Neues NATO-Kommando in Ulm erreicht ‚Anfangsbefähigung‘ (Nachtrag)
Eines der neuesten Kommandos der NATO, das Joint Support Enabling Command (JSEC) in Ulm, hat seine Anfangsbefähigung erreicht. Etwas mehr als ein Jahr nach dem entsprechenden Beschluss des Bündnisses erklärte die Allianz die Initial Operating Capability für den Stab, der im Krisenfall den Transport von Truppen und Gerät der Allianz in Europa organisieren soll.
Aus der Mitteilung der NATO von (heutigen) Dienstag:
A new NATO command in the German city of Ulm achieved initial operating capability on Tuesday (17 September 2019). The establishment of the Joint Support and Enabling Command is part of NATO’s increased deterrence and defence in response to a changed security environment. The new command will help to speed up, coordinate and safeguard the movement of allied armour and infantry across European borders. … The command in Ulm will ensure NATO can move troops more quickly across Europe in a crisis situation.
Das JSEC ist an das bereits bestehende Multinationale Kommando Operative Führung ebenfalls in Ulm angegliedert. Das multinational besetzte neue Kommando soll bis 2021 die volle Einsatzbereitschaft erreichen; im Friedensbetrieb sind rund 100 Dienstposten vorgesehen, die im Krisenfall auf rund 500 aufwachsen können.
Die Aufgabenbeschreibung der Streitkräftebasis, der das JSEC innerhalb Deutschlands unterstellt ist (in der NATO dem Supreme Allied Commander, SACEUR):
Das Kommandozentrum wird bei Aktivierung im Bündnisfall für Truppen- und Materialtransporte innerhalb Europas zuständig sein und ihren Schutz koordinieren. Bereits auf dem Weg in das Einsatzgebiet und deutlich im Voraus können Planungen zentralisiert und die Aufgaben zum Schutz harmonisiert werden. Die Verantwortung erstreckt sich auf den Verantwortungsbereich des SACEURs und reicht von Grönland bis nach Afrika, Europa und dessen Randmeere.
Nach derzeitigen Vorgaben der NATO wird das JSEC nur in einer krisenhaften Entwicklung hin zu einer drohenden Auseinandersetzung mit einem ebenbürtigen Gegner aktiviert. Dieser Vorgang wird auch als „Maximum Level of Effort“ der NATO (MLE) bezeichnet. Um optimal bei einer Aktivierung agieren zu können, sind bereits zuvor Aufgaben im Frieden zu erfüllen.
Kommandeur des JSEC wie auch des Multinationalen Kommandos Operative Führung ist derzeit Generalleutnant Jürgen Knappe. Der Chef des Stabes, Generalmajor Kai Rohrschneider, war für den Aufbau des JSEC von seinem vorherigen Posten als Stabschef der U.S. Army Europe nach Ulm gewechselt.
Im kommenden Jahr wird das JSEC voraussichtlich richtig gefordert werden – wenn die USA in der Übung Defender 2020 eine komplette Division nach Europa verlegen werden:
In the future, USAREUR will use Exercise Defender 2020 to gather further lessons. Defender 2020 is a Department of the Army-directed, USAREUR-led exercise designed to demonstrate the United States‘ ability to rapidly deploy a division to the European theater. This exercise, the largest in 25 years, will test echelons-above-brigade units in operational-level warfighting and its associated sustainment.
Nachtrag: Mitschnitt der Pressekonferenz in Ulm mit dem stellvertretenden Generalinspekteur, Vizeadmiral Joachim Rühle, und Knappe (Audio: JSEC):
… und die Selbstdarstellung des Kommandos:
20190917-UC-JSEC_GrundlagenArtikel JSEC deu
(Foto: Rühle, l., bei der Übergabe der Fahne des JSEC an Knappe – Bundeswehr via NATO)
1987 verlegte im Rahmen der Übung „Certain Strike“ fast das gesamte 3. US Corps aus Fort Hood/Texas mit 35.000 Soldaten nach Deutschland. Die Übung leitete die NORTHAG. Im Vergleich dazu sind die Aufgaben des JSEC im nächsten Jahr möglicherweise angemessen, vergleichsweise aber bescheiden. Ziele sollten realistisch sein, aber auch ehrgeizig. Der SACEUR wird das berücksichtigen. Hoffentlich wachsen die zu bewegenden Truppenteile deutscherseits schneller als die verschiedenen Kommandobehörden. Es ist ja nicht so, daß wir davon zu wenig haben, sondern umgekehrt.
