Der China-Ballon über den USA: Gab’s so was auch über Deutschland?

Der chinesische Aufklärungs/Spionageballon, der Anfang Februar in großer Höhe die USA überquerte und dann über dem Atlantik von US-Kampfjets abgeschossen wurde, steht zwar zunächst nicht in direktem Zusammenhang mit verteidigungspolitischen Themen in Europa. Dennoch gibt’s auch hier großes Interesse, deshalb zum Nachlesen und fürs Archiv:

• Als Überblick: Die Geschichte des Überflugs des chinesischen Ballons über die USA bis zum Abschuss in der Zusammenfassung des US-Verteidigungsministeriums:

F-22 Safely Shoots Down Chinese Spy Balloon Off South Carolina Coast

• In einem Briefing des Pentagon vom 4. Februar wird darauf verwiesen, dass es solche Ballons in der Vergangenheit schon mehrfach gab – und auch über Europa:

Over the past several years, Chinese balloons have previously been spotted over countries across five continents, including in East Asia, South Asia, and Europe.

• Die Frage nach solchen Ballons über Europa und spezifisch möglicherweise auch über Deutschland in den vergangenen Jahren kam in der Bundespressekonferenz am 6. Februar auf – zusammen mit der Frage, was denn die Bundeswehr gegebenenfalls dagegen unternehmen könnte. Die Aussagen dazu vom stellvertretenden Regierungssprecher Wolfgang Büchner, Andrea Sasse vom Auswärtigen Amt, Maximilian Kall vom Bundesinnenministerium, Fregattenkapitän Christina Routsi vom Verteidigungs- und Bettina Lauer vom Verkehrsministerium:

Frage: Herr Büchner, was ist derzeit über chinesische Ballons über Europa bekannt? Welche Behörden sind oder wären dafür zuständig?

Büchner: Wir haben die Berichte über den Überflug eines chinesischen Ballons über den Luftraum der USA und dessen Abschuss mit Sorge zur Kenntnis genommen. Zum Sachverhalt und den Hintergründen liegen uns keine eigenen Erkenntnisse vor. Wir hoffen, dass der Vorfall nicht zu weiteren Spannungen beziehungsweise einer Eskalation im amerikanisch-chinesischen Verhältnis führen wird.
Welche Behörden zuständig sind, richtet sich nach dem jeweiligen Fall. Wenn das, wie ich gelernt habe, bis zu einer Flughöhe von 11 000 Metern passiert, dann ist das BMDV zuständig. Der Ballon, von dem wir hier reden, flog ja auf 17 000 Metern Höhe. Da wäre nicht mehr das BMDV zuständig, sondern das BMI – und im Zweifel das BMVg.

Routsi: Wenn ich darf, würde ich das gern noch einmal kurz einordnen: Die Lagefeststellung Sicherheit im deutschen Luftraum ist eine ressortgemeinsame Aufgabe, so wie Herr Büchner es gesagt hat. Sie wird im Nationalen Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum überwacht. Dort sind eben diese Kompetenzen in dem Dreiklang, den Herr Büchner gerade erwähnt hat, gebündelt: Flugsicherung beim BMDV, Gefahrenabwehr beim BMI, und – jetzt kommen wir zu meinem Haus – für den militärischen Anteil die Luftwaffe mit ihrem Dauerauftrag der Gewährleistung der Sicherheit im Luftraum. Sie kennen die Alarmrotten, die beispielsweise dann aufsteigen, wenn der Funkkontakt zu einem zivilen Luftfahrzeug verlorengeht. In diesem Falle habe ich für das BMVg aber keinen Beitrag.

Kall: Für die Sicherheitsbehörden, die für die Spionageabwehr zuständig sind, kann ich noch ergänzen, dass sie jegliche Spionage, die von ausländischen Nachrichtendiensten ausgeht, und die Gefahren, die damit verbunden sind, selbstverständlich im Blick haben, dass sie auch die aktuellen Sachverhalte klären und sich dazu natürlich auch mit internationalen Partnern austauschen. Für Bewertungen, die auf Deutschland bezogen sind, ist es aber zu früh.

