Bundeswehr-Generalinspekteur: Konkrete Zusammenarbeit, Europa-Idee als langfristige Vision

Eine echte europäische Armee, wie sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in den vergangenen Tagen erneut vorgeschlagen hat, wird nach Ansicht von Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn noch auf Jahrzehnte eine Vision bleiben. Realistischer sei derzeit eine Armee der Europäer, die durch die Zusammenarbeit der Streitkräfte europäischer Länder bereits Gestalt annehme, sagte Zorn am Sonntag im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Darauf sei der Kontinent angesichts der latenten Bedrohungsgefahr in seinem Umfeld auch angewiesen.

Der General, seit gut einem halben Jahr oberster Soldat der Bundeswehr, verwies darauf, dass die gemeinsame Arbeit der Europäer auf militärischem Gebiet schon auf vielen Feldern und in der Kooperation verschiedener Länder heute schon Realität sei. Möglich sei auch eine Verbesserung der Kommandostrukturen und eine engere Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten.

Aber das Thema einer tatsächlichen Europaarmee setzt ja viel mehr voraus. Es setzt ja eine Gesamtstaatlichkeit voraus. Es setzt voraus, dass die Staaten Souveränitätsrechte abgeben an eine übergeordnete Organisation in erheblichem Umfang und dann natürlich auch von ihren Streitkräften her eine Europaarmee darunter setzen. Das sehe ich eher visionär.

Zorn wandte sich in dem Interview auch dagegen, die derzeitige Lage in Europa zunehmend mit der Situation des Kalten Krieges zu vergleichen. Es gebe keine Blockkonfrontation mehr, was aber nicht bedeute, dass die Bedrohungen weniger geworden seien:

Ich bin von der Bedrohungslage her insoweit besorgt, dass wir tatsächlich weggekommen sind von den beiden Blöcken des Kalten Krieges und wir heute tatsächlich an vielen Stellen lodernde Feuer haben – ich formuliere das auch mal so –, die tatsächlich eine latente Bedrohungsgefahr um uns herum, um Europa herum schüren. Das ist eine Situation, die militärisch auch schwierig ist, die uns abverlangt, viel breiter zu denken, nicht in Blockkonfrontation der alten Zeit, sondern mit einem 360-Grad-Blick um uns herum. Es ist aber auf der anderen Seite der internationale Terrorismus, der sich ja von Afghanistan bis nach Afrika ausdehnt. Und es ist die Cyberbedrohung. Das sind für mich die drei Bereiche, die wir militärisch heute ins Auge fassen müssen.

Bei seinen – oft unangekündigten – Truppenbesuchen in der Bundeswehr habe er als Hauptproblem feststellen müssen, dass die militärische Führung in den Verbänden und Einheiten durch zunehmende Regelungsdichte eingeschränkt werde, räumte der Generalinspekteur ein. Zusammen mit dem weiterhin fehlenden Material sei das ein wesentlicher Hemmschuh für die Truppe:

Das ist natürlich so, dass wir natürlich aus dem Ministerium heraus immer wieder Weisungen nach unten geben, die genau regeln, wie der Dienstalltag sein soll. Das verdichtet sich über die vielen Jahre, sodass man dann tatsächlich eine Summe von Vorschriften hat, die der Vorgesetzte eigentlich zu berücksichtigen hat. Wir verfolgen aber seit Jahren traditionell das Feld der Auftragstaktik. Das heißt, wir sagen jemandem, was ist das Ziel, wo willst du hin. Also, im zivilen Umfeld würde man Zielvereinbarung sagen. Die schließen wir und lassen ihm dann den Weg aber frei. Und da müssen wir wieder viel stärker hinkommen. Also, wir haben ihm teilweise den Weg sehr eingeengt, dem Vorgesetzten. Diesen Handlungsspielraum will ich den Leuten gerne wiedergeben.

Bei der Finanzierung der Ausrüstung habe die Bundeswehr in den vergangenen Jahren den Schwerpunkt auf die Auslandseinsätze gelegt, sagte Zorn: Wir haben für die Auslandseinsätze eine ausgezeichnete Ausrüstung, die ist wirklich spitzenmäßig, auch im weltweiten Vergleich. Vom Schutzfaktor her der Fahrzeuge sind das die besten, die es weltweit gibt. 

Zugleich seien durch Sparmaßnahmen in der Grundstruktur der Bundeswehr Lücken entstanden, weil Einheiten und Verbände zwar aufgestellt seien, aber weder beim Personal noch beim Material vollständig ausgestattet wurden. Das lasse sich nicht so schnell umschalten wie nötig: Das muss jetzt wieder aufgefüllt werden mit Blick nach vorne.

Allerdings, räumte Zorn ein, bleibe es bei der inzwischen geltenden Gleichrangigkeit von Auslandseinsätzen und Landes- und Bündnisverteidigung. Davon Abschied zu nehmen und nur noch Verteidigungsaufgabe zu bedienen, würde der Truppe aber auch kaum helfen: Wenn ich dort jetzt einen Einsatz wegnähme, dann würde mich das im Kontext einer Panzerkompanie nicht unbedingt weiter nach vorne bringen.

(Foto: Inga Kjer/photothek.de)