Der Minister, die Marine…

Am gestrigen Montag besuchte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Marineschule in Mürwik und die Unteroffiziersschule der Marine in Plön. Hinterher redete er mit der Presse, mit rein durfte leider kein Journalist (und schon im Vorfeld hatte die Marine darauf verwiesen, dass Pressearbeit nur reaktiv stattfinden solle).

Der Kollege Leo Walotek-Scheidegger, spezialisiert auf Maritimes, lässt deshalb auf seinem Blog einen Teilnehmer des Ministerauftritts in Mürwik zu Wort kommen. (Der nicht so richtig begeistert ist.)

Nachtrag: Mich hat mittlerweile eine Punktuation der Rede des Ministers an der Marineschule erreicht – Punktuation heißt, dass er diese Rede nicht unbedingt so gehalten hat; es ist sozusagen der Vorschlag für eine Rede (falls jemand die gehört hat und berichten kann, was er tatsächlich gesagt hat, wäre das sehr interessant):

Punktation BM Dr. zu Guttenberg
anlässlich des Besuches der Marineschule Mürwik und der Marineunteroffizierschule in Plön am 14. Februar 2011

I.
Ich bin Ihnen, Admiral Schimpf dankbar für Ihre Worte: Sie haben manches, was in der medialen Scheinwelt der letzten Wochen verzerrt wurde, zurecht gerückt. Und Sie haben die Maßstäbe der Inneren Führung benannt, an denen wir uns orientieren.
Vor allem aber haben Sie deutlich gemacht, dass es bei unserem Handeln, bei der Wahrnehmung unserer Führungsaufgaben – ein jeder an seinem Platz – immer um die uns anvertrauten Menschen, die uns anvertrauten Menschen geht.
Ich verstehe gut, dass meine Entscheidung, Kapitän zur See Schatz als Kommandant der GORCH FOCK vorübergehend von seiner Aufgabe zu entbinden, in Ihren Reihen diskutiert wurde, ja, dass sie auch für eine gewisse Unruhe gesorgt hat und immer noch sorgt.
Ich habe mich deshalb entschlossen, heute hierher zu Ihnen zu kommen, weil es meinem Führungsverständnis entspricht, Entscheidungen, auch schwierige Entscheidungen zu erläutern.
Ich habe in meiner Dresdner Rede bei der Bundeswehrtagung 2010 gesagt, dass Sie alle mein Vertrauen haben und ich mir eine neue Kultur in unserer Bundeswehr wünsche, eine Kultur des Vertrauens, in der Schönreden keine Platz hat, eine Kultur, in der die Dinge beim Namen genannt werden und in der es auch möglich sein muss, Kritik offen zu äußern.
Ich stelle mich dieser Kritik und ich setze auf Ihre Offenheit. Ich setze vor allem darauf, dass wir nachher im Gespräch miteinander genau diese Fragen erörtern, und ich werde die Fragen aussprechen die mich beschäftigen, wenn ich die Ereignisse der letzten Wochen Revue passieren lasse.
II.
Es ist guter Stil und unverzichtbarer Bestandteil der Inneren Führung, dass Entscheidungen, vorher – oder wenn geboten – auch im Nachhinein erklärt werden. Das gilt nicht nur für militärische Vorgesetzte. Das gilt auch für den Bundesminister der Verteidigung und den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt.
Zur Sache: Nach dem tödlichen Absturz von Frau Obermaat Seele aus der Takelage des Schiffes am 7. November 2010 hat der Inspekteur Marine am 16. November entschieden, den Ausbildungsbetrieb auf der GORCH FOCK auf Anraten des Kommandanten abzubrechen, da die Ausbildung in der verfügbaren Zeit vor dem Hintergrund der psychischen Belastung der von Offizieranwärtern nicht zu gewährleisten sei.
Im Nachgang zur einer Unterrichtung des Verteidigungsausschusses am 21. Januar 2011 habe ich Kenntnis von weiteren Vorwürfen zu Missständen an Bord des Segelschulschiffes GORCH FOCK und zu vermeintlichem Fehlverhalten von Besatzungsangehörigen im Zusammen­hang mit dem tödlichen Unfall einer Kadettin vom 7. November 2010 erhalten.
Daraufhin habe ich nach Beratungen und im Einvernehmen mit der militärischen Führung drei Entscheidungen getroffen:
Erstens den Kommandanten des Schiffes unverzüglich und bis zum Abschluss der laufenden Ermittlungen von seinen Pflichten zu entbinden,
Zweitens die sofortige Rückverlegung der GORCH FOCK in ihren Heimathafen Kiel zu veranlassen, und
Drittens das Segelschulschiff während der grundsätzlichen Überprüfung des Ausbildungskonzeptes, aus der Fahrbereitschaft zu nehmen.
Die Entbindung des Kommandanten von der Führung des Schiffes, heißt nicht, dass er „gefeuert“ worden ist. Und es geht auch nicht um ein Bauernopfer. Kapitän z.S. Schatz ist unverändert Kommandant der GORCH FOCK. Kapitän z.S. Brühn führt lediglich Schiff und Besatzung nach Deutschland zurück.
