Dokumentation: Die Bundesregierung zur Wehrpflicht-Debatte
Die am vergangenen Wochenende von der CDU aufgeworfene Debatte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht war am (heutigen) Montag natürlich auch eines der großen Themen der Bundespressekonferenz. Zur Dokumentation dazu die Aussagen von Jens Flosdorff (Verteidigungsministerium), Andreas Audretsch (Familienministerium), Eleonore Petermann (Innenministerium), Josephine Steffen (Justizministerium), Doris Berve-Schucht (Gesundheitsministerium) sowie der stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer:
Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Flosdorff. Am Wochenende ist, angestoßen durch Frau Kramp-Karrenbauer, die Diskussion über eine Reaktivierung des Wehrdienstes, wahlweise über eine Dienstpflicht, aufgekommen. Ich würde gerne wissen: Wie wird das in Ihrem Ministerium aufgenommen? Wie ist die Haltung dazu? Vor allem: Was würde eine Umsetzung „on the ground“ bedeuten, sprich: Ausrüstung, Unterkunft, Ausbildung? Wäre man überhaupt dafür gerüstet? Würden dann nicht viel zu viele kommen, nämlich ungefähr zehnmal so viele, wie man braucht?
Flosdorff: Ich bitte vorweg schon einmal um Verständnis, dass ich diese ganzen Detailfragen hier in der Kürze der Zeit selbstverständlich nicht werde ausräumen können, zumal ja auch gar nicht wirklich klar ist, wie am Ende dann der Zuschnitt oder wie die Voraussetzungen des Modells überhaupt sein sollen, das im Augenblick vornehmlich auf parteipolitischer Ebene in der Diskussion ist. Ich kann Ihnen aber gerne trotzdem ein paar Worte dazu sagen.
Die Ministerin ist der Meinung, dass die Debatte um ein allgemeines Dienstjahr gut und wichtig ist, vor allem weil sie den Blick auf ein paar wichtige Themen lenkt, die sowohl für die Gesellschaft als auch für die Bundeswehr eine enorme Bedeutung haben.
Gestatten Sie mir vorweg die Bemerkung: Aus der Sicht der Ministerin geht es bei dieser Debatte um ein allgemeines Dienstjahr nicht um ein Wiederaufleben der alten Wehrpflicht und auch nicht um eine Diskussion, die auf ein kurzfristiges Ergebnis zielt. Für sie sind vordringlich in der aktuellen Regierungsarbeit für die Bundeswehr die eingeleitete Modernisierung des Materialparks, moderne, konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen für Fachkräfte, die heute in der Truppe dienen, sowohl zivil als auch militärisch, sowie eine verlässliche, auskömmliche Finanzausstattung, die auch den gestiegenen Anforderungen an die Bundeswehr Rechnung tragen, darüber hinaus, mit Blick auf Europa, auch die europäische Vernetzung unserer Verteidigung.
Trotzdem ist das eine sehr hilfreiche und sehr gute Diskussion, aus der auch die Bundeswehr ihren Profit ziehen kann, und zwar aus mehreren Gründen: Sie lenkt den Blick auf den hohen Mehrwert, den das Engagement von jungen Menschen für den Staat, sowohl für das eigene Leben als auch für unsere Gesellschaft insgesamt, birgt, wenn sie sich für einen begrenzten Zeitraum ihrem Land zur Verfügung stellen. Das tun die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Übrigen jeden Tag mit Bravour.
Die Ministerin begrüßt auch den Grundgedanken, der hierdurch angesprochen worden ist. Man muss immer wieder überprüfen, wenn wir Berufe und Aufgaben in unserer Gesellschaft haben, die einen besonderen Wert darstellen, ob die Anreize dafür stimmen. Ist das attraktiv genug, insbesondere vor dem Hintergrund eines boomenden Arbeitsmarktes? Auch da müssen wir nachjustieren. Da ist in der vergangenen Legislaturperiode schon einiges passiert. Wenn Sie in den Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode schauen, dann werden Sie sehen, dass schon vieles dort angelegt worden ist. Es gibt deutliche Verbesserungen, sowohl für die militärischen als auch für die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr.
Ein Engagement – egal, ob es bei der Bundeswehr oder in anderen Einrichtungen ist, die eine besondere Bedeutung in unserem Land haben – sollte nicht nur mit Dank und Anerkennung einhergehen, sondern mit ganz handfesten persönlichen Vorteilen für die jungen Menschen, die sich diesen Aufgaben stellen.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie haben gefragt, wie die Grundbedingungen heute bei der Bundeswehr sind. Natürlich muss man bei dieser ganzen Diskussion beachten, dass sich die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren deutlich verändert hat, beispielsweise die Aufgaben für junge Soldatinnen und Soldaten. Ein Großteil der Truppe ist heute auf hochprofessionelle Einsätze in internationalen Bündnissen eingestellt. Allein der Umgang mit Hightechausrüstung erfordert mehrere Jahre Übung und Training.
