Hinweis zum Nach-Schauen: Die neue Verteidigungsministerin in der Bundestagsdebatte (Nachtrag: Transkript)

Aus privaten Gründen hier am heutigen Freitag nur wenig Aktivität, deshalb als Hinweis zum Nach-Sehen: Die Rede der neuen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in der Generaldebatte des Bundestages, in der sich ja alle Mitglieder der neuen Regierung dem Parlament stellten.

https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7533221#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk=&mod=mod536668

Nachtrag: Das Transkript von Lambrechts Rede aus dem Plenarprotokoll:

Christine Lambrecht, Bundesministerin der Verteidigung:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Sicherheit in Europa – nicht nur in Europa, aber auch hier – steht aktuell vor großen Herausforderungen. Das informelle Treffen der EU-Verteidigungsministerinnen und -Verteidigungsminister, das die französische Ratspräsidentschaft gestern ausgerichtet hat, war ein sehr gutes Format, um diese Herausforderungen zu beraten. Sie können sich vorstellen: Ein ganz zentrales Thema stand natürlich auf
der Tagesordnung, nämlich Russland und die Ukraine. Ich sage ganz deutlich: Der russische Aufmarsch an der ukrainischen Grenze verstößt gegen alle Regeln des friedlichen Miteinanders.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und jeder russische Angriff auf die Ukraine wird Konsequenzen nach sich ziehen. Denn der Konflikt bedroht den Frieden in Europa, und daher müssen wir Europäer uns auch aktiv einbringen. Und das tun wir auch, im NATO-Russland-Rat, der endlich nach über zwei Jahren
wieder stattgefunden hat, in der OSZE. Überall, wo Gespräche geführt werden, haben wir Europäer eine starke Stimme, und das ist auch gut und richtig so.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es war die Woche der Gespräche. Und es werden weitere Gespräche folgen; denn klar ist: Wir müssen alle – alle! – Mittel ausschöpfen, um diesen Konflikt zu entschärfen. Gleichzeitig haben wir Europäer zusammen mit den amerikanischen Freunden aber auch deutlich
gemacht: Das Völkerrecht muss gewahrt werden. Die staatliche Souveränität unserer östlichen Nachbarn ist unantastbar, und Russland hat kein Vetorecht, wenn es um Bündnisfragen geht, und kann uns hier auch nicht erpressen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese roten Linien müssen klar sein in all den Gesprächen, die jetzt anstehen. Niemand hat erwartet, dass diese Gespräche mit der russischen Seite einfach werden oder dass ein, zwei Gespräche ausreichend sind und der Konflikt dann entschärft ist. Nein, diese Woche hat gezeigt, wie schwer es wird. Aber zwischen diesen roten Linien, die ich beschrieben habe, und einer militärischen Auseinandersetzung ist viel Spielraum, den wir intensiv ausschöpfen müssen, und das ist unsere Verantwortung und auch unsere Herausforderung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])
Die russische Aggression verdeutlicht einmal mehr: Wir, in Europa und der NATO, müssen ganz eng beieinanderstehen. In der kommenden Woche treffe ich mich hier in Berlin mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, und natürlich werden wir auch intensiv über die russische Aggression beraten.
Meine Damen und Herren, ganz bewusst bin ich für meinen ersten Truppenbesuch im Ausland nach Litauen gereist, zu unserem Kontingent der NATO. Ich war beeindruckt von der hohen Einsatzbereitschaft unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort, und ich habe mich auch bei ihnen bedankt; denn jede und jeder von ihnen steht für eine wirksame Abschreckung dort vor Ort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und sie alle machen damit eines sehr deutlich: Die Sicherheit unserer Verbündeten ist unsere Sicherheit – auch und gerade in Mittel- und Osteuropa.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Bedrohung durch Russland ist das eine. Vor uns liegt aber eine ganze Reihe von globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Bei alldem gilt: Deutschland steht zu seiner Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt. Und das beweisen wir auch immer wieder.
