Sicherheitshalber der Podcast Folge 38: Kriegsbild der Zukunft: Frieden durch Resilienz? | Brexit: (Nur) sicherheitspolitisch kein #FAIL
Sicherheitshalber ist der Podcast zur sicherheitspolitischen Lage in Deutschland, Europa und der Welt. In Folge 38 sprechen Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und ich über das zukünftige Kriegsbild, also die Vorstellungen, die wir uns von den Konflikten der Zukunft machen. Altbekannte Bedrohungen durch konventionelle Streitkräfte spielen darin ebenso eine Rolle wie “hybride Kriegsführung”, also etwa gezielte Desinformationskampagnen zur Polarisierung und Spaltung von Gesellschaften. Was ist aus deutscher und europäischer Sicht der richtige Umgang mit solchen Herausforderungen? Und was heisst das alles für den Unterschied zwischen Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert? Als zweites wenden wir uns dem Brexit zu. Alle sind sich einig: Dieser scheint (zumindest) für die europäische Sicherheit und Verteidigung kein Debakel. Gegenstand von Diskussionen ist aber, ob Großbritannien seine eigenen, mit dem Brexit verbundenen globalen Ambitionen wird einlösen können. Abschließend wie immer der “Sicherheitshinweis”, der kurze Fingerzeig auf aktuelle, sicherheitspolitisch einschlägige Themen und Entwicklungen – diesmal mit Fragezeichen zu Frankreichs militärischem Engagement in Mali, einem Signal gegen WhatsApp, einer PESCO-Regel für Drittländer und dem dezenten (Warn-)Hinweis, dass ab jetzt die Parteien in Deutschland auch sicherheitspolitisch in den Wahlkampfmodus schalten.
Kriegsbilder: 00:02:55
Brexit: 00:43:14
Sicherheitshinweise: 01:03:25
Hausmitteilungen: 01:12:38
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Erwähnte und weiterführende Interviews, Literatur und Dokumente:
Thema 1 – Kriegsbilder der Zukunft
GI Eberhard Zorn im Interview,, NZZ, 20.12.2020
https://www.nzz.ch/international/eberhard-zorn-verteidigung-ist-eine-gemeinschaftsaufgabe-ld.1589704
Carlo im Interview, Welt, 23.12.2020
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus223050032/Sicherheitspolitik-Auch-Deutschland-muss-bereit-sein-Terroristen-zu-jagen.html
Papiere des Heeres:
2017: Wie kämpfen Landstreitkräfte zukünftig?
https://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2018/03/180327-Thesenpapier-I-Wie-ka%CC%88mpfen-LaSK-zuku%CC%88nftig.pdf
2019: Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften
https://www.bundeswehr.de/resource/blob/156024/d6ac452e72f77f3cc071184ae34dbf0e/download-positionspapier-deutsche-version-data.pdf
US Army “Mad Scientist Laboratory”
https://madsciblog.tradoc.army.mil/
Raphael S. Cohen et al: The Future of Warfare in 2030: Project Overview and Conclusions, RAND, 2020,
https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR2849z1.html
Tracey German: How will wars be fought in the future?, Oxford University Press Blog, 20.07.2019
https://blog.oup.com/2019/07/how-will-wars-be-fought-in-the-future/
Helen Warrell: Future of warfare: high-tech militias fight smouldering proxy wars, FT, 21.01.2021,
https://www.ft.com/content/ab49c39c-1c0c-11ea-81f0-0c253907d3e0
Handeln in der Pandemie – Blaupause für hybride Kriegführung, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, in: Behörden-Spiegel, 8.01.2021
https://www.behoerden-spiegel.de/2021/01/08/handeln-in-der-pandemie-blaupause-fuer-hybride-kriegfuehrung/
‚Psychological Warfare‘: Taliban Adopts New Strategy In Afghanistan, RFE/RFL 8.01.2021
https://gandhara.rferl.org/a/psychological-warfare-taliban-adopts-new-strategy-in-afghanistan-/31039336.html
Thema 2 – Brexit
Ulrike Franke: UK-EU Defence Cooperation after Brexit, ECFR, December 2020, https://ecfr.eu/article/how-britain-and-the-eu-could-cooperate-on-defence-after-brexit/
Brexit – mit Auswirkungen auf die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik?, NDR Streitkräfte und Strategien, 27.12.2020
https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript820.pdf
Boris Johnson promises biggest UK defence investment for 30 years, FT, 19 November 2020,
https://www.ft.com/content/684a9881-c964-478b-b87b-84aa697810f2
Finding a new role for the UK in the world. ‘Global Britain’ must rethink how it can best safeguard its interests, FT Editorial Board, FT, 4 Januar 2021, https://www.ft.com/content/14557b60-13be-4ede-99ca-0a6893a94577
Spain and UK in talks for post-Brexit military cooperation deal, El Pais, 4 Januar 2021, https://english.elpais.com/spanish_news/2021-01-04/spain-and-uk-in-talks-for-post-brexit-military-cooperation-deal.html
Sicherheitshinweise
Rike: Drittländerregel für Europäische Verteidigungsprojekte : https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2020/11/05/eu-defence-cooperation-council-sets-conditions-for-third-state-participation-in-pesco-projects/#
Frank: Ein weiterer Grund, WhatsApp nicht (mehr) zu verwenden
https://www.heise.de/news/WhatsApp-aendert-Nutzungsbedingungen-Daten-werden-mit-Facebook-geteilt-5005893.html
Carlo: Sitzung des französischen Verteidigungsausschusses zu Mali Einsatz (am 09.02.2021)
https://www.publicsenat.fr/article/parlementaire/mali-il-faut-trouver-les-moyens-de-sortir-de-cette-operation-tance-christian?amp=&__twitter_impression=true&s=08
Thomas: CSU positioniert sich für den Wahlkampf: Für TLVS, 2. Los Puma und… Rückkehr einer Art Heeresflugabwehr
https://augengeradeaus.net/2021/01/csu-positioniert-sich-fuer-den-wahlkampf-fuer-tlvs-2-los-puma-und-rueckkehr-einer-art-heeresflugabwehr/
@ F. Sauer Aber die anderen Kinder haben doch auch alle Whatsapp.😭
1. Zum Thema Whatsapp. Ich denke dass es hinreichend bekannt ist dass alles was irgendwie im Internet über telefon massenger versendet wird, für jeden der es wissen will mitzulesen ist. Das ist nun wirklich nicht neu. 2. Gesellschaftliche Resilienz gegenüber Demagogen und unterwanderung funktioniert nur wenn sie eine Gesellschaft haben die für unterschiedliche Argumentationen empfänglich ist und diese differenzieren kann. Geht aber nicht wenn alle die gleiche bunte Zeitung lesen und den gleichen bunten Sender sehen und hören.
