Sicherheitshalber der Podcast Folge 56: Die Gasfrage: Importstopp für russische Energie jetzt? | Die Ukraine und die Zeitenwende
Sicherheitshalber ist der Podcast zur sicherheitspolitischen Lage in Deutschland, Europa und der Welt. In Folge 56 sprechen Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und ich zunächst mit Rüdiger Bachmann. Er ist Ökonom an der University of Notre Dame (Indiana, USA) und hat jüngst mit acht KollegInnen ein Papier verfasst, das für einiges Aufsehen gesorgt hat. Es argumentiert, ein sofortiger Importstopp für russische Energie sei für die deutsche Volkswirtschaft verkraftbar. Nicht zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz war nicht amüsiert. Die Diskussion mit Rudi berührt nicht nur die Chancen und Herausforderungen beim Modellieren volkswirtschaftlicher Prozesse, sondern auch die ökologischen Folgekosten und politischen Aspekte der Gasfrage. Außerdem die Frage, ob und wie die Sanktionen gegen Russland eigentlich wirken.
Im zweiten Teil wenden wir uns der Zeitenwende mit Blick auf die Bundeswehr zu. Wofür und wie gibt man die 100 Mrd. Euro effektiv aus (sofern der Bundestag das Sondervermögen denn wirklich beschließt)? Welche Beschaffungsprozesse und -strukturen müssen reformiert werden? Und ist Zeitenwende nicht noch viel mehr als nur ein steigender Wehretat?
Abschließend wie immer der Sicherheitshinweis, der kurze Fingerzeig auf aktuelle, sicherheitspolitisch einschlägige Themen und Entwicklungen – diesmal mit dem wohl bevorstehenden Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO, russischen Cyberoperationen zu Beginn des Ukraine-Krieges, der Lage in Mali und *TROMMELWIRBEL* bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr. Außerdem: Neugeborene Babys sind sehr klein!
Gas: 00:03:19
Zeitenwende: 00:57:55
Fazit: 01:31:45
Sicherheitshinweise: 01:32:44
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Erwähnte und weiterführende Interviews, Literatur und Dokumente:
Thema 1 – Gas
Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. Rüdiger Bachmann
Stepan Family College Professor of Economics, Department of Economics, University of Notre Dame. Twitter: @BachmannRudi
Podcast “WRINT: Wer redet ist nicht tot”, Holger Klein, Rüdiger Bachmann und Christian Bayer, Embargo: Modelle, Zölle, Anreize, 05.04.2022
Rüdiger Bachmann et al. Was wäre, wenn…? Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland, ECONtribute Policy Brief No. 029. März 2022.
ntv. Ökonom Bachmann im Interview: „Robert Habeck wird schlecht beraten“, 27.03.2022.
Ezra Klein Podcast. Sanctioning Russia Is a Form of War. We Need to Treat It Like One, 01.01.2022.
Paul Krugman. How Germany Became Putin’s Enabler, New York Times, 07.04.2022.
Edward Luce,, Financial Times, 24 March 2022, The west is rash to assume the world is on its side over Ukraine
Thema 2 – Zeitenwende
Augen geradeaus!, Bundeswehr plant Turbo-Beschaffung: Schutzausrüstung bestellen, Parlament soll später zustimmen, 05.04.2022
bundeswehr.de. Mehr und früher: 2,4 Milliarden Euro für die Bekleidung und persönliche Ausrüstung, 07.04.2022.
Waldemar Geiger und Jan-Phillipp Weisswange. Ende des Koppeltragesystems eingeleitet – Bundeswehr beschafft 305.000 MOBAST-Schutzwesten, 07.04.2022.
AB Classic Motors Benzingespräche, Nitribitt und der Mercedes-Benz 190 SL,
New York Times, Under Fire, Out of Fuel: What Intercepted Russian Radio Chatter Reveals, 23.03.2022
Sicherheitshinweise:
Carlo: Der mögliche NATO Beitritt Finnlands
https://www.axios.com/finland-apply-join-nato-this-year-b8576c7e-7444-4440-9ba6-4b287abb6626.html
Frank: Der Kampf gegen russische Schadsoftware in der Ukraine
https://arstechnica.com/information-technology/2022/03/the-secret-us-mission-to-bolster-ukraines-cyber-defences-ahead-of-russias-invasion/
Rike: Die Bundeswehr bekommt bewaffnete Drohnen, Sicherheitshalber Aktuell
https://twitter.com/Sicherheitspod/status/1511996592613642246/video/1
Thomas: Neue Massaker-Vorwürfe in Mali machen Fortsetzung der Bundeswehr-Einsätze noch schwieriger
https://augengeradeaus.net/2022/04/mali-hunderte-terroristen-von-der-armee-getoetet-mit-russischer-begleitung/
Nur zur finanziellen Ausstattung der Streitkräfte FR/DE/UK gemäß
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183064/umfrage/militaerausgaben-von-deutschland/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/322721/umfrage/entwicklung-der-militaerausgaben-von-frankreich/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/322742/umfrage/entwicklung-der-militaerausgaben-vom-vereinigten-koenigreich/
lagen die Summe der Verteidigungsausgaben von 2004 bis 2020 lag in Frankreich bei ca. 825 Mrd $, in Deutschland bei 705 Mrd $ bei gleichzeitig höherem Sold und in UK waren es 993 Mrd $.
Das ändert natürlich nichts an den im Podcast angesprochenen Problemen beim Beschaffungswesen aber man sollte es auch nicht aus den Augen verlieren.
Die Bachmann-Studie wurde auf „Makroskop“ (hinter einer Bezahlschranke) von Tom Krebs kritisiert. Er hat dort viele handwerkliche Fehler festgestellt. Ich selbst kann das nicht beurteilen. Wollte das auch nur erwähnt haben.
Habe mich dabei gefragt, wo denn bitte so schnell die ganzen zusätzlichen LNG-Tanker herkommen sollen, um nur einen Aspekt zu nennen.
@tornado2018 sagt: 10.04.2022 um 0:38 Uhr
Sie sollten einfach mal schauen, wer Prof. Krebs ist und was er so macht. Er war 2019/2020 der erste Visiting-Professor im Bundesministerium der Finanzen, also bei Olaf Scholz. Er berät das Finanzministerium bis heute.
Da ist seine argumentative, politische Stoßrichtung doch klar.
Und im Prinzip bemängelt er an der Studie im Wesentlichen die empirische Basis, also die zugrunde gelegten Daten. Wobei es eine vergleichbare Situation wie diese jetzt eben noch nie gab.
