13 Jahre Bundeswehr-Einsatz ISAF: So fing es an, im Dezember 2001
Das sollte, nein muss man noch mal nachlesen, angesichts der nun zu Ende gehenden Mission: Die Debatte des Bundestages in der Sondersitzung am 22. Dezember 2001 mit der Entscheidung über die deutsche Beteiligung am ISAF-Einsatz in Afghanistan, die damaligen Vorstellungen und Einschätzungen. Zum Beispiel die von Bundeskanzler Gerhard Schröder:
Es ist gefordert worden, das Mandat müsse zeitlich begrenzt werden. Auch das geschieht. Man kann darüber streiten, ob die sechs Monate eine zureichende Begrenzung sind. Aber das ist nun einmal Gegenstand des Sicherheitsratsbeschlusses gewesen. Ich denke, wir sollten jetzt keine abstrakten Diskussionen über die Frage führen, ob sechs Monate ausreichen oder nicht, sondern deutlich machen: Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat.
Das Plenarprotokoll gibt es in der Bundestagsdrucksache 14/210.
(Danke für den Leserhinweis.)
(Archivbild März 2003:
Das sollte man sich als Video zu Gemüte führen …
http://www.bundestag.de/mediathek/?action=search&offsetStart=0&offsetLength=6&instance=m187&categorie=Plenarsitzung&legislativePeriod=alle&fraction=alle&sortKey=zeitaufsteigend&mask=search&startDate=22.12.2001&endDate=22.12.2001&contentArea=common
Danke, aber: oh weh – wer kann noch Videos im RealPlayer-Format abspielen?!
@ T.Wiegold | 09. Dezember 2014 – 13:01
http://www.videolan.org/vlc/
Nach dem Realitätsverlust des Kanzlers war Herr Merz in der Debatte gar nicht schlecht im Jahr 2001:
Merz: „Der Kampf gegen den Terror ist damit aber noch längst nicht beendet. Er ist in Afghanistan nicht beendet und er ist an vielen anderen Orten der Welt nicht beendet. Er wird Jahre dauern und er wird auch uns Deutschen noch mehr abfordern als den Transport von Wolldecken von
Ramstein in die Türkei; denn viel mehr ist es bisher nicht Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder gewesen, was Deutschland geleistet hat. Ich kritisiere das nicht, Herr Bundeskanzler, auch wenn es aus der Rückschau einigermaßen grotesk anmutet, dass darüber fast das rot-grüne Bündnis zerbrochen wäre.
…
Die Übergangsregierung in Kabul, die heute ihre Arbeit aufnehmen soll, braucht Hilfe. Sie braucht sie gegen die vielen Tausend Gegner im eigenen Land, etwa gegen die große Zahl der Talibankämpfer, die noch nicht gefasst und entwaffnet sind, sowie gegen Straßenbanden und Fanatiker.
Die Friedenstruppe ist also in Afghanistan nur begrenzt willkommen. Das müssen wir wissen. Das müssen aber vor allem unsere Soldaten wissen.
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Ich weiß, es ist heute nicht der Tag, um über Europa zu sprechen. Aber ich möchte doch wenigstens unserer Sorge darüber Ausdruck verleihen, dass die Europäische Union von Anfang an, seit dem 11. September, bis heute auch nicht annähernd die Gemeinsamkeit aufgebracht hat, die ihrer Größe, ihrer Leistungsfähigkeit und vor allem ihrem eigenen politischen Anspruch entspricht.
…
Der Satz von der chronischen Unterfinanzierung der Bundeswehr bezieht sich auf einen längeren Zeitraum als nur auf diese Regierung und er ist nach unseren Maßnahmen nicht mehr gerechtfertigt.
…
Sie gestehen zu, dass es eine Unterfinanzierung der Bundeswehr gibt. Dann entziehen Sie ihr 18,6 Milliarden DM und sagen, jetzt sei die Unterfinanzierung nicht mehr vorhanden. Was ist das eigentlich für eine Logik, mit der Sie uns hier hinters Licht führen wollen?
