Lesestoff: Estland geht von russischer Bereitschaft zur Konfrontation mit der NATO aus
Russland verstärkt nach Einschätzung des estnischen Auslandsgeheimdienstes seine Truppen an den Grenzen zu den baltischen Staaten und dem neuen NATO-Mitglied Finnland. Moskau richte sich offensichtlich auf eine militärische Auseinandersetzung mit der Allianz in den nächsten zehn Jahren ein.
Der Auslandsgeheimdienst (Välisluureamet) legte am (heutigen) Dienstag seinen jährlichen Bericht vor (auch auf Englisch). In der Übersicht unter dem Titel Internationale Sicherheit und Estland 2024 werden vor allem die Auswirkungen einer geplanten russischen Militärreform analysiert, die sich vor allem auf den Norden Europas auswirken könnte.
Eine der Kernaussagen in dem Bericht:
The objectives of Russia’s military reform reflect the leadership’s vision of the resources required for the conflict with Ukraine and prolonged confrontation with the West.
Russia presents its military reform as a response to NATO’s expansion, probably anticipating a possible conflict with the alliance within the next decade.
Russia’s goal is to achieve military dominance in the Baltic Sea region. For Estonia, Russia’s military reform entails a significant increase in Russian forces near the Estonian border in the coming years.
Die Konsequenzen sind aus Sicht des estnischen Dienstes, dass ungeachtet der generellen Bemühung um eine Verstärkung der russischen Streitkräfte die Hauptanstrengungen gegen den Westen gerichtet sind: If Russia manages to implement the reform, NATO could face a Soviet-style mass army in the next decade. Der ganze Abschnitt im Kontext:
Although Russia plans to strengthen all strategic directions, including organising naval infantry brigades into divisions and establishing five regional artillery divisions, the highest priority for force generation lies in the Western strategic direction and Ukraine. The Kremlin is preparing for a prolonged conflict with Ukraine, necessitating additional armies and army corps (3rd and 40th Army Corps, 18th Army and 25th Army), for which dozens of new manoeuvre, combat support and combat service support units are being formed.
The second priority region is the Finnish direction, where Russia’s military posture was minimal until Finland’s recent accession to NATO. Russia plans to create the 44th Army Corps, likely based in Petrozavodsk, to address this. This formation will probably be built around at least two or three manoeuvre units with around a dozen fire support and combat support units.
The growth of Russian military capabilities in Estonia’s vicinity in the Leningrad and Pskov Oblasts primarily results from the potential transformation of existing units into divisions. According to one possible scenario, the personnel strength of Russian land forces and airborne troops in the Estonian direction may nearly double from approximately 19,000 before 24 February 2022. The extent to which these units will achieve combat readiness depends on Russia’s ability to recruit, train and retain contracted service members.
The success and timeline of Russia’s military reform will be largely determined by the course of the war in Ukraine. If Russia manages to implement the reform, NATO could face a Soviet-style mass army in the next decade. This army is likely to be technologically inferior to NATO allies’ defence forces in most areas, except for electronic warfare and long-range strike capabilities. However, its military potential would be significant, owing to its size, firepower (including artillery and numerous inexpensive combat drones), combat experience and reserves. Defending against a possible conventional attack from such an army would require allied defence forces and defence industries to be significantly more prepared, capable and better-stocked with ammunition and materiel than they currently are.
Putin hat doch bei dem Interview mit Tucker Carlson ganz klar gesagt, er habe kein Interesse an dem Baltikum oder Polen.
Genauso hat er sich 2013 zur Krim geäußert. Finde den Fehler.
Ablenkung – Maskirovka … Si vis pacem. para bellum.
Wann wacht DEU auf ?
Nun ja, Estland ist eben möglicherweise die erste Beute bzw. ein Testfall: was, wenn RUS die Stadt NARVA mit KGM („Kleine grüne Männchen“) besetzt?
Die drittgrößte Stadt, direkt an der Grenze zu RUS und zu 95% mit russischstämmigen Einwohnern, also eigentlich eine „russische“ Stadt in Estland. Die Identitätspolitik Estland tut ein Übriges.
Also würden wir für die Befreiung einer „russischen“ Stadt und deren Einwohner, die ggf. zum Großteil mit ihrer Regierung nichts am Hut haben in den Krieg ziehen? Das Szenario wurde hier kurz angesprochen:
https://www.youtube.com/watch?v=_i1u79RryRc&list=LL&index=115
Wir wissen seit heute: Captain Obvious is Este.
[Oh, Ihr erster Kommentar hier! Und gleich so inhaltsschwer! T.W.]
@ Pio-Fritz; 13.02.2024 um 21:08 Uhr
Der war echt gut! Aber Putin lügt seit Amtsantritt wie ein Berserker…zudem hatte er bereits 2012/2013 bei einem Kongress voller überzeugter russischer Oligarchen den Traum von der Rückkehr eines Zarenreiches und den Grenzen der UDSSR geträumt. Ganz offen sah er auch seinen Einflußraum bis nach Portugal….
Was ich schon seit Monaten sage: Fällt die UKR, fällt auf lange Sicht irgendein ehemaliger Sowjetsatellitenstaat!
Putin und seiner Verbecherbande ist es egal das alles auf Kriegswirtschaft getrimmt wird. Sollen die Menschen doch frieren, 900 Rubel (knapp 10€) für 5 Eier und Brot kaum noch bezahlen können…Hauptsache der T55 rollt als Sturmgeschütz! Schuld hat natürlich der Westen….wer sonst!
Der neue Kalte Krieg mit Russland ist bereits jetzt. Wir können nur hoffen, dass nicht anders als damals der russischen Seite das Geld ausgeht, bevor auch nur ein NATO-Schuss abgefeuert werden muss.
wow Herr Melber voll auf Trump Linie. Mal „warum für Montenegro sterben?“ mal „warum für Narva sterben?“.
wie gut, dass für Sie eh nicht zählt was die Menschen wollen. russisch stämmig = wollen heim ins Reich. (Warum wandern die nicht einfach nach Russland aus?)
@Thomas Melber sagt: 13.02.2024 um 22:01 Uhr
„Die drittgrößte Stadt, direkt an der Grenze zu RUS und zu 95% mit russischstämmigen Einwohnern, also eigentlich eine „russische“ Stadt in Estland. “
Natürlich, sie befindet sich auf NATO-Territorium.
Wenn Sie so argumentieren, frage ich mich, wieso es den Krieg in der Ukraine überhaupt gibt. Das sind doch überwiegend russische Gebiete, die RUS annektieren möchte.
Sie sind gerade voll auf Putins Propaganda eingestiegen.