Zusatzfrage: Das war ja die Ausgangsfrage: Gibt es denn auf all diesen Flughöhen schon irgendwelche Erkenntnisse?

Kall: Es gibt noch keine Erkenntnisse, die wir Ihnen hier nennen könnten. Sie wissen aber auch, dass wir uns hier zu eventuellen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen auch gar nicht äußern könnten. Insofern ist das eine sehr zurückhaltende Aussage.

Frage: Eine dumme Frage: Benutzt denn Deutschland Luftballons zur Aufklärung oder zur Wetterbeobachtung? Weiß das jemand?

Routsi: Wir haben keine Luftballons.

Vorsitzender Detjen: Hat das Verkehrsministerium vielleicht Luftballons?

Lauer: Was ich vielleicht ergänzen kann, ist, dass es für den Betrieb von Wetterballons und Wettersonden hier in Deutschland innerhalb des zivilen Luftraums, also bis zur Höhe der genannten 11 000 Meter, einer gesonderten Genehmigung der Deutschen Flugsicherung zur besonderen Luftraumnutzung bedarf. Das ist sozusagen die Grundlage hier in Deutschland.

Zusatzfrage: Wurde denn in der letzten Zeit so eine Genehmigung erteilt?

Lauer: Der Deutsche Wetterdienst hat natürlich immer wieder einmal Wettersonden im Einsatz; da ist das sicherlich der Fall. Alles andere ist mir nicht bekannt.

Frage: An das BMVg: Die Flughöhe ist ja auch eine Einschränkung dessen, was technisch möglich ist, um einem entsprechenden Objekt zu begegnen. Wäre die Bundeswehr denn in der Lage, einen entsprechenden Ballon, der nicht auf 20, sondern auf 30 Kilometern Höhe fliegt, überhaupt zu erreichen?

Routsi: Das ist eine hypothetische Frage. Die beantworte ich nicht.

Zusatzfrage: Dann mache ich es ganz konkret: Meines Wissens hat die Bundeswehr kein System, um über 20 Kilometern irgendetwas herunterzuholen. Was würde man dann machen?

Routsi: Auch das ist eine hypothetische Frage.

Frage: Herr Kall, ich habe noch eine Nachfrage zu einer Aussage von Ihnen. Sie sagten eben, es gebe noch keine Erkenntnisse, die Sie uns heute mitteilen könnten. Was kann man daraus jetzt folgern? Dass praktisch noch untersucht wird, ob es solche Vorfälle in Deutschland gegeben hat? Oder gibt es schon Ergebnisse, aber man kann es noch nicht sagen? Was genau verbirgt sich da hinter Ihrer Aussage? Das verstehe ich nicht ganz.

Kall: Die zuständigen Behörden prüfen das; für etwaige Bewertungen wäre es daher heute noch zu früh. Mit aller Vorsicht und gegebenenfalls auch als Erwartungsmanagement habe ich dann noch den Disclaimer hinterhergeschoben, den wir hier immer nennen, nämlich dass wir uns zu etwaigen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen – ob es die jetzt gibt oder nicht – von hier aus nicht äußern können.

Zusatzfrage: Wann rechnen Sie mit der Möglichkeit, auch öffentlich etwas dazu sagen zu können? Ist das schon absehbar?

Kall: Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Zusatzfrage: Ich meine, so ein Ballon ist jetzt ja auch nicht so – – – Ob es in der Vergangenheit einmal so einen Vorfall gegeben hat, dann könnte man das ja wahrscheinlich relativ schnell herausfinden?

Kall: Noch einmal: Das wird von den zuständigen Behörden geprüft.

Frage: Noch einmal zurück zu den Amerikanern und deren Äußerungen: Die haben ja mitgeteilt, dass es chinesische Spionageballons bisher schon auf über fünf Kontinenten gebe. Es macht dann ja Sinn, dass auch Europa betroffen sein muss. War der Bundesregierung der Sachverhalt bekannt, dass die Amerikaner das wissen? Falls nicht: Haben die USA ihre europäischen Partner demnach nicht über frühere Überflüge informiert?