Wir sind in der Bundeswehr schon heute in der Lage, bis zu 12 500 Stellen für einen freiwilligen Wehrdienst zur Verfügung zu stellen. Diese sind in den vergangenen Jahren immer in einer Größenordnung von etwa 8500 Stellen befüllt worden, was im Moment, in der derzeitigen Lage für die Bundeswehr, für die Rekrutierung und Nachwuchsgewinnung als ausreichend befunden wird. Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass sich die Situation für uns in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird, allein schon weil die Demografie so ist, wie sie ist. Wenn sich die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt weiter so entwickeln, besteht natürlich das Erfordernis, dass wir uns weiter bemühen, im Verhältnis zu anderen Arbeitgebern immer noch attraktiver und konkurrenzfähiger zu werden. Dem gilt im Moment die Hauptaufmerksamkeit.
Zusatzfrage: Verstehe ich Sie dann richtig, dass die Freiwilligkeit eher das Ziel ist als zum Beispiel ein Modell à la Schweden, nämlich alle werden gemustert, und die Bundeswehr nimmt sich dann diejenigen, die am besten passen?
Flosdorff: Ich rate dazu, sich auch die Modelle, die in anderen Ländern gelten, einmal genauer anzuschauen. Bei genauerer Betrachtung wird auch in Schweden nur derjenige gezogen, der freiwillig zu den Streitkräften kommt. So sind zumindest die Informationen, die wir direkt von dem schwedischen Verteidigungsministerium erhalten. Aber natürlich kann man immer über Modelle nachdenken, die die Basis derer, die dann kommen, verbessern und vergrößern.
Im Moment bekommen wir für etwa 25 000 bis 30 000 Stellen in der Bundeswehr 125 000 Bewerbungen. Das Verhältnis von 1 zu 16 bei den zivilen Berufen, die wir ausschreiben, ist sehr gut. Bei den Soldatenberufen haben wir ungefähr doppelt so viele Bewerber, wie wir Stellen brauchen. Das heißt nicht, dass wir alle Stellen besetzen können. Natürlich gibt es bei uns, wie auch bei allen anderen Arbeitgebern in Deutschland, viele Engpässe in Mangelberufen. Manchmal dauert ist viele Jahre, bis man die Menschen bis dahin ausgebildet hat, bis wir auf diesen hoch spezialisierten Stellen, die wir heute in der Mehrzahl haben, die geeigneten Menschen sitzen haben.
Audretsch: Die andere Seite der Debatte – dies hat der Kollege gerade schon angesprochen – ist die Frage nach Engagement und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Über 30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland – das ist eine sehr hohe Zahl – und übernehmen damit Verantwortung. Diesen Menschen gebührt – das einmal vorweggeschickt – größter Respekt für die Arbeit, die sie für die Gesellschaft leisten.
Wir freuen uns sehr, dass es nun eine Debatte darüber gibt, wie wir zivilgesellschaftliches Engagement weiter stärken können. Diese Debatte ist absolut notwendig. Wir führen diese Debatte schon sehr lange. Auch die Ministerin führt diese Debatte schon sehr lange. Ministerin Giffey hat sich immer wieder dafür ausgesprochen, dass es gut ist, wenn sich vor allem Jugendliche, aber auch Menschen in einem anderen Alter, dazu verpflichten, soziale Tätigkeiten über ein Jahr hinweg zu übernehmen. Das fördert die Entwicklung jedes Einzelnen. Das fördert aber auch den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt.
Viele Menschen engagieren sich schon heute, indem sie sich ein Jahr verpflichten. Rund 100 000 Menschen, vor allem junge Leute, leisten einen Freiwilligendienst. Da sind der Bundesfreiwilligendienst, das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr, die Internationalen Freiwilligendienste und der Andere Dienst im Ausland zu nennen. Darüber hinaus fördern wir mit dem Programm „Demokratie leben!“ Ehrenamt und freiwilliges Engagement.
Im Kern machen wir das, worüber jetzt debattiert wird, schon seit vielen Jahren intensiv: Wir kümmern uns um diejenigen, die sich in dieser Gesellschaft kümmern.
