Neue Funkgeräte, kein Einbau: Viele Fragen, wenig Antworten

Auf die Frage, warum die Bundeswehr zwar die seit Jahren dringend benötigten neuen digitalen Funkgeräte bestellt hat, die aber vorerst nicht in die zahlreichen Fahrzeuge der Truppe eingebaut werden können, gibt es bislang keine richtigen Antworten. Auch in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am (heutigen) Mittwoch, so hieß es aus Teilnehmerkreisen, blieb die Frage vorerst offen.

Am vergangenen Wochenende hatte zuerst die Welt (Artikel hinter Paywall) über das Desaster berichtet: Seitdem im Dezember vergangenen Jahres der Haushaltsausschuss des Bundestages knapp 2,9 Milliarden Euro für den Rahmenvertrag zur Beschaffung freigegeben hatte, davon 1,35 Milliarden für zunächst 20.000 Funkgeräte, wurde zwar bestellt und vom Hersteller Rohde&Schwarz in bislang vierstelliger Zahl auch geliefert – aber für den Einbau in Panzer, Lastwagen oder Führungsfahrzeuge gibt es bislang keinen Vertrag und damit auch eben nicht die möglichst schnelle Integration. Schlimmstenfalls, so heißt es aus der Bundeswehr, könnte damit die Funktionsfähigkeit der Heeresdivision gefährdet sein, die Deutschland der NATO ab 2025 zugesagt hat.

Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigte sich am (gestrigen) Dienstag bei seiner Baltikum-Reise in Estland ziemlich verärgert: Der Auftrag ist erteilt worden im Dezember, also vor meiner Zeit. Ich wäre davon ausgegangen, dass man sich vor der Bestellung, aber mindestens mit der Bestellung Gedanken macht, wie die Integration erfolgt.

Das klingt nachvollziehbar, allerdings: Gedanken hat es im Ministerium dazu schon länger gegeben. Bereits im Dezember 2018, also vor fast fünf Jahren, hieß es im 8. Bericht des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten mit Blick auf das Gesamtprojekt Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) recht eindeutig, wenn auch im Ministeriumsdeutsch:

Die großen Herausforderungen und Risiken von D-LBO liegen wegen der
Vielzahl und Verschiedenartigkeit der zu betrachtenden mobilen Elemente sowie der Integration verschiedener Kommunikationstechnologien in der zeitlichen und inhaltlichen Strukturierung der durchzuführenden Beschaffung bei gleichzeitig dynamisch fortschreitender technischer Innovation im Bereich Digitalisierung. Vor allem geht es dabei um zeitgerechte Integration in die unterschiedlichen Plattformen, um die identifizierten Kräftedispositive unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen wie u.a. der Erhalt der Einsatzbereitschaft oder der Industriekapazität zur Plattformintegration, zeitgerecht ausstatten und umrüsten zu können.
(Hervorhebung T.W.)

Das blieb bei weitem nicht der einzige Hinweis. Im März vergangenen Jahres mahnte die Cyber-Abteilung im Wehrressort eine schnelle Musterintegration der neuen Funkgeräte in die unterschiedlichen Fahrzeuge an: Dabei ist für die Ausstattungsvariante D-LBO Basic eine Lösung mit möglichst geringem Integrationsaufwand in Bestandsplattformen, anzustreben.

Dass das nicht so schnell geht, wussten die Bundestagsabgeordneten ebenfalls seit März dieses Jahres. Wie das Ministerium im vom Haushaltsausschuss angeforderten regelmäßigen Sachstandsbericht zum Führungsfunksystem im Programm D-LBO offenlegte:

Die ersten 20 Fahrzeugfunkgeräte und 50 Handfunkgeräte wurden vertragsgemäß zum 31. März 2023 geliefert. Die Funkgeräte dienen der Durchführung von IT-Integrationsuntersuchungen und als Mitwirkung für die durchzuführenden Musterintegrationen in die für die Division 2025 relevanten Plattformen. Erste Serienintegrationen in Fahrzeuge sind erst im Nachgang geplant.

Und für diese Integration gibt es bislang noch nicht einmal einen Vertrag. Aus den Aussagen von Oberstleutnant Mitko Müller für das Verteidigungsministerium vor der Bundespressekonferenz am vergangenen Montag:

Das ist eine herausfordernde Aufgabe, die wir nur mit der wehrtechnischen Industrie gemeinsam stemmen können. Wir reden hierbei von über 25 000 Fahrzeugen in ca. 350 Fahrzeugklassen. Es ist also ein komplexes Thema, weil wir es eben nicht nur mit einer Fahrzeugklasse zu tun haben. Es geht um die richtige Anpassung für das jeweilige Fahrzeug, und das kann nur im Schulterschluss mit der Industrie erfolgen. Dafür laufen jetzt die letzten Abstimmungen mit der Industrie, damit wir die nächsten Schritte gehen können. (…) Zu weiteren Details kann ich aktuell nichts sagen, weil wir im Bereich der Integration noch im Vergabeverfahren sind. Deswegen kann ich mich zu weiteren Details zum Projekt nicht einlassen.

Die wehrtechnische Industrie, die hier gefragt ist, sind nicht die Hersteller von Funkgeräten – sondern die Hersteller der Fahrzeuge, in die die neuen Geräte eingebaut werden sollen und die dafür teilweise umgerüstet werden müssen. Offiziell mag sich aus dem Kreis der Unternehmen bislang niemand äußern. Informell heißt es allerdings, es sei schon ein bisschen erstaunlich, dass erst recht spät in diesem Sommer die Aufforderung eingegangen sei, ein Angebot für den Einbau und die Integration zu machen. Offensichtlich habe da im Bundeswehr-Beschaffungsamt die Abstimmung zwischen den verschiedenen Zuständigkeiten für den Funk und für die Fahrzeuge nicht geklappt.

Damit bleibt die Frage offen, wann es einen Vertrag für den Einbau der neuen Funkgeräte gibt – die jetzt erstmal ins Depot wandern. Schlimmstenfalls, so eine pessimistische Industrie-Einschätzung, wird nach Vergabeverfahren und Vertragsverhandlungen der Auftrag Ende kommenden Jahres erteilt. Eine einsatzbereite Heeresdivision 2025 mit funktionierendem Digitalfunk scheint dann unwahrscheinlich.

(Archivbild März 2023: Verteidigungsminister Pistorius, l., am Funk bei einem Besuch der deutsch geführten NATO-Battlegroup in Litauen)