Die Diskussion hatte sehr wenig mit Kriegsbildern zu tun.
Vielsagend die Reaktion der Herren der UniBw zum Clausewitz-Zitat, das die Diskussion zu Beginn hätte prägen können.
Fachleute für Internationale Beziehungen sind eben keine Fachleute für Kriegstheorie und Kriegsbilder.
Zum Thema Streitkräfte und Hierarchie sage ich besser gar nichts.
Beim aktuellen Thema Whatsapp ist mir aber schon eine Unterscheidung wichtig zwischen Inhalten, die gezielt und gewollt veröffentlicht werden (sozial media, z.B. Facebook-Profile) und Inhalten, die nur bestimmten Adressaten zugedacht sind (verschlüsselte Messanger, z.B. Whatsapp) und deren Vertraulichkeit durch Nachrichtendienste oder Verknüpfung mit anderen Datenbasen (in diesem Fall Facebook) systematisch unterwandert werden kann.
Die Resilienzdiskussion fand ich extrem interessant, mein persönliches Highlight im Podcast: Unser aller Eigenverantwortung.
Zum 1. Thema: Die Ereignisse am 6. Januar haben meiner Meinung nach gezeigt, dass das USA System resilient ist, die Resilienz aber mittlerweile stark gelitten hat. Entscheidende Akteure haben gemäß Verfassung gehandelt; die Abgeordneten, Senatoren und die Wahlunterlagen wurden gesichert sowie das Ergebnis der Wahl bestätigt.
Der Angriff auf das System hat jedoch nicht erst in den letzten Tagen begonnen. Vorbereitet wurde er über mehrere Jahre, auch bereits vor Social Media, zb mit der Verächtlichmachung des politischen Gegners und dem permanenten, unterschwelligen Untergraben von wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Normen (z.B Kreationisten und co.)
Als Trump dann Präsident wurde, war schon ein Großteil der Resilienz aufgebraucht. Jedoch waren über die Institutionen verteilt noch genügend Personen an entscheidender Stelle tätig, welche sich nicht opportunistisch verhalten haben, sondern trotz der ihnen drohenden und oftmals später folgenden Entlassung korrekt gehandelt haben. Da waren aber bereits Abgeordnetenhaus und Senat nicht mehr in der Lage, einen offensichtlich ungeeigneten Präsidenten abzusetzen und damit den Staat aktiv zu verteidigen. Sondern es bedurfte einer gewaltigen Kraftanstrengung der Wähler.
Spannend wird jetzt, ob sich in den kommenden Jahren die Institutionen wieder soweit regenerieren können, das der nächste Angriff sich auch wieder verläuft oder es erst gar nicht mehr soweit kommt.
Das es nämlich gar nicht so einfach ist, das passende Personal zu finden zeigen ja auch die vielen von Trump unbesetzten Stellen in der Verwaltung (diesmal zum Glück…).
Was könnte das für Deutschland heißen: ein Teil der Antwort könnte sicherlich lauten: Augen auf bei der Personalauswahl: wer bestimmt die Kriterien für die Auswahl zukünftiger Beamten, Richter und Soldaten. Und später für die Auswahl kritischer Dienstposten, wer bestimmt zb die Landeswahlleiter, wer die Richterwahlausschüsse (mal zwei Beispiele außerhalb der Bundeswehr) und welchen Einfluss hat die Politik, die ja evtl leider das Interesse haben könnte, die Institutionen zu schwächen (siehe Trump)?
Sind die Personen eingestellt: die Chancen nutzen die die Laufbahnverordnung gibt, Anwärter im laufenden Dienst über längere Zeit auf ihre ganzheitliche Eignung hin zu prüfen, wie die Probezeit vor der Ernennung auf Lebenszeit und die Auswahl zum Berufssoldaten. Und wie ist sichergestellt zu erkennen, das zwar jemand das nötige Handwerkszeug beherrscht aber aufgrund seiner mangelnden Treue zu Deutschland dennoch ungeeignet ist und gar nicht erst übernommen wird?
Es reicht halt nicht, nur ein guter Krieger zu sein. Mit der Fähigkeit allein kann man vlt. als Söldner was werden aber hoffentlich nicht bei uns.
Bleibt zu hoffen, dass es bei uns nicht auch zum Schwur kommt und unsere offene Gesellschaft ausreichend resilient ist und bleibt.
Ist vielleicht die oftmals beklagte Trägheit des Systems hierfür gar ein gutes Zeichen?
[Es ist naheliegend, dass die aktuellen Ereignisse in den USA zur Debatte einladen… an dieser Stelle ist das für dieses Thema allerdings nicht der zentrale Aspekt, und ich wäre recht dankbar, wenn das jetzt nicht zum USA-Ereignis-Debattenthread mutiert. T.W.]
Bewaffnete Konflikte und zugehörige Kriegsbilder haben sich nach Ende Kalter Krieg drastisch verändert.
Die Frage nach dem vorherrschenden Kriegsbild, also „nach Erscheinungsform, Intensität, Ausdehnung und damit nach den Möglichkeiten, Mitteln und Zwecken – kurz, dem Wesen eines kommenden Krieges“, [Baudissin/1970/Soldat für den Frieden] muss angesichts der dynamischen Veränderungsprozesse immer wieder gestellt und realitätsnah beantwortet werden.