@Pio-Fritz: Kennt man doch aus der Geschichte:
„Es ist die letzte territoriale Forderung, die ich in Europa zu stellen habe, aber es ist die Forderung, von der ich nicht abgehe!“ (Adolf Hitler am 26. September 1938 im Berliner Sportpalast, betreffend das Sudetenland, drei Tage vor Unterzeichnung des Münchener Abkommens)
„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten…“ (Walter Ulbricht, am 15. Juni 1961, knapp zwei Monate vor Abriegelung der innerdeutschen Grenze durch die Berliner Mauer)
„Russland bedroht niemanden und hat nie jemanden bedroht.“ (Kreml-Sprecher Dmitri Peskov am 2. April 2021, ein Dreivierteljahr vor dem Überfall auf die Ukraine.
„Weil wir kein Interesse an Polen, Lettland oder anderen haben. Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.“ (Wladimir Wladimirowitsch Putin am 8. Februar 2024 im Interview mit Tucker Carlson)
Verschiedene Akteure, aber immer dasselbe Muster…
Frage speziell zur finnischen Grenze:
Voriges Jahr hieß es noch das große Truppenkontingente abgezogen wurden, wohl Richtung Ukraine (https://foreignpolicy.com/2022/09/28/russia-ukraine-war-nato-eastern-flank-military-kaliningrad-baltic-finland/).
Werden jetzt nur wieder die alten Sollstärken aufgefüllt oder ist mit mehr Soldaten zu rechnen?
Die Esten haben die Lage für sich sicherlich realistisch eingeschätzt – nur ändern wird das nix. Der große Bruder von jenseits des Teiches ist im Moment paralysiert, aber Januar 25 vielleicht sogar irrational isolationistisch, GB liegt wirtschaftlich und militärisch am Boden, Frankreich hält sich auch aus allem raus und DEU verbleibt im sicherheitspolitischen Takka-Tukka-Land.
Man kann für die Esten nur hoffen, dass es Polen zeitnah gelingt, das Ergebnis ihrer Shoppingtour auch in echte Truppen zu verwandeln.
Das Problem sehen viele, die Lösungen sehen wenige und bereit, diese an die Bevölkerung zu kommunizieren sind dann noch weniger.
Man muss sich nur die Talkshows des russischen Staatsfernsehens anschauen. Dort werden seit 2022 von sog. Experten wiederholt militärische Szenarien durchgespielt, wie man das Baltikum erobern könnte. In einer Live-Sendung des Fernsehsenders Rossiya 1 skizzierte der Kreml-nahe Experte Ex-Oberst Korotchenko schon im März 2022 seinen militärischen Eroberungsplan für das Baltikum.
Im Oktober 2023 wies der russische Gouverneur Jewgeni Balitski in einem Fernseh- Interview darauf hin, dass Russland demnächst weitere Gebiete zu erobern gedenke, er verwies darauf u.a. auf das Baltikum ( „ Russland in den Grenzen von 1917“. )
@Paul
„Die Esten haben die Lage für sich sicherlich realistisch eingeschätzt – nur ändern wird das nix. “
Nun, da jetzt selbst die SPD über eine EU Atombombe nachdenkt, würde ich schon sagen, dass sich manche Dinge ändern (aber warum haben wir eigentlich teuer F35 gekauft, wenn nicht auch die Nukleare Teilhabe damit?). Auch wenn Russland jetzt auf Kriegswirtschaft umgestellt hat – das reicht aktuell vielleicht für die Ukraine, wenn die weiter kaum unterstützt wird, aber gegen die Nato noch lange nicht, auch wenn die USA unter Trump wegfallen würden (oder Putin gar „ermuntern“) .Aber wenn natürlich die nächsten Jahre nichts oder zuwenig passiert (Munitionsherstellung und so), dann verschiebt sich natürlich das Kräfteverhältnis zugunsten Russland. Also ja, wirklich ändern sollte sich schon etwas. Es geht nur langsam.
Etwas OT: RUS Narrativ – man sieht sich von NATO bedroht weil RUS Militaer im Gegensatz zu NATO keine Angrifssarmee ist. Was ist den genau die Definition von Angrifssarmee und Verteidigungsarmee und welche Waffensysteme / Truppengattungen sind Indikatoren fuer das eine oder das andere? Vielen Dank fuer den tollen Blog!
@lukan: Ob die F35, wenn sie in DEU verfügbar sein werden, tatsächlich (noch) im Rahmen nuklearer Teilhabe strategisch verwendbar sind oder nicht, könnte im Nov. 2024 geklärt sein… Erschreckend ist für mich: wird politisch ein Horror-Szenario angedacht, wird das zerredet. Wird dasselbe Szenario nicht angedacht, wird auch das zerredet. Vielleicht sollte man es mit Einstein halten: „Es gibt viele Wege zum Glück. Einer ist mit dem Jammern aufzuhören.“
@Citoyen Atlantique
Beantwortung Ihrer Frage findet sich in jeweiliger Militärdoktrin, ff der strategisch-operativ bestimmten Dislozierung aufbauend auf entsprechendem Fähigkeitsprofil.
Vielen Dank für die Bereitstellung des Dokumentes!
Ich finde auch besonders das Vorwort sehr lesbar, da es doch ungeschminkt und in einer erfrischenden, aber auch erschreckenden, Klarheit die aktuelle Lage aus Sicht der Esten wiedergibt, aber auch China nicht aus den Augen verliert und eine Einordnung gibt.
Ich habe zwar keine Verbindung nach Estland und kann es daher nicht prüfen, nach lesen des Berichtes glaube ich aber, dass die Ernsthaftigkeit, notwendigen Ableitungen und möglicherweise auch Härten die die Bedrohung von Putin ausmacht, den Esten mehr als uns bewusst ist. Ich habe mich ja auch kritisch zu der neuen Brigarde geäußert, merke aber, dass ich zunehmend von meiner Kritik abrücken möchte.
Daher nochmal vielen Dank für das bereitstellen des Dokumentes – es hat mich (und tut es noch) zum kritischen Nachdenken angeregt.
@Citoyen Atlantique
Das Niveau der russischen kognitiven Dissonanz sollte man einfach ignorieren. Wenn Russland keine Angriffsarmee hat, was macht diese dann eigentlich in der Ukraine?
Besonders abartig ist ja die Definition von Eroberung für Russland. ALLES zerstören (mit Bombardierung und Artillerie) und dann über die Ruinen herrschen. Das ZDF führt man dann noch bezüglich des Pseudoaufbaus in die irre.
@Micha
Werden jetzt nur wieder die alten Sollstärken aufgefüllt oder ist mit mehr Soldaten zu rechnen?
Schauen sie mal im Bericht unter Ziffer 1.2. Da wird der Aufwuchs detailliert beschrieben. Das geht weiter über die Sollstärken von Anfang 2022 hinaus.
pi
Im Norden Europas ist man längst aufgewacht, Beispiel aus Schweden:
In Jahr 2023 bewarben sich 29.101 Schweden um den Beitritt zur Heimwehr, 619 Prozent mehr als im sonstigen Jahresdurchschnitt.
