Überraschung, NATO-Großübung! (Nachtrag: Heeresinspekteur)
Die NATO-Übungsserie Steadfast Defender gibt es, im dreijährigen Rhythmus, seit einigen Jahren. Dennoch scheint die Ankündigung des NATO-Oberbefehlshabers, im Februar erneut mit zehntausenden Soldaten die Abwehr eines russischen Angriffs zu üben, die Öffentlichkeit ziemlich zu überraschen.
Das mag damit zusammenhängen, dass die Übung Steadfast Defender 2024 nicht nur deutlich größer ist als die – wegen der Corona-Pandemie deutlich eingedampfte – Version 2021, sondern auch die größte Übung von NATO-Streitkräften in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges werden dürfte. Die Ankündigung des Supreme Allied Commandeur Europe (SACEUR), des US-Generals Christopher Cavoli, war für viele Medien offensichtlich eine völlige Neuigkeit:
We also need to rehearse and refine our plans through rigorous training and exercises. On that note, I would like to announce the kick-off of Exercise Steadfast Defender 2024 commencing next week and running through May.
Exercise Steadfast Defender 2024 will be the largest NATO exercise in decades, with participation from approximately 90,000 forces from all 31 Allies and our good partner Sweden.
The Alliance will demonstrate its ability to reinforce the Euro-Atlantic area via trans-Atlantic movement of forces from North America. This reinforcement will occur during a simulated emerging conflict scenario against a near-peer adversary.
Steadfast Defender 2024 will be a clear demonstration of our unity, strength, and determination to protect each other, our values and the rules based international order.
sagte Cavoli am (heutigen) Donnerstag am Rande des Treffens der Militärchefs der NATO-Mitgliedsländer in Brüssel.
Allerdings wird diese Großübung, auch die damit zusammenhängende Bundeswehr-Übungsserie Quadriga, seit mehr als einem Jahr geplant und vorbereitet. Auch die Bundeswehr selbst hatte im vergangenen Jahr dazu einiges an Informationen veröffentlicht. Offensichtlich ohne allzugroße öffentliche Wahrnehmung – sonst hätte es in den vergangenen Tagen kaum die Medien-Berichte über ein angebliches Geheimpapier mit Planungen für einen russischen Angriff gegeben, was aber nur das Übungsszenario wiederspiegelte.
(Vielleicht hat aber das Heer, ebenso wie die NATO, nur nicht so laut getrommelt wie vergangenes Jahr die Luftwaffe mit ihrer Großübung Air Defender – da konnte keiner von einem Geheimplan schwadronieren, weil es eben so medial präsent war…)
Und die ersten deutschen Soldaten für die Großübung im Februar sind schon längst unterwegs. Bereits vor mehr als einer Woche verluden die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall ihre Hägglund-Überschneefahrzeuge auf die Bahn, um damit nach Norwegen zu verlegen (s. Foto oben). Grand North ist ein Teil der ganzen Übungsserie:
Eine interessante Frage wird Steadfast Defender übrigens an die – auch zivile – deutsche Infrastruktur stellen. Schon bei der vorletzten Großübung 2019 warnte der damalige stellvertretende Kommandeur des NATO-Hauptquartiers Allied Command Transformation (ACT), der deutsche Admiral Manfred Nielson, vor unzureichenden Straßen, Brücken, Schienen für die großen Truppenverlegungen:
Das militärische Großgerät, mit dem wir heute Panzer und andere Fahrzeuge transportieren, ist schwerer geworden. Ich habe die Sorge, dass viele unserer Straßen und Brücken diesen Belastungen nicht gerecht werden. (…) Wir haben eine Infrastruktur, die auch jenseits militärischer Bedürfnisse teilweise wirklich miserabel ist.
Sein Nachfolger im Amt, der deutsche Luftwaffen-General Chris Badia, dürfte das im Auge haben – auch wenn er in Brüssel im Hinblick auf die bessere Verzahnung militärischer und ziviler Verteidigungsanstrengungen vor allem den Cyberraum nannte:
Informed by the latest strategic concepts, we are now in „defence planning“ mode, how we go forward on all those things. We are identifying the capabilities we need individually and collectively, with speed and strength. And capabilities are the foundation because without capabilities we can’t put anything against it.
The main part is how we change into all this – as we call it a multi-domain enabled Alliance, in order to fulfil multi-domain operations.