Realitätsnah muss unbedingt um „geografiebezogen“ ergänzt werden. Ein „Kriegsbild Donbas“ entspricht nicht dem „Kriegsbild Sahel“ und fordert unterschiedliche Ansätze politisch/diplomatischer bzw. auch militärischer Vorgehensweise ein, obwohl beide in der „Jetztzeit“ ablaufen. Einstellen müssen sich die Bw und das Bündnis auf asymmetrische Kriege in Form von Aufstandsbekämpfung auf globaler Ebene als das dominierende Kriegsbild der absehbaren Zukunft, ohne dass bekannte LV/BV Kriegsbilder vernachlässigt werden. Der heutzutage selten genutzte Begriff der Guerilla-Kriegführung der 1950-70er Jahre passt m.E. besser, sollte neu belebt werden, da wesentliche Bündnispartner auf Erfahrungen und Fähigkeiten hierzu zurückgreifen können.
Sehr interessant, dass Baudissin von „Mitteln und Zwecken“ spricht. Er nimmt damit nämlich auf die clausewitzsche klassische Zweck-Mittel-Realition bezug, die erstmals in der TF 1910 (sic), erlassen von Wilhelm II, verfasst von Moltke d. Ä., in deutscher Führungsvorschrift aufgenommen wurde. (1) Kurz: der Herrscher, im heutigen Sinn die Regierung mit dem Primat der Politik ausgestattet bestimmt den Zweck eines Krieges, die militärische Führung entscheidet die Mittel zur Zielerreichung.
(1) Die Entwicklung deutscher Führungsgrundsätze im 20. Jahrhundert, Stefan Ermlinger, 2009, GRIN Verlag.
„die Regierung mit dem Primat der Politik ausgestattet bestimmt den Zweck eines Krieges, die militärische Führung entscheidet die Mittel zur Zielerreichung.“
Der zweite Teil des Satzes ist in seiner Aussage bloße Theorie und hat seit Jahrzehnten keinen Bestand mehr und allein schon der Bundeswehreinsatz in Afghanistan und Mali zeigt wunderschön, dass die militärische Führung nicht einmal ansatzweise über die Mittel entscheidet.
Wo war denn das schwere Gerät, welches vom Militär gefordert wurde und wo war/ist denn der richtige Feldlagerschutz (MANTIS), den das Militär sich wünscht und auch einsetzen will?
Stattdessen gab es einmal nichts und dann nur die Sensoren aber ohne die Geschütze und irgendwann durften dann in Afghanistan auch ein paar Panzerhaubitzen in das Feldlager, aber bitte keine Bundeswehr-Panzer in den Konflikt. Dabei hatten die Herstellerfirmen sogar ganz tolle Weiterentwicklungen im Portfolio (Leopard 2 PSO – Peace Support Operations).
Guerillakrieg hatten wir (NATO/EU) die letzten 20 Jahre auch nicht wirklich, wenn man die Definition streng auslegt und nur bei lockerer Auslegung vielleicht im Irak kurzzeitig und mit Sicherheit nicht in der Ukraine oder Syrien/Irak.
Die Kriegsformen haben sich auch nicht drastisch (!) verändert, es sind nur einige „neuere“ Bereiche (Informationskrieg/Desinformationskampagnen und Cyberanfälligkeit) in den Mittelpunkt gerückt.
Diese Bereiche gab es aber auch schon vorher (Stichworte: Sender Gleiwitz, Tonkin, Massenvernichtungswaffen Irak) und wurden auch angewendet oder sind für die Operation und die Versorgungskette hinter der Front wichtiger geworden und damit auch interessanter für den Gegner (vielleicht reicht es schon aus das Telekommunikationsnetz zu bekämpfen und ganze Divisionen fahren nicht mehr vom Hof).
Gerade das Thema B- und C-Waffen war NIE weg, es wurde nur stiefmütterlich behandelt und leider verdrängt.
Ich persönlich habe viel mehr Angst um Terroristen, die von der „Insel der Wiedergeburt“ im/am Aralsee Biowaffen gestohlen haben, als um A-Waffen im Iran und Nordkorea.
@Der Neue Major
Sie schrieben: „Der zweite Teil des Satzes [die militärische Führung entscheidet die Mittel zur Zielerreichung, muck] [hat] seit Jahrzehnten keinen Bestand mehr und allein schon der Bundeswehreinsatz in Afghanistan und Mali zeigt wunderschön, dass die militärische Führung nicht einmal ansatzweise über die Mittel entscheidet.“
– Sehr richtig. Deswegen kann ich auch diese Binsenweisheit vom angeblich nicht zu gewinnenden Krieg in Afghanistan nicht mehr hören. Mir scheint, dass nicht einmal die Regierung der Vereinigten Staaten jemals die Mittel bereitgestellt hat, die das Militär für nötig erachtete – geschweige denn die deutsche.
Während Amerikaner und Briten den Fehler begingen, ihren Fokus 2002 auf den Irak zu verlagern, wodurch im heiklen Süden Afghanistans ein Machtvakuum entstand, richteten Staaten wie Deutschland – aber etwa auch Spanien, Italien oder die Türkei – ihr Engagement primär an innenpolitischen Bedürfnissen aus.
Wenn aber die schiere Voraussetzung dafür, einen Erfolg zu erzielen, nicht gesetzt wird, lässt sich auch keine Aussage über die prinzipiellen Erfolgsaussichten der militärischen Maßnahme treffen.
Damit will ich übrigens nicht das zivile Primat über den Einsatz der Streitkräfte unterminieren – im Gegenteil, ich plädiere dafür, es in letzter Konsequenz mit Leben zu erfüllen, also auch hinsichtlich der Verantwortlichkeit der zivilen Entscheidungsträger.