Meine Entscheidung, ihn vorübergehend von der Führung zu entbinden, dient seinem Schutz, aber auch dem Schutz der GORCH FOCK und der Marine. Das mag bei einigen von Ihnen Kopfschütteln hervorrufen, weil sie sofort einen zukünftigen Automatismus unterstellen, und es mag auch Unverständnis geben. Und genauso mögen einige von Ihnen mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sein. Darüber können wir ja in der Aussprache gerne reden.
Mir war es sehr wichtig, Kapitän z.S. Schatz, die GORCH FOCK und die Marine so gut es eben möglich war, zunächst einmal aus dem medialen und öffentlichen Feuer zu nehmen. Dabei ging es mir in erster Linie um Fürsorge gegenüber Kapitän Schatz, dem es meines Erachtens nicht zugemutet werden konnte, die GORCH FOCK samt ihrer Besatzung unter diesen Umständen nach Hause zu führen. Ein Kommandant sollte wohl zu jeder Zeit den Kopf frei haben, um sich voll und ganz auf die Führung des Schiffes samt seiner Besatzung zu konzentrieren, um best möglich seiner Verantwortung, gerecht zu werden.
Gerne und sehr schnell haben die Medien und die Opposition das Angebot zur Kritik am Verteidigungsminister äußerst dankbar angenommen und in großen Lettern und schrillen Tönen damit auch nicht gerade gegeizt. Was die Medien indes aus diesem Sachverhalt gemacht haben, spottet jeder Beschreibung.
Es ist jetzt Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den Tod von Obermaat Seele aufzuklären.
Darüber hinaus werde ich morgen eine Kommission beauftragen, nach Vorliegen des Berichts des Havariebeauftragten Vorschläge zu erarbeiten, wie zukünftig die seemännische Basisausbildung auf der GORCH FOCK zu gestalten ist.
Zudem geht es darum, die vorgebrachte Kritik an der Ausbildung auf der GORCH FOCK und am Führungsverhalten Einzelner zu untersuchen.
Entscheidend für die Abberufung des Kommandanten sind die Beweggründe. Und die habe ich Ihnen genannt. Entscheidend ist auch, was am Ende überbleibt. Und deshalb wiederhole ich: Kapitän z.S. Schatz ist nach wie vor Kommandant der GORCH FOCK.
Alle, die daraus einen Automatismus und eine Gesetzmäßigkeit befürchten, liegen falsch. Es kommt auf den Einzelfall an. In dieser Situation und unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen war aus meiner Sicht dieses Handeln geboten.
Es geht deshalb nicht an, die Marine unter Generalverdacht zu stellen. Genauso wenig das Heer, wenn Sie die tragischen Vorfälle in Afghanistan nehmen, oder die Luftwaffe, oder die Streitkräfte, oder die Bundeswehr insgesamt. Gewiss, es hat immer wieder Versuche gegeben, zu instrumentalisieren oder daraus politisches Kapital zu schlagen.
IV.
Was konnten wir in den letzten Wochen lernen? Zunächst zu den Medien: Man kann nicht davon ausgehen, dass fair und unvoreingenommen berichtet wird. Ja, wir müssen darauf gefasst sein, dass wir mit Unterstellungen und Vorurteilen, auch mit absurden Behauptungen konfrontiert werden. Hier gilt: Es gibt Grenzen des Zumutbaren, und, wo nötig, muss hier mit den Instrumenten des Presserechts – etwa mit Gegendarstellungen – gearbeitet werden.
Die Freiheit der Meinungsäußerung darf nicht zu Lasten der individuellen Persönlichkeitsrechte gehen. Und es gilt auch: Sie müssen nicht jedes Gerücht glauben. Wer Gerüchte als Tatsachen weitergibt, richtet bisweilen großen Schaden an.
Und es stellt sich für Sie die Frage: Was bedeutet die zeitweilige Abberufung des Kommandanten für alle die, die in Führungsverantwortung stehen? Führt jeder Fehler sofort zur Abberufung? Ist der Entschluss, einen Gegner rechtsherum anzugreifen, dann falsch, wenn es Verletzte und Tote zu beklagen gilt? Und verliert der Bataillonskommandeur dann sein Kommando? Werde ich künftig abgelöst, wenn mir bei der Bekämpfung von Piraten ein Fehler unterläuft? – Nein!
Noch einmal: Es gibt keinen Automatismus. Und deswegen gibt es auch keinen Grund aus Angst vor möglichen Konsequenzen keine Verantwortung zu übernehmen, keine Entscheidungen zu treffen.
Streitkräfte, die vom Einsatz her denken, die im Einsatz stehen, die für den Einsatz ausbilden, vertragen keine Zauderer und Zögerer. Und sie vertragen kein Absicherungsdenken.
Aber wir müssen aus meiner Sicht eine neue Kultur des Umgangs mit Führungsentscheidungen entwickeln. Eine Kultur der Verantwortung.
