DroneWatch: Niederlande planen Beschaffung von Kamikaze-Drohnen

Die niederländischen Streitkräfte planen für ihre Infanterie die Beschaffung von Kamikaze-Drohnen, die über einem Ziel kreisen und sich auf entsprechenden Befehl darauf stürzen und explodieren. Die unbemanten fliegenden Systeme mit einer Reichweite von mindestens 30 Kilometern werden allerdings nicht als Drohne, sondern als Munition eingestuft – ähnlich wie bei einem System, das die Bundeswehr Anfang des vergangenen Jahrzehnts vorgesehen und dann nicht weiter verfolgt hatte.

Die so genannte Loitering Munition (sinngemäß: herumlungernde Munition) ist zusammen mit neuen Mörsern als Teil eines künftigen Leichten Systems für indirektes Feuer (Licht Indirect Vurend Systeem, LIVS) der Landstreitkräfte vorgesehen, wie das niederländische Verteidigungsministerium im Dezember vergangenen Jahres in einem Schreiben an das Parlament* erläuterte:

Da selbst präzisionsgelenkte Mörsergranaten nicht genügend Reichweite haben (ca. 12 km) und gegen gepanzerte Ziele nicht wirksam sind, benötigt LIVS in Kombination mit den neuen Mörsern ein zusätzliches Mittel, um die notwendige Feuerunterstützung für leichte Kampfeinheiten zu gewährleisten. Loitering Munition ist für diesen Zweck bestens geeignet. Loitering Munition ist eine präzisionsgelenkte Munition in Form von Geschossen, die lange Zeit über dem Boden verbleiben können und erst auf militärischen Befehl hin ein Ziel angreifen. Ein wichtiger Vorteil gegenüber konventioneller Munition ist, dass ein einmal begonnener Angriff immer noch abgebrochen werden kann, z. B. wenn unerwartet unbewaffnete Zivilisten am Ziel auftauchen. In dieser Hinsicht folgt das Verteidigungsministerium der Regierungspolitik zu autonomen Waffensystemen, die immer eine sinnvolle menschliche Kontrolle beinhalten. Die zu beschaffende Loitering Munition muss auf eine Entfernung von mindestens 30 km und mit hoher Präzision wirksam sein. Im Rahmen des LIVS-Projekts werden Abschusseinheiten, Projektile, Bodenkontrollstationen sowie Ausbildungs- und Trainingseinrichtungen für diese Loitering Munition bereitgestellt.
Das LIVS-Projekt wird daher zwei komplementäre Ressourcen bereitstellen: Mörser, möglicherweise mit präzisionsgelenkten Mörsergranaten, und Loitering Munition. Insgesamt werden 20 neue 120mm Mörser angeschafft, ausreichend für vier schießende Einheiten und eine Reserve. Die Anzahl von vier Werfern für Loitering Munition basiert ebenfalls auf vier feuernden Einheiten.
(Übersetzt mithilfe von DeepL.com)

Die Kosten für das Gesamtsystem aus Mörsern und Loitering Munition werden recht breit mit 25 bis 100 Millionen Euro angegeben. Insgesamt soll die Beschaffung bis 2027 abgeschlossen werden, der Zulauf der ersten Systeme wird für 2023 erwartet.

Nun ist es bei solchen Kamikaze-Drohnen, die über einem Ziel kreisen und bei Bedarf eingesetzt werden, eine Frage der Definition: Drohne, weil ferngesteuert, oder Munition, weil nicht wiederverwendbar? Die israelische Harop, das erste System dieser Art, gilt als Mischung aus Drohne und Marschflugkörper. Allerdings werden diese unbemannten Flugkörper in der öffentlichen Wahrnehmung eher mit Drohnen identifiziert – zum Beispiel im vergangenen Jahr im Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan um die Enklave Berg-Karabach: Da ist durchweg vom Drohnenkrieg die Rede, auch wenn solche Kamikaze-Drohnen daran einen erheblichen Anteil hatten und die veröffentlichten Bilder dieser Angriffe das Kriegsbild bestimmten.

Die Bundeswehr hatte bis vor einigen Jahren Pläne für ein ähnliches System: Das Wirksystem zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen (WaBEP) sollte die bereits eingeführte Drohne Kleinfluggerät Zielortung (KZO) mit einer Harop kombinieren. Dabei hätte das KZO das Ziel auffassen und beobachten sollen, während die Harop als verfügbare Munition im gleichen Luftraum kreiste, bis zu 150 Kilometern von der Kontrollstation entfernt. Bei Rheinmetall wurde daran bereits eifrig gearbeitet.

Dabei handele es sich aber nicht um eine Drohne, erläuterte das Verteidigungsministerium 2009 auf eine Anfrage der Grünen:

Das nicht mehrfach verwendbare Wirksystem zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel-und Punktzielen (WABEP) ist kein UAV, sondern ein Wirkmittel (Munition), das dem„Schützen“ ermöglicht, bis kurz vor dem Einschlag das Ziel zu beobachten,nachzurichten und notfalls den Angriff abzubrechen.

Das Programm wurde dann allerdings recht geräuschlos eingestellt. In der von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Januar 2016 vorgelegten neuen Liste für Obergrenzen der strukturrelevanten Hauptwaffensysteme wird es zwar noch erwähnt, aber mit dem Hinweis zunächst keine Beschaffung. Und seitdem war davon auch nichts mehr zu hören.

*Fürs Archiv das Schreiben des niederländischen Verteidigungsministeriums:
20201217_Behoeftestelling_Licht_Indirect_Vurend_Systeem_LIVS
(Danke an die Kollegen von Soldat&Technik für den Hinweis auf das Schreiben)

(Archivbild: U.S. Marine Corps Cpl. Jonathan Altamirano, a fire support Marine with 1st Air Naval Gunfire Liaison Company (ANGLICO), I Marine Expeditionary Force Information Group, launches a Switchblade  lethal miniature aerial missile system during an exercise at Marine Corps Base Camp Pendleton, California, Sept. 2, 2020 – U.S. Marine Corps Photo by Cpl. Jennessa Davey)