Nationale Sicherheitsstrategie: Vielleicht doch noch bisschen später
Trotz der Absicht des Bundestages, die lange erwartete erste Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands in der kommenden Woche zu debattieren, könnte sich die Vorlage des Grundlagendokuments noch verzögern. Möglicherweise werde die Strategie ein oder zwei Wochen später vorgelegt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Das Parlament hatte am vergangenen Samstag, ungewöhnlicherweise am Wochenende, die Debatte über die Nationale Sicherheitsstrategie für den 25. Mai angekündigt. Ob es tatsächlich dazu kommen werde, sei noch Thema von Gesprächen zwischen Regierung und Bundestag, sagte dagegen Hebestreit am (heutigen) Montag:
Frage: Zum Thema Nationale Sicherheitsstrategie: Der Bundestag hat jetzt für den 25. Mai eine Debatte über die Unterrichtung der Bundesregierung angesetzt. Können wir also davon ausgehen, dass es bis dahin vollbracht ist?
Hebestreit: Ich habe auch heute Morgen gelesen, dass es im Bundestag diese Diskussion gibt. Ich glaube, da gibt es jetzt noch Gespräche, ob das bis dahin sinnvoll ist oder ob wir das noch ein, zwei Wochen verzögern müssen. Das ist gerade in Klärung. Insofern kann ich Ihnen noch nicht weißen Rauch für die Verkündung der Nationalen Sicherheitsstrategie geben. Das ist in den allerletzten Zügen, aber meine Rücksprache heute hat ergeben – es müsste dann ja am 24. Mai im Kabinett beschlossen werden –, dass das noch nicht fix zuzusagen ist.
Zusatzfrage: Ist das ein unfreundlicher Akt des Bundestages, das jetzt schon mal auf seine Tagesordnung zu setzen? Genau diese Debatte, die Sie gerade ansprechen, findet ja normalerweise vorher geräuschlos statt.
Hebestreit: Ich habe keinerlei Erkenntnisse darüber, dass der Bundestag jemals einen unfreundlichen Akt gegen diese Bundesregierung hegt. Insofern gehe ich auch in diesem Fall davon nicht aus. Womöglich ging er davon aus, dass es am 24. Mai im Kabinett wäre. Dann wäre der 25. Mai wunderbar. Wenn er sich jetzt noch um ein, zwei Wochen verzögert, wird der Bundestag es sicherlich auf sich nehmen, den Antrag zwei Wochen später zu diskutieren. Aber wie gesagt: Das ist nichts, was schon besprochen ist, sondern etwas, was ich jetzt hier kolportiere und was jetzt in den dafür zuständigen Gremien noch miteinander besprochen werden muss.
Die federführend vom Auswärtigen Amt erarbeitete Nationale Sicherheitsstrategie ist das erste Grundlagendokument dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik und wurde eigentlich schon seit Monaten erwartet. Es soll nicht nur die bisherigen vom Verteidigungsministerium verantworteten Weißbücher zur Bundeswehr und zur Sicherheitspolitik ablösen, sondern darüber hinausgehend umfassend alle Bereiche der Sicherheit betrachten.
Die Vorlage dieser Strategie, die in anderen Nationen schon lange üblich ist, war im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen, hatten SPD, Grüne und FDP in ihrer Vereinbarung Ende 2021 festgelegt.
Hmm, evtl. haben die Autoren mal hier vorbeigeschaut und gemerkt, Nationale Sicherheitsstrategie ist mehr als Knall&Peng oder eine Auflistung internationaler Foren des diplomatischen Austausches … /Sarc Off
Da hat wohl jemand noch einmal genau nachgelesen und konkrete Inhalte gefunden. Das geht ja gar nicht.
Wenn die Erstellung des Grundlagendokumentes zum Aussen- und Sicherheitspolitischen Handeln einer Regierung mehr als die Hälfte von deren Legislatur in Anspruch nimmt, bleibt die Frage, wann denn dessen Inhalte zur Umsetzung gebracht werden sollen. Mehr als ein knappes Jahr (Netto) wird dazu ja vermutlich nicht bleiben.
Im Bestreben besser zu werden, sollte bereits jetzt konstruktiv nach vorne geschaut werden: Wie machen wir das beim nächsten Mal?
Auf der Hand liegen zwei Möglichkeiten:
1- Es bleibt ein Regierungsdokument und legislaturgebunden – in diesem Fall muss deutlich schneller gearbeitet werden. Maximalkonsentierung samt Wahrung aller föderalen und ressortgetriebenen Partikularinteressen muss zurückstehen.