Och, es ging auch schon mal noch umfangreicher…
When Britain Invaded Cold War Europe…
Das JSEC wird nicht als handelnder Akteur nächstes Jahr bei US Defender auftreten. Das JSEC wird diese Verlegung als Vehikel nutzen um eigene Prozesse und Grundlagen zu überprüfen und ggf. anzupassen und zu überarbeiten. Da es für alle Beteiligten Neuland ist um die Funktionalitäten des JSEC kennenzulernen ist diese Art der Beteiligung bei US Defender gewählt wurden.
@der Taucher
Macht man sich auch bei anderen deutschen Dienststellen schlau, z.B. LogZBw LogKdoBw? Davon ab gibt es in den östlichen (@TW) NATO Mitgliedsstaaten ja die NATO Force Integration Units (NFIU), die schon Vorarbeit geleistet haben sollten.
@Thomas Melber
da das JSEC keine logistischen Aufgaben wahrnimmt…z.Bsp. RSOM Prozess soll weiterhin durch die SJLSG/ JLSG wahrgenommen werden, ist die Kontaktaufnahme mit logistischen Dienststellen eher weniger. Es ist aber eine noch engere Zusammenarbeit mit den Dienststellen vorgesehen, die mit dem HNS beauftragt sind…in erster Linie ist es das KdoSKB als erste Ansprechstelle für den HNS.
Auf NATO Ebene findet, jetzt schon, eine intensivere Zusammenarbeit mit dem JSEC statt um gemeinsame Handlungsfelder zu identifizieren und ein Netzwerk aufzubauen.
[Oh weh. Liefern Sie bitte noch das Abkürzungsverzeichnis nach? T.W.]
@T.W.
sorry… ein wenig in das Bundeswehrsprech verfallen…
SJLSG – Standing Joint Logistic Support Group; zur Zeit bei SHAPE aber wird in Kürze nach Ulm verlegt
JLSG – Joint Logistic Support Group
HNS – Host Nation Support
Ich vermute, das die anderen Abkürzungen bekannt sind ;-)
[Danke, dennoch ergänze ich um Reception, Staging, Onward Movement für RSOM ;-) T.W.]
@TW
Ich setze noch einen drauf: RSOM-I („I“ für „integration“). Sollte die SJLSG nicht schon in Ulm sein?
Nur mal eine Verständnisfrage eines unbedarften Zivilisten:
Kann es sein, dass sich hinter diesen ganzen pretenziösen Begriffen mit von ihrer „jointness“ ganz berauschten „supporting enablern“ schlicht und ergreifen das verbirgt, was man früher einmal „Korps-Stab“ nannte?
Des Weiteren bin ich in meiner Naivität bisher immer davon ausgegangen, dass alle höheren Kommandos auch grundsätzlich in der Lage sind, die Verlegung der unterstellten Truppen zu organisieren. Besitzt die NATO bisher etwa nicht diese Befähigung, oder warum muss man die jetzt mit großem Getöse neu schaffen? Wie gedachte man denn bisher seine Truppen zu verlegen, wenn der große Vaterländische Krieg ausbricht? Vieleicht kann einer der Experten zur Erhellung beitragen. Mir ist in dem Zusammenhang nämlich absolut nicht klar welche neuen Fähigkeiten zur Führung und Verlegung von multinationalen Truppen da aufgebaut werden, die in der NATO-Struktur nicht schon sehr lange zwingend existieren müssten.
@Thomas Melber
der Umzug der SJLSG ist geplant für nächstes Jahr…in der Hoffnung, das die Infrastruktur vorhanden ist. Zur zeit wird eine Containerlösung angedacht in der Hoffnung, das zeitnah eine feste Lösung gefunden wird.
Müsste es nicht „Initial“ heißen?
[Äh ja… der Typo ist aber sonst noch keinem aufgefallen… wird korrigiert. T.W.]
@Zivildienstverweigerer
die Fähigkeiten sind in der NATO schon vorhanden…mit dem JSEC aber werden diese Fähigkeiten erstmals gebündelt und harmonisiert. das heißt, das zukünftig Informationen schneller verfügbar sind und Reibungsverluste vermieden werden sollen. Das ist zumindest die Hoffnung :-).