Umgerechnet auf Deutschland wären das 230.000 Bewerbungen allein für die Reserve der Bundeswehr.
Russland hat auf Kriegsproduktion umgestellt und kann dabei aufgrund der Sanktionen auf viele Arbeitslose zurückgreifen. Jede Produktion, welche wegen den Sanktionen still steht, wird umgemünzt in die Waffenproduktion.
Sobald Kapazitäten für die Wiedernistandsetzung der Depotfahrzeuge für den Ukrainekrieg frei werden, wird alles auf neues Gerät konzentriert. Damit wird dann auch die NATO ihre Probleme bekommen.
Niemand wird Putin und sein Gefolge davon abhalten diesen Plan und eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Uns bleibt nur die Gaubwürdige Abschreckung und das heißt einfach, zusammen stehen und Nachrüsten. Ob es uns nun gefällt oder nicht.
Auch wenn sich hier Parallelen zum Kalten Krieg und der letztendlich gemeinsamen Aufrüstung beider Seiten abzeichnen: Die Frontlinien sind heute anders und das sollte sich auch in der Strategie der NATO-Länder abbilden. Was kann man da erkennen?
Ich habe den Eindruck, dass insgesamt betrachtet der höchste Nachholbedarf der NATO-Länder bei den Landstreitkräften liegt – samt angemessener Vorwärtsstationierung. Mit dem jetzt hinzugekommenen Finnland ist die direkte Grenze zwischen NATO und Russland/Weißrundland enorm lang.
Was nützen da einem die Flugzeugträgerkampfgruppen, die es maximal bis ins Mittelmeer, das Nordmeer und in die Nordsee schaffen? Vielleicht schaffen es ja auch ein paar Zerstörer in die Ostsee oder das schwarze Meer. Für die Abschreckung und notfalls den Kampfeinsatz im Baltikum oder Polen ist dies zu wenig und/oder zu weit weg. Da sind schlagkräftige und mobile Land-Einheiten mit sehr guter Verteidigung gegen Angriffe aus der Luft sowie logistischer Unterstützung aus meiner Sicht wichtiger.
Aus diesem Grund halte ich den von Deutschland angegangen nachhaltigen Aufbau einer Brigade in Litauen, der Aufstellung von mittleren Kräften sowie der gestaffelten Abwehrfähigkeit gegen Flugkörper aller Art für genau den richtigen Weg. Dieser Weg muss jetzt aber natürlich über die kommenden Jahre konsequent weiter gegangen werden.
Was die Luftwaffe anbelangt, so haben wir mit der Eurofighter-Beschaffung und -entwicklung und sowie der F35-Beschaffung ebenfalls bereits den Weg zu höherer Durchsetzungsfähigkeit eingeschlagen. Auch hier gilt es, einfach dran zu bleiben und diesen Weg konsequent weiter zu gehen.
Mithilfe einer im Grundhaushalt fest verankerten „2% des BIPs“-Finanzierung lässt sich dies auch dauerhaft umsetzen.
Um eine hohe Einsatzfähigkeit zu erhalten und durchzuhalten, muss meiner Meinung aber auch folgender Wechsel stattfinden: Serienbeschaffungen sollten auf Basis von qualifizierten Mustern stattfinden (z.B H145m) statt wie bisher die Qualität erst nach Abschluss der Serienbeschaffung (z.B. Puma) herzustellen. In der jetzigen Marktlage haben die Hersteller mittlerweile genügend Finanzkraft um Musterentwicklungen eigenständig vorzunehmen (z.B. Rheinmetall).
Ein Beispiel: Wir weiten den Leasingvertrag für die Drohnen Heron TP aus. Derzeit sind 5 Einheiten bis 2027 geleast. Von der Eurodrohne sollen 21 an die Bundeswehr gehen. Ich vermute, dass die Einsatzfähigkeit der Serien Eurodrohnen erst Anfang der 30er Jahre erfolgt. Wenn der Bedarf also bei 21 Drohnen liegt, dann kann man ja das Heron TP leasing kontinuierlich auf mehr Einheiten ausweiten und bis in das nächste Jahrzehnt hinein fortführen. So ergibt sich dann ein Übergang von einem Muster auf das andere ohne einen zeitweisen Verlust einer wichtigen Fähigkeit. Dieses Prinzip sollte natürlich auch für alle „Ersatz“-Beschaffungen eingeführt werden. Davon sind wir heute noch sehr weit weg, was man anhand der existierenden Fähigkeitslücken erkennt.
Russland wird mit militärischer Gewalt die im NATO-Raum eingeschlossene und unterdrückte russischstämmige Minderheit aus der Apartheit befreien, worauf die NATO zur Aufrechterhaltung der Regelbasierten Ordnung, dem Völkerrecht und der Bündnisverpflichtung erst gegen russische Invasionstruppen und in logisch folgender Konsequenz gegen Russland rollt.
Dass in einem Satz zwei unvereinbare Narrative/Standpunkte und der Dritte Weltkrieg stecken ist unschwer ersichtlich. Was nicht jedem einleuchtet ist, ist dass man dann auch gewinnen wollen und können muss.
Eigentlich die Grundlage im Blogeintrag zur differenzierten und sachlichen Debatte unter interessierten Bürgern vom Hausherrn geboten. Und was wird draus gemacht? Von „Remigrationsempfehlung“ bis „Scheiß auf Bündnisse und Völkervertrags-/Völkerrecht“ wurde ja schon geboten 😣
Ich frag mal anders:
– Wie hoch muss der für die russische Elite sicher eintretende Preis sein, dass sie sicher davon Abstand nimmt, die territoriale Integrität eines NATO-Mitglieds in Frage zu stellen?
– In Weiterung: Wie schaffen wir es, hybride Aktivitäten mit einem effektiven Preisschild zu versehen?
– Und um nicht ne Zielscheibe auf uns zu klatschen, wie schaffen wir es, dass in allen EU-Staaten die ratifizierten Freizügigkeits- /Bürgerechte vollumfänglich zum tragen kommen?
Kleiner Tipp: Frage Drei ist zwar gleichermaßen wichtig aber hier OT /SCNR
@ AoR
„– Wie hoch muss der für die russische Elite sicher eintretende Preis sein, dass sie sicher davon Abstand nimmt, die territoriale Integrität eines NATO-Mitglieds in Frage zu stellen?
– In Weiterung: Wie schaffen wir es, hybride Aktivitäten mit einem effektiven Preisschild zu versehen?“
Ich glaube nicht, dass das die entscheidenden Fragen sind. Denn sie setzen voraus, dass das Konzept der Abschreckung bis hin zur nuklearen Eskalation auch bei einem Angriff „nur“ auf das Baltikum das große Kriterium einer russischen Entscheidung sein werden.
Wir sehen aber, dass Russland in seinem revisionistischen Ansatz eine opportunistische Vorgehensweise verfolgt. Die Tests auch gegen NATO-Staaten (Anschläge mitten in Berlin, nur als Beispiel) sind keine Neuigkeit und erprobtes russisches Konzept.
