Friedensforschungsinstitut befürchtet mehr Atomwaffen, mehr Atomkriegsgefahr

Nach Jahrzehnten der Bemühungen um nukleare Abrüstung befürchtet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI eine wieder zunehmende Aufrüstung mit Atomwaffen. Zudem sei die Gefahr eines Atomkriegs seit den schwierigsten Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr so hoch gewesen.

Das Institut kommt in einer am (heutigen) Montag veröffentlichten Übersicht zu dem Ergebnis, dass zusammen mit der nuklearen Aufrüstung auch die Gefahr eines Einsatzes steige. Alle nuklear bewaffneten Staaten vergrößern oder modernisieren ihr Arsenal, und die meisten verschärfen die nukleare Rhetorik und die Rolle, die Atomwaffen in ihren Militärstrategien spielen, warnte Hans Christensen, der am SIPRI-Forschungsprogramm zu Massenvernichtungswaffen beteiligt ist und das Nuklear-Informationsprojekt der Federation of American Scientists leitet.

Nach der Übersicht des Stockholmer Instituts existierten Anfang dieses Jahres weltweit 12.705 atomare Sprengköpfe, von denen rund 9.440 in Militärdepots für einen Einsatz bereitgehalten wurden. Rund 2.000 dieser Atomsprengköpfe wurden (und vermutlich: werden) in hoher Einsatzbereitschaft gehalten – fast ausschließlich in Russland und den USA.

Die nutzbaren Nuklearwaffen dieser beiden Atommächte seien trotz aller Angaben zur Abrüstung praktisch in gleicher Zahl wie in den Vorjahren vorhanden, erklärte SIPRI. Die abgerüsteten Nuklearwaffen seien überwiegend veraltet gewesen und deshalb ausgemustert worden. Beide Länder hielten sich an die Obergrenzen des New START-Abkommens, das allerdings nur die strategischen und nicht die so genannten taktischen Atomwaffen umfasse.

Russland und die USA verfügen unverändert über 90 Prozent aller Atomwaffen weitweit. Allerdings seien die anderen sieben Atomwaffenstaaten – China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea – entweder dabei, ihr Arsenal zu modernisieren oder hätten das angekündigt. Wenn es keine schnellen und konkreten Schritte zur Abrüstung gebe, werde die Zahl der Atomsprengköpfe weltweit bald erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder steigen, sagte der SIPRI-Wissenschaftler Matt Korda.

Dem stünden auch die öffentlichen diplomatischen Bemühungen um eine Eindämmung der Gefahr eines Atomkireges nicht entgegen, warnte SIPRI. Zwar sei im vergangenen Jahr der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft getreten, ebenso wurde das New START-Abkommen zwischen Russland und den USA um fünf Jahre verlängert. Außerdem seien die Gespräche mit Iran über ein Abkommen, das die nukleare Bewaffnung des Landes verhindern soll, wieder in Fahrt gekommen.

Ungeachtet dessen hätten aber die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, die alle auch Atommächte sind (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich), die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen fortgesetzt und die Bedeutung dieser Waffen betont – bis hin zu mehr oder weniger offenen Drohungen Russlands im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine. Auch hätten diese fünf Länder einhellig den Atomwaffenverbotsvertrag abgelehnt. Obwohl es im vergangenen Jahr signifikante Fortschritte sowohl bei der Rüstungskontrolle als auch bei der Abrüstung gab, scheint die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen derzeit höher denn je seit den Hochzeiten des Kalten Krieges, warnte SIPRI-Direktor Dan Smith.

Im neuen SIPRI-Jahrbuch, aus dem die Einschätzung zur Lage der Atombewaffnung stammt, wird auch auf Deutschland Bezug genommen: Zwar hat die Bundesrepublik in internationalen Verträgen auf den Besitz solcher Waffen verzichtet. Im Rahmen der so genannten Nuklearen Teilhabe wäre aber die Bundeswehr gegebenenfalls beteiligt, US-Nuklearwaffen ins Ziel zu bringen.

Das Kampfflugzeug, das die Luftwaffe derzeit dafür vorsieht, ist der schon etwas ältere Tornado – und der wird, laut SIPRI, bei der geplanten Modernisierung der US-Atombomben nur noch begrenzt genutzt werden können. Die neuen Bomben des Typs B61-12 sollen sich zwar präziser ins Ziel bringen lassen und damit den nuklearen Fallout verringern; die entsprechende Steuerung lasse sich aber mit dem Tornado nicht nutzen:

The USA has completed development of the new B61-12 guided nuclear bomb, which will replace all existing versions of the B61 (both strategic and non­strategic). (…)
Certification training by the air forces of the countries where the bombs will be based is likely to begin in 2023. The new version is equipped with a guided tail­kit that enables it to hit targets more accurately, meaning that it can use lower yields against targets and thus generate less radioactive fallout.
Operations to integrate the incoming B61-­12 on existing USAF and NATO aircraft continued in 2021. The USAF plans to integrate the B61-12 on seven types of aircraft operated by the USA or its NATO allies: the B ­2A, the new B ­21, the F ­15E, the F ­16C/D, the F ­16MLU, the F ­35A and the PA­200 (Tornado).
The Tornado’s age prevents it from using the B61-12’s new guided tail­kit function, and the aircraft will instead deliver the B61­-12 as a ‘dumb’ bomb akin to the older B61-­3s and B61-­4s. Germany plans to retire its Tornado aircraft by 2030, and would require a new dual ­capable aircraft if it intended to remain part of NATO’s nuclear ­ sharing mission.

Neben dem Alter der deutschen Tornado-Flotte ist das offensichtlich ein weiterer Grund für die vorgesehe Beschaffung der F-35 für die Bundeswehr.

(SIPRI-Factsheets werden nachgetragen)

(Archivbild August 2017: A KC-10 Extender refuels a B-52H Stratofortress from the 2nd Bomb Wing, Barksdale AFB, La. – U.S. Air Force photo by Louis Briscese)