And this is within the new understanding because as much as with the military on the same side we look at how the civil domain holds and how there be more synergies, in order to become better and stronger. (…)
How do we cooperate with the civil world and find all those synergies? Just as an example – connectivity – synchronizing military and non-military effects as I already alluded to, converging effects and last not but least all the integration, fully embracing cyber and space as operational domains.
The precondition to transform into multi-domain enabled Alliance is digital transformation. And it goes without saying this is happening in parallel. So if you will in short, we are transforming from a platform-centric force into a data-centric force.
Nachtrag: Heeresinspekteur Alfons Mais in einem am Freitag veröffentlichten Bundeswehr-Video zu dieser Großübung und den Anforderungen ans Heer:
(Foto: Verladung von Hägglund-Überschneefahrzeugen der Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall am 11. Januar 2024 für die Übung in Norwegen – Anna Weich/Bundeswehr)
„angebliches Geheimpapier mit Planungen für einen russischen Angriff“Was ist nur an Kommunikation so schwierig?
Mitnichten wurde im N-TV Bericht vor einigen Tagen schwerpunktmäßig lediglich von einer Übung gesprochen. Richtigerweise wurde von einem wahrscheinlichen Trump-Sieg im November ausgegangen und die Bundeswehr nur noch begrenzt „Zeit“ hat, sich auf die wahrscheinlichen Konsequenzen einzustellen.
Darum ging es bei N-TV und um nichts anderes. Es ist absolut begrüssenswert, eine breitere Öffentlichkeit auf das beschriebene Szenario aufmerksam zu machen oder etwa nicht? Ist es nicht Aufgabe eines Regierungssprechers oder Ministeriumssprechers so zu kommunizieren, dass Begrifflichkeiten wie Geheimpapier in der Öffentlichkeit gar nicht erst kursieren und stattdessen wahrheitsgemäß und sachkundig über die.hoffentlich bereits getroffenen Vorbereitungen zu künftigen Lage zu informieren? Völlig in Ordnung jetzt zu üben, aber bitte die Kommunikation übt gleich mit.
[Da scheint jetzt einiges durcheinandergeraten – aber in der Tat, Kommunikation kann noch verbessert werden. T.W.]
Warum muss es immer direkt an den Grenzen Russlands sein und immer größer die Provokationen .
Russland hat außer der Ukraine nie andere Staaten überfallen und letzteres leider auch nur durch Provokationen der NATO.
Jedes Land hat berechtigte Sicherheitsinteressen.
Wie würde Washington reagieren , wenn Russland Militärbasen in Mexiko oder Kanada errichtet .
Ist das nicht ein fürchterliches Spiel für den dritten und letzten WK?
[Mensch, eure Ausbildung war auch schon mal besser… Mit „direkt an den Grenzen Russlands“ meinen Sie in diesem Fall konkret die norwegisch-schwedische oder die polnisch-belarussische Grenze? T.W.]
Sich auf solche Szenarien mental und planerisch aus verschiedenen Blickwinkeln vorzubereiten und der Politik Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen ist nun mal ureigenste Aufgabe eine „Generalstabes“. Da wird es mit Sicherheit unterschiedliche Planungen geben, war zur Zeit des Kalten Krieges (mancher wird sich dunkel erinnern) ja auch nicht anders. Und nein, man muss das mMn nicht alles öffentlich machen und damit einem möglichen (oder hier wahrscheinlichen) Gegner zur gefälligen Kenntnis geben.
Diese mentale und planerische Vorbereitung ist gefühlt in den vergangenen Jahren – vor allem im Bereich „mental“ – irgendwie an der politischen Öffentlichkeit vorbei gegangen. Wahrscheinlich deshalb jetzt dieses nervöse Aufgackern… ;-)
Aber ich hoffe, dass man den verfassungsgemäßen Auftrag der Bundeswehr zur LV/BV zukünftig auch in Politik und Öffentlichkeit etwas bewusster und weniger aufgeregt wahrnimmt.
@Wolfgang Nixdorf:
„Jedes Land hat berechtigte Sicherheitsinteressen“. In der Tat! Dies gilt damit natürlich auch für die Ukraine, Finnland, Norwegen und die baltischen Staaten und nicht nur die großen Staaten. Gemäß Ihrer Logik hätten viele Staaten das Recht sich provoziert zu führen. Das rechtfertigt aber in keinem Fall, einen Krieg anzufangen, in dem man das Nachbarland überfällt.