2- Man erkennt an, dass „schneller“ im Deutschen System nicht geht und versucht sich stattdessen an einem legislaturunabhängigen, fraktionsübergreifenden Dokument unter Einbindung aller (seriösen!) Spektren der parlamentarischen Landschaft.
Ob 1 oder 2 besser ist, bleibt vermutlich spekulativ, solange das Ergebnis des ersten Aufschlags weiter unbekannt ist.
P.S.:
Option 3 wäre natürlich sich eingestehen zu müssen, dass uns 1 und 2 strukturell überfordern, es künftig zu lassen – und einfach weiter „auf Sicht“ zu fahren.
Desto länger es dauert, desto wahrscheinlicher scheint auch diese Lösung. Leider. Wäre eine vertane Chance, denn wenn wir uns JETZT nicht auf die bestimmenden Inhalte unserer Sicherheitsinteressen einigen können, was muss denn dann passieren damit das geht?
Es bleibt spannend.
@Prometheus
Die Staaten, die ernst genommen werden wollen, machen ihre Strategie (Außenpolitik, Verteidigung, Wirtschaft u.a.) nicht an einer Legislatur, Partei oder einer bestimmten Regierung fest.
Sondern diese Strategie ist über alle Parteien hinweg Konsens und hat längerfristig Bestand. Das nennt man dann auch: Berechenbarkeit und Verläßlichkeit. Wesentliche – nicht vorhersehbare / antizipierbare – Lageänderungen bedingen natürlich ein Nachsteuern bzw. ggf. auch radikalere Kurswechsel, wobei letztere der Sache natürlich abträglich sind und im Konsens und Abstimmung mit den Partnern durchzuführen sind.
Deutschland wurde und wird als „Risiko“ angesehen da wir eben keine erkennbare / kommunizierte Strategie haben und man uns überhaupt nicht einschätzen kann. Man hat uns das nicht abgenommen und uns schon als Absicht unterstellt.
Das heißt nicht, daß man jedem gefallen muß, aber man muß seine Interessen deutlich machen und diese dann auch nachhaltig und ggf. robust vertreten. „Speak softly and carry a big stick“.
@Thomas Melber:
Das liegt u.a. daran, dass manche Regierungen tragende Parteien (Bund wie Land) sich auch (koalitions-)intern nicht einig sind, wie Sicherheitspolitik und internationale Verpflichtungen laufen sollen. Außen- und geopolitische Debatten laufen eben häufig unter dem Vorzeichen „Moralisieren ohne echte Verantwortung“.
Bei der SPD ist zwischen Staatsräson und Linkspazifismus alles an Strömungen vertreten. Die Grünen spagatieren gern zwischen Fundis und Realos und die Linkspartei will seitens der beiden Vorgenannten keiner endgültig durch entsprechende Festlegungen für künftige Koalitionsoptionen vergraulen…
Ohne das abschließend werten zu wollen, macht es jedenfalls das Finden einer entsprechenden nationalen Sicherheitsstrategie nicht einfacher. Zumal sich schon allein an der Begrifflichkeit vermutlich auch der eine oder andere in den Regierungsparteien prinzipiell stören dürfte.
So langsam fühle ich mich an den Ankündigungsminister Andy Scheuer erinnert.
Wie in sämtlichen Politikfeldern auch: Diese Regierung müsste doch erst einmal einen Weg finden sich untereinander zu e i n i g e n und dann auch offensiv und g e m e i n s a m das Beschlossene zu vertreten! Das kann dauern bei dieser Regierung!!
Mir fällt auf, dass nur die Uneinigkeiten des eher linken Parteienspektrums aufgezählt werden. Daher als Ergänzung: die FDP – bekanntlich anders als die Linke in Regierungsverantwortung – bei der kurzfristige wirtschaftliche Interessen (zum Beispiel im Hinblick auf das Verhältnis zu China) höher gewichtet werden als langfristige strategische Interessen.