Denn welche Expertise könnten diese zu Rate ziehen wollen, während sie den Einsatz der Streitkräfte erwägen, wenn nicht die Militärische? Und welche Konsequenzen müssten sie ziehen, wenn sie diese verwerfen?
Ein Bauherr kann kein bewohnbares Haus erwarten, wenn er sich über die Expertise des Architekten hinwegsetzt, und ein Patient keine Heilung, wenn er die vom Arzt vorgeschlagene Therapie ausschlägt.
Es ist bezeichnend, dass die einzigen beiden Male in der Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr, dass die Expertise der Streitkräfte zumindest ansatzweise einer politischen Entscheidung zugrunde gelegt wurde (1999 und 2009), auf Politiker zurückgehen, die sich als Macher profilieren wollten.
Das Problem ist doch, daß sich das Bild vom Krieg über die Jahrzehnte hinweg geändert hat. War es früher eine rein militärische Konfrontation zwischen Staaten, ist die Austragung von Konflikten inzwischen vielschichtiger (in Hinsicht auf Akteure und Mittel). Das militärische wird immer bleiben, aber man wird einen heißen Krieg so lange wie möglich vermeiden.
M.E. findet bereits eine Konfrontation statt (überwiegend zwischen staatlichen Akteuren), der die westlichen Staaten wenig entgegen zusetzen haben, da hier ein grundlegender Wesenszug von Demokratien genutzt wird – nämlich die Meinungsfreiheit und der Austausch von Argumenten, um eine bestmögliche Lösung für die Gesellschaft zu finden. In diesem demokratischen Prozess entstehen natürlich auch Meinungen, die diametral gegeneinander stehen. Es ist eigentlich kein Geheimnis, daß östliche Geheimdienste, diese Zentrifugalkräfte beschleunigt haben, um Spannungen in der Gesellschaft zu erzeugen – Stichwort: Desinformation. (Nein, ich will hier kein altes Feindbild aufwärmen.) Das war früher ein langwieriger und schwieriger Prozess, der aber in der heutigen Zeit über das Internet bis ins Unendliche beschleunigt werden kann. Als Einstieg ins Thema kann ich das Buch ‚Active Measures‘ von Thomas Rid empfehlen (und Sun Tze als Ergänzung).
Lange Rede, kurzer Sinn:
Das Kriegsbild ist komplexer geworden. Wir sind m.M.n. schon mitten im Konflikt, sind aber nicht darauf vorbereitet bzw. weigern uns, dies zu erkennen, weil wir vom Krieg in ausschließlich militärischen Kategorien denken.
Mich irritiert immer bei dem Stichwort „den Krieg vom letzten Mal kämpfen“ die gefühlte Tendenz, dass „wir“ der Entwicklung immer hinterherlaufen. Es impliziert nämlich, dass potenzielle und tatsächliche Kontrahenten wer weiß wie kreativ und fortschrittlich dabei sind, uns militärisch und strategisch auszukontern. Klar, in einigen Bereichen tun sie dieses bestimmt, aber warum denn?
Doch eigentlich nur, weil wir uns selbst Denkverbote, künstliche Einschränkungen u.ä. auferlegen, anstatt auch mal „kreativ“ zu werden.
Ich lasse höchstens noch gelten, dass die Offensive immer im Vorteil ist, weil Zeitpunkt, Ort und Methode relativ frei gewählt werden können. Defensive muss dagegen auf alles vorbereitet sein und kann sich keine Schwächen erlauben. Es sei denn, man schafft es innerhalb kurzer Zeit, „aus dem Stand“ von der Defensive in die Offensive zu schalten und den Gegner in Bereichen zurück zu drängen, in denen er schwach ist, und ihn damit von seiner Offensive abzulenken.
Zum ersten Thema: Mal in ein Geschichtsbuch schauen. Diese Komplexität gab es im Kalten Krieg genauso – die Soviets waren Meister darin, Drohungen mit der grossen Keule, Guerillakriege und destabilisierende Propagandamassnahmen auf ständiger Basis gegen den Westen einzusetzen. Umgekehrt hat US Radio genauso in den Osten gefunkt, die USA die Mudschahedin in Afghanistan unterstützt und linke Regime insb in Südamerika unterminiert. Alles gleichzeitig.
Natürlich gibt es in Afg keinen Krieg. Sondern einen Bürgerkrieg. Ableitung???
Mal ins Grundgesetz schauen. Für den Inlandsfall ist das nämlich ausdrücklich geregelt:
Art. 87a: „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes …. kann die Bundesregierung … Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der BEKÄMPFUNG organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“ Ja, liebe SPD. Man darf solche Aufständische wie die Taliban mit dem Panzer plattmachen. Oder Drohnen. Selbst im Inland. Worum es in Afg geht/ging, ist das gleiche in Grün, nur im Ausland. Jedenfalls soweit ein UN Mandat besteht, klar vom GG gedeckt … Seufz …
ERDGAS – Jemand erkläre dem Öko-verliebten „Experten“ dass unsere ganze chemische Industrie das Zeugs als Basis braucht. Mit Strom allein ist es nicht getan. Abgesehen davon haben wir bald unseren eigenen LNG Hafen, und können das Zeugs notfalls auch via Rotterdam einführen (und dann den Rhein hochschicken).
Cyber vs Panzer: Nur mal so gefragt: Was genau nutzt uns perfekte Cybersicherheit wenn der Gegner mit Panzern auf NATO Gebiet steht und nicht mehr geht? Gaaarnichts.
Panzerschlacht in der ND Tiefebene? Nee. Aber in Weissrussland? Gut möglich.
Hierarchie: [insert shitstorm here]
„Nicht vorbereitet“ – Die Kriminvasion war auch nicht alles gleichzeitig. Da wurde ERST die Situation langsam, über Wochen hochgeschaukelt, mit lokalen, russisch finanzierten Rebellen, dann kamen grüne Mänchen und erst am Schluss offizielle Truppen. Parallel dazu Propaganda, vom ersten Tag an. Man kann Turppen nicht einfach so ohne Anlass über die Grenze schicken, selbst als Putin. Da macht die eigene Bevölkerung nicht mit. Die muss erst in Stimmung gebracht werden.