Wie in der Diskussion im Podcast herausgearbeitet wurde, ist es letztlich auch völlig egal, ob die deutsche Wirtschaft durch solche Sanktionen um 2-3% oder 4-5% schrumpft. Man muss nur die Ziele seines Handelns, also hier der Sanktionen, klar definieren, damit man auch bestimmen kann, ob diese erfolgreich sind oder nicht. Bei Erfolg, also Beendigung des Krieges und Verlust der russischen Fähigkeit einen Angriffskrieg zu führen, wäre das alles verschmerzbar. Ansonsten war es umsonst und tut einfach nur unnötig weh.
Es mag evtl. daran liegen, dass Herr Habeck wirtschafts-POLITISCH beraten wird und nicht wirtschaftstheoretisch.
Also bei Gütern mit einer kurzfristigen Nachfrageelastizität = 0 (0 = Alternativlos, Sauerstoff und Trinkwasser) brennt politisch der Baum, wenn sie fehlen.
Und bitte nicht in allzu komplexe Modelle einsteigen wenn ein exogener Schock das einfache Sechs-Quadranten Modell Produktionsseitig trifft und im Arbeitsmarkt und im Geldmarkt landet. Arbeitslosigkeit und Inflation steigen rasant, Kernindustrien wie Chemie brechen ein, wer investiert noch in einen derartigen Standort mit Wahnsinnigen at the helm? 10% weniger Saft übertragen sich in wieviel weniger politische Stabilität und Populisten an der Macht? Le PEN lässt Grüßen! Investmentmanager verdienen an Rendite, nicht an Solidarität und politische Integrität in internationalen Konflikten..
Da hat schon wieder einer am Terpentin geschnüffelt, sorry let‘s Oxford this. Verkraften im Sinne überleben? Klar! Politisch halbwegs unbeschadet überstehen in Angesicht der einfachen Bevölkerung und als attraktiver Wirtschaftsstandort? Nur wenn Russland den Stop initiiert.
Das gute: Weg vom Fossilen Gift.
Und das ist meine Reaktion auf die wissenschaftliche Publikation, jetzt genieße ich den Podcast, ich befürchte, nur den zweiten Teil.
@all
Nochmal, ein kommendes Rohstoffembargo wird die Situation komplett verändern. Ich wiederhole mich, es wird zu massivsten Verwerfungen in der deutschen Wirtschaft und auch in der Gesellschaft kommen. Das kann Europa und auch der Ukraine nicht recht sein. Das scheint hier keinem bewusst zu sein, wenn man die munteren Diskussionen über mögliche Angriffswaffen-Lieferungen und potentiellen Möglichkeiten der Rüstungsindustrie hinsichtlich Nachproduktionen, etc. verfolgt. Wir werden dann hier nicht mehr über die Unterstützung der Ukraine oder über die bessere Ausrüstung der Bundeswehr sprechen. Hier geht es dann ans Eingemachte, an die Substanz, z. B. Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und weiteren lebenswichtigen Pharma – Produkten. Auch wird sich kein Mensch mehr mit der Produktion von Elektroautos, geschweige denn von Rüstungsgütern beschäftigen.
Oberstes Ziel muss sein, ein Rohstoffembargo soweit wie möglich in die Zukunft zu verzögern und das gilt auch für Erdöl und nicht nur für Erdgas. Lieferungen von Angriffswaffen sind da absolut kontraproduktiv! Die Amerikaner haben hunderte, wenn nicht tausende Abrams und Bradley’s in den Depots und sie halten sich trotzdem zurück.
Ich weiss wir sind in einem fürchterlichen Dilemma, aber die Vehemenz in der deutschen Politik und die Penetranz der ukrainischen Seite, mir der hier die Lieferungen von Angriffswaffen gefordert werden, halte ich schon für befremdlich.
Die Politiker haben einen Eid geschworen („….handeln zum Wohle des deutschen Volkes….“, und „….alles tun um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden…“). Mit der bewussten Herbeiführung eines Rohstoffembargos sei es aufgrund des politischen Drucks aus dem Ausland, oder Provokation mittels Lieferung von Angriffswaffen, entfernt man sich von diesem Grundsatz. Die Folgen hätten wir auf Jahre alle zu tragen.
Ich bin auch hin- und hergerissen, trotzdem muss man in dieser Frage alle Argumente abwägen und vorsichtiger agieren. Ich hoffe unsere Regierung hält in dieser Frage durch, auch wenn es sehr schwer werden wird.
[In den passenden Thread verschoben. T.W.]
Vielen Dank für diesen mal wieder sehr informativen Podcast. Auch die Ausführungen von Herr Bachmann fand ich sehr gut verständlich und aufschlussreich. Es hat mir jedenfalls eine ganz andere Perspektive auf die Gas-Problematik verschafft. Bislang hatte ich nämlich voll und ganz den Ausführungen unserer Regierung geglaubt, dass es eine Katastrophe für unsere Woirtschaft wäre. Ein „massiver“ Wohlstandsverlust. Die Sachlage scheint aber alles andere als klar oder dramatisch. Wenn es also tatsächlich stimmt, dass die ökonomischen Verwerfungen viel geringer ausfielen, als von der Regierung angenommen, wäre es absolut peinlich für unser Land, hier aus reinem Egoismus das stärkste Sanktionsmittel der Gemeinschaft vorzuenthalten. Der Vergleich mit der Situation Griechenlands in der Finanzkrise war da sehr ernüchternd.
Der zweite Teil über das Sondervermögen fand ich leider zeitlich zu knapp bemessen. Aber ich habe mitgenommen, dass die 100 Mrd keineswegs in trockenen Tüchern sind. Es bleibt spannend.
Bei der sog. Zeitenwende stimme ich vollkommen zu: Diese kann und darf auch meiner Meinung nach nicht nur auf das Sondervermögen reduziert werden. Viel mehr hatte ich unter „Zeitenwende“ eine komplette Neuausrichtung unserer Außen- und Sicherheitspolitik erwartet. Die Beantwortung der Frage, ob wir nun nach Neubewertung der Lage uns deutlicher und robuster gegenüber Russland und China positionieren, steht leider noch aus. Was bedeutet Zeitenwende denn nun konkret? Werden wir Afrika geostrategisch den Autokraten überlassen oder hier auch zur Not militärisch stärker tätig werden, um am Ende nicht ein Afrika der Diktaturen und Juntas zu haben, die einerseits ihre Ressourcen an China und Russland abtreten und andererseits für massenhafte Fluchtbewegungen gen Europa sorgen? Wie stark wird Deutschland sich fortan in die europäische Sicherheitsarchitektur einbringen? Das unselige Geschacher und Gebremse mit den Waffenlieferungen an die Ukraine lässt jedenfalls nichts Gutes zu dieser Zeitenwende erahnen …
Was mir leider fehlt sind die Möglichkeiten für Herrn Habeck, die Nachfrageseite beim Erdgas zu optimieren.
Sprich: Alternativen zum Erdgas.
