Auf der Suche nach Identität: Da fehlt was in der Bundeswehr
Was sind eigentlich die Leit- und Vorbilder für Bundeswehrsoldaten, die von diesem Staat in gefährliche Einsätze geschickt werden – oder sich auf die Landes- und Bündnisverteidigung vorbereiten? Und wo sind die Vorbilder, die eben nicht aus einer historisch belasteten Tradition stammen, weil sie da Teil eines verbrecherischen Angriffskrieges waren? Johannes Clair, der als Fallschirmjäger in Afghanistan im Einsatz war, hat sich darüber Gedanken gemacht.
Clair ist den Leser*innen hier kein Unbekannter: Sein Buch Vier Tage im November schildert die Mission am Hindukusch eben nicht aus der Sicht der politischen oder militärischen Führung, sondern aus der Sicht des Soldaten, der am Boden im Gefecht stand. Er war ehrenamtlich im Bund Deutscher Einsatzveteranen tätig und beschäftigt sich seit Jahren damit,
wie die Bundeswehr und der Dienst darin öffentlich und durch die Soldatinnen und Soldaten selbst wahrgenommen wird.
Sein Gastbeitrag ist (deutlich) länger als die hier üblichen Texte. Aber das ist bei dem Thema auch notwendig.
Emotional fehlt etwas :
Die Bundeswehr zwischen Tradition und Widerspruch
oder
die Soldaten auf der Suche nach Identität
„Unser Auftrag ist klar“, sagte der Kompaniechef mit kräftiger und Autorität ausstrahlender Stimme.
„Wir müssen in den nächsten Wochen so viel wie möglich über Gegner, Bevölkerung und unser Gelände erfahren.“ Er hielt einen Moment inne und musterte die angetretene Kompanie.
„Wir sind hier in guter Fallschirmjägertradition.“, fügte er hinzu. „Wir machen eine sehr wichtige Arbeit und werden diese in den nächsten Monaten fortführen. Wir sind hier, weil wir uns diese Arbeit ausgesucht haben, jeder Einzelne von uns. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir für diese Aufgabe bereit sind!“
Dann erhob er seine Stimme. „Treue um Treue!“ – Die Kompanie schmetterte diese drei Worte im Chor zurück und brach zur nächsten Mission auf.
Diese Ansprache trug sich 2010 in Afghanistan zu. Die Bundeswehr war bereits seit neun Jahren an diesem Einsatz beteiligt. Die Kompanie von Fallschirmjägern und Panzergrenadieren hatte gerade diejenigen Kameraden abgelöst, die während des Karfreitaggefechtes drei Tote und zahlreiche Verwundete beklagt hatten. Nur wenige Wochen zuvor standen die meisten Angehörigen der Seedorfer Fallschirmjägerkompanie anlässlich der Trauerfeier im Spalier, während die Särge der Gefallenen vorbei rollten. Nun befanden sie sich selbst in Afghanistan. Ich war einer von Ihnen, 25 Jahre alt, Stabsgefreiter im Golf-Zug.
Dienst, Auftrag, Fallschirmjägertradition. Treue, Gefallene. Alles Begriffe, die noch wenige Jahre zuvor für mich und viele andere keinen konkreten Bezug hatten. Die zwar häufig phrasenhaft genannt, aber kaum eingefordert werden mussten.
Aber was bedeutete die inzwischen alltägliche Einsatzrealität für das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten? Wie wirkte sich der kalte Krieg, die ersten Kampfeinsätze, Gefechte und Tote auf die Identität der Soldatinnen und Soldaten aus – und wie ist es heute, rund zehn Jahre nach der eingangs beschriebenen Szene im Feldlager Kundus?
Kein passendes Selbstbild
Ich könnte leichtfertig sagen, dass es bis heute weder die Bundeswehr selbst, noch die politisch Verantwortlichen in Ministerium und Bundestag schaffen, den Soldatinnen und Soldaten ein Selbstbild nachhaltig zu vermitteln, dass mit den Realaufträgen der Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik einerseits, sowie unseren bundesrepublikanischen Werten und der die Bundeswehr umgebenden Gesellschaft andererseits auch nur annähernd Schritt zu halten vermag.
Indes, die Realität ist komplizierter.
Natürlich gibt es in der Bundeswehr keinen omnipräsenten Esprit de Corps, wie er zum Beispiel im U.S. Marine Corps gelebt wird. Dort steht das Verankern eines speziellen Wir-Gefühls über allem und führt gemeinsam mit der harten Ausbildung, die man etwas zugespitzt als „erst brechen und dann im Sinne des Corps wieder aufbauen“ zusammenfassen könnte, zu einem maximalen Identifizierungsgrad der Soldatinnen und Soldaten mit ihrer Einheit und bestimmten Werten. Etwas Vergleichbares wäre aus gutem Grund in der Bundeswehr nicht sinnvoll, weil die Bundeswehr zurecht den besonderen Schutz des Individuums implementiert hat. Trotzdem bleibt die Frage der Identifikation mit diesem besonderen Beruf und seinen besonderen Umständen.
Dass diese Identifikation in Deutschland zurückhaltend ausfällt, hat historische Gründe und ist eigentlich eine positive Errungenschaft unseres Landes. Vor allem die Nazizeit, in der die Wehrmacht Hitlers Befehlen folgte, im Sinne der Nazi-Ideologie einen verbrecherischen Krieg führte und sich an der Vernichtung ganzer Volksgruppen beteiligte, ist Ursache für die Loslösung des Militärs von politischer Identifikation in der Bundesrepublik. Deshalb stimmt der Bundestag Einsätzen der Bundeswehr zu, die damit parlamentarischer Kontrolle unterliegt. Fast überall sonst können Regierungschefs oder Staatsoberhäupter den Einsatz des Militärs selbstständig befehlen, auch bei unseren Verbündeten ist es so.
Ein historisch gewachsener Nachteil ist aber auch, dass die Bundesrepublik und damit die Bundeswehr kein klares sicherheitspolitisches Ziel zu verfolgen scheinen. Zwar gab es immer wieder Weißbücher, in denen die sicherheitspolitischen Leitlinien der Bundesrepublik umrissen wurden, zuletzt 2016. Aber erstens waren diese in der Regel schwammig formuliert und zweitens sind Bundesregierung und Bundestag in der Vergangenheit immer wieder der Frage ausgewichen, was der Einsatz von Militär eigentlich bedeutet und wie er sich auswirkt. Oder haben es parolenhaft vereinfacht, wenn sie sich gegen Auslandseinsätze ausgesprochen haben.
Deshalb fiel es der Politik auch immer schwer, den Bürgerinnen und Bürgern Auslandseinsätze zu vermitteln. Der Afghanistaneinsatz ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Basierend auf einer Solidaritätsbekundung gegenüber den USA nach 9/11, begonnen als NATO-Bündnisfall und ausgeführt als Wiederaufbaumission eines Landes, tat man sich über nunmehr 18 Jahre und mehrere Strategiewechsel so schwer damit zu vermitteln, was das dort eigentlich ist, wo es hinführen und wie man dies bewerkstelligen sollte, dass sich viele der öffentlichen Darstellungen über den Einsatz in Afghanistan nun als massive Schönfärberei oder blanke Lüge entpuppten. Was vielen Teilnehmern an den Missionen schon lange selbst bewusst war, hat die Washington Post über die Veröffentlichung eines entsprechenden Untersuchungsberichtes gerade juristisch erstritten.
Deutschland produzierte durch Afghanistan und andere Einsätze zehntausende neue Einsatzveteranen, ständig wächst deren Anzahl. Diese stellten sich kaum Fragen nach dem rein militärischen Auftrag, der in der Regel Patrouillen, Schaffung oder Betreuung von Infrastruktur, Ausbildung oder Kommunikation mit der örtlichen Administration, manchmal auch der Kampf mit dem Gegner umfasst.
Vielmehr fehlt es an greifbaren und konkreten ideologischen Identitätsmaximen und dem Füllen von Lücken im Bereich der Leit- und Vorbilder und der Rituale.
Das bedeutet nicht, dass es diese Leitbilder nicht gibt. Langsam findet sogar ein Umdenken statt, sichtbar durch Umbenennungen von Kasernen oder der Stiftung des Ehrenkreuzes für Tapferkeit. Es bedeutet auch nicht, dass sich deutsche Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland nicht an die Artikel des Grundgesetzes halten. Aber zwischen einem reinen Abspulen von Regeln und der tiefen Überzeugung, warum und wofür man eingesetzt wird, wofür man letztendlich kämpft, liegt ein bedeutender Unterschied.
Der Ursprung liegt in der deutschen Geschichte
Schon die Gründungsgeschichte der Bundeswehr ist dabei eine Geschichte aus Kompromissen und Paradoxa. Es galt, nach dem angezettelten zweiten Weltkrieg und trotz aller schlechter Erfahrungen mit der Wehrmacht eine neue Armee aufzubauen, obwohl sich das Land nach dem zweiten Weltkrieg klar antimilitaristisch verstand. Es galt, diejenigen mit Führung und Durchführung zu beauftragen, die bereits unter dem verbrecherischsten aller Systeme auf deutschem Boden gedient hatten – andere hatte man schlicht nicht. Und es bestand der Wunsch nach stärkerer staatlicher Souveränität, die von den Westalliierten nur im Gegenzug für einen militärischen Beitrag im Bündnis gegen den Ostblock gewährt werden wollte.
So beschrieb der Historiker Hans-Peter Schwarz diese Gründungsphase der Bundeswehr auch treffend als „Geschichte einer ausgebliebenen Katastrophe“. Es hätte viel schief gehen können, in diesem Geflecht aus alten und neuen Gedanken, Altlasten und Ausrichtung der neuen Bundesrepublik mit ihrer neuen Bundeswehr, als man ideologisch und alltagspraktisch bei null anfangen musste.
Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich bis heute im schwierigen Umgang von uns Soldaten mit dem Selbstverständnis unseres Berufes, des Umganges der Bundeswehrangehörigen des kalten Krieges mit den heutigen Einsatzsoldaten und schließlich der Gesellschaft mit ihrer Bundeswehr ab.
Es stellt sich die Frage, wie wir die Begriffe Staatsdiener, Kämpfer, Staatsbürger verknüpfen? Und was man tun sollte, um diese Verknüpfung im Dienst sicht- und fühlbar zu machen.
Nach den turbulenten Zeiten des Afghanistaneinsatzes mit vielen Gefechten in den Jahren 2008 bis 2011 ist nun wieder eine neue Phase für die Bundeswehr angebrochen.
Während es weiterhin gefährliche Stabilisierungseinsätze wie in Mali gibt, ist parallel ein neuer, multilateraler Konflik in Osteuropa entstanden, der nach anderen militärischen Mitteln als der Strategie der „Counterinsurgency“ verlangt. Für die Soldatinnen und Soldaten bedeutet dies eine Rückkehr zum reinen Üben und Abwarten wie während des kalten Krieges. Und schließlich entsteht mit der Bedrohung im virtuellen Raum ein vollkommen neues Konfliktfeld, das nicht nur völlig andere Strategien, Taktiken und Ressourcen erfordert, sondern letztendlich gänzlich andere Mitarbeiter innerhalb der Streitkräfte hervorbringen wird.
Und als Spitze auf der Pyramide der neuen Aufgaben beschreitet die Bundeswehr des Jahres 2019 die schwierige Gratwanderung der Nachwuchswerbung. Die Bundeswehr muss sich also den Herausforderungen der Stabilisierungseinsätze, der klassischen Kriegführung und der Hybridisierung des Krieges gleichzeitig stellen, während die Zukunft ihres Bündnisses, der NATO, diskutiert wird und während ihre jungen Bewerberinnen und Bewerber in einer vollkommen veränderte Lebens- und Arbeitswelt mit veränderten Prioritäten aufwachsen.
Sind also die von Einsatzsoldaten selbst entworfenen kriegerischen Leitbilder der gefechtsintensiven Jahre des Afghanistaneinsatzes heutigen Bewerbern überhaupt noch vermittelbar? Sind Schlagworte wie Treue, Kameradschaft, Kampf und letztendlich Tradition angesichts der derzeit immer weniger geführten Gefechte und der Verlagerung hin zum Cyberwar überhaupt notwendig?
