Größer, schneller, weiter – die Januar-Bilanz der Piraten

Beginnen wir diesen Beitrag mal mit einem Rate-Bild. Was zeigt diese Karte?

(die Karte interaktiv hier)

Das war doch leicht zu erraten: Die Punkte markieren die erfolgreichen, und zwar nur die erfolgreichen, Angriffe somalischer Piraten auf Handelsschiffe am Horn von Afrika und im Indischen Ozean im Januar dieses Jahres. Elf erfolgreiche Kaperungen (es gibt gewisse Differenzen zu offiziellen Zählungen, weil unter anderem die indische Dhau Al Musa meist nicht mitgezählt wird und es unklar ist, ob gekaperte und gleich befreite Schiffe wie der Chemikalientanker Bunga Laurel und der Tanker CPO China als Piraten-Erfolg zu zählen sind).

Nachdem schon das vergangene Jahr in der Erfolgsstatistik der Seeräuber einen Spitzenplatz einnahm, geht es in diesem Jahr noch viel erfolgreicher weiter. Dabei ist nicht nur die schiere Zahl der Angriffe und der Kaperungen erschreckend, auch nicht mehr, wie noch im vergangenen Jahr, die extrem ausgeweitete geographische Verteilung bis kurz vor die indische Küste und hinunter nach Mosambik. Erschrecken müssen nach einem Monat 2011 drei neue Trends in der Somali-Offshore-Piraterie:

– Mutterschiffe benutzen die Piraten schon länger – aber jetzt nehmen sie routinemäßig nicht mehr gekaperte Fischtrawler, sondern die großen Tanker und Frachter. Die neue Basis See ermöglicht ihnen das Ausharren mitten auf dem Ozean – und zum Beispiel entlang der Schiffahrtsroute aus dem Persischen Golf nach Fernost (die gekaperte und dann befreite New York Star zum Beispiel war auf dem Weg von Saudi-Arabien nach Singapur): Piraterie ist nicht mehr eine Bedrohung der afrikanischen Küste, sondern der Tanker-Verbindung von den arabischen Ölfeldern.

– Die Gewaltbereitschaft der Piraten nimmt zu. Unklar (jedenfalls habe ich bislang keine Erklärung gehört) ist nach wie vor der Fall des dänischen Frachters Leopard, dessen Besatzung entführt wurde – das Schiff, vermutlich beladen mit Waffen, aber zurückblieb. Seeleute des deutschen Frachters Marida Marguerite wurden nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden, über die der Spiegel berichtete, quasi gefoltert. Und im mysteriösen Fall des Frachters Beluga Nomination sollen die Piraten ein Besatzungsmitglied ermordet haben – unklar ist bislang, ob dieser Tat ein Befreiungsversuch vorausging (die NATO betont jedenfalls, dass das von ihr befehligte dänische Kriegsschiff Esbern Snare von jeder Gewaltanwendung abgesehen habe, um die Geiseln nicht zu gefährden).

– Auf der anderen Seite nimmt die Bereitschaft nicht-westlicher Nationen zu, mit Gewalt gegen die Piraten vorzugehen – auch wenn Seeleute als Geiseln an Bord der gekaperten Schiffe sind. Die Südkoreaner befreiten mit einem Einsatz von Kommandosoldaten den Chemikalientanker Samho Jewelry, die Malaysier ebenfalls mit Spezialkräften die Bunga Laurel. Und die Inder versenkten vor ihrer Küste einen vor mehr als zwei Jahren gekaperten thailändischen Fischtrawler, der als Mutterschiff diente. Die Seestreitkräfte von EU und NATO dagegen erklären, für sie hätten die Geiseln oberste Priorität. Da zeichnet sich eine Spaltung beim Vorgehen gegen die Seeräuber im Indischen Ozean ab.

Die oben erwähnten Beispiele sind allesamt aus dem Januar. In diesem Monat gab es auch einen Piratengipfel im Bundeswirtschaftsministerium – der weitgehend erfolglos mit Prüfaufträgen endete.