Denken Sie nur an unser Engagement im Kampf gegen den IS und zur Stabilisierung des Irak! Über das Mandat wird heute Nachmittag hier im Bundestag beraten. Unsere Bundeswehr leistet hier an der Seite unserer Partner und Verbündeten einen ganz wichtigen Beitrag. Vergangenes Wochenende war ich in Jordanien und im Irak. Ich habe mit unseren Soldatinnen und Soldaten dort gesprochen und mir ein Bild über die Umstände vor Ort gemacht. Ich kann Ihnen eins sagen: Dieser Einsatz ist entbehrungsreich, ja; aber er ist auch gefährlich. Noch kurz vor meinem Besuch sind wieder einmal Raketen auf der Al-Asad Air Base eingeschlagen. Aber unsere Soldatinnen und Soldaten hatten Schutzmaßnahmen ergriffen, und Gott sei Dank – Gott sei Dank! – sind alle wohlauf.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, wir schulden es unseren Frauen und Männern, dass wir ihren hohen persönlichen Einsatz, der sich da wieder gezeigt hat, klug und besonnen abwägen. Daher müssen wir und daher werden wir auch jeden Auslandseinsatz genau evaluieren, selbstverständlich immer im engen und ehrlichen Austausch mit unseren Partnern und Verbündeten. Aber es geht darum, Ziele und Instrumente zu prüfen und gegebenenfalls auch anzupassen. Was wollen wir erreichen? Wie ist unser militärischer Beitrag in politische und zivile Maßnahmen eingebettet? Und auch: Haben wir eine Exit-Strategie?
Mir ist sehr bewusst, dass diese Evaluierung ein hochpolitischer Vorgang ist. Er betrifft die ganze Bundesregierung, unsere Bündnisse und unsere Rolle als sicherheitspolitischer Partner in der Welt. Wir dürfen Einsätze aber nicht auf das Militärische verengen. Ein Einsatz ist immer auch eine politische Maßnahme. Das ist die wichtigste Lehre aus Afghanistan: Jeder Einsatz steht und fällt politisch. Das hat auch mit der politischen Lage im Einsatzland zu tun und ganz konkret mit der Frage: Wen unterstützen wir eigentlich, wen bilden wir aus, und ist dies mit unseren Zielen und Werten dann auch vereinbar?
Ich sage es ganz konkret: In Mali fordert die internationale Gemeinschaft zu Recht eine Rückkehr zu Demokratie und Wahlen, und das nicht erst in fünf Jahren, wie von dort angekündigt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Mali muss schnell Neuwahlen ansetzen. Alles andere ist inakzeptabel. Zudem ist es ein schwerer Fehler, dass in Mali von Russland unterstützte Söldner im Einsatz sind, Söldner, die dafür bekannt sind, Menschenrechte zu verletzen, zu morden, zu foltern und andere Staaten zu destabilisieren. Für unseren Einsatz vor Ort gilt deshalb: Wenn sich in Mali nichts ändert, kann es ein einfaches Weiter-so dort nicht geben. Das muss allen Beteiligten sehr bewusst sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine Damen und Herren, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, die Verteidigung unseres Landes und seiner Verbündeten, der Einsatz für Frieden und Freiheit in Europa und der Welt im Dienste unserer demokratischen, offenen und vielfältigen Gesellschaft: Das ist die Aufgabe unserer Bundeswehr. Für diese große Aufgabe
werden und müssen wir sie auch entsprechend ausstatten.
Unsere Soldatinnen und Soldaten riskieren ihr Leben für unser Gemeinwesen. Umso mehr müssen sie dann auch darauf vertrauen können, dass wir sie bestmöglich ausrüsten. Daher teile ich die Meinung des Bundeskanzlers: Unsere Ausgaben für die Verteidigung müssen weiter steigen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Wir brauchen dieses Geld, um unsere Truppe mit dem nötigen Material zu versorgen. Da geht es von den ganz kleinen Projekten bis zu den großen multinationalen Vorhaben, von Betriebsstoffen über Ersatzteile und persönliche Bekleidung bis hin zu einsatzbereiten Flugzeugen, Schiffen oder Panzern.
