Neues Afghanistan-Mandat: Verlängerung bis Januar 2022, Schutz deutscher Soldaten „besondere Priorität“
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan soll zunächst bis zum Januar kommenden Jahres verlängert werden. Das Bundeskabinett beschloss einen entsprechenden Mandatsvorschlag, der dem Bundestag zur Beschlussfassung übersandt wurde. Vor dem Hintergrund der Verhandlungen über einen Abzug der internationalen Truppen am Hindukusch soll der Schutz deutscher Soldaten in der Mission besondere Priorität bekommen.
Das neue Mandat ist die im Kern unveränderte Fortschreibung des bisherigen Mandats für den Bundeswehreinsatz, das Ende März ausläuft. Für die Beteiligung an der NATO-geführten Resolute Support Mission sollen nach dem Vorschlag des Kabinetts vom (heutigen) Mittwoch wie bisher bis zu 1.300 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden können; derzeit sind es rund 1.100. Abweichend vom üblichen Vorgehen soll das Mandat nicht für ein Jahr, sondern für zehn Monate bis Ende Januar 2022 verlängert werden, um nach der Bundestagswahl im September eine neue Regierung nicht zu lange zu binden.
Die Verlängerung steht unter dem Eindruck der anstehenden Planung für den Abzug aller internationalen Truppen aus Afghanistan nach inzwischen fast 20 Jahren. Die USA hatten im Februar vergangenen Jahres mit den Taliban einen Abzug bis zum 1. Mai dieses Jahres vereinbart, was auch für die Truppen der Verbündeten und damit der NATO-Mission gelten sollte. Allerdings haben die USA inzwischen angekündigt, diese Vereinbarung noch einmal zu überprüfen – vor allem im Hinblick auf die Frage, ob die darin festgelegten Bedingungen tatsächlich eingehalten wurden. Damit sieht es derzeit nicht danach aus, dass tatsächlich bis Ende April ein Abzug stattfindet.
Im eigentlichen Mandatstext wird diese Entwicklung zwar nicht angesprochen, aber um so ausführlicher in der Begründung. Entlang der Argumentationslinie, die Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Vortag in einem Schreiben an die Bundestagsfraktionen vorgebracht hatten, soll eine weitere Präsenz der internationalen Truppen und damit auch der Bundeswehr die Friedensverhandlungen in Afghanistan absichern:
Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Bundeswehr ihren Beitrag zu Resolute Support zunächst fortsetzen sollte. Der deutsche militärische Beitrag sollte so ausgerichtet sein, dass dem politischen Prozess weiterhin der nötige Raum gegeben wird und Deutschland seiner Verantwortung als Rahmennation im Norden vorerst weiter nachkommen kann. Die nächsten Monate haben für Resolute Support einen kritischen Übergangscharakter. Die gemeinsame Positionierung innerhalb der Allianz, insbesondere mit der neuen US-Regierung, benötigt Zeit. Gleichzeitig geht es für Deutschland darum, auf dadurch resultierende mögliche Anpassungen adäquat reagieren zu können.
Bei dem Verbleib in Afghanistan über den 30. April 2021 hinaus gilt es, das Risiko der Wiederaufnahme von Gewalt durch die Taliban gegen die internationalen Kräfte zu reduzieren und gleichzeitig bei der NATO-Planung des Kräfteansatzes mit einer lageangepassten Schutzkomponente Vorsorge zu treffen. Vor diesem Hintergrund wird die Obergrenze bei unverändert 1 300 belassen.
Die Taliban hatten bereits damit gedroht, die seit einem Jahr weitgehend eingestellten Angriffe auf die internationalen Truppen wieder aufzunehmen, falls der Abzugstermin 1. Mai nicht eingehalten werde. Auf die damit erneut steigende Gefahr auch für die deutschen Soldaten geht die Bundesregierung in der Mandatsbegründung auch ein:
Die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort hat stets eine besondere Priorität. Um bei einem Verbleib über den 30. April 2021 hinaus ein mögliches Wiederaufflammen der Taliban-Gewalt gegen die internationalen Truppen abzuwenden, setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die US-Seite dies zu einem integralen Gegenstand ihrer Gespräche mit den Taliban macht. Im Rahmen der NATO wurden zudem gemeinsam militärische Schutzmaßnahmen basierend auf einer Lageeinschätzung bei einem Verbleib über den 30. April 2021 hinaus identifiziert.
Die Bundesregierung geht – im Einklang mit der NATO – für den Fall des möglichen Verbleibs in Afghanistan über den 30. April 2021 hinaus von einer deutlich erhöhten Gefährdungslage für die deutschen Soldatinnen und Soldaten aus. Daher hält die Bundeswehr – gemeinsam mit ihren Partnern – entsprechende Fähigkeiten im Rahmen der nationalen Rückfallpositionen und des nationalen Risiko- und Krisenmanagements vor.