Wenn wir dem das Konzept „Preisschild“ und „nukleare Abschreckung“ entgegensetzen, dann laden wir den Kreml zum Testen ein. So ein Test kann bis zum lokalen Angriff auf baltisches Territorium gehen …. und dem ist nur zu begegnen, wenn die NATO-Bodentruppen in jeder Eskalationsstufe unterhalb solcher lokalen militärischen Tests im möglichen Operationsgebiet überlegen wären. Wovon wir heute weit, sehr weit entfernt sind.
Alles andere ist „hoffen auf Uncle Sam“ …. im Zeichen einer Abwendung der USA von Europa sollten wir uns darauf aber nicht mehr verlassen (müssen).
@ Zeitgeist:
„Niemand wird Putin und sein Gefolge davon abhalten diesen Plan und eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Uns bleibt nur die Gaubwürdige Abschreckung und das heißt einfach, zusammen stehen und Nachrüsten. Ob es uns nun gefällt oder nicht.“
Gefällt mir.
@Dominik und andere Ironie- oder Denkansatz-Nicht-Versteher:
Ihr „Scholz ist ein Verrecker“ setzt sich leider weiter fort. Froh bin ich, daß es hier auch Nicht-Binäre Denker gibt.
@AoR
Wir sind doch viel zu weich, die russische Elite wirklich „auszusperren“. Die paar hundert direkt sanktionierten. teilweise waren einige davon trotzdem in Italien oder Kroatien mit Family im Urlaub. Die Familien dürfen ja eh noch alles. Das über Istanbul fliegen ist eventuell etwas lästig, aber so schlimm auch nicht. Manche Familienmitglieder der schlimmsten Propagandisten leben glatt dauerhaft im Luxuspenthouse im Westen.
Von den ganzen Putin Fans hier in Europa unter „Normalos“ – ob ethnisch russisch oder auch nicht – ganz abgesehen. Die werden ihren Führer immer unterstützen. Und einige kriegen schlicht Geld. Gibt ja trotz allem genug Reisende nach Russland. nimmt man eben immer 9900 Euro mit…
Auch „wir“ kaufen munter weiter diverse Metalle etc. in Russland.
Dass gerade die Balten sehr nervös auf den potenziell wieder ins Weiße Haus einziehenden Kantonisten und Schwadroneur Trump schauen, der aus innenpolitischem Kalkül alle Gestaltungsmöglichkeiten einer regelbasierten Weltordnung umzuschmeißen gewillt ist, kann ich gut verstehen.
Daher muss auch die EU entsprechend handeln, die diesbezügliche Beistandsklausel ist ohnehin sehr viel eindeutiger als die in Artikel 5 („Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.„).
Was z.B. die Türkei im Falle eines Angriffs auf Griechenland „für erforderlich erachtet“, (oder umgekehrt), steht nämlich m.E. in den Sternen.
@Thomas Becker
Was ist die entscheidende Frage?
Lieber rot als tot? Das sollte jeder für sich gedanklich beantworten.
Der US-Präsident und deutsche Verteidigungsminister waren sehr eindeutig in Ihren Worten zu diesem Thema.
Klingt nach rotem Wunschdenken.
> Estland geht von russischer Bereitschaft zur Konfrontation mit der NATO aus
1. Nur weil (nicht Estland, sondern die estnische Regierung) davon ausgeht, oder das behauptet, muss es nicht so sein. Natürlich ist es nur eine, von hunderten, Behauptung um den Widerstand in der Bevölkerung gegen die massivste Kriegsrüstung seit dem ersten Weltkrieg zu minimieren.
2. Nehmen wir an, es wäre so, so würde sich die Frage stellen, wie das kommt (denn es war ja vorher nicht so).
a) Könnte es daran liegen, dass die USA-EU-Regierungen die NATO zusagenwidrig immer weiter nach Osten erweitert haben, in dem Wissen, die russsische Regierung würde das als Bedrohung empfinden? Seit 1989 hat jede russische Regierung ausdrücklich und öffentlich darauf hingewiesen.
b) Könnte es daran liegen, dass die USA Atomwaffen direkt vor der russsichen Haustür geparkt haben (in Deutschland, den Niederlanden, Italien und in der Türkei), was die russische Regierung ebenfalls als Bedrohung empfindet. So hatten die USA in den 60ern schon die Kubakrise und fast den dritten Weltkrieg ausgelöst, US-Atomwaffen in der Türkei.
c) Könnte es daran liegen, dass die USA und die EU versucht haben, die Ukraine wegen Agrar- (Weizen, Mais) und Montanrohstoffen (Lithium, Uran, das Rusan will Frankreich, weil ihr Zugriff in Afrika darauf immer schwieriger wird) unter Kontrolle zu bekommen, was die russische Regierung als Bedrohung ihrer wirtschfatlichen Interessen empfindet?
d) Könnte es daran liegen, dass die USA auf den russischen Militäraufmarsch an der ukrainischen Grenze gezielt provozierend reagierten, statt deeskalierend und öffentliche Aufforderungen der russischen Regierung zu Verhandlungen (um Beseitigung der Probleme a und b zu erreichen, wurde ebenso öffentlich gesagt, die Medien verbrieteten es sogar, verwunderlich) brüsk und ebenso öffentlich zurückwiesen? Das können die USA nicht übersehen haben, dass das gezielt geschaffene Verhandlungsmasse war.
oder e) Könnte es daran liegen, dass die USA und ihre „Verbündeten“, wie die das nennen, namentlich EU und Israel, seit geraumer Zeit handeln, als würden sie einen dritten Weltrieg geradezu provozieren wollen (Versuch die Ukraine unter Kontrolle zu bekommen durch die USA und EU, Israel nutzt die Kämpfe mit der selbst finanzierten Hamas als Vorwand nach allen Seiten in siraelisch besetzte Gebiete, Westjordanland, Syrien, Libanon, ihre Angriffe zu verstärken, nachdem die Hisbollah sich aber nicht provozieren lässt, sagt die israelische Regierung offen, dass sie den totalen Krieg bis zum endgültigen Sieg wollen (wer war das noch, der das schonmal sagte?) und immer weiter angreifen werden, und jetzt wollen die Grünen, DIE GRÜNEN, und alle die anderen Schwachmaten, nachdem sie die Atomkraftwerke wegen der gefährlichen radioaktiven Strahlung abgeschaltet haben noch mehr Atomwaffen in der EU als ohnehin schon blödsinnigerweise vorhanden sind, was für Russland aller Voraussicht nach der casus belli sein wird)?
Wer ist da der Feind, frage ich mich. Und sollte man sich als Stabsoffizier weiter von Rundstedt als Vorbild nehmen oder doch lieber von Tresckow und von Stauffenberg?