Die Frage von Zivildienstverweigerer ist auch aus meiner Sicht durchaus berechtigt! Aber ich denke, dass dies auch etwas der regionalen Verschiebungen möglich Einsatzräume nach dem Fall des eisernen Vorhangs zu tun hat: Während zu Zeiten von ReForGer ja faktisch die Truppe nach dem Anlanden im Einsatzraum angekommen war, sind Deutschland und viele andere Länder ja nun aus NATO-Sicht „Transitländer“. Und da macht es sicher Sinn, ein Kommando aufzustellen, dass diesen Transit organisiert: Ansprechpartner zivil und den Raum kennen und beherrschen. Die durchmarschierende Truppe kann dieses dann als Dienstleister nutzen, und sich organisatorisch auf die eigene Kernaufgabe „vorne“ konzentrieren. ABER: So ein Kommando ist im Falle eines Falles sicher auch schnell ausgeschaltet („Hochwertziel“?) – und dann muss die Truppe ihren Transit selber organisieren (können)!
Und (sarc on) es müssen ja irgendwie die ganzen Dirigenten ihre Berechtigung haben, wenn die Spieler schon nicht mehr werden. Vielleicht ist es ja auch so gedacht, dass die oberste Führung „im Saft“ gehalten wird, und wir bei einem ggf. notwendigen Aufwuchs dann schon eine qualitativ und quantitativ einsatzfähige Führungsebene haben?! (Sarc off)
@T.Wiegold
GM Rohrschneider ist NICHT wegen dem Aufbau des JSEC nach Ulm versetzt worden, sondern er hat dort routinemäßig den Chef des Stabes des MN JHQ ersetzt (GM Habersetzer).
Der Director des JSEC unter GL Knappe ist der NLD BG Solkesz. GM Rohrschneider ist DCOM
@JMWSt
Der Aufbau des JSEC hat vor ca. einem Jahr begonnen. Dabei wurde ein OP Concept auf der Grundlage des Auftrages entwickelt.
Der Anfangsauftrag war, nach Aktivierung durch die NATO (auf dem Weg von BACO zu MLE), die Koordinierung der Rear Area unter Berücksichtigung souveräner Staaten, zu übernehmen. Jetzt hat man festgestellt, dass diese Koordinierungsaufgabe viel früher stattfinden muss, denn schon in BACO (Basline Activities Current OPs) ist dies mehr als notwendig (u.a. auch zum Knowledge Development – u.a. Erfassen der Grunddaten).
Die NATO hat jedoch nur einen gewissen Personalbestand dazu genehmigt und jetzt stellt man fest, dass dieser nicht ausreicht.
Bestreben ist es jetzt, diesen zu erhöhen!
Sarc on – Viel Spaß dabei – Sarc off
Weiterhin sollte man gespannt sein, wie sich die InfraFragen und IT Herausforderungen im Dschungel der überdimensionierten BMVg Administration regeln lassen.
hier geht noch einiges durcheinander:
– die NATO verfügt bis auf wenige Ausnahmen (bspw: NAEW&CF mit E3-A) über kein eigenes militärisches Personal/Material – benötigte Ressourcen werden im Einklang mit dem NATO-Vertrag und bilateraler Abkommen/Verträge durch die beteiligten Nationen bereitgestellt … oder auch nicht.
– man muss schon etwas weiter in der Geschichte der Sicherheitspolitik zurückgehen, um ähnliche Unterstützungsorganisationen zu finden, die den Einsatz alliierter Kräfte in Deutschland ermöglichten: Territorialkommando NORD, SÜD, SCHLESWIG-HOLSTEIN. Alle drei Kommandos wurden 1994 aufgelöst.
– da das JSEC für den Schutz und die Absicherung, die Koordination von Truppen- und Materialbewegungen sowie die Ausbildung und die Aufnahme der eingebundenen Kräfte verantwortlich zeichnet und im Vergleich das TerrKdoNord als unmittelbarer Ansprechpartner der NATO Northern Army Group (NORTHAG) agierte und dabei an der Koordinierung von militärischen Vorhaben im Bereich der Territorialen Verteidigung mit den Streitkräften Großbritanniens, Belgiens und der Niederlande beteiligt war (man vergisst bei dieser Aufzählung oft die USA mit deren Reservekräften), gibt es zwischen JSEC und den ehemaligen TerrKdo im Aufgabenbereich durchaus Parallelen.