Schon aufgrund der Situation an der Ostgrenze des NATO-Bündnisses kann es sich die Bundeswehr als Militär nicht erlauben, zu einer reinen „großen Behörde“ zu transformieren, auch wenn der Arbeitsplatz von Soldaten in der Cyberabwehr eher daran erinnern könnte.
Und besonders diese neuen Tätigkeitsfelder im Kampf werden auch eine vollkommen geänderte öffentliche Sichtbarkeit unserer Soldatinnen und Soldaten zu Tage fördern.
So stellt sich die Frage nach den Leitbildern und Ritualen eben auch danach, was man jungen Menschen mit gibt, was diesen Beruf ausmacht und warum sie ihn ergreifen sollten.
Eigentlich ist es nämlich so, dass der Kampf, den sich kein deutscher Soldat wünscht, auf den sich aber jeder deutsche Soldat vorbereitet, jungen Menschen in Westeuropa heute kaum mehr vermittelbar ist.
Weder in der Nachwuchswerbung, noch in der praktischen Ausbildung, in der nicht nur Inhalte, sondern auch die Ausführung der Ausbildung angepasst wurden, um modernen arbeitsrechtlichen Standards zu entsprechen. Vieles davon widerum stößt bei denjenigen Soldatinnen und Soldaten auf Widerstand, die nicht nur die alten Ausbildungen erlebt, sondern in den Kampfeinsätzen den Alltag des Krieges hautnah erleben mussten. Die Herausforderung besteht darin, dass das Aufwachsen junger Menschen im sicheren Wohlstand und die Realität in Einsatzländern und Kriegssituationen immer weiter auseinander klaffen.
Der Name Bundeswehr ist kein Zufall
Wolf Graf von Baudissin, einer der Gründerväter der Bundeswehr, warnte noch vor Entstehen des Verteidigungsministeriums vor falschen Leitbildern: Niemals wieder dürfe das deutsche Militär ein „Staat im Staate“ sein. Dem wollte er mit dem Prinzip „Staatsbürger in Uniform“ begegnen. Es sollte den Gedanken verfestigen, dass sich jeder deutsche Soldat gleichzeitig als Staatsbürger versteht, der sich den zivilen Grundwerten der Bundesrepublik verpflichtet sieht. Um das zu untermauern, war bewusst auf einen Generalstab verzichtet und der Einsatz des Militärs strikt an die Kontrolle des Bundestages geknüpft worden.
Diese Grundwerte waren über das Grundgesetz geschaffen worden und sollten der Bundeswehr als ideologische Maxime dienen. So wurde es auch im Soldatengesetz festgehalten. Und schließlich wählte man mit dem Begriff Bundeswehr nicht zufällig einen Namen für die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, der seinen Ursprung nicht in Kaiserreich oder Weimarer Republik, sondern in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 hat, dem ersten demokratischen Parlament auf deutschem Boden. So weit, so bedeutsam.
Dass aber das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform kein emotional greifbares Korsett in schweren Lagen für die Soldatinnen und Soldaten darstellt, weil der Begriff dafür viel zu abstrakt ist, fiel mangels solcher Lagen niemandem auf. Dies änderte sich erst mit den Auslands- und Kampfeinsätzen. Zuvor herrschte kalter Krieg.
Ohnehin stellt das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform eher ein Korrektiv, denn ein in der unmittelbaren Situation konkret abrufbares Motiv dar. Es steht hinter und über jedem Handeln der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und ist doch zu wenig greifbar, um es im Feuergefecht oder auf dem virtuellen Schlachtfeld vor sich hertragen zu können.
Was es braucht sind reale Vorbilder, greifbare Bilder, konkrete Motive. Während des kalten Krieges wurden diese nicht gepflegt. Die Soldatinnen und Soldaten des kalten Krieges stützten sich auf überholte Wehrmachtsparolen wie „klagt nicht, kämpft“. Einsätze, die das militärische Selbstbild zwangsläufig verändert hätten, gab es nicht. Allerdings durchaus neue Helden und ihre Geschichten. Sei es der mutige Flug von Oberstleutnant Klaus Berke, der es 1976 als Phantom-2-Pilot schaffte, eine Mig-21 der NVA über der Ostsee so auszumanövrieren, dass es zum ersten Mal gelang, Details über Einsatztaktiken der damals gegnerischen Luftwaffe zu erlangen. Sein Flug ist heute nahezu vergessen.
Oder der Tod von Erich Boldt, immerhin Namensgeber der Unteroffiziersschule der Luftwaffe. Feldwebel Boldt warf sich 1961 auf dem Truppenübungsplatz Putlos auf eine Sprengladung, die in den Deckungsgraben zurückgerollt war. Der 28jährige rettete durch seinen beispielhaften Mut zwei untergebenen Soldaten das Leben. Und nicht zu vergessen die neuen Träger des „Ehrenkreuzes für Tapferkeit“. Solche neuen Helden und ihre Geschichten sind nicht sinnstiftend in den Alltag der Truppe eingeflossen. Dabei braucht kein Personenkult betrieben zu werden, um Vorbilder sinnstiftend zu nutzen.
Kameradschaft allein reicht nicht
Häufig berufen sich Soldaten auf die Kameradschaft, wenn sie nach dem Grund für Ihren Einsatz gefragt werden. Also stellt sich die Frage, ob es in der Schlammzone, im Gefecht, tatsächlich ihr Schwur ist, der emotional stützt. Denn so wichtig ich persönlich den Schwur finde, so wenig war er mir präsent, als ich mich in Afghanistan im Gefecht befand. Denn während Kameradschaft ein persönliches Motiv ist, in einer schweren Situation zu bestehen, ist es der Begriff des Staatsbürgers in Uniform nicht. Dazu ist er viel zu abstrakt.
Es mag einem Land, das von einer gewaltigen Friedensdividende lebt, nicht gefallen, aber Pathos, wenn man es gemäß seiner Definition als leidenschaftliche Bewegtheit versteht, kann in schwierigen Situationen helfen. Aber Pathos muss richtig dosiert und vor allem von einer klaren Verbundenheit zu bestimmten Werten getragen und durch Rituale verfestigt werden.
Im Sport sind solche Rituale lange etabliert. Man denke z.B. an die Kreise von Volley- oder Fußballern oder die pathetischen Motivationsreden eines Jürgen Klinsmann in der Kabine. Niemand würde in Frage stellen, was Psychologen schon lange wissen: Das ein gewisses Pathos, gestützt durch Rituale, beim Bewältigen schwieriger Situationen, die Mut und Kampfgeist erfordern, helfen kann.
Der Ursprung sportlicher Rituale sind die Kriegerrituale der Vergangenheit. In allen Kulturen finden sich Hinweise darauf, wie sich Kämpfer auf den Kampf vorbereitet und nach dem Kampf davon gelöst haben. Sei es durch Tänze, Opfer, Triumpfzüge oder Zeremonien. Als „Ritual Cleansing“ bezeichnete dies Karen O’Donnell, Theologin der Durham University in ihrem Artikel „How PTSD treatment can learn from ancient warrior rituals“. Es geht also letztendlich auch um seelische Gesundheit, wenn Soldatinnen und Soldaten über Symbole und Rituale emotional abgeholt und unterstützt werden. Diese zu liefern ist Aufgabe der Bundeswehr.
Wenn unsere Soldatinnen und Soldaten laut eigenem Bekunden in erster Linie für den kleinsten gemeinsamen Nenner im Militär, die Kameraden, die kleine Kampfgemeinschaft, kämpfen, dann ist das mit Pathos verbunden. Aber es ist eben auch nur der kleinste gemeinsame Nenner soldatischen Einsatzes.
Und letztendlich können es sich die Bundeswehr und die Bundesrepublik kaum erlauben, dass sich Ihre Soldatinnen und Soldaten eigenständig auf die Suche nach Ihren Leitmotiven abseits der Kameradschaft machen.
Das Ziel der Bundeswehr sind militärische Staatsbürger in Uniform, aber sie tut wenig, was sie dabei auf emotionaler Ebene unterstützt.
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass in Deutschland der Wunsch vorherrscht, der Einsatz von Militär und Bestehen im Gefecht könne ohne das Betreten einer moralischen Grauzone auskommen. Zum Krieg gehört kämpfen. Zum kämpfen gehört schießen. Zum schießen gehört womöglich töten. Und besonders die vergangenen Einsätze der Bundeswehr haben gezeigt, dass „asymmetrische Kriegführung“ gleichbedeutend mit dem Betreten von Grauzonen ist. Auch der Cyberwar der Zukunft wird sich in Grauzonen abspielen. Die Folge ist, dass die Soldaten in diesen Grauzonen gemeinsam mit den Kameraden an ihrer Seite allein gelassen werden.
Stattdessen müsste durch die Bundesregierung und Parlament ehrlicher kommuniziert werden: Ja, wir wissen, dass wir durch den Einsatz unseres Militärs eine schwierige moralische Entscheidung treffen. Aber es ist auch unsere Moral, die uns zu dieser Entscheidung geleitet hat. Gefolgt von der Erklärung von Einsatz- und vor allem Exitstrategie.
Dabei mag der Begriff Ideologie manchem sofort sauer aufstoßen. Aber er beschreibt nichts anderes, als ein System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen und Wertungen, was im bundesrepublikanischen Sinne nichts negatives darstellt, im Gegenteil. Unsere Soldatinnen und Soldaten handeln nach den Artikeln des Grundgesetzes und der Menschenrechte, das Soldatengesetz verpflichtet sie sogar dazu, andernfalls würden sie bestraft. Sie schwören, „…das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“. Tapferkeit bedeutet, bei Gefahr für Leib und Leben zu handeln. In diesem Fall für Menschen, Grundgesetz und Menschenrechte, auch im Krieg, auch mit kämpferischen Mitteln. So sind Sie dann auch „Staatsbürger in Uniform“ im besten Baudissin’schen Sinne.
Welche Symbole gibt es
Die wenigen greifbaren Symbole, die es für die Bundeswehr gibt, werden bestenfalls stiefmütterlich behandelt. So gibt es zwar die Fahne mit den Freiheitsfarben Schwarz, Rot, Gold, die seit der ersten demokratischen Revolution auf deutschem Boden für Einigkeit und Recht und Freiheit und damit für bundesrepublikanische Werte steht. Aber die Verbindung zu Ihrer Fahne ist den Soldatinnen und Soldaten so fremd, dass vielen – so meine Erfahrung nach rund 12 Jahren als Soldat – sogar das morgendliche Hissen im Wachdienst eher lästiges Übel als ehrenvolles Ritual ist.
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wie kritisch man in Deutschland gegenüber allem Militärischen eingestellt ist. Es ist eine besondere Situation, dass Deutschland das einzige Land in der Geschichte ist, das derart selbstkritisch mit seiner Vergangenheit umzugehen weiß. Aber anstatt diesen Schatz zu nutzen und die daraus abgeleiteten Leitbilder mit Leben zu füllen, mit emotionaler Verbundenheit, werden unsere Soldatinnen und Soldaten zwar in lebensbedrohliche Einsätze geschickt, aber ohne ihnen dafür ein tragfähiges ideologisches Konzept implementiert zu haben, an dem sie sich emotional festhalten können.
Der Leitspruch Treue um Treue, der von jenem Kompaniechef in Kunduz genutzt wurde, um die ihm unterstellten Soldatinnen und Soldaten mit einem greifbaren Leitbild zu stützen und zusammenzuschweißen, entstammt ursprünglich den Befreiungskriegen gegen Napoleon.
Aus meiner Sicht versinnbildlicht er die zentralen Tugenden des Soldatentums: Füreinander einzustehen, Treue für Treue untereinander und für das Land und seine Bürgerinnen und Bürger zu zeigen und diese Werte zu leben. Unser Chef nutzte diese Worte, weil er seine Männer und Frauen in einer hochkomplexen und lebensgefährlichen Einsatzsituation emotional abholen musste.
Alles andere wäre ein „Einsatz ins Ungewisse“, wie der Spiegel schon 1995 angesichts des Einsatzes deutscher Soldaten auf dem Balkan titelte. Ungewissheit ist das, was Soldatinnen und Soldaten im Einsatzfall als letztes gebrauchen können, egal ob im Ausland oder in der Landesverteidigung.
