Drei Monate für eine Fliegerkombi: Wehrbeauftragter beklagt Bürokratie in der Bundeswehr (O-Töne Bartels, von der Leyen)

Bis zu drei Monaten Wartezeit für eine neue Fliegerkombi. Ein hochmoderner Schützenpanzer, bei dem die Soldaten nicht zu groß sein dürfen – aber auch nicht zu klein. Leere Übungshäuser für den Ortskampf mit maximal sechs Geschossen (Foto oben), sonst wäre ein Aufzug nötig. Zwölf Dienststellen, die für die Betreuung des – betagten – Kampfjets Tornado zuständig sind: In seinem jüngsten Jahresbericht hat der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, eine überbordende Bürokratie in den Streitkräften als ein wesentliches Problem in den Vordergrund gestellt.

Natürlich enthält der 126 Seiten umfassende Bericht, den Bartels am (heutigen) Dienstag dem Parlament übergab (Bundestagsdrucksache 19/7200), wie in den Vorjahren die Hinweise auf Probleme beim Umgang mit Personal und Beförderung, auf Mängel bei Ausrüstung und Verfügbarkeit von Großgerät. Gezielt nannte der Wehrbeauftragte diesmal aber gleich zu Beginn Probleme, die sich Verteidigungsministerium, nachgeordnete Behörden und die Bundeswehr selber einbrocken – durch unüberlegte Vorschriften, die gedankenlose Übernahme von zivilen Regelungen und durch ein Absicherungsdenken im Apparat.

Verantwortungskultur in Zeiten der Überorganisation, überschrieb Bartels seine Anmerkungen zum Bericht vor der Bundespressekonferenz. Ein Sofortprogramm vor allem im Bereich der Beschaffung wäre gut, und viele Probleme seien aus den Vorjahren bekannt – ohne dass sich bislang wirklich etwas ändern würde. Ich würde gern berichten: Es ist Frühling, alles wird neu, sagte der Wehrbeauftrage. Aber die Wahrheit lautet: Es ist immer noch Winter. Immerhin gibt es jetzt Pläne für den Frühling, etwa das neue Fähigkeitsprofil.

Bartels‘ Pressekonferenz im Audio zum Nachhören:

BPK_Wehrbeauftragter_29jan2019     

 

(Schwankungen in der Tonqualität – am Anfang zu laut, dann bisschen leise – bitte ich zu entschuldigen)

Dabei, das machte der Wehrbeauftragte auch deutlich, liegt viele der aufgezeigten Probleme nicht an mangelnden Mitteln für die Truppe: Am fehlenden Geld muss nichts mehr scheitern. Jedenfalls wenn das Koalitionsziel mit 1,5 Prozent vom BIP bis 2024 Bestand hat.

Die Beispiele im aktuellen Bericht dürften vielen Lesern von Augen geradeaus! bekannt sein, und hier im Blog gibt es ja auch immer wieder Details dazu. Den ganz normalen bürokratischen Wahnsinn in den Streitkräften haben Bartels und seine Mitarbeiter aber anschaulich zusammengestellt.

Wie das Engpassmanagement für Fliegerbekleidung. Den Verfahrensweg zeichnete ein (Heeres)Soldat dem Wehrbeauftragten gleich mit einer passenden Skizze zur Verfügung auf:

1.) Antragsteller erstellt Antrag (digital)
2.) Materialbewirtschaftungsfeldwebel der Einheit prüft Antrag (gem. Bekleidungs- und Ausrüstungsnachweis)
3.) S4 Abt [Logistik) Verband prüft Antrag
4.) Division Abt G4 prüft Antrag
5.) Kommando prüft Antrag
6.) Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) entscheidet über Antrag
7.) Bundeswehr-Bekleidungsmanagement liefert aus an zuständige Servicestation
8.) Kommando Heer informiert Division Abt G4
9.) Division Abt G4 informiert Antragsteller

… und schon nach bis zu drei Monaten hat der Pilot oder Bordmechaniker eine neue Fliegerkombi.

Der Bericht selbst stellt genügend solcher Skurrilitäten anschaulich dar, deshalb nur noch ein paar Fundstücke: Im vergangenen Jahr war bekannt geworden, dass die künftigen Panzergrenadiere nicht mehr größer sein dürfen als 184 Zentimeter – sonst passen sie nämlich nicht mehr in den Puma, den laut Bundeswehr modernsten Schützenpanzer der Welt. Allerdings dürfen die Soldaten und vor allem Soldatinnen wiederum auch nicht zu klein sein: Ein Ausbilder machte darauf aufmerksam, dass gleichfalls Probleme für kleine Soldatinnen und Soldaten bestehen, die auf dem PUMA ausgebildet werden. Die persönliche Ausrüstung der Panzergrenadiere „Infanterist der Zukunft ES GLADIUS“ sei für sie zu schwer und sperrig und schränke ihre Beweglichkeit ein.

Ausnahmeregelungen für die Streitkräfte gibt es durchaus, man muss allerdings auch von ihnen Gebrauch machen. Und manches militärspezifische Regelungsdetail sollten verantwortliche Vorgesetzte lageabhängig für verzichtbar erklären, wenn ihr Widersinn offensichtlich ist, forderte der Wehrbeauftragte und hatte auch dafür gleich ein Beispiel parat: als ein Kommandeur mit seinem Führerkorps zum Teambuilding ein Ferienhaus anmietete, musste die Küche erst einmal auf die hygienischen Bedingungen überprüft werden – von einem Bundeswehr-Veterinär. Und die neue Übungsstadt Schnöggersburg in der Altmark hat keine Gebäude, die höher als sechs Stockwerke sind – sonst hätte nämlich nach den Bauvorschriften in die unbewohnten, unmöblierten Häuser für den Ortskampf auch ein Aufzug eingebaut werden müssen.