Der Bundesfreiwilligendienst hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Erfolgsgeschichte entwickelt. Rund 320 000 Freiwillige haben sich seit dem 1. Juli 2011 für einen Einsatz im Bundesfreiwilligendienst entschieden. Die Tendenz ist steigend. Aktuell, im Juli 2018, engagieren sich bundesweit knapp 40 000 Männer und Frauen freiwillig im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes.
Die Debatte, wie wir mehr Solidarität in der Gesellschaft herstellen können, begrüßen wir. Zu ganz konkreten Konzepten, wie sie gerade mannigfaltig, vor allem auch im parteipolitischen Raum, in den Ring geworfen werden, würden wir uns heute im Detail noch nicht äußern.
Frage: Ich habe eine Frage an das Justizministerium und hilfsweise auch an das Innenministerium. Die Debatte geht ja nicht um ein freiwilliges Dienstjahr, sondern um ein verpflichtendes Dienstjahr. Da gibt es verfassungsrechtliche und europapolitische Bedenken, dass zum Beispiel Zwangsarbeit verboten ist usw. Wie sehen Ihre Ministerien diese Rechtsfragen? Wie stehen Sie allgemein zu den Vorschlägen eines verpflichtenden Dienstjahres?
Petermann: Ich kann gerne beginnen. – Die Frage ist in der Tat, ob dieser Pflichtdienst erstens nach unserem Grundgesetz und zweitens auch europarechtlich zulässig wäre. Er wäre freiwillig ohne Weiteres zulässig und bedürfte auch keiner Grundgesetzänderung.
Sollte aber eine Verpflichtung dazu beabsichtigt sein, dann stellt sich schon die Frage, ob dies mit dem Grundgesetz noch vereinbar ist, insbesondere mit Artikel 12 Abs. 2 des Grundgesetzes, was grundsätzlich den Zwang zu einer bestimmten Arbeit verbietet. Möglich wäre dies in einem ganz engen verfassungsrechtlichen Rahmen, wenn es eine herkömmliche, allgemeine oder für alle gleich geltende öffentliche Dienstleistungspflicht wäre. Eine Deichschutzpflicht oder eine Nothilfepflicht wären beispielsweise so etwas. Man könnte auch an eine Feuerwehrpflicht denken. Als Pflichtdienst wäre das wahrscheinlich nur in einem sehr engen Rahmen möglich.
Zusatzfrage: Wenn ich das richtig interpretiere, haben Sie eine große Skepsis, dass dieser Vorschlag überhaupt umsetzbar ist.
Petermann: Zumindest müsste das verfassungsrechtlich sehr gründlich geprüft werden. Die Problemfelder habe ich aufgezeigt.
Zusatzfrage: Das Justizministerium sieht das ähnlich?
Steffen: Genau. Als anderes Verfassungsressort können wir uns dem natürlich nur anschließen. Da ist jetzt einfach eine Debatte im politischen Raum. Ich denke, es ist zum jetzigen Zeitpunkt absolut zu früh, irgendwelche Prognosen darüber abzugeben. Wenn uns etwas Konkretes dazu vorgelegt wird, werden wir das natürlich gerne prüfen.
Frage: Ich habe noch eine Frage zum Thema Dienstpflicht, allerdings an das Gesundheitsministerium: Wäre eine solche Dienstpflicht überhaupt geeignet, beispielsweise den Pflegenotstand abzufedern? Wie steht Ihr Haus dazu?
Berve-Schucht: Danke schön für die Frage. – Ich möchte darauf hinweisen, dass das im Moment noch eine parteipolitische Debatte ist und wir uns als BMG zu der Ausgestaltung nicht äußern können. Aber sicher – Sie haben es angesprochen -: Es gibt natürlich einen Mangel an Pflegekräften bei uns. Insofern wäre es möglicherweise ein positiver Effekt, wenn junge Menschen auf diese Weise an Pflegeberufe herangeführt werden.
Frage: Herr Flosdorff, vielleicht noch einmal zwei kurze Fragen zur Bundeswehr. Erstens. Sie haben sich relativ zurückhaltend geäußert. Heißt das, dass die Ministerin die Debatte zwar gut findet, sich aber selbst, auch wenn es über eine Dienstpflicht kommen würde, davon gar keinen Vorteil verspricht?
Die zweite Frage: Sie haben die Zahlen für diejenigen genannt, die im Moment freiwillig Wehrdienst leisten. Habe ich das richtig verstanden, dass diese Zahlen für die Bundeswehr ausreichend sind? Sie braucht also im Moment gar nicht mehr?
