Coronavirus-Pandemie & Bundeswehr: „Spätestens im Herbst müssen wir raus“

Bevor eine neue Woche mit den Debatten über den Umgang mit der Coronavirus-Pandemie beginnt, unter anderem am kommenden Mittwoch eine neue Schaltkonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsident/innen, hier – nicht zuletzt fürs Archiv – ein Sachstand zur Pandemie und der Bundeswehr in der zurückliegenden Woche. Unter anderem mit einer Warnung des Inspekteurs der Streitkräftebasis.

• Die Zahlen, mit Stand vergangener Freitag (5. Februar):

Das Corona-Kontingent der Bundeswehr umfasst inzwischen 25.000 Soldaten, und alle davon sind entweder in der Amtshilfe im Einsatz oder in Zwei-Tage-Bereitschaft (Notice to move 48 Stunden; mehr dazu unten). Davon waren zum Ende der Woche rund 18.140 insgesamt gebunden – knapp 12.100 direkt in Unterstützungsleistungen und die übrigend rund 6.000 als so genanntes Schichtwechselpersonal oder in den Führungsstäben. Hinzu kommen rund 640 Sanitätskräfte, die außerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser im Einsatz sind.

Nach wie vor macht die Unterstützung der Gesundheitsämter den größen Einzelanteil aus; rund 5.200 Soldatinnen und Soldaten waren dort tätig. Diese Aufgabe wird auch weiterhin den größten Teil einnehmen; allein die derzeitige Strategie, auf ein Sinken der Fälle zu setzen und dann (wieder) die Nachverfolgung von Infektionsketten zu ermöglichen, wird viel Personal beanspruchen.

Rund 2.250 Soldatinnen und Soldaten sind in Impfzentren und mobilen Impfteams eingesetzt; eine Zahl, die abhängig von der Lieferung weiterer Impfstoffdosen voraussichtlich steigen wird. Knapp 1.050 Soldaten unterstützen als helfende Hände in Alten- und Pflegeheimen, rund 630 in Krankenhäusern.

Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die – als nicht-medizinisches Personal – für Schnelltests in Alten- und Pflegeheimen und in so genannten Einrichtungen der Eingliederungshilfe eingesetzt werden, ist zum Wochenende auf 3.500 gestiegen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte angekündigt, dass dafür bei Bedarf bis zu 10.000 Soldaten abkommandiert werden könnten, abhängig von den Anforderungen der Kommunen und/oder der Länder.

Das ist auch ein Anliegen des Kanzleramtes, das eigens die Landkreise und Städte per Brief auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte, die gefährdeten Heimbewohner besser zu schützen. Inzwischen zeichnen sich bei diesem Vorhaben jedoch zwei Probleme ab.

Zum einen: Eigentlich ist der Einsatz der Soldatinnen und Soldaten bei diesen Schnelltests auf drei Wochen begrenzt; anschließend sollen von der Bundesagentur für Arbeit angeworbene Freiwillige nach medizinischer Einweisung diese Aufgabe übernehmen. Allerdings sind bei der Bundeswehr bereits die ersten Anfragen auf eine Verlängerung eingegangen, weil das mit den Freiwilligen offensichtlich so nicht immer klappt. Verteidigungs-Staatssekretär Gerd Hoofe billigte deshalb in der zurückliegenden Woche eine weiteren dreiwöchigen Einsatz, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird.

Zum anderen scheint es in mindestens zwei Bundesländern Probleme mit dem Umfang dieser Schnelltests zu geben. Sie seien, so sagt die Bundeswehr, schon immer auf solche Tests bei Personal und eventuell auch ständigen Lieferanten in diesen Heimen beschränkt gewesen, Tests an den Bewohnern gehörten nicht dazu. Das ist aber offensichtlich in dieser Deutlichkeit nicht überall angekommen, aus Landkreisen als Träger solcher Heime, aber auch aus einem Bundesland als Träger von Eingliederungseinrichtungen, in denen Behinderte wohnen, wurde das jedenfalls anders verstanden: natürlich sollten auch die Bewohner getestet werden.

Das Kommando Territoriale Aufgaben und der Sanitätsdienst reagierten darauf in den vergangenen Tagen mit einem klarstellenden Schreiben:

Die Problematik der Abstrichentnahme durch angelernte Laien im Rahmen der Amtshilfen ist hinlänglich bekannt, ebenso die kontroversen Auffassungen ethischer Aspekte in der Durchführung. Eine definitive Grenze erfährt das Verfahren aber dort, wo bei vulnerablen, geistig oder körperlich nicht gesunden Menschen in der Alten- oder Krankenpflege diese Abstriche genommen werden sollen. Hier kommt ausschließlich Fachpersonal zum Einsatz! Der Einsatz angelernter Laien verbietet sich hier schon deshalb, weil der medizinisch invasive Eingriff (nichts anderes ist der Abstrich) hier über einen rein infektions-epidemiologisch präventiven Zweck hinaus eine gesundheitliche Gefahr darstellt, die im Individualfall fachgerecht einer Risikoanalyse und Abwägung unterworfen werden muss. Das kann und darf ein Laie nicht leisten.

Das ist die rechtliche Bewertung der Bundeswehr, mal sehen, wie Kommunen und Länder, die auch die Bewohner testen wollen, damit umgehen.