Brexit:
Falls Schottland ausschert, würde Rump-UK wohl die U-Boot Basis behalten – ähnlich dem ursprünglichen Sevastopol Modell.
Ein viel interessanter Punkt: Darf GB wieder bei Galileo mitmachen, trotz Drittstaat-Status? Ihr eigenes Programm ist ja spektakulär in die Hose gegangen, und sie hatten Milliarden in das Programm gesteckt, vor Brexit …
E3: Denke, die Grundidee war mal: Frankreich macht Afrika, D macht Osteuropa, UK macht dann Rest der Welt …
Hauptproblem: Wenn sich GB auf die Navy konzentriert und die Panzer abschafft, wer fängt die fehlenden Panzertruppen im Baltikum auf? Deutschland?
Im Baltikum haben die Briten erheblich mit den Schweden und Finnen kooperiert – das wird jetzt schwerer.
Tempest wird allein kaum zu finanzieren sein. Ich sehr ein gemeinsames Projekt voraus, bei dem FCAS und Tempest integriert werden – evlt mit dem Ergebnis einer Produktfamilie ähnlich F35A,B,C …
Mali: Ich glaube, das ist mehr ein Signal an die Malische Regierung:
„wenn ihr es so wollt, lassen wir euch das gerne allein machen. Wenn ihr dann wieder von ISIS überrant werdet, bitte nicht bei uns anklopfen.“
Falls dann die Malische Regierung dann in 2 Jahren tatsächlich fällt, und ISIS da ein paar Wochen wütet, werden die Überlebenden einer neuen französischen Intervention voraussichtlich viel positiver gegenüber stehen …
„Nicht die Bundeswehr politisieren“ Ist das ein Scherz? Von friedensbewegter Seite wird die BW ständig politisiert – und die Gegenseite soll da einfach stillhalten? Guter Scherz.
PESCO und Drittstaaten: „ITAR free“ ist das Stichwort.
@Trevor
„Lange Rede, kurzer Sinn:
Das Kriegsbild ist komplexer geworden.“
Aber das war es schon immer.
Schon zu Zeiten von Napoleon gab es Spione/Gegenspionage und Desinformationskampagnen („der böse Franzose“) und schon früher waren die Felder der Auseinandersetzung größer als nur die Schlachtfelder.
Die Geopolitik bestimmte schon immer die Strategie und immer waren auch die Rohstoffe wichtig und auch der Handel (Seehandel) war für die Devisenbeschaffung und damit die Bezahlung von Militärgütern und Truppen entscheidend.
siehe (Kaperbriefe):
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Piraterie#Das_europ%C3%A4ische_Kaperwesen
Zum Bereich Desinformation zählt auch die Erzählung der Nazis über das Jüdische Volk.
Heute macht man es nur feiner und nicht so plakativ und mit anderen Mitteln (Internet statt Bücher und „authentische“ Youtube-Videoschnipsel statt Kinofilme).
Ich würde sogar behaupten, dass in der heutigen Zeit eine richtige Desinformation nicht so einfach durchführbar ist wie damals.
Da hatte ein Reiter von der Front mit einer falschen Botschaft (die Desinformation) ausgereicht um in der Hauptstadt Angst und Schrecken vor den abscheulichen Gegnern zu verbreiten („sie vergewaltigen unsere Frauen und verbrennen Kinder bei lebendigen Leibe“).
Bis die flüchtende Bevölkerung in der Hauptstadt ankam mit der Widerlegung, war die Stimmung schon gemacht und die Bevölkerung in Kriegsstimmung und die Truppen schon unterwegs (vereinfachtes Beispiel).
Heute hat jeder Bürger die Möglichkeit relativ schnell und über hunderte Kanäle und Medien sich Informationen zu beschaffen und das fast in Echtzeit und auch Staaten haben einen riesigen Schrank voller Quellen und Technologien zur Informationsbeschaffung (zur Verifizierung oder auch Widerlegung)
Was in der heutigen Zeit wichtig ist und leider oft durch gesellschaftlichen Wandel abhanden gekommen ist:
Wir müssen uns manchmal mehr Zeit nehmen, bevor wir gewisse Entscheidungen treffen.
Viele Fakten benötigen eine gewisse Recherchezeit und doppelte oder dreifache Beweislast, also mehrere Quellen.
In der heutigen Zeit will man aber alles immer schnell schnell und sofort und da hat die Desinformation natürlich ihren Vorteil weil sie schon mit „Fakten“ kommt und alles (auf dem ersten Blick) recht schlüssig erscheint.
@ Fussgaenger, 11.01.2021 um 11:27 Uhr:
„Mich irritiert immer bei dem Stichwort „den Krieg vom letzten Mal kämpfen“ die gefühlte Tendenz, dass „wir“ der Entwicklung immer hinterherlaufen. Es impliziert nämlich, dass potenzielle und tatsächliche Kontrahenten wer weiß wie kreativ und fortschrittlich dabei sind, uns militärisch und strategisch auszukontern.“
Kleine Anekdote dazu: Der Begriff „hybride Kriegführung“, über den jetzt immer alle reden, leitet sich ja bekanntlich aus einem Aufsatz her, den der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow im Februar 2013 veröffentlicht hat. Allerdings ging es da überhaupt nicht um die Streitkräfte des Kremls, sondern um die des Westens, denen Gerassimow eben diese „neue“ Art der Kriegführung zuschrieb. An einer Stelle gesteht er sogar, die Russen hätten seiner Meinung nach nur ein „oberflächliches“ Verständnis asymmetrischer Konflikte.
Heißt: Ironischerweise waren die militärischen Eliten Russlands vor nicht allzu langer Zeit noch der Meinung, man würde in Sachen Kriegsbild dem Westen hinterherrennen und nicht umgekehrt.