Interessant ist dabei, dass hier – wie schon im Schreiben der Minister am Vortag – nicht nur von einer möglichen schnellen Verstärkung mit der so genannten nationalen Rückfallposition die Rede ist – das wären knapp 400 Soldatinnen und Soldaten, deren Bereitschaftszeit in den vergangenen Wochen von 30 Tagen Vorwarnung deutlich verkürzt wurde. Hinzu könnten auch die Einheiten kommen, die für das nationale Risiko- und Krisenmanagement vorgesehen sind, also vor allem für die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Kriegsregionen. Das wären noch mal knapp 3.000 Soldaten, allerdings aus allen Teilstreitkräften bis hin zu Schiffen, so dass von diesem Kontingent nur ein Teil tatsächlich für eine solche Aufgabe eingesetzt würde.
(Archivbild 2012: Training eines Infanteriebataillons der afghanischen Armee durch die Bundeswehr im Außenposten Hazrat-e Sultan – Sebastian Wilke/Bundeswehr)
Es ist doch Augenwischerei, zu glauben mit weniger als 10.000 Soldaten in den nächsten Monaten noch irgendwas in diesem Land ausrichten zu können, was den „Friedensprozess“ unterstützt.
Zu hoffen, dass die Taliban, die längst wissen,dass sie gewonnen haben, ab Mai den Angriff auf die NATO-Streitkräfte unterlässt, ist absolut verantwortungslos!
Hier werden wohl leider weiter Menschen verheizt, für eine gescheiterte Mission!
„Schutz als besondere Priorität“ heißt nichts anderes als ’symbolisch dort bleiben‘, denn ein sinnvoller Auftrag ist nicht möglich oder gewollt.
Wenn die Politik die 1300 in AFG will, dann ist das so. Sportlich wird es für Gen Zorn: + die DEU-Rückfalloption (ca. 3500) muss in nur 2 Monaten stehen, + Er muss das auch mal ÜBEN lassen (!!!), + die 5000 km Transportwege und -kapazitäten müssen real und vertraglich 100% sicher stehen ! Hier muss GEN ZORN nun liefern !
Heisst Schutz als oberste priorität, alle bleiben verbunkert im Lager und warten ab bis das Mandat irgendwann ausläuft?
Moin,
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass einige die Verlängerung des Mandates überschätzen. Herr Wiegold sprach es in seinem Sicherheitshinweis in der letzten Folge von Sicherheitshalber (für Imperiale Todessternbesatzungen eine Hörempfehlung :) ) auch an: man muss ua das Mandat verlängern, weil man nicht vor Ende des aktuellen abziehen kann und es ist niemand gezwungen den Zeitrahmen des Mandats auszunutzen. Man kann auch schon im Sommer abziehen, obwohl das Mandat dann noch über ein halbes Jahr läuft.
Cheers
Flip
Entschuldigung, ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Der Schutz deutscher Soldaten*innen hat in allen Einsatzgebieten der Bundeswehr ausnahmslos „besondere Priorität“, wenn nicht gar die höchste, sollte man die Wortwahl anpassen müssen. In diesem Kontext zeigt es doch nur, wie verfahren und aussichtslos die Lage ist und wie unbeholfen man in Berlin agiert.
„Hinzu könnten auch die Einheiten kommen, die für das nationale Risiko- und Krisenmanagement vorgesehen sind, also vor allem für die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Kriegsregionen. Das wären noch mal knapp 3.000 Soldaten, allerdings aus allen Teilstreitkräften bis hin zu Schiffen, so dass von diesem Kontingent nur ein Teil tatsächlich für eine solche Aufgabe eingesetzt würde.“
-> also hauptsächlich die DSK Kräfte … die dann mit A400M nach Afghanistan verlegen und die dt. Soldaten ausfliegen? Ausrüstung wird dann zurückgelassen und zerstört?
das ganze hört sich so an als ob man lieber heute als Morgen abziehen sollte… um einen geordneten Rückzug hinzubekommen…
hier werden wieder unnötig Kräfte und Mittel gebunden ohne einen Mehrwert zu erreichen…
Ich weiß nicht ob es OT ist. Auf dem Foto haben die Soldaten das klassische M16 in der Hand. Wurde es nicht mal bei der Us Armee ausgesondert weil dass grundlegende Konzept des AR 15 bei Belastung und Schmutz zu Störungen neigt? Und dass ein Risiko für die US Soldaten wäre? Und dass gleiche Gewehr wird nun der ANA in die Hand gedrückt?
[Das geht schon sehr Richtung OT… und es ist ein Archivbild von 2012… T.W.]
Den Schutz – auch deutscher Soldaten – stellen indirekt auch folgende Kräfte und Einrichtungen sicher:
– Der Combined Situational Awareness Room (CSAR) in KABUL.
– Ein Regional Targeting Team (RTT) im Norden.
– Darin als Vertreter afghanische Sicherheitskräfte ANDSF und ASSF (darunter GCPSU Kräfte) und NDS Kräfte.