…
Ich sage deshalb noch einmal: Mit dem heutigen Beschluss ist endgültig die Zeit für eine Wende in der Politik für die Bundeswehr gekommen. Wenn Sie sich dieser Herausforderung mit einer Kurskorrektur in Ihrer bisherigen Politik nicht stellen, wenn Sie die Bundeswehr weiterhin in immer mehr internationale Einsätze schicken und ihr dafür immer weniger Geld zur Verfügung stellen,
dann werden Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung der gewachsenen internationalen Verantwortung unseres Landes ebenso wenig gerecht wie der Pflicht, den Soldaten der Bundeswehr ein fürsorgender und verantwortlicher Dienstherr zu sein.“
Gerhardt war in dieser Debatte auch ganz nett:
„Die Bundeswehr ist eine großartige Armee. Sie leidet aber erkennbar unter einer miserablen politischen Führung.
Das ist nicht ein Argument, das eine Opposition pflichtgemäß vortragen würde. Ich gehe jede Wette ein: Vom Bundeskanzler bis zum letzten Regierungsmitglied auf der Regierungsbank wissen alle sie spüren es und bekommen es täglich aus den eigenen Reihen gesagt: Wer die Bundeswehr auf hohem Niveau halten will, der muss sie haushaltsmäßig gut ausstatten und muss die politische
Führung auswechseln. Das ist das Gebot der Stunde.“
Technische Anmerkung zur Wiedergabe dieses archäologischen Videos: Wer mit dem Timecode bei VLC nicht klar kommt, kann auch immer noch original den Realplayer nehmen …
http://www.chip.de/downloads/RealPlayer_12996793.html
(Ich hoffe, der Link ist OK. Adware beachten und ggf. nicht mitinstallieren)
Ehe sich hier alle in Nostalgie verlieren: Auf die damalige rot-grüne Bundesregierung folgte eine große Koalition, darauf eine schwarz-gelbe Regierung, dann wieder eine große Koalition… Wer die damaligen Oppositionsstimmen jetzt lobend erwähnt, sollte auch im Auge haben, was sie umgesetzt haben, als sie an die Regierung kamen.
@T.W.
Sehr guter Einwand. Tatsache ist doch, dass hier – beginnend mit einer rein politischen Lagebeurteilung – ein gigantischer mission creep statt gefunden hat, der von der Politik immer nur stark zeitverzögert abgesegnet wurde, weil man die militärischen Realitäten/Lageentwicklung einfach nicht mehr verleugnen konnte…..und das auf dem Rücken der BW.
Sehe das eher am Sachargument als am Boten. Die strukturellen Probleme, die heute (meist nur noch außerparlamentarisch) formuliert werden, waren 2001 schon erkannt.
Dass das im Politzirkus nur von der Opposition geäußert wird und bei Übernahme von Regierungsverantwortung plötzlich vergessen ist, erscheint mir inzwischen als Naturgesetz deutscher Politik.
Wir haben es also nicht mit einem Erkenntnisdefizit zu tun, es hapert am politischen Willen bei der Umsetzung.
Vielleicht ein kleiner Randaspekt: Diese Debatte war am 22.12.2001. Am 18. Dezember 2001 wurde in Brüssel ein Vertrag über die Lieferung von 196 A400M geschlossen … (der dann erst mal wieder auf Eis gelegt wurde …)
Die damalige Regierung hat in dieser Zeit viele neue Waffensysteme bestellt, die uns heute wegen struktureller Fehler und Unterfinanzierung auf die Füße fallen.
Und was haben wir daraus gelernt?
Wenn ich u.a. in Richtung Mali und Irak schaue, dann habe ich den Eindruck:
Viel zu langsam und viel zu wenig.
@ Memoria | 09. Dezember 2014 – 19:49
Seit wann ist unser aktuelles politisches System lernfähig?
Dem Kreislauf der Verfassungen bei Aristoteles folgend folgt auf die Demokratie die Monarchie, da muss man nicht mehr auf den Pöbel hören oder gar lernen …