Schwieriger Lesestoff (auch für mich): Die neue Friedensethik der Evangelischen Kirche
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat eine neue Friedensdenkschrift als Leitlinie einer – offenkundig ebenso neuen – Haltung zur Friedensethik vorgelegt. Gerechten Frieden schaffen in unruhigen Zeiten ist das 150 Seiten umfassende Papier überschrieben. Und manche der Aussagen dürften harter Stoff vor allem für die sein, die von den christlichen Kirchen eine Absage an alles Militärische erwarten.
Dem am (heutigen) Montag auf der EKD-Synode in Dresden veröffentlichten Papier ist eine Kurzfassung vorangestellt, sozusagen das executive summary. Und schon das hat es in sich.
So dürfte die Überschrift des ersten Punktes dieser Zusammenfassung im christlichen Umfeld unstrittig sein: Angesichts der Grausamkeit von Tod, Vergewaltigung, Verletzung und Traumatisierung durch bewaffnete Konflikte muss der Schutz vor Gewalt im Zentrum der Bemühungen von Politik, Zivilgesellschaft und Kirche stehen, heißt es zu Beginn. Weiter ausbuchstabiert lässt sich der absehbare Streit über die Bedeutung aber schon ahnen: In Verteidigung muss
investiert werden, denn sie dient dem Schutz von Menschen,
Rechten und öffentlicher Ordnung. So wichtig dieser Schutz-
auftrag ist, so sehr bedarf es des richtigen Augenmaßes beim
Ausbau der militärischen Kapazitäten.
Die Bedeutung Hybrider Kriegführung, differenzierter Präventionsstrategien gegen Terrorismus oder die Forderung Politisches Handeln muss einer Herrschaft des Rechts statt der Macht des Stärkeren dienen dürften wiederum Konsens sein. Doch mit der Aussage Klimagerechtigkeit ist integraler Bestandteil der Friedenspolitik droht bereits wieder Zoff in der deutschen Debatte, denn die Bedeutung der Daseinsvorsorge auch und gerade im Bezug auf den Klimawandel wird längst nicht gesamtgesellschaftlich geteilt.
Extrem gewöhnungsbedürftig für alle, die in der Vergangenheit die Friedensethik der Evangelischen Kirche beobachtet haben, ist die Position zur Atomwaffen:
Ethisch ist die Ächtung von Atomwaffen aufgrund ihres ver-
heerenden Potenzials geboten. Der Besitz von Nuklearwaffen
kann aber angesichts der weltpolitischen Verteilung dieser
Waffen trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht
eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten
bedeuten könnte. Dies führt in ein Dilemma: Egal welche Op-
tion gewählt wird, die Verantwortlichen machen sich schuldig.
Das wird für viele ein Punkt sein, an der sie ihrer Kirche kaum noch folgen wollen, und vermutlich eine der Aussagen, die am heftigsten diskutiert werden dürfen. Heftige Debatten, wenn auch aus anderen Gründen, wird es bei der Forderung geben
In der Frage einer allgemeinen Dienstpflicht – etwa in Form
eines sozialen, zivilen Friedensdienstes oder eines alternati-
ven Militärdiensts – regt die Denkschrift eine gesellschaftliche
Debatte an. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft
wird neu zu bedenken sein, wie gemeinschaftliche Verantwor-
tung für Schutz, Versorgung und soziale Kohäsion organisiert
werden können.
– denn schon am Begriff alternativer Militärdienst werden sich die Geister scheiden.
Die ganze Denkschrift zum Download und Nachlesen hier – und in den Details muss ich auch erstmal lesen.
(Dringende Bitte, die Diskussion sachlich zu führen. Ich ahne nämlich schon einige absehbare Aussagen. Danke.)
Angesichts der von Ihnen gewählten Überschrift schwante mir schon wieder Übles (ähnlich einiger Aussagen aus der Käßmann-Ära), jedoch bin ich ehrlich überrascht. Es scheint, als habe man wirklich mit sich gerungen und letztlich eine der Zeit angemessenel, ethische Betrachtung gefunden. Völlig ohne Ironie: Respekt!
Erstaunlich differenziert. So schlimm sind die Aussagen nicht, eher realistisch, hätte ich nicht erwartet.
Ich glaube das es ohne eine Wehrpflicht oder Dienstpflicht nicht gehen wird. Anders wird die benötigte Manpower nicht zusammenkommen.
Auf den ersten Blick ist das Dokument weit besser geworden als erwartet. Noch besser wäre es gewesen, wenn die Autoren u.a. Augustinus und Reinhold Niebuhr als Vordenker des christlichen Realismus auch namentlich erwähnt hätten, da sie ja offensichtlich an deren Gedanken anknüpfen.
Während die Positionen der Kirchen zu sicherheitspolitischen und militärischen Fragen für die breitere Gesellschaft irrelevant geworden sind, sollten sich christliche Soldaten bereits tiefer mit der Ethik ihres Standes befasst haben, so dass sie im Dokument wenig Neues finden werden. Positiv ist aber in jedem Fall, dass die Perspektive der Amtskirche nun auch den erwähnten christlichen Realismus wieder mit einschließt, der zumindest in Deutschland lange nur im Untergrund wirkte, und dass manche gesinnungsethische Verirrung der Vergangenheit nun überwunden zu sein scheint.
Allerdings sieht man, dass die Autoren mit der Berufung des Soldaten fremdeln, da sie diese ausschließlich aus der Außenperspektive betrachten. Aus der Innenperspektive müsste ein solches Dokument die Frage beantworten, wie das christliche Idealbild des kriegstauglichen Soldaten aussieht. Hier findet man bei kriegserfahrenen Vätern der Inneren Führung wie Wolf Graf von Baudissin mehr tragfähige Impulse als in der Schrift der EKD.
Kurz gesagt: Die Lutherische Kirche kehrt zu Lutherischer Ethik zurück.
Überraschend aber begrüßenswert.