@Malthus
Wenn die derzeitige Kapazität nicht ausreichen sollte und es sich finanziell lohnt, bauen die Reeder neue. Dauert etwa 12-18 Monate, ist ja „von der Stange“.
Toller Podcast. Mit dem Baby im Hintergrund Frau Dr. Franke! Glückwunsch! Ist dass dem Fix mit den Flüssiggasterminals?
@dharoc:
Kann man evtl. schaffen – ich lese was von 24 bis 27 Monaten; und das vermutlich ab Kiellegung – ich gehe davon aus, Dass Samsung & Konsorten die Dockplätze solcher Größe auf Jahre hinaus verplanen & bis Dahin Vorbestellungen f. Maschine, Schraube u.v.a. laufen.
Importstopp für russische Energie jetzt?
Dazu ergänzende Info aus der Wirtschaft: der Vizepräsident des Verbands der chemischen Industrie, Baumann, warnte gestern im DLF, dass ein sofortiger Importstopp von russischem Erdgas zu Massenarbeitslosigkeit führen würde. Das DIW sieht das anders aber wissen Wirtschaftswissenschaftler schon von der praktischen Seite der Produktion.
Ich muss mich da ehrlich gesagt der Meinung von Bundeskanzler Scholz, er verlasse sich nicht auf theoretische mathematische Modelle, die in der Universitätsökonomie errechnet wurden, anschließen. Ich kenne die Herangehensweisen der Professoren /Doktoranden zur Erstellung solcher Modelle aus meiner UNI-Zeit allzugut und sie decken sich meiner Meinung nach selten mit der Realität. Das sage ich als Praktiker in der Industrie mit mittlerweile 25 Jahren Berufserfahrung.
Als Beispiel seien hier die vielen Expertenräte genannt, die jährlich Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung abgeben und diese dann später revidieren müssen. Und diese Prognosen wurden in der Vergangenheit unter weitaus sichereren Rahmenbedingungen erstellt und waren oftmals trotzdem falsch. Die Situation aktuell hingegen ist ohne Beispiel und von hohen Unsicherheiten geprägt.
Es wurde von fehlenden Dialyseschläuchen gesprochen oder von der Glasindustrie. Es geht um die chemische Grundstoffindustrie und da geht es auch nicht um Ammoniak (Dünger) sondern um Stoffe die grundlegend für die Nahrungsmittel, – Pharma,- Kosmetik, – und Kunstoffindustrie benötigt werden. Diese würden in der Wertschöpfungskette fehlen! Große Chemiestandorte arbeiten in einem sogenannten Verbundsystem (Verbundstandorte) Nur mal als Beispiel, am Standort des berühmten Chemiekonzerns in Ludwigshafen sind alle diese chemischen Prozesse per Rohrleitungen mit einander verflochten. Da kann man die Ammoniakherstellung nicht einfach einstellen oder abklemmen! Da muss man alles runterfahren, wenn Gas nicht in ausreichendem Maße zugeführt wird. Die fehlende Produktion würde nicht nur die deutsche Wirtschaft in die Knie zwingen, sondern auch in allen anderen europäischen Ländern massive Folgen haben.
Nur mal nebenbei, von wegen den sogenannten „industriellen Kern“ in Deutschland gibt es nicht mehr. Man sollte auch bedenken, dass die Jobs in der Chemieindustrie oder auch in der Automobilindustrie mit die bestbezahlten Jobs überhaupt sind (vom Facharbeiter am Band bis hin zum Manager). Ich glaube nicht, dass der deutsche Staat auf die Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge verzichten will und kann. Von einer reinen Dienstleistungsgesellschaft kann man ein Land mit 83 Mio Einwohnern nicht finanzieren!
Mir war die Diskussion, vor allem die Argumente von Professor Bachmann aus Notre-Dame einfach zu leichtfertig. Es klingt für mich wirklich als reine Theorie und wenig Bezug zur deutschen Wirtschaft beurteilt aus der weiten Ferne. Und das der Vorsitzende Herr Wolf sich interessengeleitet für die Unternehmen einsetzt ist sein Job. Genau das gleiche tut Professor Bachmann in seiner Postion als Wirtschaftswissenschaftler.
Also jetzt haben einige, auch hier, ne neue Ausrede für „keine schweren Waffen“ an die Ukraine.
Am Anfang wars, dann werden wir Kriegspartei -> 3. Weltkrieg -> natürlich mit atomarer Eskalation.
Jetzt klar, dass man mit Waffenlieferungen an die Ukraine NICHT Kriegspartei wird? Super! Völkerrechtlich auch komplett in Ordnung (aber das wäre sogar der militärische Eingriff)
Jetzt muss also die Angst vor „Putin dreht den Hahn zu“ herhalten, warum man keine Waffen liefern kann.
Bei russischer Kohle und Öl ist das Ende doch absehbar, bei russischem Gas dauert es eben noch etwas, Hauptsache der Entschluss steht.
Ehrlich ist bei schweren Waffen wohl, wie haben nichts sofort lieferbares in relevanter Menge ohne uns komplett nackig zu machen. Trotzdem finde ich es wäre ein Zeichen auch z. B. 20 PzH2000 zu liefern und mit dem Training zu beginnen bzw den Osteuropäern zu signalisieren wir helfen bei der Ablöse der alten UDSSR Panzer. Eventuell auch Produktionskapazitäten in Osteuropa aufbauen?
Lösungen suchen, statt immer nur Probleme! Auch ein Zeichen setzen. Im Hintergrund mal mit der Ukraine reden, ob ihnen ne PzH2000 Spezialeinheit hilft?
Und zu guter letzt: sind nicht solche Systeme wie Switchblade super einfach einzusetzen? Und gegen so manche teure Artilleriemunition sogar günstiger….
Nun, de facto wird auch hier der Unterschied zwischen theoretischen Modellen (sowie den daraus folgenden Modellierungen und den zugrunde liegenden Annahmen) auf gesellschaftlicher Makro-Ebene und praktischen Sichtweisen was Unternehmensführung und Investitionen auf Meso-Ebene (Branchenbezogen) und/oder Mikro-Ebene (Unternehmen) sehr gut sichtbar.
Die Energie-Frage ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ja nichts neues und zu den einschlägigen Themen (sei es Netzauslastung, Bepreisung, Verbundkomplexe der nachgelagerten Industrie, Wertschöpfung oder Skaleneffekte bis runter zu Arbeitsplätzen, Steuerlast und Konsum) finden sich in den letzten Jahren viele Studien, die aber halt a) unterschiedliche Grundannahmen verwenden und b) diese anders gewichten.