Flosdorff: Um hinten anzufangen: Für den Moment ist das auskömmlich. Das ist eine stabile Bewerberlage, die über die vergangenen Jahre hinweg relativ konstant gewesen ist. Uns ist aber klar, dass es von Jahr zu Jahr immer schwieriger werden wird, diese Zahlen zu generieren. Deswegen ist die Ministerin – das ist aber auch bekannt – schon seit vielen Jahren auch darum bemüht, die Attraktivität unserer Arbeitsbedingungen bei der Bundeswehr zu verbessern. Das reicht von der Flexibilisierung von Arbeitszeiten über das Schauen darauf, wie die Versorgung ist und was man bei der sozialen Absicherung verbessern kann, bis hin zur Einrichtung der persönlichen Ausstattung und Unterkunftsmöglichkeiten, also all das, was im zivilen Berufsleben irgendwie auch zählt. Natürlich wissen wir, dass wir da andere Kuratelen haben, dass der Soldatenberuf ein ganz besonderer Beruf ist und dass es dort Härten gibt, die mit denen in anderen Berufen nicht vergleichbar sind. Das gilt natürlich nicht für die Einsätze. Umso mehr fühlen wir uns bemüht, uns da zu engagieren, und da gibt es ein gesamtes Gesetzespaket, das jetzt auch wieder im Koalitionsvertrag angelegt worden ist und das in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden soll. Das ist wirklich noch einmal eine ganze Summe an Verbesserungen, die da kommen wird. Es ist ein kontinuierlicher Prozess.
Natürlich haben wir irgendwie ein hohes Interesse daran, dass sich die Basis derer, die in Erwägung ziehen, zur Bundeswehr zu kommen, und sich vielleicht auf einen in der Spitze, wenn wir es denn ausschöpfen würden, 12 500 Plätze für den freiwilligen Dienst bewerben – – – Dann wäre das natürlich positiv. Allerdings warne ich davor, das jetzt als das einzige Eintrittstor in die Bundeswehr zu begreifen. Die Vielzahl von Bewerbungen generieren wir auch außerhalb des freiwilligen Wehrdienstes in der Bundeswehr. Das sind Querwechsler, die aus zivilen Berufen kommen und dann eine militärische Ausbildung nachholen. Die kommen in die Zivilberufe hinein. Es gibt also viele Wege, die in die Bundeswehr führen.
Wir erweitern das auch ständig; Sie haben es vielleicht jetzt bei der Aufstellung unserer Cybereinheiten mitbekommen. Auch da haben wir noch einmal weitere Erleichterungen auf den Weg gebracht. Da senken wir auch die Hürden. Wir zeigen uns flexibel, was Altersgrenzen angeht. Genauso wie die zivilen Arbeitgeber auch lassen wir uns da etwas einfallen. Aber wir müssen schauen: Wie können wir attraktiv bleiben? Können wir irgendwie auch dadurch, dass wir die Rahmenbedingungen verbessern – dabei sind wir auch wirklich auf Unterstützung der Politik, des Parlaments, des Gesetzgebers und insbesondere des Haushaltsgesetzgebers angewiesen -, so attraktiv bleiben, dass die Bundeswehr auch in den nächsten fünf, zehn oder 20 Jahren ihren Aufgaben nachkommen kann?
Ich habe es auch noch einmal gesagt: Das Personal ist im Moment ein wichtiges Thema für uns. Aber die konkreten, in der akuten Regierungsarbeit wichtigen Themen – – – Es ist ein mittelfristiges Thema: Wie gehen wir mit dem Personal um? Wie können wir das Personal rekrutieren? – Ebenso wichtig ist: Wir müssen bei der eingeleiteten Modernisierung des Materialparks vorankommen. Wir müssen die Arbeitsbedingungen anpassen, Jahr für Jahr für Jahr. Wir müssen eine auskömmliche Finanzausstattung haben – da ist noch einiges zu tun -, und wir müssen vor allem – das Szenario der Sicherheitslage verändert sich ja auch weiter – mit der europäischen Vernetzung in Bezug auf Zukunftsthemen wie zum Beispiel dem Cyberthema oder dem Thema der hybriden Kriegsführung weiterkommen. Das sind alles ganz wichtige Felder, die mit im Fokus stehen.
Frage: Herr Flosdorff, ich würde gerne noch einmal nachfragen; vielleicht habe ich es einfach nicht verstanden. Die Ministerin findet die Idee – darüber war ja am Wochenende auch gesprochen worden, zumindest von einigen – einer Wiedereinführung der Wehrpflicht generell nicht sinnvoll oder nicht interessant. Ist das so?