Der Spruch Treue um Treue wurde 2014 in der Bundeswehr verboten. Zu sehr würde die zivile Öffentlichkeit den Ausdruck mit den Fallschirmjägern der Wehrmacht in Verbindung bringen. Natürlich entspräche diese Verbindung nicht der Traditionslinie der Bundeswehr und ihren Werten. Nur: Es wurde viel entfernt, vieles davon zurecht. Es wurde aber praktisch nichts unternommen, um etwas sinnstiftendes hinzuzufügen, das emotional funktioniert. Die Herausforderung heute lautet, etwas zu implementieren, dass junge Menschen auf der Suche nach einem Beruf, Soldaten auf virtuellen Schlachtfeldern und die Kampftruppe gleichermaßen abholt und mitnimmt.
Dabei fängt es mit Kleinigkeiten an. Hier lohnt sich auch der Blick ins Ausland: Wie auch die Fahne wird der Dienstanzug von Soldatinnen und Soldaten aller Laufbahnen mit sichtbarem Stolz und Würde getragen, auch außerhalb der Kaserne. In Deutschland würde es sich lohnen, stärker zu zeigen, dass man über die Uniform auch auf die Werte stolz sein kann, die sie repräsentiert.
Zu wenig wird dieser Stolz in der Bundeswehr vorgelebt und damit verankert. Der gerade erst beschlossene Traditionserlass wirkt dabei vornehmlich auch wieder wie eine Liste von Verboten denn eine proaktive Gestaltung der soldatischen Identifikation in der Bundeswehr.
Einzig der Slogan „Wir.dienen.Deutschland.“ ist seit 2011 ein erster bedeutender Schritt, damit Soldatinnen und Soldaten und Zivilwelt verstehen, was dieser Beruf bedeutet. Er bedeutet, Treue zu den Kameraden (Wir), zur Aufgabe (anderen Menschen dienen) und zum Land (Bundesrepublik Deutschland) zu leben.
Auch, wenn dies gegen einen allgemeinen Gesellschaftstrend des Individualismus gehen sollte: Es wäre ein Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr, diese Treue als Teil der soldatischen DNA hervorzuheben. Sie muss in den alltäglichen Dienst transportiert werden. Ein erster Schritt könnte sein, den Slogan Wir.Dienen.Deutschland nicht nur als Marketinginstrument zu nutzen, sondern zum Beispiel als Ritual beim Antreten zu verwenden. Viele weitere Schritte und sinnvolle Rituale könnten folgen.
(Eine gekürzte Fassung ist in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift JS der Evangelischen Soldatenseelsorge erschienen.)
(Archivbild: ‚Troops in Contact‘ (TIC, Soldaten im Gefecht) im September 2010 in Qala e Zal mit Bravo-Zug der Schutz Kompanie Kunduz – Patrick von Söhnen/Bundeswehr)
Sehr gut geschrieben!
Leider wird der Mangel an Tradition weder im BMVg noch in der Politik so erkannt und als Problem wargenommen.
Anmerkung:
Die Feldwebel Boldt Kaserne beheimatet die USH und nicht die USLw.
Zum Einen dient der Soldat der Bundesrepublik Deutschland, wie es auch Beamte tun. Zum Anderen hat die Ministerin im Tagesbefehl zum Jahreswechsel nochmal klargestellt, was der Soldat zu verteidigen gelobt:
„das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Nicht die Regierung oder das Parlament schwören sie zu verteidigen, und auch nicht das Volk selbst, sondern das Recht und die Freiheit des Volkes. Das ist der Geist unserer Streitkräfte, das ist der Geist unseres Grundgesetzes.“
Die Sinnfrage sollte damit beantwortet sein.
Geht man davon aus, dass der Grundgedanke der Inneren Führung nicht der ist, den Staat im Staate zu verhindern, sondern der, dass der Staatsbürger, der von der freiheitlich demokratischen, rechtsstaatliche Qualität seines somit bestmöglichen Staates überzeugt ist, auch der natürliche Verteidiger dieses Staatsgebildes ist, erkennt man, welchen Geist eine solche Armee haben muss (Der Staat im Staat ist damit als Folge auch verhindert). Die Verteidigungsministerin hat möglicherweise noch einmal klargestellt, dass das wesentliche dieses Staates seine Werte sind – in Form des Grundgesetzes und der völkerrechtlichen Regeln, denen sich die BRD zusätzlich unterworfen hat.
Wer als Soldat was anderes will ist in der Bundeswehr vielleicht falsch aufgehoben.
Schöner Artikel, allerdings halte ich das Beispiel Afghanistan für denkbar schlecht geeignet. Dieser Einsatz wurde in der Öffentlichkeit nicht richtig diskutiert und wahrgenommen, man war mit Strucks „die Interessen Deutschlands werden auch am Hindukusch verteidigt“ zufrieden. Irgendwie hatte es auch keinen richtig interessiert und offiziell haben die ja Schulen gebaut und Brunnen gebohrt. Es erinnert an die alte englische Einstellung „we pay, let them fight“, wobei die Briten durchaus einen anderen Nationalstolz haben als wir Deutschen.
Und dieser unterentwickelte, vielleicht sogar gänzlich fehlende Nationalstolz, ist einer der Gründe, warum sich militärisch kein neues Traditionsbild und militärische Selbstverständnis entwickelt hat. Was erwartet man von Soldaten, denen man erst noch den Text der Nationalhymne beibringen muss? Oder die Herkunft unserer Fahne? In der Schule geschieht das nicht, zwischen Napoleon und deutschem Kaiserreich klafft im Geschichtsunterricht meistens eine Lücke und spätestens in der Weimarer Republik ist eh Schluss. Das 3. Reich fasst doch keiner an, das könnte ja schwierig werden. Und wenn, dann ohne militärische Aspekte.
Wenn man kein Bewusstsein für die Geschichte seines Volkes hat, dann hat man auch keines für seine kulturelle Identität. Dann entwickelt sich erst recht nicht eine militärische Identität, die auch außerhalb der Streitkräfte getragen wird. Dann bleibt es eben bei subkulturellen Identitätsteilen wie „Fallschirmjägertradition“ und „kleine Kampfgemeinschaft“, die außerhalb der Streitkräfte keiner versteht und keiner trägt. Das kann man sicherlich beklagen, aber das ist das Ergebnis von 70 Jahren politischer Erziehung.
Escrimador sagt: 20.01.2020 um 16:33 Uhr
„Die Sinnfrage sollte damit beantwortet sein.“
Da irren Sie sich gewaltig, sowas können Sie nicht einfach per Befehl verordnen. Dazu gab es auch in der ESuT im letzten Jahr eine Artikelreihe zur Inneren Führung, unter anderem mit einem Beitrag von Major i.G. Bohnert, welcher ins selbe Horn geblasen hat.
In der Truppe, vor allem in der Kampftruppe ist da ein „Vakuum“, welches nicht durch die Innere Führung, welche für Bundeswehr (damals ausschließlich für die Landesverteidigung vorgesehen) konzipiert wurde, ausgefüllt wird. Und wenn dieses Vakuum nicht durch passende und vor allem angenommene Traditionen/Leitbilder/Selbstverständnisse etc. gefüllt wird, dann sucht sich die Truppe ihre eigenen Vorbilder (was dann zwangsläufig wieder in Skandalen endet).
Auch dazu gab es im letzten Jahr eine interessante Artikelreihe, ich denke in der Loyal (ich meine zum Thema Rechtsextremismus) oder war es hier in den Kommentaren auf augengeradeaus (vielleicht kann mir da jemand aushelfen), in der ein interessanter Aspekt erläutert wurde. Und zwar der, dass wir Gefahr laufen unsere Soldaten zu verlieren, während wir in der Dienstzeit auf Innere Führung etc. verweisen, „dient“ der „Feldwebel“ nach Dienst in seinem Tigerpanzer bei „World of Tanks“ online weiter.
@Escrimador sagt: 20.01.2020 um 16:33 Uhr
„Die Sinnfrage sollte damit beantwortet sein.“
In der Tat –> „…der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen…“
„Wer als Soldat was anderes will ist in der Bundeswehr vielleicht falsch aufgehoben.“
Will das hier jemand?
@Koffer: „In der Tat –> „…der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen…““
Ohne Nationalstolz sind „Bundesrepublik“ und „Deutschland“ doch auch nur leere Worthülsen.
@WaGe: „dann sucht sich die Truppe ihre eigenen Vorbilder (was dann zwangsläufig wieder in Skandalen endet).“
Zwangsläufig? Besteht die BW denn nur aus Vollbroten die ständig gemaßregelt werden müssen dass sie sich anständig verhalten?
Auch wenn ich im Bezug auf Menschengruppen eher pessimistische Erwartungen habe finde ich die Formulierung übersteigert.
Offenlegung: Kameradschaft hab ich während meines Grundwehrdienstes nicht kennen gelernt.
@Pio-Fritz:
„In der Schule geschieht das nicht, zwischen Napoleon und deutschem Kaiserreich klafft im Geschichtsunterricht meistens eine Lücke und spätestens in der Weimarer Republik ist eh Schluss. Das 3. Reich fasst doch keiner an, das könnte ja schwierig werden. Und wenn, dann ohne militärische Aspekte.“
Ohne allzu wertend klingen zu wollen, ich habe das Gefühl, dass Sie da nicht unbedingt auf dem aktuellen Stand sind, was die Lehrpläne in den Schulen angeht. Das Dritte Reich nimmt auch im heutigen Unterricht einiges an zeit ein und wird definitv „angefasst“. Den Aufschrei, wenn es nicht so wäre, hätte man auch sicherlich mitbekommen. Dass die militärischen Aspekte dabei eine sehr untergeordnete Rolle spielen, ist hingegen sicherlich nicht gänzlich falsch, entspricht aber den Strömungen in der Geschichtswissenschaft und ist angesichts der Lernziele auch sinnig – reine Ereignisgeschichte ist schon länger out und der Mehrwert von einer genaueren Betrachtung von kampagnen, Schlachten usw. ist im Schulunterricht eher gering.
Auch (deutscher) Nationalismus, die 1848er Revolutionen usw. finden sich in den Lehrplänen wieder – ob der Nationalhymne und der Flagge dabei besondere Aufmerksamkeit zukommt, weiß ich allerdings tatsächlich nicht.
Für größere Details hier mal als Beispiel der Lehrplan Schleswig-Holsteins: https://lehrplan.lernnetz.de/index.php?DownloadID=1030
Die von Ihnen als fehlend bemängelten Themen finden Sie ab Seite 29.
@ Escrimador sagt:
20.01.2020 um 16:33 Uhr
„Zum Anderen hat die Ministerin im Tagesbefehl zum Jahreswechsel nochmal klargestellt, was der Soldat zu verteidigen gelobt: „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Nicht die Regierung oder das Parlament schwören sie zu verteidigen, und auch nicht das Volk selbst, sondern das Recht und die Freiheit des Volkes. Das ist der Geist unserer Streitkräfte, das ist der Geist unseres Grundgesetzes.“
Mhm, da fehlt doch aber stark das „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen“, was dann eben auch bedeutet „ich tue, was Regierung und Parlament dieses Staates mir auftragen“. Daher fand ich das „Nicht die Regierung oder das Parlament schwören sie zu verteidigen“ von der Ministerin als völlig unnötig an der Wahrheit vorbei formuliert. Was dann umso schwerer wiegt, wenn man sich Gedanken wie OSG d.R. Clair macht.
„Geht man davon aus, dass der Grundgedanke der Inneren Führung nicht der ist, den Staat im Staate zu verhindern, sondern der, dass der Staatsbürger, der von der freiheitlich demokratischen, rechtsstaatliche Qualität seines somit bestmöglichen Staates überzeugt ist, auch der natürliche Verteidiger dieses Staatsgebildes ist, erkennt man, welchen Geist eine solche Armee haben muss“
Grundsätzlich absolute Zustimmung. Genau die freiheitliche demokratische, rechtsstaatliche Qualität zu haben und aus allen Poren zu vermitteln sollte daher auch immer höchstes Bestreben aller Institutionen dieses Staates daher sein (auch wenn das manchmal noch ausbaufähig ist). Aber: Um eine Entscheidung zu treffen, Soldat werden und sein zu wollen, reicht das aus meiner Sicht bei Weitem nicht aus. Denn: „Verteidiger“ dieses Staatsgebildes kann ich dann auch als Richter, Staatsanwältin, Justizvollzugsbeamter, Polizistin, Sachbearbeiterin in der Arbeitsagentur etc. sein, denn auch da setze ich das Recht durch, und schon dadurch verteidige ich doch die Freiheit, denn ohne Recht keine Freiheit des Volkes…. Warum werde ich nun Soldat? Und ich persönlich glaube, dass dann eine Reihe von Aspekten, die der OSG d.R. Clair im Text oben anreisst, dann wichtig werden. Bei den meisten Menschen sind bei einer Entscheidung zum Beruf (und Soldat sein ist eben auch einer) sind neben rationalen und ggf. abstrakten Aspekten eben auch emotionale Themen sehr wichtig. Das „Treu zu dienen“ wird bei vielen Menschen (@Koffer: Ja, nicht bei allen, ich weiss…) irgendwann als sehr abstrakt empfunden.