Aber es geht nicht nur ums Geld. Wir müssen auch das Beste herausholen aus dem, was wir schon haben. Hier gab und gibt es immer noch zu viele Missstände. Hubschrauber, die nicht fliegen, Gewehre, die nicht treffen, haben zu oft für Gespött gesorgt. Daher werde ich – ich weiß, das ist ein ganz dickes Brett, das zu bohren ist – das Beschaffungswesen gründlich modernisieren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Bei dieser Modernisierung geht es um eine flexiblere Haushaltsführung. Es geht um das Vergaberecht, das wir verändern müssen. Es geht um mehr Effizienz, auch digitale Effizienz. Mir ist auch klar, dass wir uns die Strukturen der Beschaffung genau ansehen müssen. Ich weiß: Das ist eine große Herausforderung. Aber mein Spruch ist immer: Wenn es einfach wäre, würden es
andere machen.
Meine Damen und Herren, ich habe unsere Truppe nun schon einige Male besucht, zu Hause und im Einsatz, viele Gespräche geführt mit unseren Frauen und Männern in Uniform und in Zivil, und ich kann Ihnen sagen: Wir haben eine hochmotivierte Truppe, auf die sich unsere Bürgerinnen und Bürger zu Recht verlassen können. Das zeigt sich immer dann, wenn es darauf ankommt, beispielsweise im vergangenen Sommer bei der Fluthilfe und jetzt einmal mehr in der Pandemie.
Seit bald zwei Jahren sind unsere Soldatinnen und Soldaten hier im Einsatz gegen das gefährliche Virus, auch unsere Reservistinnen und Reservisten: in Impfzentren, Testzentren und in Pflegeheimen. Sie helfen in den Gesundheitsämtern, beim Krankentransport oder bei der internationalen Coronahilfe. Sie tun das oft unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen; denn auch sie werden, ähnlich wie die Polizei, beleidigt, bepöbelt, und das belastet sehr. Deswegen möchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die in dieser Pandemie den Menschen in unserem Land zur Seite stehen, sehr ausdrücklich und von Herzen danken.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber ich sage auch sehr deutlich: Danke zu sagen allein reicht nicht. Wir werden deshalb genau prüfen, ob wir die Anrechnungsregelungen von Zulagen, so wie sie für die Polizei angedacht sind, auch für die Soldatinnen und Soldaten umsetzen können. Ich denke, das wäre ein richtiges und wichtiges Signal.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber auch persönlich handeln die Soldatinnen und Soldaten hoch verantwortlich. Über 90 Prozent haben sich impfen lassen, also deutlich mehr, als die Impfquote durchschnittlich hergibt. Diesen verantwortlichen, diesen solidarischen Geist unserer Truppe gilt es zu bewahren. Wir müssen ihn gegen diejenigen verteidigen, die unsere Werte nicht teilen: gegen die Hetzer, gegen die menschenverachtenden Verschwörungsgeschichten, gegen den rechtsextremistischen Hass.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lassen Sie mich hier sehr deutlich sagen: Es gilt null Toleranz gegenüber jeder Form von Extremismus. Wegschauen und eine falsch verstandene Kameradschaft darf es nicht geben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir werden Extremisten konsequent verfolgen und sehr schnell aus der Bundeswehr entfernen, auch durch eine Reform der soldatenrechtlichen Vorschriften, die jetzt sehr schnell kommen wird. Denn zu einer starken Bundeswehr gehört eines ganz sicher: dass man mit beiden Beinen fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht und dass man die Werte lebt, für die man kämpft.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)