Vielleicht sollten wir die Diskussion verschieben, bis ein bewertbares Ergebnis vorliegt. Ich hielt dies bisher auch nicht für ein Forum parteipolitischer Erwägungen. Nur zur Erinnerung, die Vorgängerregierungen in wechselnder Zusammensetzung sind über ein Weißbuch oder Verteidigungspolitische Richtlinien auch nie hinausgekommen…
Mir ist nicht bekannt, dass sich eine Deutsche Regierung über das Thema nationale Sicherheitsstrategie je Gedanken machte. Das Thema Sicherheit überließ man stets unseren Partnern, vorrangig der USA. War es bequem und wirtschaftlich rentabel machte man mit, wenn nicht, dann halt nicht. Charakterliche Defizite unserer Politik verhinderten es bis jetzt überhaupt Verantwortung für unser Land und auch für unsere Partner zu definieren und diese auch glaubhaft zu benennen. Seit vielen Jahren verlassen wir uns darauf, dass andere, vorran die USA uns irgendwie beistehen und dies besonders nach dem Fall der Mauer. Ab und zu mal ein Weißbuch und das hatte dann zu genügen. Für unsere Partner abe reicht das schon seit Jahrzehnten nicht mehr und seit dieser Zeit gelten wir als Trittbretfahrer und niemand traut uns wirklich. Unsere Politik gibt Versprechen ab, die dann in die Tonne getreten werden, hauptsache der Rubel rollt, auch wenn es zum Nachteil der Anderen ist, denken wir dabei nur an die Versprechen an die NATO das 2%-Ziel wirklich erreichen zu wollen, wie wertlos die Versprechen unserer Politik ist bei unseren Partnern bekannt. Jetzt ist die Zeit endlich Farbe zu bekennen und mit einer vernüftigen Sicherheitsstrategie unseren Partner ein verbindliches Signal zu geben für was wir überhaupt verbindlich stehen.
Freue mich schon auf den Verriss im Sicherheitspott.
Pott wie Spott. 😂
„Deutschlandgeschwindigkeit“
….er passiert lange nichts, dann wird was angekündigt, dann was verschoben, dann irgendwann irgendwas geliefert, das nach halbfertig aussieht, aber bejubelt wird, wie die Erfindung der Glühlampe…
Zitat:“Nationale Sicherheitsstrategie: Vielleicht doch noch bisschen später“
Oooch, nur keine Eile. Bisherige Bundesregierungen haben ja auch ohne nationale Sicherheitsstrategie nicht gewusst,wo sie mit der Bundeswehr hinwollen. Und vermutlich weerden sie es auch nach der Formulierung noch nicht wissen. Und für so was wird dann ein Wald zersägt. (Ironie aus).
@Prometheus:
Es gibt eine Option 1a:
Ein schlaues Papier schreiben (lassen), dieses ins Schaufenster stellen und es in der Praxis einfach ignorieren.
Wie auch schon bei Weißbüchern usw.
Ich befürchte zudem, dass es inhaltlich Recht mager werden wird und keine echten Leitplanken liefert, sondern tlw überholte Allgemeinplätze (z.B. zu vernetzter Sicherheit ohne Fokus auf innere Sicherheit/Zivilschutz).
Im Juni kommt die Strategie, im Juli der Bundeshaushalt 2024 ins Kabinett.
Da wird man dann schon sehen:
Anspruch vs. Wirklichkeit (nicht nur bei 2%, sondern bei anderen Bereichen einer modernen integrierten Sicherheit).
In der Legislaturperiode ändert die Strategie gar nichts mehr, war aus meiner Sicht auch nie ernsthaft geplant (siehe Option 1a).
Interessantes Zitat aus der letzten Ausgabe der Frankfurter Sonntagszeitung in einem Aufsatz zur Geopolitik: In Deutschland gibt es genau einen (1) Lehrstuhl an einer Hochschule für Strategieforschung in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Wenn man weiter recherchiert, findet man dagegen 196 Lehrstühle für Gender Studies.
Ich möchte nicht so verstanden werden, also ob Gender Studies nicht wichtig wären. Meine Schlussfolgerung ist vielmehr, dass wir als Gesellschaft unsere Prioritäten klar gesetzt haben. Eine Nationale Sicherheitsstrategie gehört definitiv nicht dazu, Putin hin oder her. Nebenbei bemerkt haben wir gar nicht mehr das erforderliche unabhängige wissenschaftliche Know-how in diesem Bereich (s.o.).
Eine nationale Sicherheitsstrategie dient der Wahrung der nationalen Interessen.
Daß es solche nationalen Interessen überhaupt geben könne, wird von der deutschen Politik seit langem vehement bestritten (s. Streit um/Rücktritt von Bundespräsident Köhler). Das macht die Folmulierung einer Sicherheitsstrategie schwierig und es steht zu befürchten, daß nur ein Sammelsurium bekannter Phrasen zu Papier gebracht wird.