Zu einigen Passagen des Textes von OSG d.R. Clair noch ein paar Gedanken:
„einem reinen Abspulen von Regeln und der tiefen Überzeugung, warum und wofür man eingesetzt wird“ Ja, in der BW bitte mehr Überzeugung und weniger Abspulen von Regeln, ich glaube sofort, dass dies einen realen Mehrwert für die emotionale Unterstützung des Personals bieten würde.
„Stattdessen müsste durch die Bundesregierung und Parlament ehrlicher kommuniziert werden: Ja, wir wissen, dass wir durch den Einsatz unseres Militärs eine schwierige moralische Entscheidung treffen. Aber es ist auch unsere Moral, die uns zu dieser Entscheidung geleitet hat. Gefolgt von der Erklärung von Einsatz- und vor allem Exitstrategie“. Sehr gut formuliert, bitte alle mitlesenden MdB gut merken und beherzigen!
„den Slogan Wir.Dienen.Deutschland nicht nur als Marketinginstrument zu nutzen“ Gar keine Zustimmung meinerseits. Den Slogan können sich Richter, Staatsanwältin, Justizvollzugsbeamter, Polizistin, Sachbearbeiterin in der Arbeitsagentur etc. genau so über den Schreibtisch hängen, ich habe nie verstanden, wie der einen Bezug zur BW herstellen soll, ich finde, dass er für die BW überhaupt nicht als Claim geeignet ist, weil zu beliebig. „Wir kämpfen für Deutschland“ wäre aus meiner Sicht weitaus besser.
„dass man über die Uniform auch auf die Werte stolz sein kann, die sie repräsentiert“ Ich ahne die nächste Anzugdebatte ;-)
Auch wenn OSG d.R. Clairs Gedanken sicher nicht von jedem genau so nachempfunden werden und über einzelne Analysen und Schlussfolgerungen sicher trefflich diskutiert werden kann, glaube ich persönlich, dass die von ihm angesprochenen Themen stärker und produktiver als bisher debattiert werden sollten. Daher danke für den Text.
Ich finde es sehr erfrischend, dass in den letzten Jahren viele interessante Debattenbeiträge in der BW aus den Dienstgradstufen der Nicht-Stabsoffiziere kommen.
@sakrileg sagt:20.01.2020 um 18:02 Uhr
„Die von Ihnen als fehlend bemängelten Themen finden Sie ab Seite 29.“
Davon merkt man leider nichts, wenn man sich mit den jungen Leuten unterhält und das Thema kommt auf. Wieder ein Beispiel von Plan und Wirklichkeit?
@Klaus Trophobie sagt: 20.01.2020 um 17:40 Uhr
„Ohne Nationalstolz sind „Bundesrepublik“ und „Deutschland“ doch auch nur leere Worthülsen.“
Dann liegt es an und als Bundeswehr dies mit Form UND Inhalt zu füllen.
@Landmatrose3000 sagt: 20.01.2020 um 18:29 Uhr
„Wir kämpfen für Deutschland“ wäre aus meiner Sicht weitaus besser.“
Ging nicht, da der Claim ausdrücklich für die gesamte Bundeswehr galt, nicht nur für die Streitkräfte.
Aber durch eine der letzten Entscheidungen der alten Ministerin ist der Claim eh faktisch hinfällig.
Es gibt ihn zwar offiziell noch, aber durch Detailvorgaben im Rahmen des corporate design ist er praktisch in die Bedeutungslosigkeit verdammt und wird über kurz oder lang (eher über kurz) komplett verschwinden.
Übrigens ein sehr gutes Beispiel dafür, was die Bw ständig falsch macht.
Selbst wenn es durchaus kritische Aspekte an dem Claim gegeben hat, so hat er sich doch sehr schnell und sehr breit durchgesetzt und wurde von der Bundeswehr willig aufgenommen.
Und jetzt macht ihn tot.
SO können sich keine Formen entwicklen und damit auch kein Inhalt emotional angemessen transportiert werden.
q.e.d.
:(
Identität – auch oder gerade bei der Bundeswehr – ist wichtig. Sie ist wie das Wurzelwerk für einen Baum oder Leuchtturm im Dunkeln; sie gibt Halt in stürmischen Zeiten und Orientierung, wenn man mal nicht weiter weiß.
Für einen Soldaten sind vier Bezugspunkte wichtig:
1. Bezug zur Nation Deutschland mit allen Höhen und allen Tiefen (als generelles Leitbild)
2. Bezug zur Armee als Schutzmacht und Werkzeug der Außenpolitik
3. Bezug zur Waffengattung als Leitbild für die eigene Aufgabe innerhalb der Armee
4. Bezug zu militärischen Vorbildern, deren Verhalten im Einsatz vorbildlich war
Die beiden ersten Punkte sind für den täglichen Dienst relevant; die beiden letzten Punkte dagegen, wenn es Ernst wird. Und gerade mit den Punkten 3 und 4 haben die meisten Politiker Probleme und versuchen das weg zu argumentieren. Das kann aber nicht funktionieren, weil weder ein Politiker noch irgend jemand anders als ein Soldat ein militärisches Vorbild abliefern kann, das für einen Soldaten im Einsatz / Konflikt / Krieg relevant ist.
@Pio-Fritz:
Aus meiner Erfahrung eher nicht – ich hatte aus den Gesprächen mit Schulabgängern in den letzten jahren eher immer noch das Gefühl, dass zmd. das 3. Reich recht häufig im Unterricht ankam und dort (immer noch? wieder?) gewünscht wurde, dass es weniger werden möge. Wird aber auch von Bundesland zu Bundesland variieren und an den Gesprächspartnern (bei mir vor allem angehende Geschichtsstudierende bzw. Schüler, die sich fürs Geschichtsstudium interessieren) liegen.
Insofern vielleicht einfach jeweils unterschiedliche persönliche Eindrücke. Ich werde aber mal versuchen, etwas mehr drauf zu achten.
(denke, damit belassen wirs am besten, ansonsten gleitet das dann ja doch ins Off Topic ab)
Vieles, was uns zu meiner Zeit (84-91) gegeben war, ist heute nicht mehr existent oder verboten, obwohl es nicht einher ging mit Verknüpfungen zum 3. Reich. Traditionen wurden abgeschafft, obwohl sie aus der Truppe heraus gesehen wertungsfrei waren, weil jegliche Verdachtsmomente ausgeschlossen werden mussten. Und ja, die Flaggenparade im Wachdienst ist ein ehrenvolles Ritual.
@Pio-Fritz
Als jemand dessen Geschichtsunterricht noch nicht gar zu lange her ist, kann ich Ihnen versichern, dass sowohl die 48er Revolution, als auch das 3. Reich und 2. Wk umfassend behandelt werden. Zumindest bei mir durfte sogar kontrovers im Unterricht diskutiert werden. Die Herkunft unserer Nationalfarben wurde insgesamt gleich dreimal im Unterricht durchgenommen und die Nationalhymne wurde einem spätestens in der Grundschule beigebracht.
Was ich jedoch hinzufügen kann ist, dass bei vielen Schülern einfach generell das Interesse für geschichtliche Themen fehlt und wenn es an komplexere militärische Themem geht (ich hatte das Glück eine Lehrerin gehabt zu haben, die den kompletten 1. Wk samt milit. Schlüsselereignisse mit uns durchexerziert hat), ist endgültig Schluss.
Insofern wundert es mich kein bisschen, wenn Sie sagen, dass viele junge Leute keine Ahnung von diesen Themen haben. Aber das liegt tatsächlich weniger an der Schule.
Und bei Themen wie Nationalstolz kommen dann bei vielen oft noch starke ideologische Prägungen hinzu (meiner Erfahrung nach hauptsächlich von links aber zu Weilen auch von rechts) die eine vernünftige Auseinandersetzung mit solchen Dingen zusätzlich erschwert.
@ Wa-Ge 20.01.2020 um 17:06 Uhr:
>„Die Sinnfrage sollte damit beantwortet sein.“ Da irren Sie sich gewaltig, sowas können Sie nicht einfach per Befehl verordnen.
Man braucht dem Staatsbürger, der aus Überzeugung die Werte des Staates verteidigen will, in der Richtung nichts befehlen.
Das die „Innere Führung“ von der Bundeswehr selbst kaum verstanden wird erkennt man daran, dass es sich dort wesentlich um gutes Führen dreht.
Der Zaubertrick wäre aber „Verwirklichung der Werte in Staat und Armee“. Militärische Vorbilder und Tradition werden nicht gebraucht.
@ Landmatrose3000 20.01.2020 um 18:29 Uhr
> was dann eben auch bedeutet „ich tue, was Regierung und Parlament dieses Staates mir auftragen“. Daher fand ich das „Nicht die Regierung oder das Parlament schwören sie zu verteidigen“ von der Ministerin als völlig unnötig an der Wahrheit vorbei formuliert.
1. Nun, die Bw wird aus gutem Grund nicht mehr auf Kanzler und Regierung vereidigt.
2. Nur wenn mit Recht und Werten vereinbar ist, was ihnen aufgetragen wird. Und grundsätzlich sollen sie sich dem Auftrag freiwillig unterwerfen.
@Klaus Trophobie 20.01.2020 um 17:40 Uhr
„Ohne Nationalstolz sind „Bundesrepublik“ und „Deutschland“ doch auch nur leere Worthülsen.“
Und nun verteidigt die Bw nicht mal das Volk (s.BM´inVg) sondern nur Recht und Freiheit – derer die grade in Deutschland sind und letztlich der ganzen Menschheit. Kann man sich natürlich fragen, warum das nicht jede Bevölkerung für sich tut: „Freiheit ist das höchste Gut“ hieß es im kalten Krieg. Die kann sich jede Population selbst erkämpfen.
Und bei „Wir.Dienen.Deutschland“ empfehle ich im Geiste anzuhängen: „und Deutschland (was immer genau gemeint sein soll) dient der ganzen Menschheit“.
Naja Vorbilder gibt es diese muss man aber suchen und sich erstmal freigeben lasse. Siehe Namensgebers des 89. OAJ Generalleutnant Groppe. Da tut sich die Bundeswehr sehr schwer solche Vorbilder zu finden und den Soldaten „schmackhaft“ zu machen. Dasselbe mit Liedern und Sprüchen anstatt neues Material in die Truppe zu bringen wird einfach nur verboten. Kann man nicht mal neue Marschlieder dichten und komponieren oder mal einen Ehrenkreuzträger für Tapferkeit vorstellen wie bei der Medal of Honor bei den Amerikanern.
@Escrimador sagt: 20.01.2020 um 20:33 Uhr
„Militärische Vorbilder und Tradition werden nicht gebraucht.“
Über theoretische Möglichkeiten muss man gar nicht nachdenken.
Nicht umsonst verwenden ALLE Armeen dieser Welt militärische Vorbilder und Traditionen.
Man sollte immer mißtrauisch werden wenn jemand es besser zu wissen glaubt als der Rest der Welt…
@TZ: gut formuliert. Meines Erachtens ist nicht der „schlechte/fehlende“ Unterrichtsstoff mitverantwortlich, sondern vor allem der Umstand, das nun (zum Glück) die dritte, vierte, fünfte Generation in unserem Land ohne militärischen direkten Konflikt aufwächst und nun mit Aussetzung der Wehrpflicht nicht einmal geistig gezwungen wird, sich mit Verteidigungsfähigkeit, den eigenen Streitkräften und Außenpolitik zu beschäftigen.
Zum Thema Vorbilder ist anzumerken, dass bisher die Führung der Bundeswehr nur durch Verbote aufgefallen ist und wenig bis gar nichts dazu getan hat, die dadurch entstehenden Lücken basisorientiert zu besetzen. Vieles ist zu abstrakt, auf dem Papier in der Theorie und zu Friedenszeit wohl definiert und intellektuell ansprechend. Der einfache Soldat/Kämpfer wird allerdings ohne Werte wie Gehorsam, Disziplin, Kampfkraft, Stolz und Kameradschaft nicht auskommen. Denn diese Werte müssen gelebt, weitergeben und verteidigt werden. Speziell durch die Führung…. damit meine ich auch explizit die politische Führung.