[Könnte es sein, dass Sie hier ziemlich wortgetreu die üblichen Propagandanarrative abspulen? Ich hätte mal als Fortbildung zum Thema „die NATO zusagenwidrig immer weiter nach Osten erweitert“ einen Tipp:
https://augengeradeaus.net/2024/01/sicherheitshalber-der-podcast-folge-80-ist-die-nato-osterweiterung-schuld-an-russlands-krieg-gegen-die-ukraine/
T.W.]
@Pio-Fritz
„…Genauso hat er sich 2013 zur Krim geäußert. Finde den Fehler.“
Bzgl der Krim hatte die Russische Regierung wohl 2013 tatsächlich keine Absicht Einzumarschieren. Geostrategische Erwägungen änderten lt. meinen Recherchen in westlichen Medien seinerzeit Russlands Änderung des Verhaltens ein. Estlands Sorge, ein Angriffsziel Russlands zu werden, mag in Bezug auf ihre Nichtbürger berechtigt sein. Hängt m.E. von Russlands Innenpolitischen Interessen mit ab. Wichtiger ist für mich die Frage: Welchen Preis sind wir dt Bürger bereit zu tragen? Wollen wir freien Zugang zu Atomwaffen? Wollen wir einen Erstschlag verüben, im Notfall? Denn ein Einmarsch Russlands in Estland, wäre ein NATO-Bündnisfall. Und unsere Politiker rufen gerade lautstark nach Atomwaffen für dieses unser Land.
@ Zeitgeist sagt: 14.02.2024 um 18:20 Uhr
„Uns bleibt nur die Gaubwürdige Abschreckung und das heißt einfach, zusammen stehen und Nachrüsten. Ob es uns nun gefällt oder nicht.“
Mir gefällt Ihre These und ich teile sie, möchte aber ergänzen:
Es wird Zeit, dass wir die Lage in einen (neuerlichen) kalten Krieg festfrieren. Es sterben gerade zu viele Menschen und für eine ja eigentlich wünschenswerte Friede-Freude-Eierkuchen Lösung fehlt es gerade an Partnern.
Mir würde ein neuerlicher kalter Krieg gewiss nicht gefallen.
@ Thomas Melber sagt: 13.02.2024 um 22:01 Uhr
„Also würden wir für die Befreiung einer „russischen“ Stadt und deren Einwohner, die ggf. zum Großteil mit ihrer Regierung nichts am Hut haben in den Krieg ziehen?“
Ich überspringe den sozio- ökonomischen Kontext, das war hier genug Thema in den letzten Jahren.
Wir sollten die russischen Minoritäten im Baltikum und in der EU aber bitte differenzierter betrachten. Auch in diesen Milieus ist der Unterschied bekannt, ob man als Russe in Russland oder als Russe im Baltikum/in der EU lebt.
Und natürlich kämpfen wir auch für russischstämmige Menschen. Ganz einfach deshalb, weil wir für alle Menschen kämpfen, ohne diesbezüglichs Ansehen der Person. Allein schon aus der tiefen Überzeugung heraus, auch diesen Menschen das bessere Angebot zu machen und dieses letztlich zu verteidigen.
Und natürlich schaffen wir es, auch Narvik zu verteidigen. Die Lage West-Berlins war auch keine Einfache und es hat funktioniert.
Eventuelle taktische Überlegungen, wie Erklärung zur offenen Stadt usw. spare ich bei dieser Aussage bewusst aus.
@Thomas Becker:
Ich denke, was die Kriterien in vorliegendem Szenar, eingedenk stehender Erkenntnisse aus dem ukraine-Feldzug, seitens russischer Eliten deutich die Innenpolitik im Sinne des eigenen Machterhalts der vorzufindenden bestehenden Strukturen der Macht – ist ( AP/SiPo sind auch Innenpolitik ).
Wo ich noch Stocke ist der von Ihnen aufgeworfene Begriff des „Testens“: In meiner Begriffswelt ist „Testen“ doch die Entbindungsstation der Hybriden Kriegsführung z.Zt des kalten Krieges, Hybrid, da man immer versucht unterhalb der Schwelle der doktrinalen Kriegseintrittserklärung des Gegenübers zu bleiben. Eine klausewitzsche Betrachtung mit „Krieg als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“ verortet Hybride Kriegsführung als eine Politik nahe der Eintrittserklärung des Gegenübers in den tatsächlichen Krieg. Daher wäre ein Angriff auf einen Bündnispartner Krieg, Alles andere ganz normale Politik.
Die Esten analysieren hier ein Szenar des Krieges weit innerhalb der NATO Doktrin und warnen vor einer Eintrittswahrscheinlichkeit, welche einerseits bestimmbar und auch beeinflussbar ist. Zurück zum Beginn meiner Argumentation muss also der Preis im Sinne des Angreiferkalküls so hoch sein, dass die W’keit nahe Null steht. Dies ist nur dann der Fall, wenn die NATO jederzeit und glaubwürdig die Fähigkeit besitzt einen Krieg mit Russland soweit zu bestehen, dass das Ende der bestehenden Strukturen der Macht Russlands in vorliegender Form sicher nicht mehr fortgeführt werden. Hieraus schließe ich auf die notwendige „Force Posture“ der Nato an der gesamten Ostflanke. (Und nein, gibt Russland im Szenar auf wenn Invasionstruppen geworfen, dann rollt im Sinne des Völkerrechts keiner nach Moskau, dennoch muss die Fähikeit glaubwürdig in den Bereitstellungsraum)
Daher wie sie bereits formulierten: Auch ohne Uncle Sam sollte die EU die Befähigung besitzen in diesem Krieg zu bestehen. Und ja, jetzt reden wir auch über „die Bombe“. Warum das alles: Weil wir unterstellen, dass Russland bei gegebener Erfolgsaussicht NATO Staaten angreift. Womöglich wäre es aussichtsreicher, wenn wir uns einen eigenen hybriden Baukasten zulegten?
Warum wird bei der Diskussion um „EU-Atomwaffen“ nie der Atomwaffensperrvertrag – Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – erwähnt?
Auszug:
Artikel II
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige
Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder
mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch
sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen
Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.
Die estnische Perspektive ist irgendwo schon nachvollziehbar, aber man hat auch das strukturelle Problem, dass ein St. Petersburg allein fünf Estlands darstellt und somit Estland in Zeiten schlechter Beziehungen bzw. eines neuen kalten Krieges sich immer bedroht fühlen wird.
Auf der anderen Seite ist Tallin für die Nato nicht ansatzweise so bedeutend wie St. Petersburg für Russland. So dass auch Russen imo argumentieren können, dass sie sich substanziell bedroht fühlen.
Ist dann irgenwie schon anders als der Kalte Krieg: Die Nato ist strategisch unangefochten überlegen, aber das „taktische Feld“ Baltikum ist sehr viel schwächer als Westdeutschland.