Grundsätzlich ist in den modernen VWL-Modellen fast alles modellierbar – abhängig von Datenqualität, Datenmenge und etwaigen Faktorgleichungen bzw Gewichtungen. Das Problem ist in der aktuellen Community aber der – nicht vorhandene – Diskurs über Grundannahmen. Ein konventioneller Krieg UKR-RUS ist schlicht – wie die Pandemie – selten eine Grundannahme für rationale Modelle. Experimentelles Forecasting findet in der VWL meist nicht statt (unabhängig vom vorhandenen statistischen Niveau, das
… nun ja
… gering ist). Szenario-Planung als Mittelweg auch für komplexe Vorgänge wie ein komplettes Delinking vom Gas in 2024 existiert durchaus, nur widersprechen die Studien aus o.g. Gründe sich de facto alle massiv und werden dann noch massiv politisch geframed.
Daher fehlt in dem Kontext schon eine ruhige Kommunikation und auch eine gewisse Struktur bei der Betrachtung der Lage. Es wirkt vieles schrill, rechthaberisch und wenig grundiert.
Ich bin mir gar nicht mal so sicher wie effektiv ein Importstopp russischer Energieträger wäre.
Immerhin werden diese Importe mit Euros bezahlt.
Man darf nicht vergessen, dass Währungen an sich nur den Wert des Papiers haben auf dem sie gedruckt sind. Eine Banknote ist lediglich ein Gutschein für Waren von einem bestimmten Wert.
Wenn man für eine Währung keine Waren erhalten kann, dann ist sie wertlos.
Dank der eingerichteten Handelsbeschränkungen kann Russland nur bedingt viel mit dem gezahlten Euros anfangen.
Soldaten werden in Rubel bezahlt, Kraftstoff wird mit Rubel gekauft und auch russische Rüstungskonzerne brauchen Rubel.
Und weil der Devisenhandel von beiden Seiten blockiert wurde, kann Russland die Euros auch nicht mal eben eintauschen.
Der einzige Weg führt über unbeteiligte Dritte, die gewillt sind russische Euros in Rubel tauschen.
Aber damit diese Drittländer überhaupt Rubel zum Eintauschen haben, hätte Russland dort erstmal Dinge kaufen müssen.
Ich finde, bei all den ganzen ernsten Themen der Episode waren die Beiträge des allerjüngsten Mitglieds von ,,Sicherheitshalber“ sehr angenehm auflockernd. :-)
Meine persönliche Meinung finde ich tagesaktuell bei einem Artikel im Tagesspiegel bestätigt demzufolge Scholz die meisten Zusagen der Zeitenwende schon wieder kassiert hat.
Ja, es werden langsam ein paar Projekte klargemacht. Langsam. Sachen die seit Jahren überfällig sind. Wir sind in der sechsten Woche des Ukraine-Kriegs und man hat sich gerademal aufgerafft die minimalsten Lücken bei der Schutzausrüstung zu schliessen. Das wäre imho eine Aktion gewesen die in Woche Zwo mit Unterschrift und Auftrag abgeheftet hätte sollen seien.
Auch sonst habe ich den Eindruck dass der Kanzler ein Jagdhund ist den man zur Jagd tragen muss und der grundsätzlich jede dringende Entscheidung genau dann trifft wenn sie von der Wirklichkeit längst überholt wurde. Meine Güte, dass ich mir mal wünsche ich hätte die Grünen gewählt um die Verteidigung Deutschlands zu sichern…
Vielen Dank für diese Folge. Besonders die Wirtschaftsdiskussion hat mir als einst gelernter Ökonom sehr gefallen. Herr Bachmanns Zuversicht in die Modelle teile ich jedoch nicht. Modellierungen für Marktschocks sind meiner Meinung ein etwas besserer Blick in die Glaskugel. Es gibt einfach zu viele unvorhergesehene/exogene Variablen, die dann eine Rolle spielen und bei Eintritt des Events die Zielvariable maßgeblich treiben. Trotzdem eine erfrischend neue Perspektive auf das Thema.
Von der Zeitenwende Diskussion war ich ehrlich gesagt etwas enttäuscht. Im wesentlichen wurde ja die eigentlich kritisierte argumentative Verengung auf die 100 Milliarden genau so fortgeführt und die Chance verpasst den Begriff Zeitenwende mit Leben zu füllen. Zeitwende bedeutet in erster Linie eine mentale Neuausrichtung:
Was muss getan werden damit Putin diesen Krieg verliert?
Was sind die Konsequenzen für die deutsche/europäische Sicherheitspolitik? Welche Lehren hat die Bundeswehr aus dem Krieg in der Ukraine gezogen? Was bedeutet das für den mindset, die Organisation, die Rüstung usw….
Aktuell hören wir in sämtlichen Medien, wie bereits existierende Pläne für die Ausrüstung nun eben etwas schneller abgearbeitet werden sollen. Das ist aber nicht Zeitenwende, sondern „weiter so!“.
Paradox77
Sehr guter Beitrag.
Niemand kann vorhersagen, wie stark die Auswirkungen eines kompletten Lieferstopps von russ. Erdgas und Erdöl für Deutschland aussehen.
Da sind einfach viel zu viele Variablen dabei.
Zum Beispiel könnte man die ganz großen Verbundfabriken (das angesprochene Ludwigshafen) weiter versorgen und dafür andere Unternehmen abklemmen.
Aber meine 20 Mann Nachbar-Tischlerei biegt ihr Holz mit einer Erdgasheizung. (Wasser erhitzen – Wasserdampf – Holz wird weich).
Der kann dann keine Treppen mehr bauen (50 % Aufträge).
Anderes Unternehmen im Ort ist ein Papierhersteller:
Wenn der die Produktion um 50 % reduziert, bekommen die Angestellten halt Kurzarbeitergeld. Die Zeitarbeiter (20-30 % der Arbeiterschaft) werden aber nach Hause geschickt und die Zeitarbeitsfirma verlängert die Zeitverträge nicht mehr oder spricht Kündigungen aus (wie in der Vergangenheit)
Wenn eine Fabrik nicht einfach so die Hälfte herunterfahren kann (wegen der Art und Weise der Produktion), dann fährt halt eine Fabrik komplett herunter und die andere bleibt dafür 100 % auf Kapazität.
Das hat dann aber in dem Ort der abgeschalteten Fabrik richtig starke wirtschaftliche Auswirkungen, wenn auf einmal 150 oder 300 Mitarbeiter nur noch Kurzarbeitergeld bekommen.
Gerade in Mittelstädten mit 20000-40000 Einwohnern sind diese wenigen Fabriken oft der große wirtschaftliche Treiber für alles in der Stadt. Restaurantbesuche, Ladengeschäfte in der Innenstadt, Dienstleistungsbetriebe.
Wir können froh sein, dass bei Corona „nur“ der Dienstleistungsbereich (Restaurants, Hotel, Events) so stark betroffen war und eher weniger die Produktions- und Exportbranchen.