Ausserdem ist leider festzustellen, dass bisher leider nur sehr wenige Eigengewächse der Bundeswehr als Vorbilder auserkoren wurden. Und „Kämpfer“ waren fast gar keine dabei… dabei gibt es diese doch. Nur ein Beispiel:
Warum zum Beispiel wurden die Soldaten*innen der Luftretter oder des KSK aus dem Einsatz nach dem Anschlag auf das Generalkonsulat in Masar-e Scharif 2016 nicht ordentlich gewürdigt?
In höchster Not und unter schwierigsten Bedingungen herausragende soldatische Leistungen erbracht, das Leben von Zivilisten gerettet… und nicht einmal hier konnte die politische und militärische Führung eine klare und positive Aussage an die Gesellschaft formulieren. Hier werden die Leistungen der Kameraden*innen schlicht vergessen/nicht gewürdigt und ganz schlecht nach außen verkauft.
Ohne diese Art von „Erfolgserlebnissen“ wird es aber ganz schwer für die Bundeswehr ihre eigene Geschichte als Streitkraft und somit auch Vorbilder zu generieren.
Zu erst ein großes Dankeschön und Lob an den Verfasser. Im Text wurden sehr viele Punkte angesprochen, die man nun in der Führung und in der Politik eindringlich diskutieren sollte.
Ein Problem für die Frage wie sich ein Soldat innerhalb der Bundeswehr mit dieser identifizieren sollte ist, meiner Meinung nach auch die Frage was die Bundeswehr als Organ für die Bundesrepublik leisten soll. Nach Ende des kalten Krieges und des Untergangs des Ostblocks hat sich bisher keine Regierung dazu eindeutig geäußert.
Das angesprochene Weißbuch ist für die Soldaten dazu viel zu abstrakt und hilft nicht diese Frage nachhaltig zu beantworten. Gerade junge Menschen, die nach der Jahrtausendwende geboren wurden, haben es sehr schwer sich mit der Bundeswehr und ihren sogenannten Werten zu identifizieren. Wie schon angesprochen wird es Zeit das eine Portion Pathos in die Truppe Einzug hält und das man vor einer gesunden Portion Nationalstolz nicht gleich wieder das große Flattern bekommt. Dazu gehört auch das die Bundeswehr offen und vorallem selbstbewusst in der Öffentlichkeit Auftritt und das die auch von der Regierung ganz klar unterstützt wird.
Dazu gehört auch das die Bundeswehr wieder offen an Schulen, Messen und sonstigen Veranstaltungen auftreten kann und dies gefördert wird. Ja wir leben in einer für Zentraleuropa sehr ziemlich friedlichen Epoche aber das heißt nicht das man mit allen Mitteln antimilitarisieren muss. Wie schnell sich so etwas ändern kann hat Paris gezeigt oder etwa die Ostukraine.
Ein interessanter Artikel.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch analysiert wird, weshalb es die Bundesrepublik bis 1990 vermieden hat, so etwas wie eine Armee aufzustellen, ihr die notwendige eigenständige Möglichkeit zum Konzipieren und Durchführen eigener Operationen zu geben (IMHO war die Bundeswehr zu Zeiten des Kalten Krieges ein – leistungsfähiges – Konglomerat militärischer Kräfte, aber keine Armee im eigentlichen Sinne. Funktionierte nur als Bestandteil der NATO, und das sollte so ja auch sein).
Und weshalb dieses Land seit 1990 es so eilig hatte, die Bundeswehr und Ihren Auftrag zu verstecken, sich selbst übrigens auch und vordergründig jegliche „eigene Interessen“ negiert (kleines aktuelles Beispiel: Die Kanzlerin betont, selbst ein eminent politisches Vorhaben wie North Stream 2 sei nur „ein wirtschaftliches Projekt“ und 90% der Medien folgen ihr darin …) und sich im Moralinozean ergeht.
Meiner Wahrnehmung nach fehlt es dieser Gesellschaft seit den jungen Jahren der Bundesrepublik an einem inneren Gerüst. Es gibt weder einen ausdrücklichen Konsens „wer wir sind“ noch eine Diskussion „was gut für uns ist“. Je nach Jahrzehnt hängen wir uns an den Zeitgeist (der es ins englische geschafft hat …). Es liegen Welten zwischen Deutschland und seinen Nachbarn im Westen wie im Osten.
Was fehlt ist die Kontinuität der Eliten und des Selbstbildes. Das braucht es aber für die Selbstverständlichkeit, mit der sich eine Nation definieren kann und ohne dieses Vermögen ist es auch nicht möglich, dem Rest Europas und des Westens zu sagen, was von Deutschland zu erwarten ist und was Deutschland erwartet. Wir überkompensieren das dann durch endlose Belehrungen und die Neigung zum maximalen „verrechtlichen“ aller möglichen zwischenstaatlichen Angelegenheiten … hat den Vorteil dass dann nicht mehr mit eigenen Interessen argumentiert werden muss…
Eine Konsequenz der totalen Niederlage und der zunächst uneingestandenen Erkenntnis, als Individuum und als Kollektiv Verbrechen begangen zu haben (ich denke, auch heute ist das noch nicht richtig in den Köpfen – verräterisch sind IMHO die vielen Texte, in denen „von den Nazis“ begangene Verbrechen besprochen werden. Es waren Verbrechen von Deutschen, nicht von Nazis!!), später überkompensiert von gleichermassen verantwortungslosem Driften in die entgegengesetzte Richtung, aka Friedensbewegung.
Deutschland kann sich das noch eine Weile erlauben (sicherheitspolitisch – in anderer Hinsicht vielleicht nicht), da noch immer von Freunden umzingelt. Aber es werden weniger.
@ Koffer sagt 20.01.2020 um 21:48 Uhr
„Über theoretische Möglichkeiten muss man gar nicht nachdenken. Nicht umsonst verwenden ALLE Armeen dieser Welt militärische Vorbilder und Traditionen.“
Ob „nicht nachdenken“ die Lösung ist?
Mit den Vorbildern wirds schwierig, wenn man davon ausgehen kann:
1 „Wenn du dich in einem fairen Kampf befindest ist deine Taktik Mist.“
2 Soldaten werden im Einsatz häufig psychologisch bedingt „über das Ziel hinausschießen“ (Viele vermeintliche Kriegsverbrecher litten wohl eher an PTBS)
und das ist mit Vorbildern, die anspruchsvolle Werte vertreten, schlecht vereinbar.
Vorbilder, die einfach nur gefallen sind, wird der Soldat nicht wollen, kriegerische Helden nicht haben sollen.
@Escrimador sagt: 20.01.2020 um 22:27 Uhr
[Koffer] „Über theoretische Möglichkeiten muss man gar nicht nachdenken. Nicht umsonst verwenden ALLE Armeen dieser Welt militärische Vorbilder und Traditionen.“
[Escrimador]“Ob „nicht nachdenken“ die Lösung ist?“
Vielleicht hätte ich präziser (aber auch etwas unhöflicher) sein sollen.
Über rein theoretisch mögliches, aber praktisch abwegige muss man keine Gedanken verschwenden.
Auf Vorbilder, Traditionen und Formen konnte bisher keine Armee der Welt verzichten.
Und keine Armee wollte es außerdem bisher.
Wo nicht wollen und nicht können zusammentrifft, muss man nicht weiter theoretisieren.
Die entscheidende (und sinnige) Frage ist: WELCHE Vorbilder, Traditionen und Formen.
Aber genau diese Frage wirft ja Johannes Clair berechtigen Weise auf,
Das Thema ist ein gewaltiges Thema, das man nicht nur mit ein paar Zeilen erfassen kann. Daher nur ein paar Anmerkungen zu dem Artikel als Anregung für die Debatte:
1. Die Bundeswehr ist in der Tat ein Kind des so genannten „Kalten Krieges“, der aber nicht nur „kalt“ war, sondern durchaus heiße Zwischenphasen hatte, die eine hohe Bereitschaft der Soldaten forderte. „Homeoffice“ wäre damals eher nicht möglich gewesen.
2. Es wird in der Einsatzarmee oft von „Tod und Verwundung“ gesprochen und es wird häufig suggeriert, im Kalten Krieg hätte es diese Herausforderung für die Bundeswehr nicht gegeben, daher sei das für die Bundeswehr und die Gesellschaft nun etwas Neues. Das stimmt so nicht. Das Übungsgeschehen im Kalten Krieg war kein Zuckerschlecken für die damaligen Soldaten. Ich behaupte, dass der Kalte Krieg für die gesamte Bundeswehr insgesamt ebenso fordernd war wie die heutigen Auslandseinsätze, die, im Gegensatz zu damals, nur einen kleinen Teil der Bundeswehr betreffen. Die Übungen waren anspruchsvoll und es waren jedes Jahr Zehntausende von Bundeswehrsoldaten in realitätsnahen Übungen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Dies drückt sich auch in den offziellen Zahlen der Bundeswehr aus:
Im Kalten Krieg (1956 -1989) kamen 2 529 deutsche Soldaten „infolge der Ausübung des Dienstes“ ums Leben.
In der „Einsatzarmee“ (1990-2019) kamen 767 deutsche Soldaten „infolge der Ausübung des Dienstes“ ums Leben.
https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/gedenken-tote-bundeswehr/todesfaelle-bundeswehr
Glücklicherweise kamen im letzten Jahrzehnt (2010-2019) mit 94 Toten mit Abstand die wenigsten Soldaten der Bundeswehr seit Aufstellung der Bundeswehr ums Leben. Dennoch wird heute erheblich mehr über Tod und Verwundung von Soldaten geschrieben als in den Jahrzehnten zuvor. Und dies liegt natürlich daran, dass diese Soldaten im Ausland gefallen sind. Wenn Soldaten im Auslandseinsatzeinsatz sterben müssen, muss es einen ganz besonders guten Grund für diesen Einsatz geben! Und hier ist der eigentliche Kern der jetzigen Debatte. Spätestens nach den Veröffentlichungen der Washinton Post kann man zumindest am Afghanistaneinsatz Zweifel anmelden.
3. Während des Kalten Krieges hatte die Bundeswehr aus meiner Sicht kein „Identitätsdefizit“ und war nicht orientierungslos. Es war sehr klar „wofür“ und „wogegen“ diese Bundeswehr aufgestellt worden war. Die innerdeutsche Grenze, an der scharf geschossen wurde, war klarer Beleg dafür, dass es einen wirklichen potenziellen Gegner gab, der uns feindlich gegenüberstand. Die Bundeswehr „suchte“ deswegen auch damals keinen Auftrag, sondern HATTE einen klaren Auftrag, der die Orientierung für Auswahl des Personals, Ausrüstung und Ausbildung vorgab. Der „Staatsbürger in Uniform“ war in diesem Kontext ein gut geeignetes Leitbild und ein solches war auch erforderlich, um eine greifbare Abgrenzung zum „Leitbild“ des deutschen Soldaten im Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Nazizeit vorzunehmen. Dies war damals eine gewaltige intellektuelle Leistung.
4. Die heutige Orientierungslosigkeit der Bundeswehr liegt nicht an dem damaligen Leitbild des Staatsbürgers in Unform, welches in den 50er Jahren in einer spezifischen Situation, für eine spezifische Aufgabe entstanden war und für diese Zeit auch absolut richtig war. Es ging um die Verteidigung des eigenen Terroritoriums und von Freiheit und Demokratie gegenüber einem tatsächlich vorhandenen potenziellen Gegner, der diese Werte nicht vertrat. Diese Verteidigung des eigenen Territoriums, um Demokratie und Freiheit zu erhalten, erforderte den „wehrhaften“ Staatsbürger. Deswegen die Wehrpflicht und deswegen der Eid „Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Das war Alles stimmig.
