Frau Hauptmann bleibt, Frau Oberst auch (Nachträge)

Entschieden ist noch lange nichts, aber die Debatte läuft schon mal hoch: Im Verteidigungsministerium wird an Plänen gearbeitet, viele – wenn auch nicht alle – Dienstgradbezeichnungen der Bundeswehr um eine weibliche Form zu ergänzen. Die Vorlage, nach der allein die Dienstgrade Hauptmann und Oberst unverändert bleiben sollen, sind allerdings von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bislang weder zustimmend noch ablehnend bewertet worden.

Die Gerüchte über entsprechende Vorlagen kursierten schon länger; am (heutigen) Freitag berichtete der Kollege Thorsten Jungholt in der Welt darüber (Link aus bekannten Gründen nicht, ohnehin inzwischen hinter Paywall). Kern sei ein Papier von Staatssekretär Gerd Hoofe und den Leitern der Ministeriumsabteilungen Personal, Generalleutnant Klaus von Heimendahl, sowie Führung Streitkräfte, Generalleutnant Kai Rohrschneider: Mit Ausnahme von Hauptmann und Oberst solle es künftig für alle Dienstgrade auch eine weibliche Bezeichnung geben.

Bei den Gefreiten in den verschiedenen Stufen fällt das gar nicht erst auf . Doch die größte von einer solchen Änderung betroffene Personengruppe wären die Unteroffizierinnen mit Portepee: Davon gibt es in der Bundeswehr knapp 8.000 – und die würden dann vom Feldwebel zur Feldwebelin, wiederum in verschiedenen Stufen, oder vom Bootsmann zur Bootsfrau. (Bei Offiziers- und Feldwebeldienstgraden spricht das Verteidigungsministerium übrigens schon seit längerem von Offizierinnen, Unteroffizierinnen mit und ohne Portepee.)

Die Verteidigungsministerin bekam die Pläne nach Informationen von Augen geradeaus!  in der vergangenen Woche erstmals zur Kenntnis. Eine Entscheidung gibt es noch nicht – und formal muss sie letztendlich auch der Bundespräsident abzeichnen.

Nachtrag 1: Im Hinblick auf die Forderung, dazu sollten doch die Soldatinnen selbst befragt werden, scheint allgemein untergegangen (mir auch), dass die genau dazu auch befragt wurden – und zwar schon vor mehr als sechs Jahren. Im Januar 2014 legte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) die von Gerhard Kümmel verfasste Studie Truppenbild ohne Dame? – Eine sozialwissenschaftliche Begleituntersuchung zum aktuellen Stand der Integration von Frauen in die Bundeswehr vor, in der es unter anderem heißt:

In der Frage der Dienstgradbezeichnungen weisen die Daten eine überwältigende ±Mehrheit bei beiden Geschlechtern für die Einheitlichkeit bei den Dienstgradbezeichnungen aus. Diese Einheitlichkeit präferieren 82 Prozent der Männer und 86 Prozent der Frauen. Entsprechend niedrig sind die Werte bei dem Item zur allgemeinen geschlechterspezifischen Formulierung von allen Dienstgraden. Hierfür können sich lediglich 6 Prozent der Männer und 4 Prozent der Frauen erwärmen. Mehr bzw. fast drei Mal so viele Männer und Frauen, nämlich jeweils 17 Prozent, können sich hingegen mit der Einführung von einigen weiblichen Dienstgradbezeichnungen anhand des derzeitigen Sprachgebrauchs in der Bundeswehr anfreunden.

(Danke für den Leserhinweis!)

Nachtrag 2: Aus dem Kreis der Betroffenen, von einer Leutnant, wurde mir ein offener Brief an die Verteidigungsministerin dazu übersandt. Ich stelle den mal in Absprache und auf Wunsch der Verfasserin für die Diskussion hier im Wortlaut ein (und habe zuvor auch geklärt, dass es sich tatsächlich um eine Soldatin handelt, die an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg studiert):

Sehr geehrte Frau Ministerin,
Mit Entsetzen durfte ich am 11. September 2020 über die Medien erfahren, dass in unserer Bundeswehr weibliche Dienstgradbezeichnungen eingeführt werden sollen.
Ich hätte niemals geglaubt, dass die Endung eines Wortes mich meiner Träume berauben könnte. Ich bin als Matrose eingestiegen und habe davon geträumt eines Tages Leutnant zu werden. Einen Traum, den im OA-Bataillon viele andere mit mir verfolgten, egal ob weiblich, männlich oder divers. Wir alle träumten den gleichen Traum und folgten der gleichen Berufung. Wir identifizieren uns mit unserem Dienstgrad, egal ob Gefreiter, Fähnrich, Oberfähnrich, Leutnant oder General. Bisher standen wir immer vereint auf einer Stufe. Dementsprechend lässt sich bis dato sagen:
„Dieser gemeinsame Dienstgrad ist etwas, das uns eint, nichts was uns trennt.“
Er steht für die gleichen Träume, die gleiche Arbeit, die gleiche Leistung und der gleiche Stolz! Sie helfen unserer Gleichstellung nicht, wenn Sie durch gegenderte Dienstgrade einen Unterscheid aufzeigen. Das ist keine Brücke, die Sie dort bauen, sondern einen Graben, den Sie ziehen.
Wenn ich, als Soldat, an einen Hauptmann denke, dann denke ich genauso an eine Frau wie an einen Mann. Dieser Begriff mag zwar eine grammatikalisch männliche Endung haben, aber die Assoziationen mit diesem Begriff sind ganz anders gefüllt, als es seine eigentliche Endung vermuten mag. Und was könnte emanzipierter und gleichberechtigter sein als ein Begriff, der bereits mit beiden Geschlechtern verbunden wird?
Wir wollen kein Zwei-Klassen-System. Wir sind alles Kameraden und wir sind eins. Wir lassen uns nicht einfach voneinander separieren. Ich möchte nicht anders betitelt werden als meine männlichen Kameraden. Meinem Geschlecht wird genüge getragen durch das „Frau“ vor meinem Dienstgrad.
Ich bitte Sie inständig von einer Einführung separierter Dienstgrade abzusehen. Sie nehmen uns so unseren Stolz, unseren Respekt und unsere Träume.
Mit kameradschaftlichen Grüßen
Leutnant Jung-Loddenkemper

(Ich habe das Thema trotz des Planungsstadiums hier mal eingestellt, weil ich das Bedürfnis nach Diskussion darüber ahne – gleichzeitig bitte ich bei diesem emotional besetzten Thema ganz besonders um eine sachliche Debatte.)

(Archivbild August 2016: Soldatinnen und Soldaten des Wachbataillons bei der Vereidigung von Offizieranwärtern an der Marineschule Mürwik – Björn Wilke/Bundeswehr)