Dann wären wir jetzt in einer ganz anderen wirtschaftlichen Lage und damit meine ich keine bessere!
@Wait&C: Meine Güte, dass ich mir mal wünsche ich hätte die Grünen gewählt um die Verteidigung Deutschlands zu sichern…
100% d‘accord.
Sowohl Wirtschaftsminister als auch Außenministerin haben Paradigmenwechsel in Anzahl und Zeitabfolge hingelegt wie ich sie nie für möglich gehalten hätte.
@Sudoku / Paradox:
„Niemand kann vorhersagen (…). Da sind einfach viel zu viele Variablen dabei.“
Anhand eines einzelnen Beispiels will man zeigen, dass so ein Modell (und durch Induktionsschluss im Kopf des Lesers damit auch für viele andere) nicht anwendbar ist. Die Begründung ist aus Sicht des Unternehmers/Aktionärs nachvollziehbar. Natürlich will man sich vor den negativen Folgen seiner versäumten Risikovorsorge (mangelnde Diversifikation) schützen.
Aus Sicht der Gesamtbewertung eines Staates ist ein VWL Modell, das die wichtigsten Faktoren aggregiert abbildet (Gas Embargo), sinnvoller. Damit diese Modelle handhabbar bleiben, dürfen diese gar nicht alle Einzelheiten abbilden. Die Forderung nach einem vollständigen Modell, das alle Zusammenhänge und Variablen abbildet, ist so sinnvoll wie eine Landkarte im Maßstab 1:1.
@CallSignRomeo:
„Dank der eingerichteten Handelsbeschränkungen kann Russland nur bedingt viel mit dem gezahlten Euros anfangen.“
Natürlich kann Russland für die Europäisches Gas-Geld Güter im Ausland kaufen. Nur bestimmte Güterarten aus Europa sind eingeschränkt (-> Schokolade geht aber). Bei anderen Ländern (China, Indien) gibt es nicht einmal diese Einschränkung.
@Floms – Ein Modell ist immer eine vereinfachte Darstellung der Realität. Das Problem ist aber nicht die Anzahl der Variablen, sondern die veränderte Gewichtung von Variablen bzw. das Wissen über deren Existenz.
Ganz einfaches Beispiel: Alle Analysten sind davon ausgegangen, dass das russische Militär inzwischen sehr schlagkräftig ist. Dafür wurden gewichtete Variablen herangezogen, die sich bei der Beurteilung von Streitkräften um den Globus bewährt hatten. Die Profis mögen mich korrigieren, aber ich denke da spielen Faktoren wie Truppenstärke auf Übungen, die Anzahl und Qualität dort beteiligter Waffensysteme etc.. eine Rolle.
Nun stellen wir fest, dass das russische Militär billige chinesische Reifen aufzieht, die Kommunikation unverschlüsselt erfolgt, die Armee von Korruption zerfressen ist und die Soldaten überwiegend schlecht ausgebildet sind. Das Ergebnis ist katastrophal – trotz vielleicht guter Werte im Modell.
Ein paar dieser Faktoren hätte man vielleicht mit viel Fantasie identifizieren können, bei der Modellierung hätten diese aber nicht wesentlich zur Erklärung der Varianz beigetragen – da wir diesen Zusammenhang bisher so noch nicht in den Daten beobachtet haben.
Nun steht man also mit einem generischen Modell da, welches im Friedensfall vielleicht eine Wasserstandsmeldung zur militärischen Stärke abgeben kann, aber im Kriegsfall vollkommen versagt.
Extreme Ereignisse sind deshalb fast unmöglich zu modellieren, weil sie eben keine systematische Projektion der bekannten Einflussfaktoren und Gewichtungen sind.
Wenn man also ein Modell hat welches den Einfluss von Gaspreisen auf die Deutsche Wirtschaft abbilden soll, so kann dieses Modell nur Zusammenhänge abbilden, die wir bisher beobachten konnten. Ein plötzlicher Lieferstop/schock wird aber ganz andere Zusammenhänge offenbaren.
Somit kann man schlicht nicht sagen: „Das kostet uns 3%“. Es könnten genauso auch 20% sein oder es passiert überhaupt nichts.
Ich bin ja wahrlich kein Fan von der zögerlichen Haltung die Herr Scholz in dieser Krise an den Tag legt, aber in dieser Hinsicht verstehe ich ihn. So eine Entscheidung trifft man mal nicht basierend auf ein paar Modellannahmen die irgendwelche Ökonomen (mich eingeschlossen) da zusammengeschraubt haben. Es könnte uns nichts kosten oder unsere ganze Zukunft (Stichwort gespaltene Gesellschaft, extreme Parteien etc…).
@ Floms: Das ist doch gar nicht Kern meines Posts. Man kann schon Vorhersagen treffen, aber es sind halt genau das … Vorhersagen. Die kann ich statistisch ableiten, herleiten und auch modifizieren. Im Kern geht es um das, was ML-Rebell gesagt hat. Ich habe in meinem Modell immer Unwägbarkeiten und Unschärfe und je höher ich in der Abstraktion gesellschaftlich bin, desto deutlicher treten diese auf.
Und daher versucht man meist, Fehler auszuschließen als sich revolutionär darauf zu stürzen, Variablen aus der Gleichung zu schießen. Denn dann muss ich letztendlich die eingetretenen Resultate gesellschaftlich auffangen. Das geht schon, ist aber idR eine massive Veränderung für viele Menschen. Kann ich verstehen, dass man vor dem Hintergrund eines Krieges das als nachrangig bezeichnet, aber die Modelle der VWL werden dadurch methodisch kein Jota besser. Die Diskussion um 3% oder 7% sind erstmal Annahmen und schaffen in der Diskussion scheinbare Sicherheit, die aber auch nur genau das ist. Scheinbar.
Man muss gewillt sein, den Preis zu bezahlen. Und der kann halt höher als 3% (von was genau … das ist ja der zweite Punkt) sein …
Embargo und Sanktion sind immer ein Schwert, an dem man sich auch selbst schneidet. Aber solange es dem Sanktionierten mehr weh tut, als dem Sanktionierenden und man selbst Alternativen hat, während der Sanktionierte diese empfindlich eingeschränkt sieht, funktioniert das.
Dazu ist selbstverständlich Geschlossenheit im internationalen Bereich notwendig. Und Ausdauer. Aber wer Sanktionen, die einem selbst weh tun, rundheraus ausschließt, hat schon verloren. Weil er sich in eine Abhängigkeit gebracht hat.
Wenn also dieser Konflikt nur diesen einen Effekt hätte, nämlich die Rohstoff- und Energieabhängigkeit Europas (und Deutschlands als eines der darin bedeutenderen Länder) zu beenden, weil Fehler der Vergangenheit erkannt werden und man sich entsprechend neu ausrichtet, dann ist schon viel gewonnen.