Wen der o. g. Aufsatz interessiert: https://www.ies.be/files/Gerasimov%20HW%20ENG.pdf
Was der Herr Professor darstellt, würde ich als eine Art komplexes spieltheoretisches Modell formulieren.
Ein Akrlteur definiert in einem Moment seine optimale Strategie im Rahmen eines allgemeinen Sicherheits- und Aussenpolitischen Netzdiagramm entweder allgemein oder auf ein bestimmtes Theatre abgestimmt. Dieses Netzdiagramm besteht aus einer Anzahl an Achsen, welche sinnvoll Gegenpole der Konfrontation abbilden. Z. B Panzer vs. Irregulär, oder Offen vs Verdeckt, #fillthegap. Innerhalb der Achsen spielen economics of scale der strategischen Zielerreichung eine die Größen durch Optimierung bestimmende Rolle.
Die Spieler ziehen entweder sequentiell oder gleichzeitig, definieren aber alle Ausprägungen auf den Achsen. Also z. B Panzerdivisionen und Unterstützung subversiever Insurrogate oder Anklage vor der UN und verdeckte Spionage und Zersetzung ganzheitlich.
Die Aussage des Modells: Strategen sollen zu jedem Moment alle möglichen Achsen beachten und definieren, den Konsequenzen des Handelns oder Nichthandeln bewusst sein; denn man soll sich nicht durch Traumata der Historie von objektiver Entscheidung ablenken lassen.
Securization der Internationalen Beziehungen? Nun, Kern der Aufklärung ist es doch, einen Gegenstand aus vielen möglichen Perspektiven zu beleuchten. Da könnte man im Extrem auch Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen sicherheitspolitisch betrachten…
Der Titel dieses Podcast klingt interessant: Kriegsbild der Zukunft: Frieden durch Resilienz. Dem Gespräch konnte man gut folgen – auch wenn die Ausführungen von Prof. Dr. Masala die Diskussion dominierten. Inhaltlich hatte ich allerdings den Eindruck, dass hier viel Dampfplauderei ohne echten strategischen Tiefgang betrieben wurde. Denn die Diskussion war ein Mix aus militärgeschichtlichen Themen (früheres Kriegsbild der NATO während des Kalten Krieges), operativen Aspekten aktueller regionaler Konflikte (Aserbaidschan, autonome Systeme), einem (spiel)theoretischen Modell der gesellschaftlichen Verzahnung (Masala) bis hin zur General Defence sowie der Forderung danach, den Begriff Verteidigung gleich durch Resilienz zu ersetzen (Sauer). Diese Aspekte wurden leider fragmentiert diskutiert und nicht auf den Titel dieses Podcasts konzentriert.
Mögliche Gründe dafür könnten vielleicht sein:
Wer über ein künftiges Kriegsbild spricht, sollte vorher erst einmal die Voraussetzungen dafür beschreiben, die DEU sicherheitspolitisch definieren und wahrnehmen will. Aber wenn schon der Generalinspekteur darüber spricht, dass sich kein Land in Europa mehr selber verteidigen kann und dies somit nur noch in der Gemeinschaft funktioniert, dann wird dadurch einerseits die strategische Ebene zugunsten der normativen Ebene verlassen, um dadurch auch die eigenen Institutionen zu schützen. Damit bleibt Europa und insbesondere Deutschland strategiefreie Zone. Ansonsten würde rasch deutlich, dass große strategische Risiken gar nicht in erster Linie von gegnerischen Streitkräfte und regionalen Terroristen ausgehen, sondern wie wir denn künftig z.B. mit chinesischen Investoren im Zuge des aktuell einzig echtem geo-strategischen Projekt (Seidenstraße) umgehen wollen (z.B. überlassen wir den Chinesen Südost-Europa/ Balkan) oder wie wir künftig mit den Tech-Monopolisten umgehen wollen. Vor allem aber auch das nachdenken darüber, was wir denn in Europa überhaupt noch anzubieten haben, dass riskante offensive Militäroperationen rechtfertigen würde?
Weiterhin wurde der Ansatz zur Verzahnung der nationalen Institutionen durch Marsala mehrfach unter dem Stichwort „General Defence“ – insbesondere mit Verweis auf die skandinavischen Staaten – erwähnt. Aber es erfolgten leider keine Ableitungen. Während des Kalten Krieges wurde ein derartiger Ansatz auch in DEU lange unter dem Begriff „Gesamtverteidigung“ diskutiert und gipfelte 1989 in die sog. Rahmenrichtlinie für die Gesamtverteidigung, die übrigens seit dem immer noch in Kraft ist. Von der aktuellen Leistungsfähigkeit des Zivilschutzes konnten wir uns ja im letzten Jahr erst ein Bild machen, wo die Masse der Sirenen, trotz jahrelanger Vorbereitung, nicht funktionierte. Zudem sollten wir immer dann skeptisch sein, wenn Wissenschaftler theoretisch abstrakte Modelle einführen wollen, die die Komplexität noch deutlich weiter erhöhen. Wer soll diese denn in der Praxis beherrschen, wenn es uns noch nicht einmal gelingt unseren Schülern ein ruckelfreies Lernen auf Distanz zu ermöglichen oder unseren Panzergrenadieren einen neuen Schützenpanzer, der nicht alle paar Kilometer neu gebootet werden muss. Zudem eignet sich die Spiel-Theorie natürlich prima als Erklär-Modell dafür, warum Dinge nicht funktionieren. Aber es ist es auch die richtige Methode für neue, innovative Ansätze?
