Angriffe im Roten Meer: USA starten Marinemission mit Koalition der Willigen

Angesichts der zunehmenden Angriffe aus dem Jemen auf Handelsschiffe im Roten Meer haben die USA wie erwartet eine Marinemission zum Schutz dieses wichtigen Handelswegs gestartet. Mehrere Nationen, darunter auch Europäer, haben ihre Beteiligung zugesagt. Eine deutsche Beteiligung ist noch offen.

Hintergrund ist das Ziel der Huthi-Rebellen im Jemen, mit Attacken auf Frachter und Tanker gegen Israel vorzugehen und die Palästinenser und vor allem die Hamas-Milizen zu unterstützen. Nachdem sich die ersten Angriffe auf Handelsschiffe mit tatsächlichen oder vorgeblichen Verbindungen zu Israel konzentrierten, sind inzwischen Schiffe aus allen westlichen Industrienationen im Visier. Allein am (gestrigen) Montag wurden nach Angaben des U.S. Central Command zwei Schiffe attackiert; unter anderem wurde der Chemikalientanker Swan Atlantic mit einer Drohne und einer Rakete angegriffen.

Seit Beginn der Angriffe haben zahlreiche Reedereien und Unternehmen die Passage ihrer Schiffe durch das Rote Meer gestoppt – und damit auch durch den Suez-Kanal. Die wichtige Wasserstraße, durch die zwölf Prozent der weltweiten Handelsströme laufen, fällt damit für den Warentransport aus; die Auswirkungen auf die internationalen Handels- und Nachschubketten sind noch nicht absehbar.

Aus dieser Sicht folgerichtig heißt die neue Marinemission, die  US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am (gestrigen) Montagabend ankündigte, auch ganz eindeutig Operation Prosperity Guardian, zu deutsch Hüter des Wohlstands:

The recent escalation in reckless Houthi attacks originating from Yemen threatens the free flow of commerce, endangers innocent mariners, and violates international law. The Red Sea is a critical waterway that has been essential to freedom of navigation and a major commercial corridor that facilitates international trade. Countries that seek to uphold the foundational principle of freedom of navigation must come together to tackle the challenge posed by this non-state actor launching ballistic missiles and uncrewed aerial vehicles (UAVs) at merchant vessels from many nations lawfully transiting international waters.
This is an international challenge that demands collective action. Therefore, today I am announcing the establishment of Operation Prosperity Guardian, an important new multinational security initiative under the umbrella of the Combined Maritime Forces and the leadership of its Task Force 153, which focuses on security in the Red Sea.
Operation Prosperity Guardian is bringing together multiple countries to include the United Kingdom, Bahrain, Canada, France, Italy, Netherlands, Norway, Seychelles and Spain, to jointly address security challenges in the southern Red Sea and the Gulf of Aden, with the goal of ensuring freedom of navigation for all countries and bolstering regional security and prosperity.

In einer Videokonferenz am (heutigen) Dienstag mit den Vertretern von 43 Nationen warben Austin und seine Top-Militärs um weitere Verbündete für den Einsatz. Bisher, so die US-Bilanz, seien rund 100 Drohnen und Anti-Schiffs-Raketen auf Handelsschiffe vor der jemenitischen Küste abgefeuert worden; ein Teil davon wurde von Kriegsschiffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs abgefangen:

To address this unprecedented series of attacks, the Secretary urged participants to join U.S.-led and other international initiatives and work with U.S. Naval Forces Central Command (USNAVCENT) and the 39-member Combined Maritime Forces (CMF) to restore security in the Red Sea to deter future Houthi aggression. Secretary Austin pointed to CMF’s Task Force 153—charged with international maritime security and capacity-building in the Red Sea, Bab al-Mandeb, and the Gulf of Aden—as an existing multi-lateral platform that could be leveraged to deter attacks under the CMF. He reiterated that the international community is faced with an unprecedented global challenge that demands collective action.