Eigentlich dürfte das Telefon von Alt-Bundespräsident Köhler derzeit nicht stillstehen, vor lauter Anrufern, die sich bei ihm entschuldigen wollen, dass sie seinerzeit 2010 so über ihn hergefallen sind.
Das wird mein letzter Beitrag, sonst verkommt das hier zu einem VWL Blog. Die Diskussion der unterschiedlichen Modelle kann man an anderer Stelle nachlesen.
@ML-Rbell:
Meinen Hinweis, dass die pauschale Kritik „das Modell ist unvollständig (fehlende oder falsche Inputvariablen)“ nicht sinnvoll ist, hast Du gekontert mit dem Hinweis, dass das Modell in Extremzeiten gar nicht vollständig sein kann. Dann wäre man in Extremsituationen also stets zum Nichthandeln gezwungen.
Aber noch eine andere Überlegung zum Timing des Embargos:
(A) Beim Importstop sitzt Europa derzeit am längeren Hebel. Ein Importstop (von 40% der deutschen Gas-Importmenge) wird für Russland sofort wirksam – für Europa erst zu Beginn der nächsten Heizperiode (da im Sommer 60% Gas-Import und Speicherinhalt reichen). In der Zwischenzeit können wir den Gasverbrauch reduzieren und Umstellungen einleiten – und in Fällen, in denen das nicht geht, können wir Zwischenprodukte kaufen, so dass Lieferketten nicht brechen.
(B) Bei einem Lieferstop im Herbst drehen sich die Machtverhältnisse. Hier wird Europa sofort mitgetroffen – und wenn es sich im Sommer nicht präventiv genauso wie bei (A) gut vorbereitet, dann brechen Lieferketten und wir haben den ‚worst case‘.
Da eine Restwahrscheinlichkeit existiert, dass das Gas auch kommenden Winter strömt, ist es für die Industrie rational sich nicht voll durch teure Risikoprävention abzusichern. Ohne direkten Blick in den Abgrund scheut man die Investition.
Im Herbst wird es für Risikomaßnahmen zu spät sein.
Wenn Russland also Europa treffen möchte – und davon würde ich ausgehen – dann kommt das Embargo im Herbst.
Bei einem sofortigen Energie-Embargo wäre den Chemie-Managern hingegen klar, dass Sie bis zum Herbst in Risikomaßnahmen investieren müssen – ebenso könnte sich der Staat auf Wirtschaftshilfen und Kurzarbeitergeld vorbereiten.
Napoleon hatte mit den Brücken ja mal ein ganz ähnliches Motivationskonzept.
Griechenland und Türkei haben noch zemlich viele Leo 1. Zumindest auf dem Papier.
Dominik sagt:
10.04.2022 um 15:11 Uhr
“ Am Anfang wars, dann werden wir Kriegspartei -> 3. Weltkrieg -> natürlich mit atomarer Eskalation.
Jetzt klar, dass man mit Waffenlieferungen an die Ukraine NICHT Kriegspartei wird? Super! Völkerrechtlich auch komplett in Ordnung (aber das wäre sogar der militärische Eingriff) “
Binnenrational argumentierende Leute wie Sie, Dominik, haben jetzt Oberwasser, klar, und verbreiten zuversichtliche Stimmung, bravo !
Nur, sind Sie sich da wirklich so sicher. Sie tun ja fast so, als wär die Kuh schon vom Eis. – Und im übrigen dürfte allmählich die Illusion abgeräumt sein, dass sich Putin um Völkerrecht was schert (können „wir“ denn steuern, was er tun wird oder nicht ? Ach ja, und auch der – direkte – „militärische Eingriff“ wär völkerrechtskonform. Und vertretbar daher. Wie schön !)
Ja, das Gepolter z. B. in den russ. Talgshows von wg. Atomkrieg, das auch der nun verblichene Schirinowski gut draufhatte, nervt, und man fragt sich, ob die noch alle Tassen im Schrank haben.
Nur, leider kommt einem auch bei den gesitteteren Diskussionen im Westen (z. B. Spiegel vom 9.4.2022, Artikel über Europäischen „Atomschirm“) ein mulmiges Gefühl, wenn da mit klaren spin Begriffen wie „Atomsprengsatz“ angekommen wird (erinnert an Formulierungen wie „Atomsprengkörper“ aus dem bekannten Taschenbuch für Wehrausbildung, 1960er Jahre. Wo man geneigt ist, an normale Sprengsätze im Bergbau z. B. oder Feuerwerkskörper zu denken. Da soll man an etwas gewöhnt werden, es wird einem erkennbar was angedreht, untergejubelt: der wiederverstärkte Glaube an die „Atomare Abschreckung“, ein Konstrukt des vollständigen Irrsinns, bei Lichte besehn, und in den nächsten Schritten dann der Glaube an Kriegsführungs- und Siegfähigkeit im Atomkrieg. Vgl. wiederaufgewärmte Raketenabwehr, vgl. Sirenen-, Schutzraum- Bunkerbaupropaganda). Da freut sich der Frosch im Kessel.
Übrigens, schon die übliche Formulierung „Atomwaffen“, „Atombomben“ hat einen nicht geringen Verharmlosungsgehalt. Es gab die Erfindung der Wasserstoffbombe, Stichwort Edward Teller, 1952 erstmals getestet und damals auch als „Super“ bezeichnet. Das ist es doch, womit man es heute zu tun hätte ! „Wir“ sind über Hiroshima lang hinaus.
Ohne in eine Modelldiskussion reinzugehen (wenn man sich vor Augen hält, dass Modelle halt nur das sind, was sie sein sollen – modellhafte Annahmen einer Zukunft vor dem Hintergrund von Handlungen und wahrscheinlichen Resultaten basierend auf Annahmen und der Gewichtung von Fakten in unterschiedlichen Zeithorizonten).
Und grade der letzte Punkt ist aus strategischer Sichtweise (und um nichts anderes geht es ja de facto bei einem Embargo und Sanktionsmaßnahmen) vielleicht sehr schwierig zu greifen. Ein Importstop wird IMMER sofort für beide Seiten greifbar, lediglich die Folgen der Aktion fallen aus den unterschiedlichen Gründen zeitverzögert an. Diese Diskussion wird kaum aktuell bei der Diskussion um Embargo (ja/nein … und wenn ja wie, wenn warum überhaupt?) rational geführt, sie ist auch immer von einer nicht aufzulösenden Unsicherheit geprägt … denn die Zeithorizonte, welche eine globalisierte, auf funktionale Spezialisierung und Arbeitsteilung setzende Wirtschaft (oh … und Gesellschaft) benötigt, sind halt höchst unterschiedlich.