Darüber hinaus rege ich an, auch bei den o.a. Quellen – insbesondere aus dem englisch-sprachigen bzw. amerikanischen Raum – und deren Auswahl deutlich kritischer zu sein. Auch die USA agieren strategisch innerhalb der letzten Jahrzehnte zumeist sehr unglücklich. Zudem haben die USA die letzte bodengestützte Offensive 1991 im Rahmen des zweiten Golfkrieges zur Befreiung von Kuweit und 1999 den letzten Luftkrieg gegen Serbien zur Vorbereitung des NATO-Einsatzes im Kosovo gewonnen. Das ist alles schon deutlich über 20 Jahre her. Diese Schwächen haben u.a. Russland im eurasischen Raum und China im Pazifischen Raum geschickt genutzt. Von daher sollten strategische Überlegungen auch auf dem großen „Spielfeld“ geführt werden, und nicht auf operativen Kleinspielfeldern. Die Zeit und auch die Ressourcen sind dafür einfach nicht mehr vorhanden. Und wer das nicht verstehen will oder kann, dem sollten wir als Staatsbürger auch nicht noch weitere Milliarden für die Verteidigung zu billigen. Zumal heute so oder so keiner weiß, was uns Corona alle zusammen kosten wird und wer das eigentlich in welcher Form bezahlen soll.
Und abschließend noch ein Hinweis zum strategischen Wert oder Zweck von Verteidigung, weil dies von einem Kommentator mit dem Verweis auf Clausewitz erwähnt wurde. Bei der (strategischen) Verteidigung geht es um Erhalten, während es beim Angriff um Erobern geht; obwohl Clausewitz keine explizite Unterscheidung zwischen strategischer und operativer bzw. taktischer Ebene vorgenommen hatte. Und dieses Erhalten ist leichter oder einfacher als gegenüber dem Versuch etwas zu gewinnen – und dies unabhängig taktischer oder operativer Erfordernisse offensiv oder defensiv vorzugehen. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum nur der Verteidigungskrieg ein gerechter Krieg (ius ad bellum) sein kann. Allerdings bemisst Clausewitz der Verteidigung einen eher negativen Zweck, während er auf der anderen Seite den erobernden Angriff als positiv wertet. Auf Grund dieser gegensätzlichen Charakterisierung von Angriff und Verteidigung kommt Clausewitz zu seiner berühmten Hauptthese, dass die verteidigende Form des Kriegsführens an sich stärker ist als die angreifende ist. Diese wird aus seiner Bestimmung des jeweiligen Zweckes als negativ oder positiv abgeleitet und durch die Erfahrung als bestätigt gesehen. Hiermit präsentierte sich Clausewitz auch als Empiriker, der er durch seine Kriegserfahrungen wurde. Und genau davon haben wir seit geraumer Zeit leider keinen mehr in Deutschland. Auch das wäre prima, wenn dies unsere führenden Sicherheitspolitiker und Militärs mal eingestehen würden. Und das einfache Abschreiben bei den Amerikanern, Britten oder Franzosen funktioniert auch nicht. Dadurch käme dann auch niemand auf die Idee, den Begriff Verteidigung durch Resilienz ersetzen zu wollen. Alleine vom Sprachgebrauch ist das doch schon ziemlich krude. Zudem ist Verteidigen eine Aktion und Resilienz bzw. Widerstandsfähigkeit eine Art Zustand oder Befähigung, die positiv auf die Aktion des Verteidigens einzahlt – sofern man sie denn hat.
@Stefan Bornemann:
Vielen Dank für ihre Erläuterungen, diese sich sehr weitgehend mit meinem Eindruck der Diskussion decken.
Aber vielleicht ist das Podcast-Format auch eher für ein Publikum angelegt, das zu dem ziemlich speziellen Thema bisher wenig Berührungspunkte hat (und dann ist zu viel Theorie vielleicht abschreckend).
Die Gesamtverteidigungsplanung der skandinavischen Prägung finde ich ebenfalls interessant und ihr Verweis auf die 80er Jahre zeigt sehr gut, dass auch in Deutschland eine bessere Zusammenarbeit möglich wäre.
Mit Bezug auf Clausewitz ging es mir auch nicht um ein einzelnes Zitat, sondern um eine mögliche Herangehensweise eine Diskussion über Kriegsbilder zu strukturieren. Das Verhältnis zwischen Offensive und Defensive ist dabei auch aus meiner Sicht ein sehr interessanter und oft übersehener Aspekt.
Lehre und Forschung zu Kriegstheorie und Kriegsbildern (nicht nur begrenzt auf Clausewitz) gibt es – nach meinem Eindruck – in Deutschland vergleichsweise wenig. Sowohl an zivilen als auch an militärischen Einrichtungen scheint es wenig Bedarf hieran zu geben. Das mag historische Gründe haben. Der Versachlichung der sicherheitspolitischen ist das jedoch nicht wirklich zuträglich.
Zum Thema hybride Kriegsführung hier noch eine gute Zusammenfassung:
http://www.understandingwar.org/report/russian-hybrid-warfare
Gerade auch in Deutschland wird der konventionelle Anteil des Ansatzes oft übersehen.
Es ist eben eine wirklich vernetzte Sicherheitspolitik – mit allen Elementen.
In den USA wird vom CNAS (think-tank mit sehr großer Nähe zur Biden-Administration) mit Blick auf die neue Administration und eine neue National Defense Strategy (NDS) vorgeschlagen die bisherigen Ansätze im Kriegsbild zu hinterfragen. Dies gilt insbesondere für A2/AD:
https://www.cnas.org/publications/commentary/moving-beyond-a2-ad
Auch die anderen Beiträge sind lesenswert:
https://www.cnas.org/the-next-defense-strategy
Ich frage mich dabei nur wer in Deutschland die Fachdiskussion auf diesem Abstraktionsniveau in der Bundesregierung und in der Wissenschaft aufgreift, untersucht und eigene Positionen und Ableitungen erstellt.
Schon bei NCW und COIN war Deutschland ja ohne fundierte Meinung.
Wer aber bei den Grundlagen nicht mitreden kann oder will, der kann die Folgeschritte eigentlich nur falsch machen.
Die neue NDS könnte eine noch stärkere Betonung des pazifischen Raumes in den Mittelpunkt stellen. Damit also ein Absenken des amerikanischen Engagements in Europa. Auch aus finanziellen Gründen.
Was ist dann unsere Antwort darauf?
