Kampfbrigade nach Litauen: Deutschland sagt erstmals Auslands-Stationierung zur Abschreckung zu – Zusammenfassung

Die Bundeswehr soll erstmals in ihrer Geschichte Kampftruppen zur Abschreckung dauerhaft im Ausland stationieren. Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte Litauen zu, eine zwischen beiden Ländern vereinbarte Kampfbrigade in dem baltischen Land permanent dort zu stationieren. Bislang hatte Deutschland einen dauerhaften Kommandostab in Litauen eingerichtet, die dazu gehörenden Bataillone wurden jedoch nur zeitweise für Übungen dorthin verlegt und sollen im Falle eines Angriffs auf das baltische Land innerhalb weniger Tage abmarschbereit sein.

Der deutsche Verteidigungsminister machte die Zusage überraschend bei einem Treffen mit seinem litauischen Kollegen Arvydas Anušauskas in der Hauptstadt Vilnius am (heutigen) Montag:

Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren. Voraussetzung dafür ist, (…) dass die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, Kasernen, Übungsmöglichkeiten und die genannten Depots. Wir reden bei einer Brigade von 4.000 Soldatinnen und Soldaten, plus Material, und bei einer dann dauerhaften Stationierung eben auch Familie.

Die Zusage einer deutschen Brigade, mit der die Abschreckung gegen Russland an der Ostflanke der NATO gestärkt werden soll, geht auf eine Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda vor gut einem Jahr zurück. Aus der Vereinbarung, die Scholz und Nauseda getroffen hatten, in der englischen Fassung

Both leaders shared the ambition to further strengthen the Eastern part of NATO, in order to ensure the continued credible deterrence and defence of the Alliance. In this vein, and in light of decisions to be taken at the NATO Summit in Madrid at the end of June, both leaders agreed that, in addition to the current and reinforced enhanced Forward Presence Battle Group already in place, Germany is ready to lead a robust and combat-ready brigade in Lithuania dedicated to deter and defend against Russian aggression. Initially, led by a permanently deployed Brigade Forward Command Element in Lithuania, this brigade will consist of German combat forces specifically designated for this purpose, potentially augmented by possible multinational contributions, to form a powerful and exclusively dedicated combat formation ready to be rapidly de- and employed. These forces will be integrated into a regionally focused, intensive and comprehensive exercise program including rotating forces and Lithuanian Home Defence Forces in order to improve and ensure interoperability, cohesion, combat effectiveness and the ability for rapid reinforcement.

… und aus der später veröffentlichten deutschen Fassung:

Beide Staatsmänner eint der Wille, den östlichen Teil der NATO weiter zu stärken, um die glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung des Bündnisses weiterhin zu gewährleisten. In diesem Sinne und im Lichte der auf dem NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid zu treffenden Entscheidungen waren sich beide Staatsmänner einig, dass zusätzlich zu dem bereits bestehenden und aufgestockten Gefechtsverband der verstärkten Vornepräsenz Deutschland bereit ist, eine robuste und gefechtsbereite Brigade in Litauen anzuführen, zur Abschreckung und Verteidigung gegen russische Aggression. Diese Brigade, angeführt durch ein permanent disloziertes vorgeschobenes Element eines Brigadestabes in Litauen, wird aus deutschen Kampftruppen bestehen, die eigens diesem Zweck dienen und möglicherweise um multinationale Beiträge ergänzt werden; dadurch entsteht ein starker, zweckgebundener Kampfverband, der schnell disloziert und eingesetzt werden kann. Diese Truppen werden in ein intensives und umfassendes Übungsprogramm mit regionalem Schwerpunkt eingebunden, an dem auch die rotierenden Truppen und die litauischen Streitkräfte teilnehmen, um Interoperabilität, Geschlossenheit, Wirksamkeit im Einsatz und die Fähigkeit zur schnellen Verstärkung zu verbessern und zu gewährleisten.

Den Kern dieser Vereinbarung hatten allerdings Berlin und Vilnius unterschiedlich interpretiert. Während aus deutscher Sicht nur das Forward Command Element (FCE) der Brigade dauerhaft in Litauen bleiben und durch rotierende Kampftruppen zeitweise ergänzt werden sollte, bestand Litauen auf einer ununterbrochenen Präsenz der gesamten deutschen Brigade. Im Ernstfall reiche die Zeit nicht, diese Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland heranzuführen, hatte die litauische Regierung argumentiert.

Mit der aktuellen Ankündigung schwenkt die Bundesregierung auf diese Sicht ein – auch wenn Pistorius betonte, eigentlich sei das doch von Anfang an die Haltung in Berlin gewesen. Der deutschen Verteidigungsminister verband die Zusage allerdings mit zwei Vorbehalten:

• Litauen müsse die nötige Infrastruktur für diese Brigade bereitstellen und

• die Planungen müssten mit der NATO abgestimmt werden: Der militärische Oberbefehlshaber (SACEUR) müsse prüfen und klären, ob das mit den Plänen der Allianz für eine schnelle militärische Reaktionsfähigkeit in einer Krise vereinbar sei.

Die neue Position wirft davon unabhängig allerdings einige Fragen auf:

• Bislang fühlt sich Deutschland – im Unterschied zu anderen Bündnismitgliedern – an die NATO-Russland-Grundakte von 1997 gebunden, in der die Allianz auf die dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen auf dem Gebiet der ehemaligen Ostblockstaaten verzichtet. Ob mit dem neuen Angebot eine Abkehr von diesem Dokument verbunden ist, bleibt vorerst unklar.

• Das Heer befindet sich derzeit ohnehin in einem Umbauprozess, unter anderem, weil der NATO für 2025 und 2027 einsatzbereite Divisionen zugesagt wurden. Wie die Auslands-Stationierung einer kompletten Brigade dazu passt, bleibt offen.

• Eine dauerhafte Stationierung im Ausland sieht die Bundeswehr bislang nur auf freiwilliger Basis vor. Für eine solche Brigade in Litauen müssten Mannschafter, Unteroffiziere und Offiziere gefunden werden, die ihren Lebensmittelpunkt für einige Jahre nach Litauen verlagern wollen. Abgesehen von einigen – deutlich kleineren – Auslandsposten wie Ausbildungsstätten in den USA oder Frankreich, dem Bataillon der deutsch-französischen Brigade in Illkirch oder der französisch-deutschen Transportfliegerstaffel in Evreux gibt es damit in den deutschen Streitkräften praktisch keine Erfahrungen.

Die Aussagen von Pistorius im Audio – zunächst die erste Aussage zur Stationierung:

Pistorius_Litauen_Brigade     

 

… und die gemeinsame Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dem litauischen Präsidenten:

Pabrade_Pressekonferenz_26jun2023     

 

(Foto: Transportpanzer Fuchs und Lkw der Bundeswehr bei der Übung Griffin Storm in Pabrade/Litauen am 26. Juni 2023)