Ausbildung, Führung und Erziehung in der Bundeswehr sind vom Einsatz her zu denken. Das schließt Realitätsnähe ein, und ebenfalls das kontrollierte Ertragen gewisser Härten und Entbehrungen. Das ist kein Dienstvergehen, sondern Fürsorge, um im Einsatz zu bestehen.
Nur wer seine physischen und psychischen Grenzen erfährt, weiß, was er von seinen unterstellten Soldaten verlangen kann. Und das bedeutet beileibe keinen Freifahrschein für rüden Umgang oder überzogene Härte. Ganz im Gegenteil: Je fordernder die Ausbildung, je professioneller muss die Ausbildungsorganisation, je professioneller müssen die Ausbilder sein. Das ist aber beileibe nichts neues. Es muss nur jeden Tag aufs Neue durchgesetzt werden. Das betrifft nicht nur die Marine, das gilt für die Streitkräfte insgesamt.
Für Soldaten geht es im Einsatz immer auch um Leben und Tod. Dieser Konsequenz müssen wir uns bewusst sein. Das erfordert Vertrauen in Vorgesetzte und Kameraden sowie in das eigene Können und in das Team.
Im Team, als Mannschaft, achtet man einander, und man achtet aufeinander. Das verstehe ich unter einer modern gelebten Kameradschaft. Das ist Führungsverantwortung, wie ich sie verstehe. Und das muss in die Köpfe hinein. Es ist eben lange nicht alles richtig, was cool ist.
Es kommt meines Erachtens deshalb insbesondere darauf an, dass beide Seiten aufeinander zugehen und sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Rolle zu akzeptieren, zu respektieren und einen ordentlichen, zwischenmenschlichen, kameradschaftlichen Umgang miteinander haben. Miteinander reden, Verständnis für einander haben und gegenseitiges Vertrauen entwickeln. Darauf kommt es an.
Die Ausbildung auf einem Segelschulschiff ist auch Erziehung. Erziehung ist unverzichtbar. Dann nämlich, wenn über das Handwerk und über das rein Funktionale hinaus die Tugenden und Werte gefordert sind, die nur durch Erziehung entwickelt werden können. Es ist die Charakterbildung, worin der eigentliche, wahre Wert einer Segelschulschiffausbildung liegt.
Ausbildung muss fordern. Sie darf bis an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit führen, aber sie darf niemals etwas verlangen, was gegen Anstand und Würde verstößt.
Ausbildung, Führung und Erziehung verlangt das persönliche Beispiel, verlangt Vorbilder. Vorbilder in Haltung und Pflichterfüllung, Vorbilder in Einsatz und Fürsorge, Vorbilder im fachlichen Können und ganz besonders auch im zwischenmenschlichen Verhalten.
Nur dann kann Vertrauen entstehen, nur dann entsteht ein Team, das seinen Auftrag auch unter widrigsten, unter gefährlichen, ja, unter lebensgefährlichen Umständen mit Erfolg ausführen.
V.
Zur GORCH FOCK: Sie wissen, dass ich das Ausbildungskonzept der GORCH FOCK überprüfen lasse. Glauben Sie mir, dass machen wir uns nicht leicht. Die Frage, welche Rolle die „GORCH FOCK“ dabei aus Ihrer Sicht zukünftig in der Ausbildung spielt, ist zentral, daraus mache ich keinen Hehl.
Die GORCH FOCK ist nicht irgendein Schiff. Über 50 Jahre sind an Bord der GORCH FOCK Marineoffiziere und -unteroffiziere ausgebildet worden. Die GORCH FOCK ist eine beliebte Botschafterin Deutschlands in der Welt.
Kein Marineschiff hat einen derartigen Bekanntheitsgrad. Die GORCH FOCK ist ein Teil Deutschlands und deutscher Politik geworden. Darüber sind wir uns alle im Klaren. Auch die im Übrigen, die lautstark und aus einsichtigen Motiven jetzt den Kahlschlag fordern.
Und gerade deshalb, gerade auch um uns selbst zu vergewissern, sind wir gut beraten, unvoreingenommen zu prüfen, ob und was zu verändern ist, was zu bewahren ist.
Die Frage, ob man es im Zeichen der Technik überhaupt vertreten kann, junge Menschen auf Schiffen ausbilden zu wollen, die längst der Vergangenheit angehören, ist nicht neu, sie wurde auch vor 30 Jahren gestellt.
Wir müssen und wir werden diese Frage beantworten. Das gehört ebenfalls zu unserer Verantwortung. Letztlich haben wir zu entscheiden, welche Bedeutung die Ausbildung auf der GORCH FOCK im 21. Jahrhundert für die für den angehenden Marineoffizier hat.
Deshalb gilt: Erst wenn die Ermittlungen vollständig abgeschlossen sind und der Ergebnisbericht der Kommission vorliegt, werde ich –in Absprache mit dem Inspekteur der Marine – die notwendigen Entscheidungen treffen.
Das wollte ich Ihnen sagen. Feuer frei!