@Wolfgang Nixdorf:
Da scheinen Ihnen nicht nur geografische, sondern auch historische Kenntnisse zu fehlen.
Russland hat in den vergangenen Jahren mehrfach Manöver in einem deutlich größeren Umfang durchgeführt, ohne dass sich die NATO „provoziert“ gefühlt hätte.
Außerdem hat die NATO bislang keinen Nachbarstaat überfallen.
Ein NATO-Überfall auf Russland wäre schon aufgrund der fehlenden militärischen Fähigkeiten in keiner Weise realistisch, was Russland auch ganz genau weiß. Die angegebenen „Provokationen“ sind von russischer Seite reine Spiegelfechterei.
@Wolfgang Nixdorf
Georgien und Moldawien vergessen ?
31 freie Nationen, die mehr oder weniger identische Sicherheitsinteressen haben, üben die gemeinsame Verteidigung.
Warum das nicht zur Grenze zur Schweiz stattfindet, sollte selbst Ihnen klar sein.
Wäre spannend zu sehen, wie Russland Abkommen mit Canada und Mexiko auf den Weg bringt.
Viel Erfolg!
@Wolfgang Nixdorf
Ich empfehle mal „Putins Wars“ von Mark Galeotti, „Der Krieg gegen die Ukraine“ von Gwendolyn Sasse und die Zeitschrift „Osteuropa“, Nummer 73 von 2023 „Russlands verlorene Kriege“ zu lesen. Und eine Frage, wenn der Angriff 2008 auf Georgien kein Überfall war, was war er denn dann?
Für RussenTrolle ist nichtmal verwundernd, wenn die eigene russische Propaganda massiv offiziell eigene Verbündete wie Kasachstan bedroht. Wer will solche „Freunde“ in einem Verteidigungsbündnis?
Die Mär von der bösen NATO und dem bösen Westen ist aber wohl nie tot zu kriegen.
@ Wolfgang Nixdorf: „Russland hat außer der Ukraine nie andere Staaten überfallen und letzteres leider auch nur durch Provokationen der NATO.“ So. dann lieber Wolfgang Nixdorf, bitte ich um eine Erklärung, wie zwischen 1700 und 1945 weite Teile Osteuropas, Finnland, das Baltikum, der Kaukasus, die Staaten Zentralasiens etc. ins russische Imperium gelangt sind? Böse Finnen, Georgier, Armenier, Türken, etc. haben also alle Rußland erobern wollen?
[Mir scheint, die Auseinandersetzung mit dem zu Grunde liegenden Kommentar ist jetzt erschöpfend abgehandelt… T.W.]
Marineloggi sagt:
19.01.2024 um 15:53 Uhr
@Wolfgang Nixdorf
Ich empfehle mal „Putins Wars“ von Mark Galeotti, „Der Krieg gegen die Ukraine“ von Gwendolyn Sasse und die Zeitschrift „Osteuropa“, Nummer 73 von 2023 „Russlands verlorene Kriege“ zu lesen. Und eine Frage, wenn der Angriff 2008 auf Georgien kein Überfall war, was war er denn dann?
Russland hatte 2008 Georgien nicht überfallen, sondern vorher provoziert! Georgien hatte am 08.08.2008 die Stadt Zchinwali (Südostsetien) angeriefen! Dies geschah auf Befehl des damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili! Legendär ist auch die Szene, wo er vor laufender Kamera auf seiner Krawatte rumkaut (https://www.youtube.com/watch?v=2JlzxtTynxM)! Was hatte der Vollpfosten sich damals nur gedacht? Südostsetien über Nacht einzunehmen?
KlausP sagt:
19.01.2024 um 10:43 Uhr
… Und nein, man muss das mMn nicht alles öffentlich machen und damit einem möglichen (oder hier wahrscheinlichen) Gegner zur gefälligen Kenntnis geben. …
Natürlich muss man, oder wollen wir die KSZE/OSZE- Vereinbarungen dazu einfach fallen lassen (Ankündigung von Manövern mindestens 21 Tage vorher)?
Wolfgang Nixdorf sagt:
19.01.2024 um 9:43 Uhr
… Wie würde Washington reagieren , wenn Russland Militärbasen in Mexiko oder Kanada errichtet .