• Die Zahlen der Fälle unter Soldatinnen und Soldaten:

3. Februar
423 tagesaktuell bestätigte Fälle
kumuliert: 4116, davon kumuliert genesene Fälle: 3692, Tote kumuliert: 1

4. Februar
443 tagesaktuell bestätigte Fälle
kumuliert: 4164, davon kumuliert genesene Fälle: 3720, Tote kumuliert: 1

5. Februar
441 tagesaktuell bestätigte Fälle, kumuliert: 4195, davon kumuliert genesene Fälle: 3753, Tote kumuliert: 1

Die – seit Jahresbeginn wöchentliche – Übersicht des Einsatzführungskommandos zu Infektionen im Auslandseinsatz, via Twitter veröffentlicht:

Bei der #BundeswehrimEinsatz sind im Zeitraum 29.01.21 – 04.02.21 Soldat_innen positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden: #MINUSMA 3.

• Seitdem die Bundeswehr vor bald einem Jahr ihr Corona-Kontingent eingerichtet hatte (mit Weisung Nr. 4 zur Regelung von Grundbetrieb, Aus- und Weiterbildungen und Übungen sowie für die Bereitstellung von Kräften der Bundeswehr im Rahmen COVID-19 vom 19. März 2020), ist der Einsatz in der Amtshilfe drastisch gewachsen. Denn nicht nur ist der Umfang des Kontingents in der Verantwortung der Streitkräftebasis (SKB) von damals 15.000 auf inzwischen 25.000 erhöht worden (der Sanitätsdienst kommt noch dazu, ist aber auch über die Bundeswehrkrankenhäuser gebunden). Drastisch gewachsen ist auch der Bereitschaftsstand – vergangenes Jahr ging das so los:

Allerdings werden nicht gleichzeitig alle rund 15.000 Soldaten, die zur Bewältigung der Krise im Inland zur Verfügung stehen sollen, in den gleichen Bereitschaftsstand versetzt. In allen Regionen sind Einheiten in Zugstärke vorgesehen, für die aber auch so genannte Folgekräfte bereitstehen: Die ersten Einheiten, zum Beispiel 26 Logistik-Züge mit jeweils etwa 30 Männern und Frauen im Süden, stehen in einer Zwölf-Stunden-Bereitschaft, weitere 57 Züge können innerhalb von 72 Stunden eingesetzt werden.

Im Laufe des vergangenen Sommers wurden diese Bereitschaftszeiten dann weiter entschärft; teilweise wurden für das Kontingent vorgesehene Truppenteile in eine 14-Tage-Bereitschaft versetzt. Inzwischen allerdings, siehe oben, steht praktisch das gesamte Kontingent unmittelbar zum Einsatz bereit. Notice to move in 48 Stunden bedeutet ja, dass zum Beispiel der übliche Ausbildungsbetrieb nicht so geplant werden kann, wie das bei einer absehbaren Alarmierung für den Amtshilfeeinsatz in zwei Wochen der Fall ist.

Für alle Teilstreitkräfte, aber vor allem für den Nationalen Territorialen Befehlshaber, den SKB-Inspekteur Martin Schelleis, wird das langsam ein Grund zur Sorge. Absehbar seien zusätzliche Anforderungen, sowohl für die Schnelltests in den Heimen als auch für die Impfzentren, wenn mehr Impfstoff vorhanden ist – aber dann könne die Truppe das nicht mehr aus dem jetzt vorgesehenen Truppenumfang für die Amtshilfe leisten: Dann müssen wir das Kontingent erhöhen, sagte der Generalleutnant bei einer telefonischen Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag.

Und die Folge, dass vor allem Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten nicht mehr sichergestellt werden könne, sei von den Streitkräften nicht ohne Ende ohne Auswirkungen hinnehmbar, warnte Schelleis. Gerade im Hinblick auf die im kommenden Jahr beginnende Ausbildungs- und Aufstellungsphase für die NATO-Speerspitze, die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) im Jahr 2023, müsse die Bundeswehr aus der Pandemie-Unterstützung spätestens im Herbst dieses Jahres raus:

20210204 Schelleis PK Corona Aussicht     

 

(Ausschnitt aus der Telefon-PK mit Schelleis, die Telefonqualität bitte ich zu entschuldigen)

Der Vorschlag, den der SKB-Inspekteur in diesem Gespräch machte, ist zwar nicht wirklich neu – aber eben auch nie wirklich umgesetzt: Das ganze Potenzial der zivilen Hilfs/Katastrophenschutz-Organisationen, angefangen bei den Feuerwehren, müsse für solche Vorfälle wie eine langdauernde Pandemie besser vernetzt und koordiniert werden. Und zwar bundesweit, nicht nur auf lokaler, regionaler oder Landesebene. Langfristig müsse eine Struktur geschaffen werden, wie einer solche Notlage zivil begegnet werden könne. Denn die Bundeswehr könne war zeitweise einspringen, aber: Unser Hauptauftrag ist die äußere Sicherheit.

(Foto November 2020: Ausbildung ist in Corona-Zeiten nicht immer möglich – hier: Soldaten lernen den Umgang mit der Panzerfaust 3 in der Spezialgrundausbildung  der 4. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 371 auf dem TruppenŸbungsplatz Klietz – Maximilian Schulz/Bundeswehr)