Die Tatsache, dass sich 1990 Alles verändert hat und die Politik glaubte, man könne mit den selben konzeptionellen Begründungen der Inneren Führung des Kalten Krieges einfach so weitermachen und die schlanke Behauptung aufstellen, Deutschland würde genauso am Hindukusch verteidigt wie an der innerdeutschen Grenze, war in meinen Augen nicht sehr verantwortungsbewußt. Man entzog sich nach dem Ende des Kalten Krieges der intellektuellen Herausforderung, der sich die Väter Inneren Führung in den 1950ern gestellt hatten, nämlich ein neues Soldatenteitbild für eine neue Aufgabe zu schaffen und diese Aufgabe an klare ethische und rechtliche Voraussetzungen zu koppeln und sich dann auch daran zu halten. Dies ist in meinen Augen der tiefe Grund für die fehlende „Orientierung“ und Identität, die aus den Worten des Verfassers spricht.
@Pio-Fritz „Was erwartet man von Soldaten, denen man erst noch den Text der Nationalhymne beibringen muss?“
Ich tue mich schwer das zeitlich einzusortieren. Aber vielleicht als Erinnerung: Es gab eine ganze Generation deutscher die eine völlig andere Hymne gelernt haben.
Wobei ich nicht weiß ob die kritischen Punkte aus dem Lied der Deutschen im DDR-Unterricht thematisiert wurden (wohl eher nicht). Hab zwar keine Erinnerung wann ich die Nationalhymne gelernt habe, aber bin mir sicher das später eine Textanalyse aller drei Strophen erarbeitet wurde.
@ Koffer 20.01.2020 um 23:23 Uhr
Nichts gegen ihren Bedarf an/ Wunsch nach Vorbildern. Es scheint nur für den Staatsbürger in Uniform mit unseren Werten keine zu geben.
Nicht mal der Traditionserlass, der auch von Vorbildern spricht, ist in der Lage, welche zu nennen. Das scheint mir besonders schwach.
Und jedes Vorbild mit dem Motto „right or wrong, my country“ können wir vergessen.
In den 50 er bis in die 70 er Jahre verstanden sich große Teile der BW als in der Tradition der ehemaligen deutschen Armeen stehend, das hat man den heutigen Soldaten erfolgreich ausgetrieben. Der Slogan “ Wir dienen Deutschland“ ist doch nur eine Farce. Ich bedaure meinen heutigen Kameraden, die nur noch sinnlos verheizt werden.
@ Pete sagt:
21.01.2020 um 1:07 Uhr
Sehr interessante Aspekte!
Ein sehr guter Artikel, aber der Artikel wird mal wieder keine Folgen haben. Das Verbot „Treue um Treue“ war ein Genickschlag gegen die kämpfende Truppe und jede BW-Tradition. Denn mit „Treue um Treue“ hat die kämpfende Truppe versucht, sich eine eigene Tradition aus Kameradschaft und Einsatz zu schaffen.
Der neue Traditionserlass hat nicht geholfen, sondern nur alles verschlimmbösert. Die BW darf sich weiterhin – außer dem Wachbataillon – auf keinerlei frühere Tradition stützen. Weder auf die Preußische Armee, noch auf die Kaiserliche Armee und auch nicht auf die Reichswehr. Und NVA und Wehrmacht sind erst Recht als Vorbilder verboten und Kasernen, die die Namen von Kämpfern der Wehrmacht tragen, sollen weiterhin umbenannt werden. Das Österreichische Bundesheer hat dagegen eine gesündere Tradition, da diese sich auf die ganze K.u.K. Armee und Flotte des Kaiserreiches stützen darf und auf das Bundesheer der 1. Republik.
Und die Träger der Tapferkeitsmedaille der BWwerden nicht herausgestellt, wie einst Ritterkreuzträger, also kennt sie niemand in der Öffentlichkeit. Und die KSK darf über ihre Einsätze nicht berichten, so daß es keine kämpfenden Vorbilder aus der BW gibt.
Nur die Wehrmacht hat genug Helden hervorgebracht, auf die man sich stützen könnte und die nicht unbekannt sind , wenn man die Truppe den lassen würde.
Der 1. Weltkrieg und die Einigungskriege haben sicher auch genug Helden hervorgebracht, aber die kennt heute – außer ein paar Fliegerassen – niemand mehr. Daß ließe sich vielleicht wieder ändern, aber daß würde einen entsprechenden politischen Willen voraussetzen.
Wenn die Truppe was ändern will, dann muss die BW in Streik treten(wie einst die NVA teilweise) oder gegen die nur aus Verboten bestehende Tradition auf der Straße demonstrieren gehen, bis das Verbot von „Treue um Treue“ usw. fällt.
Abgesehen von einer kämpfenden Tradition der BW, fehlt auch jede andere Tradition fast. Mit seinen Uniformen, ohne anständige Parade- und Ausgehuniform, sieht das Deutsche Heer blass aus gegenüber jeder verbündeten Armee. Der BW fehlt eine Militärparade am 3. Oktober und jedem Regiment bzw. Bataillon fehlt eine eigene Fahne mit dem Bataillons- bzw. Regimentswappen.
Es gab schon vor Jahren hier in AG die Idee, eine Uniform in Schwartz-Rot-Gold nach dem Freikorps Lützow einzuführen. Aber leider ist auch daraus bisher nichts geworden.
@Klaus Trophobie sagt:21.01.2020 um 5:16 Uhr
Sie sind der dritte Kommentator, der an diesem Beispiel einhakt ohne den Kontext meines Posts zu beachten. Das war ein bildliches Beispiel für die politische Interessenlosigkeit unserer Jugend. Ich spreche von den 20-25jährigen. Das hat nichts mit der Wiedervereinigung zu tun, @Sakrileg hat mit jungen Erwachsenen zu tun, die gerne Geschichte studieren wollen und hat andere Erfahrungen, das setze ich dann auch voraus. @T.Z. kann sich erinnern, das diese Themen bei ihm in der Schule abgehandelt wurden, viele sich aber nicht dafür interessiert haben.
Diese Interessenlosigkeit ist es doch, die zu einer mangelnden Identifikation mit Deutschland als unabhängiger, sozialer, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Zusammenschluß (Staat) führt. Dabei sind Flagge und Hymne nur die äußerlichen Symbole. Ich hielt das für ein gut greifbares Beispiel, anscheinend habe ich mich geirrt.
@ Trevor Faith sagt: 20.01.2020 um 19:46 Uhr
@ Pete sagt: 21.01.2020 um 1:07 Uhr
Stimme Ihnen in vielen Bereichen zu.
@Koffer
20.01.2020 um 19:12 Uhr:
Krass, wenn das stimmt mit dem Claim „Wir.dienen.Deutschland“, dann haben sie mit ihrem Kommentar so Recht!!!
Ich will nicht glauben, das die BRD der bestmögliche Staat ist auch wenn er nicht nur der beste Staat ist, den wir seit 1872 je hatten sondern auch ein sehr guter Staat
@Escrimador
Das Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, fängt mit dem Recht jeden deutschen Bürgers auf ein Leben in Würde an und setzt der Pflicht des Soldaten gegenüber dem deutschen Volk Grenzen, es hat kein Recht auf diesen Dienst wenn dieser nicht Gerecht und Ehrenhaft ist und der Soldat dann keine Pflicht ihn zu leisten
If Right to Keep it Right, if wrong to set it Right.
@Pio-Fritz
Zwischen dem Kneipenlied und der Marsaillese besteht auch ein Unterschied, sorry aber emotional spricht mich die Marsaillese auf mehr Ebenen an als unsere Nationalhymne.
Eine der Strophen ist eine geographische Liste , eine andere spricht die niederen Emotionen des Nationalismus an und pervertiert damit Patriotismus und Bürgerpflicht.
@Wa-Ge
Der Bürger als Verteidiger seiner Gemeinschaft ist IMHO ein Konzept dessen Ursprünge wohl älter als die Geschichtsschreibung sind – von außen betrachtet die Einsätze in Afghanistan, Mali und Kosovo sind kein War is a Racket sondern eine Mischung aus Bündnispflicht, Schutz Deutschlands und humanitärem Einsatz und wenn das Richtig kommuniziert und umgesetzt wäre denke ich es wäre genug auch im Sinne von der Soldat als Diener von Frieden und Freiheit der Völker und dem „gerechten“ Krieg nach Augustinus.
Ich sehe jetzt ehrlich gesagt kein Problem mit dem Soldaten der nach Dienstschluss mit dem T34 oder Tiger spielt, aber eines damit darin ein Problem zu sehen.
@Koffer
Mal ganz theoretisch, wenn das deutsche Volk die BRD nicht mehr legitimiert – eine andere Form der Gemeinschaft wählt oder die BRD einen Dienst befiehlt der nicht gerecht und ehrenhaft zumindest vor dem Gewissen des Soldaten wäre?
@Klaus Trophobie
Ich wüsste jetzt nicht wozu ich Nationalstolz in der BW bräuchte ?
@Landmatrose3000
Das deutsche Volk ist der Souverän, und nur im Dienst an diesem hat die BRD eine Existenzberechtigung
@Trevor Faith
2 Bundeswehr, Deutschland hat keine Armee, 2 – 3 Divisionen sind keine und es gibt auch noch andere TSK und Org Bereichr
3 Einheit, das abwertende Konkurrenzdenken zu anderen Waffengattungen spez im Heer u.ä. ist ein Übel das man nicht braucht.
4 man könnte mal bei den Deutschen suchen, die in WWII bei den Alliierten dienten und bei jenen die Ungehorsam wählten wo Gehorsam nicht Ehre brachte
@Hajo Voß
Auf die Traditionen von Wehrmacht und den Streitkräften des Losers Wilhelm könnte ich nicht nur Verzichten sondern lehne sie bewusst und entschieden ab
Escrimador sagt: 20.01.2020 um 16:33 Uhr
Escrimador sagt: 21.01.2020 um 9:48 Uhr
Werte gibt es schon. Der Staatsbürger in Uniform verteidigt eben seinen Staat, die Bundesrepublik Deutschland. Und diese steht auf den fundamentalen Werten „Recht“ und „Freiheit“ unter denen sich ihre derzeitige Gesellschaft zusammengefunden hat. Das sind abstrakte und universale Werte, die nicht „sinnlich“ erfahrbar sind, die eigenen sich schlecht für eine praktische Verbildlichung. Die trägt man sich selbstbewusst in sich. natürlich gibt es dazu auch eine historische Denktradition, die führt dann letztlich auch auf historische Personen, die zwar nicht aus dem Militär kommen, aber diese Werte inhaltlich geprägt haben. Ob das im hier allgemein gemeinten Sinne militärische Vorbilder sein können, wage ich zu bezweifeln.
Vielleicht kann man unseren Staat als historischen Entwurf ohne Vorbild auf deutschem Boden betrachten und es ist deshalb so schwer in historisch vorausgegangenen Staatsgebilden nach Vorbildern zu suchen.
Ich sehe das wie Sie.
Für abstrakte Werte wie die genannten, gibt es keinen konkreten Vorbilder. Was soll das personifizierte Vorbild für „Freiheit“ sein?
Ein Text der sehr gut als Anregung zum Nachdenken dienen kann und sollte. Chapeau!
Nebenbei: Die Feldwebel Boldt-Kaserne ist die Kaserne der Unteroffizierschule des Heeres, nicht der Luftwaffe. Das sollte korrigiert werden.
@ Pete
1+ für die Beschreibung der Vergangenheit aber eine Antwort, bzw. einen Ansatz für eine Antwort für die Zukunft der Bw haben sie nicht aufgezeigt.
@ all
Zitat von Johannes Clair
„Das Ziel der Bundeswehr sind militärische Staatsbürger in Uniform, aber sie tut wenig, was sie dabei auf emotionaler Ebene unterstützt.
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass in Deutschland der Wunsch vorherrscht,
der Einsatz von Militär und Bestehen im Gefecht könne ohne das Betreten einer moralischen Grauzone auskommen. Zum Krieg gehört kämpfen. Zum kämpfen gehört schießen. Zum schießen gehört womöglich töten.
Und besonders die vergangenen Einsätze der Bundeswehr haben gezeigt, dass „asymmetrische Kriegführung“ gleichbedeutend mit dem Betreten von Grauzonen ist. Auch der Cyberwar der Zukunft wird sich in Grauzonen abspielen. Die Folge ist, dass die Soldaten in diesen Grauzonen gemeinsam mit den Kameraden an ihrer Seite allein gelassen werden.
Hier sind wir im Kern unsere deutschen Problematik angekommen. Verdrängung aller nicht erwünschten und als politisch nicht korrekt betrachteten Tatbestände, die in der Redewendung „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ umschrieben werden können.