Kurzfristige Schocks mögen ja abzufedern sein (man denke an Grundlagen der Risikoplanung und die 1-in-100 Jahren Events), aber systemseitige Schocks sind halt a) gravierender und b) meist ohne Vergleichsdaten.
Meines Erachtens geht es in dieser Diskussion auch weniger um die Sache an sich (denn dazu müsste ich das Embargo und seine Folgen statistisch durchspielen), also über die Politik dahinter und die gesellschaftlichen Veränderungen, die das mitbringt. Das Embargo schafft einfach – vor allem bezogen auf Deutschland – sehr sehr viele Verlierer. Und in einer Demokratie möchte man sich nicht immer in eigene Fleisch schneiden. Grade auch in Organisationen, die auf viel Abstimmung setzen müssen (z.B. die EU), die aber nicht mit einer Stimme sprechen und innerhalb der Mitgliedsstaaten divergierende Interessen haben.
Realpolitik ist auch Machtpolitik … und nur, weil die Realpolitik das Eintreten eines konventionellen Krieges in Europa bzw. an dessen Rand nicht eingepreist hat, heisst es nicht, dass all diese Grundsätze auf einmal obsolet sind. Menschen sind trotz allem bedingt rational und die Forderung „Embargo jetzt! Egal was ist. Koste es was es wolle!“ ist halt emotional, in besten Fällen teil-rational. Es ist ein Preis, den man entweder gewillt ist zu zahlen – unabhängig von der genauen Höhe – oder halt nicht. Kein Modell wird eine genaue Zahl liefern können, aber die Modelle geben die Richtung vor (wie mein alter Chef sagte … das Vorzeichen und die Intensität – und auc das ohne Gewähr, sondern nur nach bestem Wissen und Gewissen basierend auf Datenqualität).
Der Professor stopft mir ab dem Griechenlandvergleich ziemlich das Maul. Wir sind auf der Osteuropäischen Sicherheit Trittbrett gefahren, um das analoge Modell zu zitieren.
@Dominik @Werner69
Jedenfalls ist die Lieferung (durch GBR) von Anti-Schiff-Flugkörpern (Seezielflugkörper) ein „game changer“. RUS wird in jedem Fall versuchen, deren Einsatzbereitschaft zu verhindern, die Frage ist nur, wann und wo RUS hierzu zuschlägt.
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CallSignRomeo sagt:
10.04.2022 um 16:40 Uhr
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Ich bin mir gar nicht mal so sicher wie effektiv ein Importstopp russischer Energieträger wäre.
Immerhin werden diese Importe mit Euros bezahlt.
Man darf nicht vergessen, dass Währungen an sich nur den Wert des Papiers haben auf dem sie gedruckt sind. Eine Banknote ist lediglich ein Gutschein für Waren von einem bestimmten Wert.
Wenn man für eine Währung keine Waren erhalten kann, dann ist sie wertlos.
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Nunja, da RF ja mit Rubel auch nicht in China wird einkaufen können (ich bin jedenfalls ziemlich sicher, dass man als Chinsese nicht in isolierte Rubel investieren will), wäre hier Tauschhandel angesagt oder eben eine Währung die man hat und der andere akzeptiert. Euro und Dollar sind hoch angesehen – auch in China.
Da RF natürlich nicht alle Ressourcen selbst hat und Dinge, sowie Menschen (Söldner?) auf dem Weltmarkt beschaffen muss, benötigt es entsprechend akzeptierte Devisen. Und genau wir geben eben diese Devisen für Gas Öl und Kohle.
@Sudoku
Ihre Schreinerei brauch Heißdampf nicht Erdgas. Erdgasbrenner raus. E-Heizstab rein. geht wieder.
Dampf via Strom ist halt teurer als Gas wobei bei dem Preis für Gas derzeit ehre nicht. Und er könnte sich ja noch PV aufs Dach/Hof packen um Strom für seinen Dampf selber zu erzeugen.
Für Strom brauchen wir nicht mehr Braukohle.
Die Strommenge aus Erdgas kann man durch mehr Strom aus Steinkohle ersetzten.
Klima mäßig gibt es da keinen großen Unterschied da es bei Erdgas gerade ein Methan-Schlupf hat.
Bei nur 2-3% Schlupf wird durch den 80 mal größeren Klimafaktor von Methan der höhere CO2 Aussstoß von Steinkohlestrom überschritten.
Mir hat bei der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion im Podcast und hier im Forum ein Punkt gefehlt: die „whatever it takes“ Strategie, alle entstehenden Kosten durch Schuldenaufnahme oder meinetwegen eine Kriegs-Sonderabgabe auf Vermögen abzupuffern blendet aus, dass alles Geld der Welt nichts bringt, wenn es von irgendetwas, z.B. Gas, einen physischen Mangel gibt. Dann entstehen Verteilungskonflikte, und das einzige Mittel hier vorzubeugen ist Einsparung, Reduktion des Verbrauchs. Das kann auch einfach Verzicht bedeuten, und hier kommt die Politik ins Spiel und muss den Verzicht sozial verträglich verteilen.
Die Diskussion, dass mehr Geld nicht alles lösen kann, fehlt – bei wirtschaftswissenschaftlichen Modellen vielleicht nicht ganz überraschend.
Zur Diskussion eingangs des Pod zur Frage „wir haben doch 50Mrd und kriegen nichts hin, die Franzosen aber schon“: Der Eindruck ist bzgl. der Zahlen natürlich etwas unfair. Wir hatten bisher eben keine 50 Mrd. EUR. Tatsächlich waren es – netto für’s Militär – in den Jahren 2014-2021 im Durchschnitt ca. 35,1 Mrd. EUR im EPL14. Die Franzosen hingegen hatten im Schnitt ca. 42,75 Mrd. EUR zur Verfügung.
Wie komme ich darauf? Ich habe von den historischen EPL14 Werten jeweils noch die ca. 4 Mrd. EUR p.a. abgezogen, die seit 2006 für Militärruhegehälter enthalten sind (ehem. EPL33) und den Haushalt künstlich aufblähen und das Bild verzerren.
Frankreich hat also im gleichen Zeitraum im Durchschnitt jährlich ca. 7,6 Mrd. EUR mehr ausgegeben (ca. +22%). Die Sockelbeträge für Personal & Co. sollten dabei ungefähr ähnlich sein (ähnliche Truppenstärken) und so dürfte das das prozentuale Mehr für Invest bei den Franzosen tatsächlich erheblich grösser sein als 22% (die 7,6 Mrd. zahlen stark auf Invest ein). Das allein erklärt schon vieles, finde ich… auch wenn die Franzosen die Force de frappe bezahlen müssen (und die Gendarmerie?!). Die offenkundige Ineffizienz der deutschen Beschaffung macht das natürlich nicht besser.
Quellen: Ministerien, Wiki & Co.; eigene Rechnung.