Ihre Beteiligung an Prosperity Guardian haben neben den USA selbst vor allem Großbritannien und Frankreich zugesagt: Kriegsschiffe beider Länder sind bereits im Roten Meer präsent und hatten in den vergangenen Tagen wie ein US-Zerstörer Drohnen oder Raketen abgeschossen. Hinzu kommen bislang Bahrain, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen, die Seychellen und Spanien. Die tatsächlichen Beiträge zu der Marinemission werden sehr unterschiedlich sein: Für die Niederlande kündigte deren Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren die Entsendung von zwei Stabsoffizieren an.

Deutschland war bei dem virtuellen Treffen am Dienstag auch vertreten – aber eine Entscheidung, ob es eine deutsche Beteiligung an der Mission geben wird, steht nach Angaben des Verteidigungsministeriums noch aus. Dafür dürfte es gleich zwei Gründe geben: die Deutsche Marine ist knapp an Schiffen, vor allem an solchen, die für die Flugabwehr eines Verbandes ausgerüstet sind (und der Schutz eines Konvois von Handelsschiffen vor anfliegenden Drohnen und Raketen ist eigentlich nichts anderes). Und für die Bundeswehr wäre ein Mandat des Bundestages nötig, weil die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung in diesem Fall recht sicher zu erwarten wäre.

Die Unions-Opposition im Bundestag dringt schon mal auf einen deutschen Einsatz – und schlägt vor, dafür ähnlich wie beim Antipiraterie-Einsatz in dieser Region zu verfahren, wie ihr verteidigungspolitischer Sprecher Florian Hahn sagte:

Dieses Beispiel zeigt überdeutlich die Relevanz von kaltstartfähigen Streitkräften in allen Szenarien: Während Deutschland in der Lage sein muss, sich und seine Alliierten in Europa zu verteidigen, muss die Bundeswehr gleichzeitig in der Lage sein, vitale deutsche Interessen auch weltweit zu schützen. Ein Anknüpfen an das erst im vergangenen Jahr beendete Engagement am Horn von Afrika ist erforderlich.

Nun ist zwar die deutsche Beteiligung an dem EU-Mandat für die Mission am Horn von Afrika formal im vergangenen Jahr ausgelaufen – allerdings hatte die Deutsche Marine, eben weil sie knapp an Schiffen ist, schon seit 2016 kein Kriegsschiff mehr in diesen Einsatz geschickt und nur zeitweise Einheiten auf dem Weg zu anderen Zielen dieser Mission unterstellt.

Und ich weiß nicht, ob Hahn das beabsichtigt hat, aber seine Aussage wirft noch eine ganz andere Frage auf: Was sollte die rechtliche Grundlage für ein solches Mandat sein? Es ist keine Mission auf Grundlage eines UN-Beschlusses, keine Operation von NATO oder EU. Nun gibt es in der Tat bereits einen deutschen Auslandseinsatz, in dem die Bundeswehr Teil einer Koalition der Willigen ist, nämlich die Mission Counter Daesh, mit Ausbildung in Irak und Luftbetankung für den Einsatz gegen den Islamischen Staat. Es wird interessant, ob eine solche Grundlage auch für einen Einsatz im Roten Meer herangezogen würde.

Nachtrag: fürs Archiv die Reaktion der Huthis auf die US-Ankündigung:

Nachtrag 2: Indien verstärkt ebenfalls seine Marinepräsenz in der Region; unklar ob als Teil der US-geführten Operation, berichtet die Hindustan Times:

While the US has unveiled a multinational naval force to protect merchant vessels in the Red Sea from Iranian-backed Houthi militia, India has stationed two guided-missile destroyers off the coast of Aden as part of maritime security in the north Arabian Sea.
Even though the government remains tight-lipped about the development, the Indian Navy destroyer INS Kochi is involved in mitigating merchants vessels against Somalian pirates on the mouth of Red Sea. India has also sent another guided missile stealth destroyer INS Kolkata to muscle up maritime security off the coast of Aden.

(Archivbild: Die USS Truxtun, ein Zerstörer der Arleigh Burke-Klasse – nicht das Schiff, das aktuell dort im Einsatz ist! – bei einer Operation im Roten Meer am 1. Mai 2023 – Photo by Africom Pao/U.S. Africa Command)