Zu diesen politischen deutschen Wahrheiten gehört, dass ein Aussenhandel ohne sichere weltweite Verkehrswege nicht funktioniert, es gehört eine gesicherte Rohstoff- und Energieversorgung dazu (z.B. Nordstream, wie @ Thomas Becker erwähnte), aber auch dass man die Herrschaft eines interpretationsbedürftigen Völkerrechts nicht als Monstranz für das eigenen Nichtstun vor sich her trägt. Dann muss man eben auch mal anerkennen, dass die Tötung des iranischen Generals und Kriegstreibers als ein Zeichen der Stärke und der Abschreckung sein musste, nachdem schon wieder amerikanische Botschaften angegriffen wurden.
Also im Grunde genommen das diametral entgegengesetzte Verhalten wie es unsere Bundeskanzlerin, Frau Merkel macht. Man kann eben nicht als international tätige Friedensstifterin auftreten und dann seinen eigenen Worten keine Taten folgen lassen (Absicherung des Waffenstillstandes durch Bw-Einsatz).
Ich denke auch, dass es mittlerweile sehr viel mehr Vorbilder von aktiven und ehemaligen Soldaten der Bw geben würde. Man müsste sie nur als Vorbilder herausstellen (wie @ ExHG 3.22 sagt). Es gibt viele Bw-Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens Kameraden gerettet oder einen wichtigen Auftrag zu Ende geführt haben. Wie peinlich der Bw ihre Gefallenen sind, wird auch daraus ersichtlich, dass sie im Ehrenmal der Bw im Bendlerblock nicht in Stein gemeißelt sind, oder ihre Namen in Messing-Schilder graviert wurden und ausgestellt werden (was deren Sichtbarkeit für die nächsten 50 – 100 Jahre garantiert hätte), sondern lediglich mit einem Projektor auf die Wand projeziert werden und wenn man den Projektor abends ausschaltet sind die Namen auch verschwunden.
Für mich ist dies symbolisch mit dem Umgang der Gefallenen der Bw. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ – Bitte erinnere mich nicht an die Toten, die durch meinen Entsendeauftrag entstanden sind !
Also als ersten Schritt, eine Aufarbeitung der Geschichte aller Gefallenen und im Dienst getöteten Soldaten und ein Herausstellen für was sie gefallen oder gestorben sind. Das ist kein Einführen einer Heldenverehrung aber die Anerkennung einer Leistung von Kameraden, die oftmals selbstlos ihr Leben für das Leben ihrer Kameraden, für das Leben von Zivilbevölkerung (Piloten bei Flugzeugabstürzen) oder zur Erfüllung ihres Auftrages gegeben haben.
Es gibt eben kein Überleben in der Grauzone, wenn man der Gesellschaft nicht drastisch vermittelt warum man die Grauzone für das Überleben der Gesellschaft braucht !
@ThoDan sagt:21.01.2020 um 14:56 Uhr
Bei Ihrem Post gewinnt man den Eindruck, Sie wohnen nur zufällig in Deutschland und sind nur noch deshalb da, weil man überall woanders auswärts spricht.
Es macht schlicht keinen Sinn, in einer Diskussion die Empfindungen von vielen Menschen zu verletzen, indem man die Nationalhymne als „Kneipenlied“ verunglimpft. Sie tun mir leid.
Das Sie sich darauf kaprizieren zeigt allerdings ganz deutlich, das Sie den Kern meines Posts nicht erfasst haben.
@ ThoDan 21.01.2020 um 14:56 Uhr
„Das Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, fängt mit dem Recht jeden deutschen Bürgers…“
Klingt gut, aber Recht auf Leben und Würde sind universelle Menschenrechte. Streiche also den „deutschen Bürger“, da bewegen wir uns drüber hinaus.
@ hagion pneuma 21.01.2020 um 16:06 Uhr
Ich bestreite nicht, dass es Werte gibt. Es gibt nur auf dieser Grundlage keine kämpferischen Vorbilder für Soldaten. Sie beschreiben ja selbst „Vielleicht kann man unseren Staat als historischen Entwurf ohne Vorbild auf deutschem Boden betrachten und es ist deshalb so schwer in historisch vorausgegangenen Staatsgebilden nach Vorbildern zu suchen.“ obwohl sich zivil eher was finden dürfte als militärisch.
Eigentlich ist es doch ziemlich einfach.
Viele benötigen keine Vorbilder, für die geht es auch ohne.
Der Rest benötigt Vorbilder oder wünscht sich Vorbilder und die kann man finden.
Wenn man will!
Es gibt für die Bundeswehr 4 Zeitabschnitte, in denen es genügend Helden und Vorbilder (als Person) gab.
1. Die Zeit seit der Gründung der Bundeswehr (Beispiele wurden schon genannt und waren mir auch unbekannt)
2. Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg
3. Den einen oder anderen Soldaten aus dem 1. Weltkrieg
4. Alles davor (Deutschland und sein Reich existiert ja schon in sein Vorgängern lange genug)
Ein Held oder Vorbild muss kein Kämpfer gewesen sein, sondern eben Vorbildliches geleistet haben.
Jetzt muss man nur den Militärhistorikern Geld geben und Personal und in ein paar Jahren haben die bestimmt 50-100 Vorbilder gefunden.
Natürlich wird man sich nicht gleich mit denen identifizieren können, aber das ist doch auch ganz normal. Mit der Zeit kommt das dann auch und der Großteil der Soldaten benötigt das sowieso nicht.
Wenn ich im Gefecht sitze oder in einer Zwangslage (Mann über Bord etc.), denke ich als letztes an die Helden von damals oder an Tapferkeitsmedaillen.
Auch benötigt keine Einheit oder Truppengattung eine hundertjährige Geschichte/Tradition. Das ist doch völlig nebensächlich und damit arbeitet oder kämpft es sich auch nicht besser.
@Pete sagt: 21.01.2020 um 1:07 Uhr
„Man entzog sich nach dem Ende des Kalten Krieges der intellektuellen Herausforderung, der sich die Väter Inneren Führung in den 1950ern gestellt hatten, nämlich ein neues Soldatenteitbild für eine neue Aufgabe zu schaffen und diese Aufgabe an klare ethische und rechtliche Voraussetzungen zu koppeln und sich dann auch daran zu halten.“
Passiert ja selten, aber hier muss ich Ihnen wirklich mal nachdrücklich zustimmen.
Das ständige „weiter so“, „kein Anpassungsbedarf“, „funktioniert“… war und IST ein großer Fehler.
@Escrimador sagt: 21.01.2020 um 9:48 Uhr
„Nichts gegen ihren Bedarf an/ Wunsch nach Vorbildern. Es scheint nur für den Staatsbürger in Uniform mit unseren Werten keine zu geben.“
Natürlich gibt es eine Menge. Man darf nur nicht den Fehler machen Heilige zu fordern und Helden mit politische übertriebenen Fragestellungen aufladen zu wollen.
@Hajo Voß sagt: 21.01.2020 um 10:08 Uhr
„Der Slogan “ Wir dienen Deutschland“ ist doch nur eine Farce.“
Belege?
„Ich bedaure meinen heutigen Kameraden, die nur noch sinnlos verheizt werden.“
Wer wird „verheizt“? Wo wird ein DEU „verheizt“?
@ThoDan sagt: 21.01.2020 um 14:56 Uhr
„Mal ganz theoretisch, wenn das deutsche Volk die BRD nicht mehr legitimiert – eine andere Form der Gemeinschaft wählt oder die BRD einen Dienst befiehlt der nicht gerecht und ehrenhaft zumindest vor dem Gewissen des Soldaten wäre?“
Ist mir zu hypothetisch und hat mit den Thesen mit Johannes Clair nichts zu tun.
@Escrimador sagt: 21.01.2020 um 17:48 Uhr
„Sie beschreiben ja selbst „Vielleicht kann man unseren Staat als historischen Entwurf ohne Vorbild auf deutschem Boden betrachten und es ist deshalb so schwer in historisch vorausgegangenen Staatsgebilden nach Vorbildern zu suchen.“ obwohl sich zivil eher was finden dürfte als militärisch.“
Ja, aber Soldaten benötigen soldatische Vorbilder für soldatische Fragen (Tapferkeit, Gehorsam, Würde, Ritterlichkeit, Führungsfreude, Initiative, Gesetzestreue und auch Widerstand gegen verbrecherische Befehle).
Für das alles haben wir in der DEU Militärgeschichte der letzten 300 Jahre genügend Beispiel.
Nur kaum jemand in allen Dimensionen.
Aber das braucht man auch nicht.
@Pilatus sagt: 21.01.2020 um 13:57 Uhr
„Krass, wenn das stimmt mit dem Claim „Wir.dienen.Deutschland“, dann haben sie mit ihrem Kommentar so Recht!!!“
Ja, ich bin auch vom Glauben abgefallen. Da haben wir ENDLICH mal etwas mit dem alle gut leben können, das uns inhaltlich verbindet und das sich außerdem noch gut vermarkten lässt und dann machen wir es bewusst „tot“ :(
@Pio-Fritz
Warum? Weil ich mich nicht in die Niederungen des Nationalismus begeben will?
Weil ich anderen Völkern, Nationen und Staaten kein Unrecht zufügen will und auch nicht, das es mein Staat tut?
Korrigieren sie mich bitte, wenn ich irre, aber als Lied zum Umtrunk in einer Kneipe ist das Lied einst geschrieben worden und wie die Marseillaise berühmt wurde dürften sie wissen
https://www.youtube.com/watch?v=cOeFhSzoTuc
@Escrimador
Damit fängt es an, hört aber nicht auf und ich habe das nicht der Menschheit sondern dem deutschen Volk gelobt
@ Georg sagt: 21.01.2020 um 16:48 Uhr
Sie haben Recht.
ThoDan sagt: 21.01.2020 um 14:56 Uhr: Auf die Traditionen von Wehrmacht und den Streitkräften des Losers Wilhelm könnte ich nicht nur Verzichten sondern lehne sie bewusst und entschieden ab
„Loser Wilhelm“….. Danke für diese entlarvende Äußerung. Wer die eigene Geschichte so betrachtet, hat den Kampf um die Moral der Truppe bereits verloren. Ist das Ihr Gedenken an die Armee der Großväter? Ehrlich?
@Georg sagt:
@ Pete
„1+ für die Beschreibung der Vergangenheit…“
Danke.
„… aber eine Antwort, bzw. einen Ansatz für eine Antwort für die Zukunft der Bw haben sie nicht aufgezeigt.“
– Es war schon viel Text nur die Herleitung des „Staatsbürgers in Uniform“ aus dem Kontext der Geschichte darzustellen.
– Ich hatte ja auch geschrieben, dass das ein gewaltiges Thema ist und mit ein paar Zeilen nicht zu beantworten ist. Die Frage eines zukünftigen Leitbildes zu beantworten erfordet schon saubere Stabsarbeit und nicht die (Bauch)Ideen eines Einzelnen mal eben so am PC.
– Gleichwohl hätte ich eine Idee, wie ich diese Aufgabe angehen würde:
+ Der „Staatsbürger in Uniform“ war das Leitbild des Kalten Krieges. Er reflektierte die damalige innere und äußere Lage der Bundesrepublik und das daraus abgeleitete Aufgabenprofil des Bundeswehrsoldaten, nämlich als „Staatsbürger“ (in Uniform) das eigene Territorium sowie „Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“
+ Auf der Suche nach einem neuen Leitbild wären meine Fragen an die heute verantwortlichen Politiker und Millitärs zunächst:
– Wie ist die innere und äußere Lage Deutschlands heute?
– Was genau ist es „wofür“ und „wogegen“ diese Armee stehen soll?
– Welche konkreten ethischen, rechtlichen und politischen Prinzipien sind es, die einen Einsatz der Bundeswehr rechtfertigen?
Wenn die obigen Fragen beantwortet sind, kann man relativ leicht ein Leitbild des idealen Soldatentyps für diese konkrete Armee entwickeln. Das Leitbild ist ja nur eine Idealvorstellung, die dazu dient, allen Vorgesetzten und OrgElementen eine übergeordnete Orientierung bei Auswahl, Ausbildung und „Erziehung“ (ich mag den Begriff eigentlich nicht, weil erwachsene Leute schon erzogen sind) von Soldaten zu geben.