– Beratend seitens RS sowie unterstützend durch OFS stehen NSOCC-A sowie SOJTF-A Kräfte bereit.
Einrichtungen, Kräfte und Aufgaben:
RTT und CSAR:
https://media.defense.gov/2020/Jul/01/2002348001/-1/-1/1/ENHANCING_SECURITY_AND_STABILITY_IN_AFGHANISTAN.PDF
NSOCC-A und SOJTF-A:
https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2020-04-30qr-section3-security.pdf
ASSF und GCPSU:
https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200708_Afghan_Peace_GH3.pdf
[Boah ey. Ein bisschen viel Abkürzungen, oder? Wer außerhalb einer sehr kleinen Bubble kennt die alle? T.W.]
Nachtrag:
Das NATO Special Operations Command (NSOCC-A) unter RESOLUTE SUPPORT sowie die Special Operations Joint Task Force Afghanistan unter Operation Freedom Sentinel bilden seit Jahren die Afghan Special Security Forces (ASSF) aus. Darunter fällt auch das General Command of Police Special Units (GCPSU) sowie “Spezialeinheiten” des National Directorate of Security (NDS).
Diese Einheiten haben vornehmlich den Auftrag, Taliban, Islamic State of Iraq and Syria Khorasan (ISIS-K), Al-Qaeda und das Haqqani Netzwerk zu „bekämpfen“, also jene Kräfte, vor die auch die deutschen Soldaten geschützt werden sollen.
Interessant ist, dass die Bundeswehr im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) und Resolute Support (RS) maßgeblich indirekten „Schutz“ durch jene Spezialkräfte erfuhr, die im Rahmen Operation Enduring Freedom (OEF) und Operation Freedom Sentinel (OFS) zusammen mit den afghanischen Spezialkräften den „Feind“ in gewisser Hinsicht auf Abstand hielt.
Dabei blieben sowohl Teile der „westlichen“ als auch der afghanischen Spezialkräfte nicht frei von Missetaten oder fragwürdigen Taktiken („Night Raids“, „Targeted Killing“, usw.).
Ad-hoc Besuch der IBuK.
Neues konnte sie nicht verkünden. „Das Ziel bleibt der geordnete Abzug“.
https://www.tagesschau.de/ausland/kramp-karrenbauer-afghanistan-bundeswehr-101.html
[Greife das später noch auf; vielleicht gibt’s ja noch bisschen mehr dazu und auch Fotos mit Soldaten, nicht nur mit dem Militärpfarrer. T.W.]
Haha, zunächst habe ich gelesen: „Das Ziel bleibt der geordnete Anzug.“
Hätte auch gepasst. 😁
Immerhin guckt sie sich die Misere vor Ort an, auch wenn die Vorbereitungszeit für die Kameraden im Camp wieder mal sehr knapp bemessen war.
Zitat:“Die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort hat stets eine besondere Priorität.“
Nun ja,wenn das so sein sollte, dann waere es ja angemessen,mal ueber den Einsatz ( Kauf) von bewaffnenten Drohnen nicht nur nachzudenken, sondern es auch durch bzw. umzusetzten.
„Das Trauerspiel von Afghanistan (Theodor Fontane)
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
(…)
„Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.“
[Das ganze Gedicht von Fontane ist an vielen Stellen zu finden, z.B. hier
https://de.wikisource.org/wiki/Das_Trauerspiel_von_Afghanistan_(Fontane)
und deshalb habe ich das der Lesbarkeit wg. hier gekürzt. T.W.]
Daran wird sich auch mit CSAR RTT ANDSF ASSF GCPSU NDS OFS
NSOCC-A SOJTF-A … etc … etc … nichts ändern .,.
Aber wie ich hier schon mehrfach erwähnte, ist ja für Viele das Lernen
aus der Geschichte nicht unbedingt eine Priorität… lieber verzettelt man
sich in Debatten über militärische Optionen… Aber militärisch ist in
Afghanistan keine Lösung zu erreichen… wie die Geschichte lehrt…
Denn die westlichen Staaten müssten – wenn schon – mit überwältigender
militärischer Präsens agieren … was niemand je wollte … und was auch
kein Garant für Erfolg ist…
Und in Afghanistan haben schon immer die regionalen „Clan-Fürsten“,
Warlords, Familen-/Glaubensbande … etc das Sagen… Hinzu tritt die
Korruption durch die ganze Gesellschaft. Angefangen bei den Herren
in Kabul…
Eine ausführliche Analyse der Gesamtlage in Afghanistan:
https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/war-and-peace/a-deal-in-the-mist-how-much-of-the-us-taleban-doha-agreement-has-been-implemented/
Zusammenfassung:
Egal welchen Weg die USA einschlagen, es wird auf absehbare Zeit nicht besser.
Abhängig von den Entscheidungen in den USA also vielleicht nicht das letzte Mandat.