NATO-Atomwaffenübung Steadfast Noon: Same procedure as every year?

Die NATO hat in dieser Woche ihre jährliche Übung Steadfast Noon begonnen, bei der die Allianz die Abläufe beim Einsatz nicht-strategischer Atomwaffen durchspielt. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird diese Übung anders wahrgenommen als früher – aber auch die NATO verhält sich diesmal anders.

Die regelmäßige Übung in Europa ist seit Jahren von einem Schleier der Geheimhaltung umgeben, auch wenn der schon immer recht löchrig war: Das plötzliche Flugaufkommen an bestimmten Luftwaffenbasen in West- und Südeuropa wie Büchel in Deutschland, Kleine Brogel in Belgien oder Aviano in Italien ließ sich kaum verheimlichen und war auch meist ein Treffen der so genannten Spotter, der Flugenthusiasten, die das als Gelegenheit für Fotos nutzten. Denn bei Steadfast Noon kommen nicht nur die Flugzeuge zum Einsatz, die für den Abwurf von US-Atomwaffen vorgesehen sind, sondern auch die so genannten Unterstützer, die zum Beispiel mit Abfangjägern diese Einsätze absichern sollen.

In diesem Jahr ist die NATO allerdings von sich aus etwas weiter gegangen: Erstmals kündigte die Allianz diese Übung bereits vor Beginn öffentlich an. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwähnte das vergangene Woche in seiner Pressekonferenz vor dem Treffen der Verteidigungsminister (Next week, NATO will hold its long-planned deterrence exercise, Steadfast Noon. This is routine training, which happens every year. To keep our deterrent safe, secure and effective.), und das Bündnis gab sogar eine gesonderte Pressemitteilung dazu heraus:

Air forces from across NATO will exercise nuclear deterrence capabilities involving dozens of aircraft over north-western Europe starting on Monday (17 October 2022). The exercise, which runs until 30 October, is a routine, recurring training activity and it is not linked to any current world events.
Exercise „Steadfast Noon“ involves 14 countries and up to 60 aircraft of various types, including fourth and fifth generation fighter jets, as well as surveillance and tanker aircraft. As in previous years, US B-52 long-range bombers will take part; this year, they will fly from Minot Air Base in North Dakota. Training flights will take place over Belgium, which is hosting the exercise, as well as over the North Sea and the United Kingdom. No live weapons are used.
Steadfast Noon is hosted by a different NATO Ally each year. “This exercise helps ensure that the Alliance’s nuclear deterrent remains safe, secure and effective,” said NATO Spokesperson Oana Lungescu.

Das ist mehr Transparenz als selbst 2020: Damals besuchte Stoltenberg demonstrativ die bereits laufende Übung in den Niederlanden; in der Mitteilung dazu war von NATO’s annual nuclear exercise die Rede. Vorher öffentlich angekündigt wurde die allerdings nicht, und 2021 lief es in Italien wieder nach dem üblichen Muster.

Der öffentliche Umgang der Allianz mit der Übung in diesem Jahr dürfte recht eindeutig auf das Bemühen zurückzuführen sein, keine falschen Signale Richtung Russland zu richten – oder andersrum: genau die aus Bündnissicht richtigen Signale zu senden. Dabei geht es zum einen darum, die Bereitschaft der NATO auch zum Einsatz strategischer Atomwaffen deutlich zu machen. Gleichzeitig dürfte es aber auch das Bestreben sein, Russland nicht zu der Annahme zu verleiten, dass die NATO von sich aus einen Angriff mit solchen Waffen vorbereite.

Denn nicht nur hat der russische Präsident Wladimir Putin seit Monaten immer wieder mehr oder weniger deutlich mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen auch im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gedroht. Es soll auch, wie Reuters vergangene Woche berichtete, eine eigene Atomwaffenübung der russischen Streitkräfte anstehen – um so mehr Grund, mögliche Missverständnisse auszuschließen.

Die beste Übersicht zu den in Europa lagernden taktischen Atomwaffen und den Übungen bei Steadtfast Noon gibt es übrigens, wie auch bisher schon, beim US-Wissenschaftler Hans Kristensen, der sich für die Federation of American Scientists mit Atomwaffen befasst. Darin geht er auch auf die Modernisierung der US-Atomwaffen in Europa ein – und hat zwei für die deutsche Beteiligung an dieser so genannten nuklearen Teilhabe interessante Fakten parat.

Zum einen schätzt Kristensen die Zahl der auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagernden Atomwaffen etwas geringer ein als bisher öffentlich vermutet – es sollen derzeit 15 statt wie allgemein angenommen 20 sein. Und zum anderen werden diese Atombomben vom Typ B61 derzeit modernisiert – wovon die Bundeswehr allerdings nichts hat: Die modernisierten und dann vermutlich zielgenaueren Bomben bedürften einer Digitalisierung des Trägerflugzeugs, über die der Tornado der Luftwaffe nicht verfügt. Bis zum geplanten Ersatz dieser älteren Maschinen durch die F-35-Jets wird sich daran nichts ändern.

(Archivbild Oktober 2020: US-Generalmajor Derek C. France, zu dem Zeitpunkt Air Forces in Europe – Air Forces Africa Headquarters director of operations, strategic deterrence, and integration, beim Besuch eines Shelters auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel, wo US-Atomwaffen gelagert sind – U.S. Air Force photo by Senior Airman Jovante Johnson)