Bundeswehreinsatz im Irak wird „nach umfangreicher Prüfung“ fortgesetzt – Bundestag stimmt zu (m. Abstimmungsdetails)

Angesichts des Ukraine-Krieges und der Konzentration auf Bündnisverteidigung an der NATO-Ostflanke geraten die Auslandseinsätze der Bundeswehr ziemlich in den Hintergrund – aber es gibt sie ja weiter, und nicht nur den großen Einsatz in Mali: Die bereits seit Ende 2015 laufende deutsche Beteiligung an der internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat hat der Bundestag um ein weiteres Jahr verlängert.

Das neue, am (heutigen) Freitag vom Parlament gebilligte Mandat (Bundestagsdrucksache 20/3818) unterscheidet sich formal praktisch nicht vom vorhergehenden, im Januar dieses Jahres genehmigten Bundestagsbeschluss (Bundestagsdrucksache 20/408). Weiterhin sollen bis zu 500 Soldat*innen eingesetzt werden können, die wie bisher im Irak selbst beraten, eine Berater- und Ausbildungsgruppe in der kurdischen Autonomieregion stellen, auf der Basis Al-Asad im Zentralirak ein Radar zur Luftraumüberwachung betreiben und von Jordanien aus Luftbetankung und -transport für Verbündete in der internationalen Anti-IS-Koalition bereitstellen. Aktuell sind dafür rund 260 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.

Ergänzung/KORREKTUR: Für die Weiterführung des Einsatzes in einer internationalen Koalition (und damit als einziger Auslandseinsatz der Bundeswehr nicht eingebunden in UN, NATO oder EU) stimmten nach Angaben des Bundestages in namentlicher Abstimmung 534 Abgeordnete (Bundestag korrigierte Angabe). 104 sprachen sich dagegen aus, fünf Parlamentarier enthielten sich. Die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP stimmten fast geschlossen, die Union geschlossen zu; AfD und Linke votierten wie in früheren Abstimmungen geschlosen dagegen.

Der Bundestag hatte zu Beginn des Jahres die Zustimmung zum deutschen Einsatz im Kampf gegen den IS und zur Stabilisierung des Irak lediglich bis Ende Oktober verlängert und nicht wie üblich um ein Jahr. Damit sollte formal der Jahresrhythmus wieder erreicht werden, der nach der Bundestags-Billigung des Einsatzes im Oktober 2021 und der folgenden Bundestagswahl durch die im Januar eingeschobene Abstimmung unterbrochen wurde. Vor allem aber legte die neue Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP Wert darauf, dass der Einsatz im Mandatszeitraum umfassend und inklusiv überprüft werden sollte.

Diese Überprüfung, betonte die Bundesregierung in ihrer Vorlage für das Parlament, habe stattgefunden und im Ergebnis zur Fortführung der Mission geführt:

Der Einsatz der Bundeswehr basiert weiterhin auf dem Ansatz der Komplementarität der zwei internationalen militärischen Einsätze, OIR  (Operation Inherent Resolve) und NMI (NATO Mission Iraq). Ziel ist die Stärkung des irakischen Sicherheitssektors durch Fähigkeitsaufbau auf strategisch-institutioneller Ebene sowie Umsetzung der Sicherheitssektorreform, primär im Rahmen NMI. Zum anderen zielt er auf die Unterstützung der irakischen Streit- und Sicherheitskräfte im Kampf gegen IS durch Beiträge zu OIR im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte sollen dazu befähigt werden, die Sicherheit in Irak eigenständig zu gewährleisten und so aufgestellt werden, dass von irakischem Boden keine Bedrohung für die internationale Sicherheit durch die Terrororganisation IS ausgeht. Hierbei sollen sie auch zukünftig unterstützt und beraten werden, wie von Irak erbeten und ausgerichtet am irakischen Bedarf.
NMI ist eine ausschließliche Beratungsmission ohne Kampfauftrag. Ab 2018 auf Beschluss des Nordatlantik-
Rats implementiert, ist das Engagement im Rahmen der strategischen Beratung wichtiger Bestandteil des internationalen Engagements. Durch die Besetzung des Dienstpostens des Director Training Development Division
NMI hat Deutschland im vergangenen Mandatszeitraum eine der Führungspositionen der Mission übernommen.
Durch die weitere Besetzung von Dienstposten, hauptsächlich im Bereich der Beratung, trägt Deutschland maßgeblich zum Missionserfolg bei und leistet im Sinne von Lastenteilung und Bündnissolidarität konkrete Beiträge im Kreis der ebenfalls engagierten Partner. NMI soll gemäß NATO-Planungen mittelfristig entlang des irakischen Bedarfs weiter aufwachsen. Diese Entwicklung begleitet Deutschland auf den verschiedenen Ebenen der NATO. Der deutsche Beitrag wird in diesem Zeitraum entlang aktueller Planungen von derzeit durchgängig ca. 15 auf zukünftig ca. 35 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen.
Einen Beitrag zum Fähigkeitsaufbau der ISF leistet die Bundeswehr im Rahmen von OIR in Erbil. Dort besetzt
sie Dienstposten im sogenannten „Joint Operational Command Advisory Team“ (JOCAT). Dieses Beratungsteam berät die kurdischen Sicherheitskräfte in Nord-Irak auf operativer Ebene. Taktische Grundlagenausbildung
wird im Rahmen von OIR seit Mitte 2020 nicht mehr durchgeführt. Der Teilkontingentführer in Nord-Irak ist
darüber hinaus Mitglied der sogenannten Multinational Advisory Group (MNAG), die das Ministry of Peschmerga bei der Umsetzung von Reformen berät. Zudem sind im deutschen Feldlager internationale OIR-Partnerländer untergebracht, die sich auf die deutsche Infrastruktur abstützen (durchgängig das Vereinigte Königreich, Niederlande und Slowenien). In die internationale Sanitätsversorgung bleibt ein Chirurgenteam der Bundeswehr auch im kommenden Mandatszeitraum eingebunden. Die deutsche militärische Präsenz in Nord-Irak hat über die Beiträge zu OIR hinaus auch einen sicherheitspolitischen Mehrwert für die deutschen bilateralen Beziehungen zu Irak und unterstützt das Aufrechterhalten der bestehenden Verbindungen zu wichtigen politisch-militärischen Führungsfiguren der kurdischen Regionalregierung und Sicherheitskräften. (…)
Im Rahmen der Überprüfung wurde deutlich, dass die internationale Präsenz und der Beitrag zum Fähigkeitsaufbau der ISF weiter notwendig ist. Ein wichtiger Bereich ist die Zusammenarbeit der kurdischen Sicherheitskräfte mit den irakischen Streit- und Sicherheitskräften entlang der Kurdish-Coordination Line, um dortige Räume des IS zu schließen. Die innerirakische Kooperation im Sicherheitsbereich muss weiter ausgebaut und intensiviert werden. Hierbei unterstützt OIR und die Bundeswehr als Teil dieses internationalen Engagements.
Entsprechend den Schlussfolgerungen des Überprüfungsberichts wird im kommenden Mandatszeitraum in 2023 eine Nutzung des Airbus A330 MRTT im Rahmen von OIR zur Luftbetankung geprüft. Die Fähigkeit zum Lufttransport soll auch weiterhin allen Partnern im Rahmen von OIR und NMI bei Bedarf zur Verfügung stehen. Die Unterstützung der Anti-IS-Koalition mit NATO-AWACS wurde infolge des russischen Angriffskriegs umpriorisiert, und ist seitdem nicht mehr für OIR im Einsatz. Dennoch bleibt die Aufgabe Teil des nationalen Mandats, um für den Fall der Wiederaufnahme mandatsrechtlich vorbereitet zu sein.
Das bodengebundene Luftraumüberwachungsradar soll ein weiteres Jahr im Einsatz verbleiben und einen Beitrag
zur Verdichtung des Luftlagebilds und zur erfolgreichen Operationsführung der Anti-IS-Koalition leisten. Anschließend soll das Radar gemäß aktueller Planungen zur Regeneration nach Deutschland zurückverlegt werden.

(Archivbild: Übergabe des Kommandos über das deutsche Einsatzkontingent am 4. Oktober von Oberst Jörg Schroeder an Oberst Timo Heimbach – Foto Einsatzführungskommando der Bundeswehr)