Heeresinspekteur rechnet mit zehn Jahren Aufbauarbeit

Allied Forces take part in Armed Forces and Public Unity Day in Lithuania

Angesichts der weltpolitischen Lage will das Deutsche Heer die Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Mittelpunkt seiner Fähigkeiten stellen – erwartet aber erst in einem Jahrzehnt, dass das nötige Gerät dafür auch vorhanden ist. Es dauere bestimmt zehn Jahre, um auf einen Stand zu kommen, der unserem Bedarf entspricht, sagte Heeresinspekteur Jörg Vollmer bei einem Gespräch mit Journalisten am (gestrigen) Donnerstagabend. Der Generalleutnant kündigte zugleich an, dass das Heer sich darauf einstelle, bei der geplanten rotierenden Bereitstellung eines Bataillons zur Unterstützung des NATO-Partners Litauen bis zur Hälfte der insgesamt 1.200 Soldaten zu entsenden.

Bei der nötigen neuen Ausrüstung nach Jahren der Reduzierung und Außerdienststellung von Material seit dem Ende des Kalten Krieges gehe es darum, all das wieder zu beschaffen, was wir aus nachvollziehbaren Gründen einmal reduziert hatten, sagte Vollmer. Dabei sei viel Geduld gefordert. Inhaltlich schließt der Inspekteur da an seinen Vorgänger an, der schon vor gut einem Jahr die Materiallage des Heeres als Hautproblem genannt hatte.

Exemplarisch für das fehlende Gerät nannte Vollmer Schnellbrücken, die auch die modernen Kampfpanzer tragen könnten, die Technik zum Verlegen von Panzerabwehrminen und vor allem eine moderne Funkausstattung für das Gefechtsfeld.

Gerade bei den Funkgeräten müsse die dringend notwendige Entscheidung für die Nachfolgegeneration getroffen werden, mahnte der Heeresinspekteur. Für die vorhandenen analogen Funksysteme seien ab 2020 und spätestens 2025 keine Ersatzteile mehr zu bekommen, außerdem würden neben Sprechfunk auch immer mehr (digitale) Kommunikationsmöglichkeiten zur Übertragung von Daten gebraucht. Die künftigen Systeme müssten auch mit denen der Verbündeten kompatibel sein. Eine finanzielle Größenordnung für die Neubeschaffung wollte Vollmer nicht nennen; zudem sei bei dieser Neuausrüstung nicht nur das Heer betroffen. Entscheidend sei aber, dass bald Klarheit über das neue System herrsche: Was am meisten drückt, ist das Thema Kommunikation.

Die Bundeswehr prüft seit längerem die Beschaffung von so genanntem Software Defined Radio, digitalen Funkgeräten (die in Deutschland unter der Bezeichnung Streitkräftegemeinsame Verbundfähige Funkgeräteausstattung, SVFuA, laufen). Neben der Beschaffung der Systeme wird die Einrüstung der Systeme in die zahlreichen verschiedenen Transport- und Gefechtsfahrzeuge des Heeres einen Großteil der Kosten ausmachen.

Bei den so genannten Panzerschnellbrücken, die als Faltbrücke kurzfristig über Gewässer und andere Hindernisse gelegt werden können, fehlt dem Heer bislang ein System, dass auch den Kampfpanzer Leopard in der modernen Version 2A6 oder höher tragen kann. Aus finanziellen Gründen wurde die Beschaffung dieser Leguan-Brückensysteme geschoben: Benötigt würden nach Angaben von Vollmer 31 Systeme, eingeplant seien bislang ein solches System für das kommende Jahr sowie zwei weitere für die geplante deutsche Beteiligung an der NATO-Speerspitze, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) in den Jahren 2018 bis 2020.

Ebenfalls in den vergangenen Jahren ausgemustert wurden Systeme zur Verlegung von Panzerminen – die Sperrfähigkeit haben wir komplett aufgegeben, sagte Vollmer. Geplant sei deshalb, ein altes System auf Lastkraftwagen wieder zu reaktivieren (Details nannte der Inspekteur nicht; gemeint ist vermutlich das Minenverlegesystem 85 aus dem Jahr 1985).  Das Minenwurfsystem Skorpion könne dagegen realistischerweise nicht mehr reaktiviert werden, eventuell müsse über ein Nachfolgesystem nachgedacht werden.

Der Bedarf für diese und andere Geräte sei durchgerechnet, betonte Vollmer. Nach der erklärten Absicht, das Heer wieder vollständig mit dem Gerät auszustatten, das es für seine Aufgaben brauche, müsse jetzt mit der Umsetzung begonnen werden – auch wenn dieser strukturierte Prozess nun Schritt für Schritt angegangen werden müsse. Der Heeresinspekteur lehnte es aber ab, wie sein Vorgänger eine finanzielle Größenordnung für den Bedarf des Heeres zu nennen. Er halte es für kontraproduktiv, mit Einzelzahlen an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte Vollmer. Solche Berechnungen seien immer nur in Abstimmung mit der Streitkräftebasis und dem Sanitätsdienst sinnvoll, weil diese Bereiche in das Vorgehen des Heeres mit einbezogen werden müssten.

Mehr Beteiligung an NATO-Präsenz in Litauen möglich

Über eine stärkere ständige Präsenz von NATO-Staaten an der Ostflanke des Bündnisses, also praktisch an der russischen Grenze, wird zwar erst auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel im Juli in Warschau entschieden. Allerdings ist bereits jetzt ziemlich klar, dass Deutschland im Rahmen dieser enhanced forward presence ein – ständig rotierendes – Bataillon in Litauen organisieren dürfte. So hatten sich auch der Generalsekretär der Allianz. Jens Stoltenberg, und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihren jüngsten Gesprächen in Berlin geäußert.

Der deutsche Beitrag dazu wird nach Vollmers Worten mindestens die Führung dieses Verbandes und eine Kampfkompanie umfassen, möglicherweise aber auch eine weitere Kampfkompanie – so dass das Deutsche Heer am Ende rund 600 der insgesamt etwa 1.200 Soldaten stellen könnte. Soldaten aus anderen Bündnisländern sollen hinzukommen.

Geplant sei ein einsatzbereiter Gefechtsverband, der dann auch übt, sagte der Generalleutnant. Allerdings werde es keine dauerhafte Stationierung geben, sondern ein rotierender Einsatz, nach dem die jeweilige Truppe mit ihrem gesamten Material auch wieder abziehe und durch andere Einheiten ersetzt werde. Das eröffne die Möglichkeit, die Truppengattung zu tauschen – und biete für das Heer den großen Vorteil, das lange nicht mehr geübte Verfahren der kompletten Verlegung eines Verbandes immer wieder durchzuspielen.

Insgesamt will die NATO in Warschau vier solcher Bataillone als vorgeschobene Präsenz des Bündnisses zur Unterstützung der östlichen Mitglieder beschließen. Für drei davon sind bereits die truppenstellenden Nationen, quasi die Paten, gefunden: Neben Deutschland die USA und Großbritannien, die in den baltischen Ländern Estland, Lettland und Litauen aktiv werden. Für das vierte Battaillon in Polen gibt es allerdings noch keine Zusage einer Nation, die den Rahmen dafür stellen könnte.

(Archivbild: A young man looks through the sight of a Panzerfaust 3 anti-tank weapon used by the German Army during Armed Forces and Public Unity Day May 14, 2016 in Vilnius, Lithuania – U.S. Army photo by Staff Sgt. Michael Behlin)