Von anderen Dingen wie der Verlängerungerung der Konfrontationszone mal abgesehen, die nun nicht mehr auf die innerdeutsche und tschechoslowakische Grenze konzentriert ist, sondern sich vom Nordkap bis zum Kaukasus hinzieht.
Um meinen Gedankengang ein wenig zu konkretisieren: Ich befürworte, dass wir das Baltikum unterstützen und dort eine höhere Truppenpräsenz einrichten. Nur sollte man auch nicht vergessen, dass wir (bzw. unseren englischen Verbündeten) genauso kurz vor St. Petersburg stehen, immerhin der zweitwichtigsten russischen Stadt, wie die Russen vor Tallin. Die Bedrohungslage beiderseitig.
Zitat:“If Russia manages to implement the reform, NATO could face a Soviet-style mass army in the next decade.“
Wie paranoid muss man sein, um das zu glauben? Eine „Soviet-style mass amy“ braucht
1) eine „Soviet-style mass amy“ industrielle Produktionbasis und 2) eine „Soviet-style mass amy“ große Bevölkerung als Rekrutierungsbasis. Beides hat die russische Föderation nicht und beides kann sie, ohne die Rückkehr ihrer ehemaligen Satellitenstaaten, auch nicht wieder erlanngen. Auch dann nicht, wenn es ihr gelingen würde die Ukraine vollständig zu erobern und zu annektieren (womit die russische Armee schon überfordert ist). Da der Großteil der ehemaligen Satelliten heute NATO Staaten sind und die russische Armee nicht gegen die NATO gewinnen kann, wird es diese Konfrontation nicht geben. Nicht in einer Decade und auch nicht in den nächsten zwei Decaden.
Der Blutzoll, den die russische Armee in der Ukraine zahlt ist hoch. Aber er ist nichts im Vergleich zu dem was ihr blühen würde, sollte sie NATO Staaten angreifen. Einen nuklearen Schlagabtausch noch gar nicht eingerechnet. Das gilt natürlich nur, wenn auch alle NATO-Mitglieder zu ihrer Bündnisverpflichtung stehen.
Das Verhalten der Esten zeigt einen eklatanten Mangel an Vertrauen in die NATO. Es wäre also an der Zeit, dass die NATO dafür sorgt, dass das nötige Vertrauen wieder hergestellt wird. Natürlich wird das mit einem Präsidenten Trump nicht leichter.
Zitat:“Although Russia plans to strengthen all strategic directions, including organising naval infantry brigades into divisions and establishing five regional artillery divisions, the highest priority for force generation lies in the Western strategic direction and Ukraine.“
Mal ehrlich, konnten wir etwas anderes erwarten?
Zum einen hat die russische Regierung hat immer formuliert, dass sie in der wachsenden NATO eine Bedrohung ihrer nationalen Sichheitsinteressen sieht. Seit der Westen (also NATO + Freunde) einen nicht durch die UN sanktionierten Wirtschaftskrieg gegen Russland führt ist diese Bedrohung aus russischer Sicht real. Zum anderen hat die russische Regierung nach dem desaströsen Auftritt in der Anfangsphase der Invasion in die Ukraine lernen müssen, wie schlecht die russische Armee auf einen Krieg vorbereitet war. Sie hat lernen müssen, dass ihre „Soviet-style mass army“ Taktiken auf einem modernen Schlachtfeld vor allem enorme Verluste an Menschen und Material produzieren. Sie hat lernen müssen, dass ihre Komandostrukturen zu verkrustet sind, um schnell auf verfügbare Informationen zu reagieren, und sie hat lernen müssen, dass sie ihren Logistikbereich komplett vernachlässigt hat.
Die russische Regierung tut jetzt also nur das, was jede andere (vernünftige) Regierung auch tun würde. Sie baut die Streitkräfte strukturell um und führt neues Material ein. Das geht natürlich nicht ohne zusätzliches Training.
Die einzige Möglichkeit für die Ukraine, diesen Krieg, angesichts schwindendender Resourcen an Menschen und Material, zu gewinnen, besteht in einem direkten Eingreifen der NATO. Da die Hauptbedrohung aus russischer Sicht also aus dem Westen kommt richten sich ihre Verteidigungsanstrengung natürlich auch in diese Richtung aus.
Zitat:“The second priority region is the Finnish direction, where Russia’s military posture was minimal until Finland’s recent accession to NATO.“
Die Verfasser schreiben es selbst. Ohne die finnische NATO-Mitgliedschaft hatte Russland aus dieser Richtung keine Angriffe zu befürchen und deshalb gab es für die russische Regierung auch keinen Grund in Karelien zusätzlich Streitkräfte zu stationieren. Es gab dementsprechen auch keine Bedrohung für Finnland oder Schweden. Ohne die NATO-Mitgliedschaft Finnlands hätte es diese zusätzlichen Stationierungen nicht gebraucht und nicht gegeben.
Für die russische Regierung ist jede zusätzliche Stationierung von NATO Truppen in der Nähe ihrer Grenze eine steigerung der Bedrohung durch die NATO. Da NATO-Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit mehrfach völkerechtswidrige Angriffskriege gestartet haben oder daran beteiligt haben und die NATO selbst seit dem völkerrechtswidrigen Eingriff in den jugoslawischen Bürgerkrieg kein reines Verteidigungsbündnis mehr ist, sind alle diese Reaktionen aus russischer Sicht nachvollziehbar.
Es wird Zeit aus dieser Eskalationsspirale auszusteigen bevor es zu spät ist.
@Someone: Der Unterschied ist ja im Gegensatz zu Russland, dass speziell die NATO nun wirklich keinerlei Veranlassung hat oder Wünsche hegt, auf russisches Territiorium wie beispielsweise St. Petersburg vorzudringen.
Das russische Gefühl der „Bedrohung“ durch die NATO ist essenziell begrenzt auf den Machterhalt der dort Herrschenden.
1. Man kann mit seinen Nachbarn nicht mehr tun, was man will, wenn diese schlagkräftige Freunde haben, die gewillt sind, sie auch unter Inkaufnahme eigener Unbilden zu verteidigen. Das sind natürlich handfeste politische und wirtschaftliche Interessen, die da auf dem Spiel stehen, aber es gibt nunmal keinen völkerrechtlichen Anspruch darauf, seine Nachbarn kujonieren zu dürfen.
2. Die eigene Bevölkerung wird bei Öffnung der benachbarten Staaten zum Westen einer ungeliebten Entwicklung ausgesetzt, nach der die eigene Propaganda nicht mehr das Narrativ kontrolliert, weil durch eine Vielzahl von Faktoren (kleiner Grenzverkehr, Handel, familiäre Verbindungen, fremdes Fernsehen) die Bevölkerung mitbekommt, dass es den Leuten dort schnell wirtschaftlich und gesellschaftlich sehr viel besser geht, als im eigenen Land, in dem man von der Nomenklatura ausgeraubt und klein gehalten wird.