Neben den alltäglichen, immer dichter werdenden Regelungen gibt es jedoch auch strukturelle Probleme, die unter Umständen sogar die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gefährden. Dass zwölf verschiedene Dienststellen, vom Luftfahrtamt der Bundeswehr bis zum Zentrum Elektronischer Kampf in Kleinaitingen für die technische und elektronische Betreuung des Tornados zuständig sind, erleichtere den Einsatz des Kampfjets nicht: Es erscheint schwer vorstellbar, dass die technische Komplexität des seit den 70er Jahren altver- trauten TORNADO-Projektes durch die wachsende Komplexität der militärischen Betreuungsstruktur beherrschbarer wird, mahnte der Wehrbeauftragte.

Abhilfe scheint da allerdings ebenso wenig in Sicht wie bei einem Grundproblem, mit dem sich die Truppe seit fast zwei Jahrzehnten herumschlagen muss: Ohne die für das Managemnt von Wartung und Betrie genutzte Software des deutschen Herstellers SAP, eingeführt unter der Bezeichung SASPF, fährt und fliegt nichts. Aus dem Bericht:

Während eines Truppenbesuches in Nörvenich kritisierten Soldaten, der Flugbetrieb des Waffensystems EUROFIGHTER werde durch die Benutzung von SASPF eingeschränkt. Bei Serverwartungen müsse der Flugbetrieb vollständig eingestellt werden. Darüber hinaus würden die Dokumentationspflichten in SASPF die Hälfte des Arbeitsalltags ausmachen. Insgesamt sei man abhängig von einem System, dessen Zusatznutzen in keinem Verhältnis zum Zusatzaufwand stehe. Auch das auf SASPF-Basis arbeitende nationalisierte Engineering Support System erfordere einen erheblichen administrativen Aufwand. Ohne das Einverständnis dieses Systems dürften die am Boden befindlichen und eigentlich nach Checkliste für flugtauglich befundenen Flugzeuge nicht starten.

Die technischen Probleme bei diesem Kampfjet, warnte der Wehrbeauftragte, seien auch ein offensichtlicher Grund für eine Kündigungswelle unter Eurofighter-Piloten im vergangenen Jahr.

Natürlich nehmen wie jedes Jahr die Probleme bei der Personalgewinnung in Bartels‘ Bericht breiten Raum ein – aber auch dort findet der Wehrbeauftragte selbstgemachte Probleme: Während beispielsweise an einem Gymnasium die Schulleitung zusammen mit dem Sekretariat und dem Hausmeister nur wenige Personen umfasst, leistet sich die Bundeswehr für jede ihrer Truppenschulen einen ganzen Stab mit allen Stabsabteilungen von Personal bis IT. Bedarf es wirklich der gleichen Struktur wie in einem Kampfbataillon, um an einer Truppenschule zu guten Ergebnissen zu gelangen?

Dabei, warnt der Wehrbeauftragte, muss sich die Bundeswehr darauf einstellen, in den nächsten Jahren angesichts geburtenschwächerer Jahrgänge noch schwerer an Freiwillige für den Dienst in der Truppe zu kommen – und könne den Schwund nach Dienstantritt schon jetzt kaum verkraften: Von den eingeplanten Bewerberinnen und Bewerbern haben im Jahr 2017 zwei Prozent ihren Dienst gar nicht erst angetreten, weitere 18 Prozent haben innerhalb der ersten sechs Dienstmonate von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht. Von weiteren zwei Prozent hat sich die Bundeswehr selbst innerhalb der ersten sechs Dienstmonate getrennt. Insgesamt verliert die Bundeswehr somit allein 22 Prozent der eingestellten Soldatinnen und Soldaten gleich am Anfang wieder.

Bartels wies auch auf einen wunden Punkt hin, der hier bei den regelmäßigen Statistiken zur Personalstärke auch immer wieder Thema ist: Einen nicht unerheblichen Teil ihres Aufwuchses in jüngster Zeit erreichte die Bundeswehr schlicht dadurch, dass eigentlich ausscheidende Zeitsoldaten doch länger blieben. Vertragsverlängerung ist das Heilmittel für die wachsende Bundeswehr, warnte der Wehrbeauftragte. Das könne aber nur für eine begrenzte Zeit funktionieren.

Ehe es zu ausführlich wird: Der komplette Bericht steht im Internet und enthält noch viel mehr Details. Deshalb nur noch eine der süffisanten Anmerkungen aus dem Bericht im Kapitel zur Ausstattung mit Ausrüstung und Bekleidung für den Einsatz:

Die Bundeswehr muss bei der Steuerung und Kontrolle der eigenen Warenströme besser werden. Es ist peinlich, wenn man im 21. Jahrhundert nicht in der Lage ist, über ein leicht bedienbares Materialverwaltungssystem die Zu- und Abgänge sowie den Schwund zu erfassen, um übersichtlich anzuzeigen, was nachzubestellen ist. Dieses System muss nicht kompatibel mit der Flugplanungssoftware des EUROFIGHTER sein.

Zur Ergänzung: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nahm – ohne Fragemöglichkeit – zu dem Bericht des Wehrbeauftragten Stellung; das Audio aus dem Ministerium:

vdL-Statement_Bericht_Wehrbeauftragter_29jan2019     

 

(Archivbild: Richtfest und Teilübergabe der Übungsstadt „Urbaner Ballungsraum Schnöggersburg“ auf dem Bundeswehr-Truppenübungsplatz Altmark am 26.Oktober 2017)