hintergründe – und schon gar nicht um die Haltung Polens, das das schon lange im Zwei-Jahres-Rhythmus laufende Manöver in diesem Jahr zu einer massiven Großübung ausgebaut hat.


(Direktlink: https://youtu.be/mAnAB_8ecjo)

Und dass bei dem längsten Landmarsch in der Geschichte der NATO, dem demonstrativen Dragoon Ride II der 2nd Cav der U.S. Army Europe, den ganzen Weg von Bayern nach Estland eine deutsche Marschgruppe dabei war, erzählte die Bundeswehr lieber erst ein bisschen später, wie ich hier schon mal erwähnt hatte.

So richtig aktuell konnte die Bundeswehr über all das nicht berichten. Weil, wie erwähnt, der Tag der Bundeswehr und die Kieler Woche halt ganz viele Kapazitäten banden. So gab’s im Flickr-Account ganz schnell ganz viele Bilder vom Tag der Bundeswehr und in der oben erwähnten aktuell-Ausgabe eine Doppelseite dazu.

Für die Kieler Woche legten sich die Bundeswehr-Medienmacher auch mächtig ins Zeug. Nicht nur mit einer Sonderseite im Internetauftritt der Marine. Sondern auch mit lauter aktuell produzierten Videos und einem gesonderten Facebook-Auftritt.

Da blieb natürlich keine Kapazität, jemanden zur Landeübung des Seebataillons nach Schweden zu schicken. Oder vielleicht auch nur nicht die Kapazität, dazu innerhalb der Woche nach dieser Landeübung etwas zu produzieren.

Das alles sieht nach, nun, interessanter Schwerpunktsetzung aus. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, die natürlich auch der Nachwuchswerbung dienen, scheinen von weitaus größerer Bedeutung als Ereignisse, die in der derzeitigen politischen Lage auch über Deutschland hinaus politische Bedeutung haben.

Vielleicht steht aber einfach auch nur das Motto aus der berühmt gewordenen Fernsehserie Fawlty Towers dahinter, gespielt von den Profis von Monty Python: Don’t mention the war!


(Direktlink: https://youtu.be/t1O41RIKKDo)

(Aufmacherfoto: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht am Tag der Bundeswehr 2016 den Standort Frankenberg – Bundeswehr/Torsten Kraatz)