Und bevor man nun im Rahmen von Whataboutism die Monroe-Doktrin anführt: Das Gebaren der USA und der United Fruit Company gegenüber latein- und südamerikanischen Staaten in der Vergangenheit lässt sich selbstverständlich ähnlich kritisch beleuchten. Dass es den USA im Wesentlichen ohne wesentliche Probleme geglückt ist, sich auf diese Art und Weise zu verhalten, begründet allerdings noch längst kein Recht Russlands, es den USA gleichzutun.
Klar soweit?
[Könnte es sein, dass Sie hier ziemlich wortgetreu die üblichen Propagandanarrative abspulen? Ich hätte mal als Fortbildung zum Thema „die NATO zusagenwidrig immer weiter nach Osten erweitert“ einen Tipp:
https://augengeradeaus.net/2024/01/sicherheitshalber-der-podcast-folge-80-ist-die-nato-osterweiterung-schuld-an-russlands-krieg-gegen-die-ukraine/
T.W.]
Könnte es sein, dass Sie alle Argumente in die andere Richtung, die damals auch in den Kommentaren des Beitrages genannt wurden, geflissentlich wegignorieren?
Mich betrübt diese ständige einseitige Darstellung. Die NATO hat sich damals ausgedeht, weil die Russen dem nichts entgegensetzen konnten. Man hat sich einen Dreck um deren Sicherheitsinteressen geschert und hat es schlicht übertrieben. Das hat in Europe erst Bauchschmerzen verursacht, als auch noch die Ukraine und Georgien in die >NA<TO sollten.
Nur weil Länder in die NATO wollen, muss man sie nicht aufnehmen.
Kann man machen und so tun, als wenn es die Russen nichts angeht. Aber dann jetzt den großen empörten geben, weil die sich bedroht fühlen, ist schon etwas scheinheilig.
Diese ganze Argumentation läuft noch immer vom hohen Ross der alten Stärke des "Wertewestens". Ich denke dass diese Zeiten sich dem Ende neigen und man die Weltpolitik wieder realistischer sehen sollte. Und gerade die, welche ganz laut immer von der "Regelbasierten" Ordung reden, übersehen dabei geflissentlich, dass diese Regeln von den damaligen starken Ländern des Westens gemacht wurden und da eine gehötige Portion Vorteil für eben diese eingebaut sind. Das als "fair" zu verkaufen, ist in etwa so, wie Klingonen gegenüber Menschenrechte als Errungenschaft zu betonen.
Es wäre schön, wenn hier nicht immer auf jeden Beitrag der die Motivation der Russen und unseren Teil daran beleuchtet, mit Beißreflexen der "Propaganda" reagiert wird.
@AlterOLt sagt:
15.02.2024 um 23:16 Uhr
„Warum wird bei der Diskussion um „EU-Atomwaffen“ nie der Atomwaffensperrvertrag – Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – erwähnt?“
Vielleicht, weil es nicht notwendig ist bzw. wäre.
Versuchen wir eine theoretische Überlegung:
Frankreich als Mitglied der EU ist Atomwaffenmacht. Und in Form der nationalen Teilhabe kann Frankreich atomwaffensperrvertragskonform Atomwaffen zur Verfügung stellen.
Wenn das dann zur „europäischen Atombombe“ hochgejazzt wird, dann ist es halt so.
Wichtig ist sowieso, dass strategische Ziel zu erreichen, nämlich Russland von Gefechtshandlungen jeglicher Art und in jeder Dimension auf EU-Gebiet abzuhalten.
Und wenn dies „nur“ über das Gleichgewicht des Schreckens (A-Waffen sind bei aller strategischen Vorteile mMn schreckliche Waffen) geht, dann sollte man mMn auch diese Option im Sinne der Zielerreichung betrachten.
@Ralf Gabriel:
Nein! Die NATO hat sich damals ausgedehnt, weil die neu hinzustrebenden Mitglieder den postsowjetischen Führungs- und Hegemonieanspruch Russlands aus historisch schlechten Erfahrungen (z.B. Estland, Lettland und Litauen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Polen), abgelehnt haben und sich aktiv dem Westen zuwenden wollten. Und noch dazu in Tschetschenien gesehen haben, was passiert, wenn man sich nach mehr Unabhängigkeit von Moskau sehnt. Das hat die Bestrebungen dann weiter potenziert und die Entschlossenheit verfestigt, dass man selbst keine Bilder wie in Grosny (oder aktuell Mariupol und Bakhmut) im eigenen Land haben will.
Nee, muss man nicht, das stimmt. Man kann beitrittswillige Länder sicherlich auch weiterhin ungeschützt einer Außenpolitik Russlands aussetzen, welche die wirtschaftliche, militärische und politische Souveränität seiner Nachbarn offenkundig als einseitig disponibel betrachtet. Wäre das in Ihren Augen die vorzugswürdige, weil dem Selbstbestimmungsrecht der Völker besser entsprechende, Handlungsweise?
Dann sollten Sie aber ihrerseits nicht empört aufschreien, wenn man ihnen eine gewisse Nähe zur russischen Propaganda bescheinigt. Denn wessen Lied singen Sie denn dann sonst, wenn nicht das des Kreml?
Wo liegt eigentlich die konkrete „Bedrohung“ für Russland, außer darin, nicht mehr mit anderen Völkern und Staaten Schlitten zu fahren, wie Господин Президент belieben?
[Könnte es sein, dass Sie hier ziemlich wortgetreu die üblichen Propagandanarrative abspulen? Ich hätte mal als Fortbildung zum Thema „die NATO zusagenwidrig immer weiter nach Osten erweitert“ einen Tipp:
https://augengeradeaus.net/2024/01/sicherheitshalber-der-podcast-folge-80-ist-die-nato-osterweiterung-schuld-an-russlands-krieg-gegen-die-ukraine/
T.W.]
@T.W.: Der Podcast ist super! Wenn Sie ihn allerdings intensiv angehört haben, dann hätten auch Sie eigentlich zu dem dem Fazit kommen müssen – wie es auch von Prof. Dr. Mary Elise Sarotte nach intensiver Recherche zu ihrem Buch gezogen wurde -, dass die ganze Sache der NATO-Osterweiterung eben doch nicht so eindeutig, weil sowohl die USA/Deutschland als auch Russland die vertraglichen Vereinbarungen und die mündlichen Zusagen ganz anders interpretieren und somit eben kein wie von Ihnen unterstelltes Narrativ ist.
Irgendetwas muss das Fass bei den Russen/Putin zum Überlaufen gebracht haben. Möglicherweise findet sich eine Antwort hier unter „Erosion der Vereinbarungen“: .
Es muss einen sehr gewichtigen Grund für diesen Krieg geben! Denn so doof ist der Russe auch nicht. Offensichtlich weiß ihn aber keiner – auch nicht die vielen Experten – oder will ihn uns nicht verraten.