Ich selbst habe eine persönliche Meinung und würde der Bundeswehr exakt zwei Aufgaben im Rahmen dieser „Neuorientierung“ zuweisen:
1. Einen Beitrag zur Verteidigung Europas leisten. Ich bin ganz ehrlich, das ist bei mir nicht das Chinesische Meer, sondern
a. einen Beitrag zur Stabilität an der Südgrenze Europas zu leisten und
b. einen Verteidigungsbeitrag im Rahmen der Abschreckung gegen eine potenzielle Bedrohung im Osten Europas leisten.
2. Eine angemessene Beteiligung an militärischen Einsätzen, die durch die UNO mandatiert/legitimiert wurden.
Damit kämen Einsätze wie die Kriege im Irak und Lybien und auch der Einsatz in Syrien gegen gegen den Willen des Machthabers für deutsche Soldaten nicht in Frage und ich glaube nicht, dass das so richtig schlimm wäre.
Wir könnten dafür erheblich mehr Präsenz in den UNO – Einsätzen und Missionen leisten. Das ist für einen Soldaten auch eine sehr ehrenwerte Aufgabe, die viel Erfüllung bringen kann.
Mir ist gerade der Kaffee aus dem Gesicht gefallen…
@ThoDan „Eine der Strophen ist eine geographische Liste , eine andere spricht die niederen Emotionen des Nationalismus an und pervertiert damit Patriotismus und Bürgerpflicht.“
Das „Lied er Deutschen“ ist NICHT die Nationalhymne! Das für unsere Hymne zwei der Strophen gestrichen wurde hat gute Gründe, es hier in der Diskussion erwähnen zu müssen bestätigt, wie ich zugeben muss, leider Pio-Fritzs Argumentation zu dem Thema.
@Closius „Der BW fehlt eine Militärparade am 3. Oktober“
Kennzeichnend für die deutsche Wiedervereinigung ist ja eigentlich das sie, glücklichen Umständen geschuldet, gelangt ohne das ein einziger Schuss gefallen ist. Das mit einer Militärparade feiern zu wollen halte ich für völlig unpassend.
Für die Darstellung, Einordnung und Schlussfolgerungen des Gastbeitrages möchte ich mich bedanken, für mich besschreibt er die Wirklichkeit und führt auch in seinen Gedanken und eben Schlussfolgerungen darüber hinaus zu den neuralgischen Punkten hin. Vorbilder sind etwas sehr Persönliches und Traditionen sind etwas Gemeinsames.
Ein Vorbild nehme ich mir selbst und eifere ihm nach, dies geschieht häufig unbewußt und verfestigt sich im Laufe der Zeit. Die Suche nach Vorbildern findet in der Reifungsphase statt und ist geprägt durch die Sozialisation des Menschen jeweils zu Beginn der Phasen seiner Rollendefinition. Im Entstehen neuer Rollen, wie zum Beispiel der Entscheidung sich als Soldat in den Dienst für sein Vaterland zu stellen, ist diese Definitionsphase recht früh angelegt. Aus diesem Grund ist eine gute Heranführung an diese Aufgabe sehr wichtig und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Andererseits ist es falsch zu glauben, dass sich ein Vorbild bestimmen oder vorgeben lässt. Das führt allenfalls dazu, dass sich ein innerer Konflikt entzündet, und häufig zu einer Abkehr von den Vorgaben und dem Vorgebenden.
Erst aus einer Selbstreflexion heraus kann ich mir meiner Vorbilder bewußt werden, und dann möglicherweise einen rationalen Einfluss ausüben.
Tradition ist gemeinschaftliches Werteempfinden und bildet nicht nur den Rahmen der Interaktion in einer Wertegemeinschaft, sondern auch das Gerüst und Geflecht der Gemeinschaft selbst. In ihr wachsen und gedeihen die Mitglieder und finden ihre Rollenbilder. Hierin wird also eine Einhaltung der Werte honorriert und ein Verstoß gegen die Werte sanktioniert.
Tradition muss mit Leben erfüllt sein. Damit der Einzelne erkennen kann, warum gerade diese Tradition als Versinnbildchung der gemeinsamen Werte herangezogen wird.
Wird eine abstrakte Tradition vorgegeben, dann ist diese nur schwer mit Leben zu füllen. Verneint man hingegen die Notwendigkeit einer Tradition, dann wird sich eine Gemeinschaft selbst eine bestimmen.
Aus allen Erfahrungen ist herzuleiten, dass sich sowohl Vorbilder als auch Traditionen auf ein gemeinsames Ritual, eine Parole eine Handlung oder ein Merkmal verdichten. In der Natur der Sache begründet, sind diese eine eingängig emotionale Verdichtung der Hauptdirektive der Gemeinschaft.
So also auch der Slogan „Treue um Treue“.
In Afghanistan wurde dieser Sinnspruch als Kristallisationspunkt der Gemeinschaft mit neuem Leben gefüllt und zu einer gelebten eigenen Tradition erhoben. Ein Verbot negiert diese Anstrengung.
Der gesunde Menschenverstand sollte begreifen können, dass ein Vakuum von der Natur stets mit etwas gefüllt wird. So auch bei Vorbildern und Traditionen.
@ Fehlbesetzung 22.01.2020 um 10:13 Uhr
„Ein Vorbild nehme ich mir selbst …
Andererseits ist es falsch zu glauben, dass sich ein Vorbild bestimmen oder vorgeben lässt.“
Da stimme ich zu. Trotzdem ist es ein Fehler, wenn die Bundeswehr nicht (z.B. im Zusammenhang mit dem Traditionserlass) „Geschichten“ anbietet, aus denen der Soldat ggf. seine Vorbilder wählen kann.
Die vorbildlichen Taten unserer Soldaten werden ja nicht mal wirklich bekannt gemacht.
@Auslandsdiener
So wurde er mkn von seiner Großmutter Victoria beschrieben, in WWI war er mWn eine Marionette Ludendorffs, er und das Offizierskorps der kaiserlichen Armee haben sich u.a. gemein mit Mördern gemacht inclusive wohl versuchten Völkermords, dazu kommt die Sache mit dem Fetzen Papier.
Mein Gedenken an das Heer meines Großvaters ist, das sie weniger Verbrechen begangen hat als die SS, das sie wissentlich Genozid ermöglicht und unterstützt hat…
@Klaus Trophobie
Stimmt, in der Hinsicht haben sie Recht.
@Koffer
In der Hinsicht das es nichts mit der Aussage von Johannes Clair zu tun hat haben Sie recht, aber wie viele Staatsformen hatten wir in Deutschland seit 1900 und 943?
Ich glaube weder an immer und ewig vor der Geschichte, noch das die Service Organisation über dem Souverän steht.
„Escrimador sagt: 22.01.2020 um 13:06 Uhr: Trotzdem ist es ein Fehler, wenn die Bundeswehr nicht (z.B. im Zusammenhang mit dem Traditionserlass) „Geschichten“ anbietet, aus denen der Soldat ggf. seine Vorbilder wählen kann. Die vorbildlichen Taten unserer Soldaten werden ja nicht mal wirklich bekannt gemacht.“
Dem kann ich nur zustimmen. Generell ist die Bundeswehr extrem schwach darin, ihre (traditionswürdige) Geschichte nach innen aber vor allem auch nach außen hin zu präsentieren. In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass mit dem neuen Internetauftritt ein erheblicher Informationsverlust einherging. Bisher gab es auf der Heeresseite bis hinunter zu den Bataillonen einen Bereich „Geschichte“, wo man sich (mal mehr mal weniger gut) über die vergangenen Leistungen der Verbände informieren konnte. Dieser scheint nun komplett wegefallen zu sein. Ich hoffe nur, dass das vielleicht irgendwann wieder ergänzt wird.
@ Pete 21.01. 23:01 Uhr
Zustimmung in allen Punkten.
Zitat:
„Wenn die obigen Fragen beantwortet sind, kann man relativ leicht ein Leitbild des idealen Soldatentyps für diese konkrete Armee entwickeln. Das Leitbild ist ja nur eine Idealvorstellung, die dazu dient, allen Vorgesetzten und OrgElementen eine übergeordnete Orientierung bei Auswahl, Ausbildung und „Erziehung“ (ich mag den Begriff eigentlich nicht, weil erwachsene Leute schon erzogen sind) von Soldaten zu geben. “
Ich würde allerdings ergänzen, dass es nicht ausreicht nur ein idealisiertes Leitbild zu entwickeln. Man muss dann anschließend Personen aus der militärischen Vergangenheit, m.M.n aus der Bundeswehr suchen, die dieses Leitbild bereits in der Vergangenheit gelebt haben. Vorbilder muss man personalisieren, abstrakt funktionieren sie nicht !
Abstrakt ist dieses Leitbild etwas für die Sonntagsreden der Politiker. Konkret und personalisiert taugt es als Vorbild für den jungen Soldaten, der in den verschiedenen Lehrgängen und beim Stammtruppenteil in seiner ersten Zeit als Soldat sozialisiert wird.
PS: Wenn man „Erziehung“ als die freiwillige Verhaltensänderung der jungen Soldaten aufgrund von Einsicht, freiwilliger Gefolgschaft, Respekt und Anerkennung ihrer Vorgesetzten, soldatischen Vorbilder usw. definiert, dann funktioniert Erziehung sehr wohl auch noch im Erwachsenenalter.
Hunderttausende von ehemaligen Wehrpflichtigen können dies bestätigen, dass sie nach ihrer Wehrpflicht reifer, erwachsener, disziplinierter, zielstrebiger und oftmals sozialer aufgetreten sind wie vor ihrer Dienstzeit.
M.E. schweift die Diskussion von der Kernthese Herrn Clairs ab. Es geht um die Schaffung einer militärischen Identität für die dienenden Soldaten. das ist in erster Linie eine soziologische Frage, die in mehrere Aspekte aufgeteilt werden muss.
Da gibt es zum einen die äußeren Faktoren, die einen Rahmen vorgeben. Dazu gehört ein Staat mit seiner Verfassung und Gesetzgebung sowie äußerer Symbolik. Für die Soldaten kommt noch der Eid, Gesetze, Vorschriften und Befehle hinzu.
Zum anderen gibt es gesellschaftlich-soziale Faktoren wie Ansehen und Wahrnehmung der Streitkräfte in der Gesellschaft. Und schließlich die sozialen Faktoren innerhalb der Streitkräfte, die sich in Selbstverständnis, Kameradschaft und Tradition äußern.
Probleme haben wir eindeutig in puncto Ansehen und Wahrnehmung in der Gesellschaft, hier gibt es Defizite die aus vielen gründen herrühren. Einer mag mangelnde Berichterstattung in den Medien sein, ein andere die Abschaffung der Wehrpflicht, wahrscheinlich gibt es noch viele gründe mehr.
Andere Probleme bereiten uns das Selbstverständnis und die Tradition. Das Selbstverständnis ist seit der Wiedervereinigung nicht vorhanden, bei der gesellschaftliche Diskurs über die Neuausrichtung der Streitkräfte nicht geführt wurde. Es wurde einfach irgendwie gemacht, dem Großteil der Bevölkerung ist es egal. Mit Gleichgültigkeit gibt es keine Leitlinie, an der sich ein Selbstverständnis ausrichten kann. Über Tradition mag ich gar nicht so viel schreiben, das war schließlich eines der beherrschenden Themen der letzten drei Jahre. Festhalten möchte ich nur, das der Traditionserlass mit seinen sehr engen Grenzen die Bildung einer ebensolchen nicht gerade fördert.
Bei der Pioniertruppe wird oft Fw Boldt hervorgeholt, der hier mit seiner vorbildlichen Pflichterfüllung schon mehrfach erwähnt wurde. Seine Tat war aber eben nicht das Ergebnis von pioniertypischen Aufgaben. Das hätten genau so gut Jäger, Logistiker oder Luftwaffensicherungssoldaten sein können, bei denen sich so etwas ereignet hätte. Genauso oft wird das Beispiel der Düppeler Schanzen aus dem deutsch-dänischen Krieg genannt. Das ist immerhin pioniertypisch, aber dann klafft eine Lücke von rund neunzig Jahren bis zur Gründung der Bundeswehr, die als nicht traditionswürdig angesehen wird. Leider werden die letzten 60 Jahre nicht so kommuniziert, das sich hieraus eine Tradition bilden könnte.
Leider sehe ich hier auch auf absehbare Zeit keine Veränderung, das politische und gesellschaftliche Interesse daran sind einfach nicht vorhanden.