„Zumal heute so oder so keiner weiß, was uns Corona alle zusammen kosten wird und wer das eigentlich in welcher Form bezahlen soll.“
Antwort:
Die selben Gläubiger, welche die letzten Jahre und Jahrzehnte die Schuldenaufnahme vieler Industrieländer (eigentlich bei allen Industriestaaten) finanziert haben.
Am Ende sind es nur Buchungskonten ohne direkten Mehrwert für die Gläubiger, dafür läuft aber die Maschinerie (Entwicklung/Fortschritt, Produktion, Konsum) für die Gläubiger weiter und alle (die Bürger) haben im großen und ganzen einen Mehrwert am Ende ihres Lebens gehabt und stehen besser da als ihre Generationen vorher.
Dann ist es auch egal, ob die USA irgendwann 35 Billionen Schulden (Verpflichtungen gegenüber Gläubigern) haben oder 18 Billionen. Hauptsache das Rad dreht sich weiter.
Was viele nicht wissen, aber jeder Deutsche finanziert schon jetzt indirekt über die BRD zum Beispiel auch die Schuldenaufnahme der USA.
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„Vor allem aber auch das nachdenken darüber, was wir denn in Europa überhaupt noch anzubieten haben, dass riskante offensive Militäroperationen rechtfertigen würde?“
Antwort:
Entschuldigung, aber das ist doch ziemlich flappsig formuliert.
Ich definiere Europa mal nicht als EU, sondern als Kontinent.
Also Festlandeuropa mit UK und Irland,
ohne Türkei, ohne Russland und Belarus
und von mir aus auch ohne Ukraine.
Dann reicht Europa:
Von Portugal und Spanien (Straße von Gibraltar) über Sizilien und Malta bis nach Kreta und Griechenland.
Von dem Nordostatlantik (UK + Irland) über das Europäische Nordmeer (Skandinavien) bis zur Barentssee.
Randstaaten mit Zugang zum Schwarzen Meer und die für Russland strategisch nicht unbedeutende Ostsee.
Ferner sind circa 600 Millionen Menschen, ein nicht zu unterschätzender Markt.
Gerade Europa ist stark urbanisert und fast schon unangefochten an der Spitze der stärksten industrialisierten und „hochentwickelten“ Gesellschaften. Ja, andere Länder und Gebiete holen auf, aber auch Europa macht in der Entwicklung nicht halt.
Je höher diese Ausprägungen sind, desto kaufkräftiger ist dieser Markt. (Konsum steigt mit einer höheren Entwicklung).
Der Markt in Europa ist für die großen aber auch mittelgroßen Weltwirtschaften enorm wichtig und niemand will auf diesen Markt verzichten.
Die vorher aufgezählten Regionen in Europa und ihre Seezugänge (und mögliche Beherrschung), sind für fast alle Staaten wichtig und werden in Zukunft noch wichtiger.
Russland möchte gerne über seine Nordostpassage in Zukunft eine Abkürzung und Alternativroute für die Schifffahrt bieten. (von Südostasien nach Europa)
Da wird Skandinavien eine geostrategisch wichtige Rolle spielen.
Das Mittelmeer war schon immer eines der geostrategisch wichtigsten Meere und wird es auch in Zukunft sein. Die Gründe sind so vielfältig, das würde diesen Kommentar sprengen.
Die USA und deren Wirtschaftsunternehmen als Akteur und Marktteilnehmer benötigen Europa und das Mittelmeer als strategisch wichtige Haupt- und mögliche Ausweichroute.
Die Verbindung von der Arabischen Halbinsel und Südasien (alles von Pakistan bis Thailand) führt unweigerlich durch den Indischen Ozean und/oder durch chinesisches Einflussgebiet und auf der Direktverbindung an die Westküste von Nordamerika.
Auch eine große Umfahrung von Indien, wegen der „zukünftigen“ Einflussnahme über den nördlichen Teil des Indischen Ozeans durch Indien (aufstrebende Weltmacht) über die Timorsee (nördliches Australien) in Richtung Nord- und Südamerika wird in ferner Zukunft ein sicherheitspolitisches Wagnis werden.
Indonesien ist der 4. größte Staat nach Einwohner (260 Millionen) und wächst stark in allen Bereichen.
Genau deshalb wird die Nordostpassage, wenn die Erderwärmung und die Schiffbarkeit so verläuft wie prognostiziert, eine große Bedeutung erlangen und damit auch Nordskandinavien und der Nordostatlantik (für Europa und für die USA).
Auch geologisch und klimatisch bedingt hat Europa sehr viele Vorteile zu bieten. Nicht nur bietet es ganzjährig normal bewohnbare großflächige Gebiete, sondern auch fast überall fruchtbare oder zumindest anbaufähige Flächen.
Die Trinkwasserversorgung wird in Europa, im Vergleich zu vielen anderen Gegenden auf der Welt, auch in naher Zukunft (100 Jahre) kein Problem sein.
Rohstoffmäßig ist Europa natürlich nicht (mehr) gut gesegnet, jedoch profitieren dadurch wiederum Rohstoffreiche Marktteilnehmer und haben deshalb an Europa als Absatzmarkt ein Interesse.
Ob natürlich nach einer großen offensiven Militäroperation (richtig groß) die Kaufkraft und die industrielle Entwicklung so auf dem Niveau bleiben würde und damit auch die Attraktivität, ist natürlich rein spekulativ. Das wäre aber dann wahrscheinlich bei jeder großen Militäroperation weltweit so.
Aber momentan ist Europa sehr wichtig und wird es auch in Zukunft für die großen Teilnehmer in der Geostrategie bleiben.
Da macht es auch keinen Unterschied, ob wir an 1. Stelle oder 2. oder erst an 3. Stelle der wichtigsten Regionen weltweit kommen.
[Jo. Jetzt haben Sie möglichst OT-mäßig globalgalaktisch Ihre Meinung abgegeben, auch gerne nicht zum Thema, und damit ist auch gut. T.W.]