Ist das nicht ein fürchterliches Spiel für den dritten und letzten WK? …
Wie das denn? Mexiko in das United States Northern Command (USNORTHCOM), Kanada in der NATO.
Merke: Nicht alles was an den Haaren herbeigezogen wird ist eine ehewillige Frau!
Das Problem ist nicht dieses Manöver, sondern die Berichterstattung darüber. Nicht die Abwehr eines möglichen russischen Angriffs, sondern der logistische Aspekt steht hier Vordergrund dieser Übung. Ohne eine funktionierende Versorgung bricht irgendwann jede Front zusammen.
Hier werden hochkomplexe Vorgänge trainiert, damit man im Ernstfall auf alle Eventualitäten vorbereitet ist.
Guten Abend @Nicolo15,
weder geht es hier um einen möglichen Wahlsieg von Trump noch um ein Krieg wie er hier von den Medien beschrieben wird. Wäre dies der Fall müsste nämlich auch darüber informiert werden inwiefern und ab welchem Zeitpunkt der Kampfhandlungen der Einsatz von A bzw. C-Waffen bei einem möglichen Schlagabtausch dieser Größenordnung denkbar wäre. Und wie steht es um den Katastrophenschutz?
Im Atomzeitalter in Gefechtsszenarien denken zu wollen, die noch aus der prä-Atom-Ära stammen, ist brandgefährlich. Besonders Polen und Balten drängten z.B. in der Vergasngenheit sehr häufig auf eine Stärkung der nuklearen Abschreckung Russlands.
Wir sprechen hier von einem Szenario welches allein schon vom Mobilisierungsgrad alles in den Schatten stellen würde, was wir bisher „live“ miterleben durften. In meinen Augen wird hier Panik geschürt, eben weil bestimmte Punkte, weiter oben ausgeführt, komplett einem Tabu zu unterliegen scheinen. Persönlich hält man diese Form der Berichterstattung deshalb für verantwortungslos. Eine Sensibilisierung für dieses Thema findet indes nicht statt…
Also:
Persönlich hält man solche Verlegeübungen für wichtig aber das Drumherum……..
Moin,
man könnte den Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN) durchaus auch aus der Perspektive der Verteidigung sehen.
Grade die Standardisierung des europäischen Bahnverkehrs (Spurweite, Strom, Zugleitsysteme, „TÜV“, etc.) ist ohnehin überfällig, würde die innere Einheit vorantreiben und zudem zu den Verkehrs- und Energiewenden passen.
Guten Abend @Stubenviech, man sollte bitte bedenken,dass es ja nicht um den Zivilsektor geht sondern um den Transport militärischer Güter. Nicht über jede Brücke kann ein Panzer rollen und da die Energiewende in Deutschland als Beispiel auf eine umweltfreundliche zivile Umwandlung von Energie abzielt, das Militär als solches jedoch Unmengen an fossilen Brennstoffen verbraucht und sollten freilaufende Manöver, was Größe und Umfang anbelangt, sich wieder in Richtung Reforger bewegen, dann würden auch Umweltschäden wieder zunehmen.
Ich stimme Ihnen deshalb insofern zu, dass eine Standatisierung erstrebenswert wäre, diese aber nur,aus den von mir genannten Gründen, sich nicht mit militärischen Überlegungen in Einklang bringen lassen
@Wandersmann: Im Baltikum ist noch russische breitspur.
Mit TEN ist ein Anlass für Umstellung auf europäische Normalspur.
Der Wegfall der Umspurung ist militärisch relevant.
@aussenstehender: Die Umspurung ist sogar in zweierlei Hinsicht relevant.
1. Vereinfachung des Transports von Gütern per Schiene an die Ostflanke
2. Erschwerung der Nutzung durch russische Truppen im Falle eines Vorstoßes ins Baltikum. Dann haben die nämlich genau das gleiche Problem wie die NATO jetzt
Abgesehen davon verstehe ich die Aufregung in den Medien über die Übungen nicht, schließlich sind diese schon seit Monaten öffentlich bekannt. Ebenso geht es mir bei dem jetzt veröffentlichten Geheimpapier über Kriegsszenarien: Solche Planspielchen finden doch wortwörtlich seit über 100 Jahren statt: Was kann der Gegner, was können wir, wer reagiert wie, was passiert dann? Der Schlieffen-Plan ist schließlich auch nicht spontan auf einem Bierdeckel entstanden.