Büchner: Mir liegen dazu keine Erkenntnisse vor.

Zusatzfrage: Frau Sasse?

Sasse: Ich kann Ihnen mitteilen, dass die amerikanische Regierung uns über diplomatische Kanäle über den Vorgang auf dem Laufenden gehalten hat.

Zusatzfrage: Es geht jetzt ja um frühere Überflüge von chinesischen Ballons. Die Amerikaner haben die auf über fünf Kontinenten gesichtet. Hat die Bundesregierung bisher in all den Jahren Hinweise der amerikanischen Seite bekommen?

Sasse: Ich habe jetzt Stellung zum aktuellen Vorfall genommen, weil der ja derjenige ist, über den wir gerade diskutieren. Da war mir wichtig, Ihnen mitzuteilen, dass es diese diplomatischen Kontakte gegeben hat. Was alle früheren Vorfälle angeht, müssten wir, glaube ich, als Bundesregierung nachforschen, um welche es sich da genau handelt, auf die Sie anspielen. Vielleicht können Sie die Frage da etwas präzisieren und sagen, auf welche Vorgänge Sie da Bezug nehmen, und dann reichen wir das gerne nach.

Ergänzung: Den aktuellen Stand aus einem Briefing vom Kommandeur des Northern Air Command der USA und Kanadas hat Dan Lamothe von der Washington Post zusammengefasst:

Good, descriptive briefing today from @NORADCommand Gen. Glen VanHerck about recent counter-balloon operations over the United States just concluded. Some key takeaways:
VanHerck, speaking in a Zoom call, described the balloon as roughly 200 feet tall, with a massive device hanging on the bottom that was roughly the size of a regional jet. It’s part of why a shootdown was complicated, he said.
He acknowledged that the United States wasn’t aware at the time of several previous surveillance balloons that visited in recent years and were reported in the media over the last few days.But in this case, they saw it coming north of the Aleutian Islands, he said.
Why not shoot it down in Alaskan airspace?
„It wasn’t time,“ he said. But there’s more to it, he implied:
„It was my assessment that this balloon did not present a physical military threat to North America — this is under my NORAD hat — and therefore, I could not take immediate action because it was not demonstrating hostile act or hostile intent,“ Gen. VanHerck told reporters.
Canadian and U.S. officials were kept in the loop as it made its way further inland, he said.
They continued to collect information about it over the next couple of days. Planning for the shootdown was extensive. NASA was consulted to assess what a debris field might look like.
The shootdown, off the coast of South Carolina, has led to both a large and small debris field. The small one, roughly 1,500 meters by 1,500 meters, has the superstructure of the balloon below water.
That said, other debris is on the surface, and some may float ashore. VanHerck asked any civilians who find debris washing in to call law enforcement and turn it over.
The USS Carter Hall, an amphibious dock landing ship, will serve as the command vessel for the search.
The USNS Pathfinder, an oceanographic vessel, is now on scene and mapping below the surface to search for debris, he said.
Coast Guard is providing air support from Elizabeth City and Savannah for the balloon recovery. Also has the cutters Nathan Bruckenthal, Venturous, and Richard Snyder involved.
VanHerck said rough sea states limited operations on Sunday. This morning, Navy EOD teams on rigid inflatable boats began work, relying in part on unmanned underwater vehicles. By this afternoon, more will be known about how many large pieces of debris there are, and locations.
U.S. officials have not detailed how they learned of the earlier balloons after last week’s overflight. But „reverse collection“ of intelligence could well be involved.
VanHerck declined to say. Other U.S. officials I’ve talked about it have so far, too, citing opsec

Inzwischen gibt es von diesem Briefing auch das Transkript.

(Foto: Aufnahme des chinesischen Ballons über Billings im US-Bundesstaat Montana – Chase Doak via Wikimedia Commons;Chase Doak, Kinesiska ballongincidenten 2023 -Chinese surveillance balloon over Billings in USA, CC BY 4.0)