Die Position der Reeder ist recht eindeutig: Hoheitliche Waffenträger, also Bundeswehr oder Bundespolizei, sollen ihre Schiffe schützen. Das stösst nicht nur auf rechtliche und faktische Hürden (allein schon die Ausweitung der Bundeswehr-Aufgaben würde ein neues Bundestagsmandat erfordern; und die Begleitung allein der Schiffe unter deutscher Flagge würde das Personal der Deutschen Marine wie der Bundespolizei bei weitem überfordern). Zudem fahren Schiffe wie die gekaperte Beluga Nomination nicht unter deutscher Flagge – ja noch nicht mal unter der eines EU-Landes, sondern unter der von Antigua und Barbuda.

Andererseits: die Samho Jewelry führte die Flagge von Malta, einem EU-Land. Doch gewaltsam befreit haben dieses Schiff die Südkoreaner, weil ihre Staatsbürger die Mannschaft stellten. Und, auch andererseits: Der derzeit einzige deutsche Staatsbürger in Piratenhand ist der Kapitän des Flüsiggastankers York, der als Mutterschiff dient – ohne dass Deutschland nach bisherigen Erkenntnissen über eine gewaltsame Befreiung nachdenkt. Mit anderen Worten: Die Diskussion rund um die Flagge, die ein Schiff führt, bringt eine Lösung nicht voran.

Unser Vorschlag: Soldaten beziehungsweise Polizisten der an der ATALANTA-Operation teilnehmenden Staaten begleiten die Handelsschiffe an Bord auf ihren Passagen durch das gefährdete Seegebiet vor der Küste Somalias. Diese Maßnahmen werden bereits auf Schiffen des Welternährungsprogramms erfolgreich durchgeführt, sind aber bislang auf diese Transporte beschränkt.

erklärte der Verband Deutscher Reeder am letzten Tag dieses desaströsen Januar. Verbandspräsident Michael Behrendt sieht sogar eine Verpflichtung des deutschen Staates für alle Schiffe unabhängig von der Flagge:

Die Bundesregierung steht nach unserem Grundgesetz und nach dem  internationalen Seerechtsübereinkommen in der Verantwortung und hat die Pflicht, Seeleute auf Schiffen deutscher Reeder und die deutsche Handelsschifffahrt wirksam zu schützen.

Lassen wir mal einen Moment außer Acht, dass der Reederverband damit den Grundgesetz-Artikel 27 (Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte) in seinem Sinne interpretiert und für jedes Schiff eines deutschen Reeders, auch wenn es nicht unter deutscher Flagge fährt und keinen einzigen deutschen Seemann an Bord hat, den hoheitlichen Schutz des deutschen Steuerzahlers anmahnt: Praktisch wird das gar nicht gehen, siehe die oben erwähnten Personalengpässe bei Soldaten und Polizisten.

Aber um das effektiv zu organisieren, haben die Reeder auch schon eine Idee: Some chartered vessels could function as bases of operations positioned near the exit of the Suez Canal, near Sri Lanka and near the Seychelles, sagte der Chef der Beluga Shipping, Nils Stolberg, der Agentur Reuters. Da müsste er allerdings nicht nur die Bundesregierung auf seine Seite bringen. Sondern auch die Abgeordneten des Bundestages.

Nachtrag: Ich sehe gerade eine Meldung aus Korea, die einen weiteren besorgniserregenden Trend andeutet: Die Kaperer der Samho Jewelry, so heißt es, hätte das Schiff bewusst als Angriffsziel ausgesucht – weil zuvor für das Schwesterschiff Samho Dream das Rekord-Lösegeld von angeblich 9,5 Millionen US-Dollar gezahlt worden war. Das hätten die Vernehmungen der gefangen genommenen Piraten ergeben. Sollte sich das bewahrheiten, bekommt das Piraterie-Geschäft erneut eine neue, gefährliche Wendung. Denn bislang schien es, dass die Seeräuber die Schiffe angriffen, die sie antrafen (was unter anderem frühere Angriffe auf Kriegsschiffe erklärt). Gezielte Angriffe auf bestimmte Schiffe waren bislang nicht belegbar – sie bedeuten auch: Ein Netzwerk hinter den Piraten liefert Informationen über den Kurs und vermutlich dann auch die Ladung/den Wert der Handelsschiffe.

Nachtrag 2: Heute gibt es dazu nicht nur eine größere Geschichte in der FAZ (in der Augen geradeaus! netterweise auch zitiert ist), sondern auch eine größere Geschichte bei Spiegel Online – allerdings finde ich die online nur auf Englisch.