Abzug aus Afghanistan 2014, Präsidentenwahl vorher?
Der Zeitplan für die weitere Entwicklung Afghanistans bis Ende 2014 ist aus Sicht vor allem der ISAF-Nationen kompliziert genug. Sollen doch bis zum Ende jenes Jahres die Afghanen die Sicherheitsverantwortung für das Land komplett übernehmen – und zudem ein neuer Präsident gewählt werden (Amtsinhaber Hamid Karzai darf ja, nach den geltenden Bestimmungen, für eine weitere Amtszeit nicht kandidieren). Heute stellte nun Karzai selbst den Zeitplan zumindest für die Präsidentenwahl infrage:
„This is a question that I have had, and I have raised it with my inner circle, if we cannot have all that accomplished in 2014 because of the heavy agenda,“ he told a news conference in Kabul with NATO Secretary General Anders Fogh Rasmussen.
„Can we bring either the transition and the return of international forces to 2013 so we can have the other agenda fulfilled in 2014 with less to do, or should we allow the transition process to complete itself in 2014, but bring the presidential election one year earlier to 2013.“
Das scheint die Situation ein wenig zu entzerren – Präsidentenwahl 2013, Abzug bis Ende 2014 (wobei ja klar bleibt, dass auch danach ISAF-Truppen im Land bleiben werden). Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich so eine deutliche Entzerrung ist. Denn bereits im kommenden Jahr werden die internationalen Truppen mitten in ihren Abzugsbemühungen stecken, um die Logistik für die besenreine Übergabe von Basen bis Ende 2014 zu schaffen. Wie schon bei den jüngsten Wahlen wird ISAF den dritten Ring der Sicherheitskräfte nach afghanischer Polizei und afghanischer Armee stellen – und die dürften 2013 noch schwächer sein als – projektiert – 2014.
Dazu sehr passend kommt ein Bericht von Associated Press: Wraps come off special operations Afghan war plan
Adm. Bill McRaven, the head of U.S. special operations, is mapping out a potential Afghanistan war plan that would replace thousands of U.S. troops with small special operations teams paired with Afghans to help an inexperienced Afghan force withstand a Taliban onslaught as U.S. troops withdraw.
Dass es hier mal wieder nicht um das geht, was da zu lesen ist, dürfte jedem Eingeweihten klar sein. Sicher weiss auch Herr Karsai, dass die ISAF keineswegs den Abzug, auch teilweise, früher als bis Ende 2014 schaffen kann. Auch das ist schon reichlich ambitioniert. Also ist auch ihm klar, dass es sich um die nur notdürftig versteckte Aufforderung handelt, die Präsidentenwahl auf 2013 vorzuziehen. Eigentlich machte das ja auch Sinn, aber warum ist Herr Karsai so plötzlich dieser Engpass eingefallen? Und warum trägt er diese neue Variante vor? Man kann aus der Ferne nur spekulieren, aber wenn man die Psyche der Afghanischen Kleptokratie ins Kalkül zieht, dann kann es sich nur um eine besondere Form des Machterhalts handeln. Je näher der Abzug der ISAF heransteht, um so stärker werden andere Gruppierungen die Macht für sich fordern und die Karsai-Clique rasch abservieren. Da will man wohl noch rasch den Versuch wagen, neue Pflöcke einzuschlagen, bevor „Hannibal ante portas“ steht. Die afghanische Realität wird diesen Plan schnell hinwegfegen, der Bürgermeister von Kabul ist ohnehin nur noch ein Schattenmann, den wir in nicht zu ferner Zukunft auf einem Flug ins Exil werden sehen können. Geld für das Ticket dürfte er zu genüge haben. Nach ihm kommt der Bürgerkrieg zurück. Die Menschen dort haben ein paar Hoffnungen weniger, nur die Kriegsgewinnler haben sich wie immer die Taschen gefüllt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn auch hier viele Enthusiasten ihre Illusionen beiseite legen und die nächste Krise gelassener zur Kenntnis nähmen. Deutschland wird auch den Zusammenbruch der Verteidigung am Hindukusch überleben. Bestimmt.
@ Mustermann
Gute Analyse!
Angriffe in Botschaftsviertel in Kabul:
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/afghanistan/9205291/Afghanistan-gunfire-and-blasts-rock-Kabuls-diplomatic-area.html
Hatte nicht letzte Woche BrigGen Jacobsen erklärt, dass der Gegner zu schwach für eine Frühjahrsoffensive sei?
Am gleichen Tag gab es im RC-W und und RC-SW Angriffe auf Distrikthauptquartiere.
Noch ein Gedanke zu 2014 und dem sog. Abzug: Wenigstens hier im Blog sollte doch der Irrglaube vom Abzug in 2014 nicht noch befördert werden. 2014 gibt es keinen Abzug.
Hier noch eine saubere Analyse zur „Abzug in 2014“-Debatte:
http://aan-afghanistan.com/index.asp?id=2639
Die politisch beförderte Legende vom Abzug in 2014 führt mittlerweile national und international zu Verwirrung und Unsicherheit (u.a. bei Sprachmittlern der Bw).
Nicht einmal Bw-intern wird überall verstanden, dass der AFG-Einsatz NICHT 2014 endet.
Da wächst unbeachtet von vielen Entscheidern ein kommunikatives, politisches und militärisches Desaster heran.
Ende 2014 kommt dann das große Hallo, wenn das BT-Mandat für den ISAF-Nachfolgeeinsatz durch den nächsten BT muss.
Sozusagen die „Krönung“ der AFG-Politik seit 2001.
@Memoria
Die Angriffe im Botschaftsviertel von Kabul (und anderenorts) haben längst einen eigenen Thread…