Die neue IBUK war eigentlich schon weg – aber „niemals geht man so ganz“ (Neufassung)

Der designierte künftige Bundeskanzler Olaf Scholz hat die vorgesehenen neuen sozialdemokratischen Minister in seinem Kabinett bekanntgegeben – und die künftige Verteidigungsministerin ist eine Überraschung: Die bisherige Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht, die eigentlich schon ihren Abschied aus der Berliner Politik angekündigt hatte, wird neue Chefin des Wehrressorts.

Scholz, der am kommenden Mittwoch im Bundestag zum neuen Regierungschef gewählt werden soll, benannte am (heutigen) Montag in Berlin die Minister*innen, die er dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorschlagen will. Nach dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP haben die Sozialdemokraten das Recht zur Benennung der Spitze des Verteidigungsministeriums. Mit der Berufung von Lambrecht liege die Sicherheit Deutschlands in den Händen starker Frauen, sagte der künftige Bundeskanzler und spielte dabei auf die neue Bundesinnenministerin an, die bisherige hessische SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser.

Die 56-jährige Juristin Lambrecht war im Juni 2019 an der Spitze des  Justizressorts auf Katharina Barley gefolgt, die ins Europaparlament wechselte. Im Mai dieses Jahres übernahm sie zusätzlich das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, nachdem Amtsinhaberin Franziska Giffey für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin antrat.

Eigentlich hatte Lambrecht, die seit 1998 Abgeordnete des Bundestages gewesen war, bereits ihren Abschied aus der Berliner Politik angekündigt. Im Sommer vergangenen Jahres verzichtete sie auf eine erneute Kandidatur für das Parlament und schied mit Ablauf der letzten Legislaturperiode aus dem Bundestag aus. Damit ist sie (KORREKTUR: nicht als erste) als Ministerin an der Spitze des Wehrressorts ohne Parlamentsmandat.

Noch im Sommer hatte Lambrecht in einem Gespräch mit der SPD-Parteizeitung vorwärts deutlich gemacht, dass für sie das Pendeln zwischen ihrer hessischen Heimat und Berlin nach mehr als zwei Jahrzehnten ein Ende haben solle – auch wenn sie da nicht über Pläne für ihre politische Zukunft sprechen wollte. Allerdings hatte die scheidende Doppelministerin schon bei ihrer letzten Rede als Regierungsmitglied der großen Koalition angedeutet, dass sie sich keineswegs zur Ruhe setzen wolle.

Aus Lambrechts letzter Parlamentsrede als Justizministerin, zum Thema Frauenquote in Unternehmensvorständen, am 11. Juni dieses Jahres im Bundestag:

Ich weiß, ich kann manchmal sehr beharrlich sein und immer wieder mit dem gleichen Thema kommen. Das nervt vielleicht manchmal, aber es ist auch notwendig, denn nur Beharrlichkeit führt zum Ziel. Das kann man gerade auch bei diesem Thema sehen.
Sollte ich dennoch jemandem mal auf den Fuß getreten sein, dann bitte ich dafür um Entschuldigung. Es war nie persönlich gedacht, sondern hatte etwas damit zu tun, dass ich für diese Themen brenne.
Präsidentin Pau hat vorhin aufgefordert, bei den letzten Reden nicht allzu viele Dankesworte zu verlieren. Ich sage Danke an alle. Das werde ich ganz vielen auch noch persönlich sagen. Ich möchte mich mit einem Satz aus einem Lied der wunderbaren Trude Herr verabschieden: „Niemals geht man so ganz“.

Die künftige Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) ist die dritte Frau in Folge an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Ihre Vorgängerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, beide CDU, sahen sich bei Amtsantritt mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert wie Lambrecht jetzt: Berührungspunkte zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hatten alle drei Ministerinnen in ihrer vorherigen politischen Arbeit nicht vorzuweisen. Ungeachtet aller Kritik an ihrer Amtsführung, die nie ausbleibt, hatten aber sowohl von der Leyen als auch Kramp-Karrenbauer bewiesen, dass sie sich schnell in die Themen der Verteidigungspolitik und der Bundeswehr einarbeiten können.

Interessanter wird da eher die Frage, wie sich die neue Ministerin, die dem linken Flügel der SPD zugerechnet wird, bei anstehenden Entscheidungen in der Verteidigungspolitik positionieren wird. Die Beschaffung der Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr ist mit dem Koalitionsvertrag und der Zustimmung der SPD dazu auch Beschlusslage ihrer Partei; da dürfte es deshalb eigentlich keine Probleme geben. Weitaus gewichtiger ist die Frage, wie und mit welchen Flugzeugen die weitere Nukleare Teilhabe Deutschlands in der NATO organisiert wird – auch wenn sich die Koalition im Grundsatz darauf verständigt hat.

Die künftige Ausstattung der Streitkräfte, möglicherweise auch deren Umfang, wird zudem maßgeblich davon abhängen, welches Gewicht die künftige Ressortchefin in den Verhandlungen über den Verteidigungshaushalt einbringen kann. Kenntnisse hat sie in diesem Bereich durchaus: Von März 2018 bis Juni 2019 war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium.

In ihrem kurzen Statement nach der öffentlichen Benennung setzte Lambrecht allerdings andere Schwerpunkte, die sich mehr an das innere Gefüge der Bundeswehr richten: Respekt und Anerkennung für aktive Soldat*innen wie für Reservisten, Würdigung ihrer Arbeit zum Beispiel in der Corona-Pandemie, und die (auch im Koalitionsvertrag festgelegte) laufende Evaluierung der Auslandseinsätze einschließlich einer Exit-Strategie. Das wird von der neuen Verteidigungsministerin erwartet – die anderen, auch international und in der NATO wichtigen Themen, dürften aber weitaus härter für sie werden.

Auch hier noch mal zum Nachhören: Die Vorstellung durch Scholz und Lambrechts kurzes Statement dazu:

Lambrecht_BMVg_Vorstellung_Scholz_06dez2021     

 

(Archivbild: Bundesjustizministerin Lambrecht zu Beginn einer Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt am 28. Oktober 2020. – Janine Schmitz/ photothek.net)