@Ralf Gabriel sagt: 16.02.2024 um 9:05 Uhr
„Die NATO hat sich damals ausgedeht, weil die Russen dem nichts entgegensetzen konnten. Man hat sich einen Dreck um deren Sicherheitsinteressen geschert und hat es schlicht übertrieben.“
Die NATO hat sich nicht „ausgedehnt“, souveräne Staaten haben einen Aufnahmeantrag gestellt, dem einstimmig stattgegeben wurde. Was hätte Russland da „entgegensetzen“ sollen?
Diese Staaten besetzen und den politischen Willen mit Waffengewalt niederschlagen wie seinerzeit in Ungarn oder Tschechoslowakei?
Die Ukraine zeigt doch, wie friedliebend Russland ist.
@Pio-Fritz: Volle Zustimmung. Jeder Staat hat gem.. UN-Charta das verbriefte Recht, sich einem System kollektiver Sicherheit SEINER WAHL anzuschließen – ob das Putin und seinen Jüngern und Russlandgläubigen passt oder nicht.
@ NATO-Osterweiterung: Das alte Lied wird auch in der x-ten Interpretation mit schmissigem Remix in der Summe nicht besser. Es geht letztlich um Narrative, die aus dieser historischen Situation stammen und stark personalisiert sind. Akten und Dokumente liegen wenig vor und sind meist eingestuft, Strategiepapiere gibt es für fast jede Position (die meisten ex-post)., ohne Validierung und Verifizierung. Also ein Paradies für Verschwörungserzählungen und das Bilden passender Narrative, die dem politischen Handeln Legitimation verleihen sollen. Zudem befriedigt dieses Thema eine Sinnsuche vieler politisch interessierter Akteure bzw. Bürger*innen. Estland beherrscht dieses Spiel ebenso wir die Polen, die Ukraine und Russland – jeder Akteur muss dies auch aus Überlebenssicht können. Denn das ist eine Basis für außenpolitischen Agenda-Setting und letztlich Politikgestaltung. Russland prägt da interessanterweise ein Opfernarrativ, welches *gar* nicht zu ihren Handlungen passt (Tschetschenien und Georgien waren wie Kasachstan 2022 nur die Spitzen außenpolitischer Interventionen – im Falle von Tschetschenien sogar als „innere Angelegenheiten“ verbrämt).
Die Esten kennen sowohl diese Politik als auch die Mittel Russlands bzw. der ehemaligen sowjetischen Zentralmacht, und daher gilt es auch für NATO und EU Gegennarrative und eigene Narrative zu entwickeln und zu verankern. Und natürlich hat Estland das historische Zeitfenster der Westbindung genutzt. Aber völkerrechtlich ist das auch eine Sache der estnischen Regierung. Und nicht von Menschen, die eigene Sicherheitszonen auf Kosten von Souveränität anderer definieren mögen …
Nachtrag zu meinem Beitrag mit „…Irgendetwas muss das Fass bei den Russen/Putin zum Überlaufen gebracht haben. Möglicherweise findet sich eine Antwort hier unter „Erosion der Vereinbarungen“:“
Habe den Link dazu vermutlich nicht eingefügt: … oder ist er gar unerwünscht?
[Ihre technische Unfähigkeit als Beleg dafür zu nehmen, dass hier angeblich bestimmte Studien als „unerwünschte“ Links entfernt würden, noch dazu automatisch, ist angesichts böswilliger Unterstellung kein besonders erwünschter Beitrag zur Debatte.
Aber Leute Ihres Schlages finden dann bestimmt irgendwelche abartigen Links, die ich dann natürlich entferne, als vorgeblichen Beweis ihrer Behauptungen… lassen Sie es einfach. T.W.]
Klappt iwie nicht, dann eben so: http://www.swp-berlin.org/publikation/ukraine-im-nato-russland-spannungsfeld
Und wenn wir uns der Welt der Narrative und dam damit einhergehenden Framing nähern können wir die Erkenntnisse auf vorliegendes Thema anwenden.
Zerbrechen wir den Frame der uns thematisch auf ein Szenar einer militärischen Konfrontation NATO-RUS beschränkt. Was sagt unser hybrider Baukasten?
These: An dem Tag an dem RUS den Krieg gegen die Ukraine als verloren einstuft und dies auch tief empfindet, wird man dort ganz sicher keine Erfolgsaussichten in einer Kampagne gegen die NATO mehr sehen. Unsere beste hybride Strategie ist also auf einen Sieg der Ukraine hinzuspielen. Vorteil unserer hybriden Strategie ggü RUS hybriden Handlungen: Wir stehen rechtlich einwandfrei da.
Zitat:“Russia plans to create the 44th Army Corps, likely based in Petrozavodsk, to address this.“
Ein 44th Army Corps existierte in der russischen Armee schon zur Zarenzeit aber was bedeutet das heute? Laut Wikipedia ist ein russisches Army Corps von der Stärke her, im Vergleich mit NATO-Streitkräften, größer als eine Divison aber deutlich kleiner als ein Korps. Die Angaben zur personellen Stärke haben leider eine enorme Spannweite zwischen 15500 und 60000 Mann. Strukturell besteht ein Army Corps aus einem Motor Rifle Regiment und einer Motor Rifle Brigade plus einer Raketenartillerie Brigade. Es verfügt über eigene Luftabwehr und Rohrartillerie. Das klingt zwar nach einer Menge Holz ist im Vergleich mit der Stärke der finnischen Armee immer noch nix wovor man wirklich Angst haben muss. Dazu kommt, dass die Region Karelien mit ihren ausgedehnten Sümpfen, dichten Wäldern, wenigen Strassen und vereinzelten Siedlungen nicht unbedingt ein ideales Gefechtsfeld für gepanzerte Streitkräfte darstellt. Nicht umsonst war der einzige Krieg zwischen Finnen und Russen ein Winterkrieg.
Aber vielleicht gibt es ja hier jemand kundigen, der die durch Verlegung dieses Army Korps veränderte Lage besser einschätzen kann, als ich.
@Metallkopf:
Es ging mir nicht um eine Rechtfertigung des russischen Regimes. Dass die vor sich hin blubbern von wegen böser Nato und bösem Westen, der Russland seine Nachbarländer nicht mehr einfach so überfallen lässt, geschenkt. Sondern eher um die Konsequenzen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass die russischen Machthaber sich in einer strukturellen Unterlegenheit befinden, was dann auf russischer Seite eine Art Natodoktrin von 1968 nahelegen würde:
https://www.portal-militaergeschichte.de/bolik_moellers_black_box
Nur ist Estland bzw. das ganze Baltikum, wie erwähnt, seehr viel verletzlicher als Westdeutschland, so dass sich der Kreml vielleicht doch zu der Überzeugung gelangen könnte, dass man es einnehmen könnte. Das Problem des Aufmarsches wäre dort sehr viel stärker:
https://www.portal-militaergeschichte.de/bolik_moellers_black_box