(siehe oben auch @JanH)
Auch einen Sprung aus dem 5.Stock kann man überleben, oder auch nicht.
Ein Öl-und Gasembargo wird an dem Ausgang dieses Krieges nicht ändern. Für Putin stehen in China und Indien potenielle Ersatzkunden bereit. Was die Zeit danach angeht, da haben wir ja dann das Embargo, weil wir Putin nicht mehr brauchen. Der Ausgang dieses Krieges wird alleine durch die Ukrainer bestimmt. Bleibt zu hoffen, dass ihnen kurz vor Schluß das Material nicht ausgeht. Denn dann steht Deutschland mit seinem Eiertanz um die Waffenlieferung wirklich alleine da.
@TomCat:
Genau so sieht es aus. Bei aller Sympathien für ein Total-Embargo der Geld- und Warenströme von und nach Russland, bleibt doch abzuwägen, was das alles im Gesamtzusammenhang bringt.
Ja, Putin hat ein Problem aktuell sein Öl loszuwerden. Ja, wir können (fast) jeden Preis für Öl zahlen.
…aber große Teile der Welt (Südamerika, Afrika, Asien) können oder wollen das nicht. So moralisch hochstehend das Ziel auch sein mag – niemand kann es hinnehmen, dass die Bevölkerung friert oder hungert.
Irgendwann wird der Druck so groß, dass gewisse Leute wieder/weiter bei Putin kaufen.
Dann haben sich die Supply-Chains einfach nur verschoben, aber im Grunde ist nicht nur nichts gewonnen, sondern die „westliche Welt“ hat sich sogar einen Bärendienst erwiesen.
Putin kann sich hinstellen und nachweislich behaupten, dass „der Westen“ die Preise getrieben hat und nur Russland auch an die ärmeren Länder denkt. Die ärmerern Länder sitzen dann mit Russland im Boot, wir haben unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten durchaus nachhaltig beschnitten und die deutschen Bürger sitzen in der Preisfalle…
Das ist wenig moralisch, nicht sehr idealistisch, aber rational die Lage.
Ähnliches passiert gerade schon militärisch in Mali, wo sich Putin als einzig verlässlicher Partner geriert, der nicht nur seine Zusagen einhält (selbst, wenn er selbst im Krieg ist), sondern sogar Material liefert.
Und wir müssen uns klarmachen:
Auch wenn Russland wirtschaftlich „Obervolta mit Atomwaffen“ ist, so sind doch größte Mengen der wichtigen Bodenschätze in Russland liegen.
Kurz: mittelfristig kommen wir an Russland nicht vorbei, wenn wir nicht den Teufel mit dem Belzebub austreiben wollen und China noch weiter füttern.
Es muss uns also gelingen, das „System Putin“ zu schwächen/stürzen, ohne das russische Volk nachhaltig zu verprellen.
Die Quadratur des Kreises.
@ Tomcat und Bow
Wie kommen Öl und Gas dann nochmal nach China und Indien? Kennen Sie die Kapazität der Pipeline nach China? eine zweite sollte 2030……und LNG Kapa hat Russland kaum, alle neuen Projekte wurden von den westlichen Partnern gerade beerdigt. Ohne westliche Technik wird es schwer für Russland….
Es wird immer so getan, als wäre das für Russland leicht die europäischen Kunden zu ersetzen. Nur wie konnte mir noch keiner erklären.
PS: bin für kein sofort Embargo, nur für ein „so schnell wie möglich“ raus aus russischer Energie.
Hier ein Artikel der aufzeigt, welche Weiterungen ein „Embargo“ (das ist doch eher ein Boykott ?) von RUS und BLR hat:
https://www.heise.de/tp/features/Geht-Deutschland-der-Nachschub-aus-6667890.html
@ Dominik
Den Löwenanteil verdient Putin mit Öl, und das geht bekanntlich sehr gut per Schiff. Bloomberg berichtete vor
wenigen Tagen, dass die Russen in Fernost „Extra“ -Ladungen Öl verschiffen. Ich glaube auch, dass Putin bereits eingepreißt hat, dass sich Europa aus den fossilen Energien verabschieden will. Jetzt geht’s eben nur schneller. Aber solange die meisten Länder dieser Welt auf die fossilen Energien angewiesen sind, wird er genügend Abnehmer finden. Ich würde wetten er ist mit den Pipelines auch schneller, als wir mit unseren LNG-Terminals.
Zitat:
„Die Agentur Bloomberg berichtet unterdessen, dass russisches Öl noch sehr gefragt sei. „Ladungen von russischem Sokol-Rohöl aus dem Fernen Osten sind für den nächsten Monat ausverkauft, ein Zeichen dafür, dass Lieferungen aus dem Land weiterhin Käufer finden“, heißt es in dem Bericht. „
@ Russisches Öl: Darum geht es zwar auch (40% des deutschen Importbedarfs an Rohöl kommt aus Russland), aber anders als bei Gas (55% Importbedarfsdeckung aus Russland) lässt sich einiges substituieren und einige andere Quellen sind zumindest zu moderaten Preisen einzubinden. Daher stellt sich die Rohöl-Frage eher anders (nämlich inwieweit die Petrochemische Industrie ihre Lieferketten anpassen kann und ob bestimmte Geschäftsmodelle noch ertragreich sind) als die Gasfrage. Rohöl wird zu 60% per Tanker verschifft. Und ja, über Sachalin bzw. Kosmino bei Wladiwostok in Fernost geht das russische Asiengeschäft (gab es übrigens auch schon immer). Ziele v.a. China und Indien. Aber die beiden „großen“ Häfen für Tanker sind Primorsk an der Ostsee und Noworossijsk am Schwarzen Meer… zumindest eins davon ist strategisch keine tolle Option und der Blick auf die Landkarte zeigt ein gewisses Problem mit Küsten, natürlichen Häfen und – dem russischen Klassiker – ganzjährig eisfreien Häfen.
Sowenig Russland kurzfristig massiv nach Indien und China energiepolitisch switchen kann, sowenig kann Deutschland auf fossile Produkte aus Russland verzichten ohne massive Wohlfahrtsverluste. Dies ist in anderen EU-Ländern möglich, aber Deutschlands Energie-Frage wurde immer (!) in den letzten 30 Jahren mit Russland beantwortet. Denn bei Gas sieht es tatsächlich eher finster aus, auch wenn De-Linking (also komplett und schnell Embargo) sicherlich – technisch und auch politisch und sogar ökonomisch – machbar ist. Halt ein unkalkulierbarer Preis und schwierig vorhersehbare Folgen auf strategischer Ebene, denn vom Ziel der De-Karbonisierung der Wirtschaft ist man immer noch weit entfernt.
Und inwieweit das der Ukraine kurzfristig hilft…