Flosdorff: Ich habe es eben auch schon gesagt, und ich sage es gerne noch einmal: Die Ministerin versteht diese angestoßene Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht, die ja in unterschiedlichsten Varianten auch da draußen in der Diskussion ist, nicht als eine Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht alten Stils, wie wir sie gehabt haben. Das wäre schon aus juristischen Gründen in dieser Art und Weise und in demselben Zuschnitt nicht möglich. Die Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren auch tatsächlich verändert. Es gibt auch tatsächliche Grenzen.
Trotzdem: Bei dieser Debatte geht es eigentlich im Kern darum, wie wir jungen Menschen Anreize dafür setzen können, dass sie sich auch berufenen Aufgaben in unserer Gesellschaft stellen, die sehr, sehr wichtig für die Allgemeinheit sind, die ein besonderes Interesse genießen und die Besonderes verdienen, und darum, wie wir dafür die richtigen Anreize setzen können. Andere Länder führen diese Diskussionen auch. Das erfahren wir hier nicht so sehr. Das gibt es dort ganz genauso. Da gibt es unterschiedliche Wege, auf denen man das löst.
Aber diese Diskussion lenkt den Fokus schon auf die richtigen Punkte: Wie schätzen wir diese Menschen wert, nicht nur in Anerkennung, Lob und Dank – das kann auch mehr sein -, sondern auch in ganz konkreten, handfesten Vorteilen? Was können wir diesen Menschen bieten, wenn sie zu uns kommen? Wie können wir diesen Menschen vielleicht auch Anreize für die Zeit nach einem Dienst bei der Bundeswehr oder in anderen Einrichtungen setzen, die ja hier auch vertreten sind? Wie können wir auf das Radar der jungen Menschen kommen? – Darüber machen sich viele Gedanken, und diese Diskussion ist wirklich lohnend, weil sie auch noch einmal den Wert der Leistung betont, die da erbracht wird.
Zusatzfrage: Ginge es bei alledem aber aus Sicht Ihres Ministeriums nicht um eine Dienstpflicht?
Flosdorff: Wenn Sie eine Wehrpflicht des alten Zuschnitts meinen, dann versteht die Ministerin diese Debatte nicht so. Dafür gibt es die bekannten und auch hier jetzt schon thematisierten Hürden und Bedenken. Es gibt darüber hinaus auch noch eine Reihe von tatsächlichen Hürden, die sich aufbauen, weil die Zeit fortgeschritten ist. Weil der Weg in eine Wehrpflicht alten Zuschnitts letztlich aus tatsächlichen Gründen sehr, sehr, sehr, sehr schwierig wäre, stellt sich diese Frage für die Ministerin nicht.
Sie begrüßt diese Debatte. Die berührt die richtigen Punkte. Sie benennt die richtigen Werte. Sie legt den Finger in die Wunde: Wo haben wir Mängel? Wo haben wir Engpässe? Wo müssen wir uns irgendwie darum bemühen, attraktiver zu werden und bessere Anreize zu schaffen? – Insofern begrüßt sie diese Debatte sehr. Es ist eine lohnende Debatte. Trotzdem habe ich auch benannt, wo jetzt in der aktuellen Regierungsarbeit – wir diskutieren ja hier an dieser Stelle jetzt eigentlich nicht Grundsatzprogramme für das Jahr 2020, sondern aktuelle Regierungsarbeit – die Schwerpunkte der Ministerin liegen.
Frage: Die Wehrpflicht ist ja seit 2011 nur ausgesetzt. Warum gibt es, wie Sie, Herr Flosdorff sagen, auch so viele juristische Bedenken dagegen, sie wieder zu revitalisieren? Ganz platt gefragt: Wenn etwas ausgesetzt ist, dann müsste es doch relativ einfach sein, es in den alten Zustand wiederzubeleben, auch wenn das die Ministerin für nicht sinnvoll hält. An das Justizministerium: Wo ist mein Denkfehler, wenn es da einen gibt?
Steffen: Von juristischen Bedenken war hier, glaube ich, nicht die Rede. Wir haben die Grenzen aufgezeigt und gesagt: Wir werden das prüfen, wenn es vorliegt. Aber ich glaube, so konkret haben wir das nicht benannt.
Zusatzfrage: Herr Flosdorff hat aber eben auch von rechtlichen Bedenken gesprochen, eine Wehrpflicht alten Stiles so wieder umzusetzen. Deshalb frage ich noch einmal: Geht es, dass man eine ausgesetzte Wehrpflicht einfach wieder einsetzt? Was bedarf es, um das zu tun?
Flosdorff: Ich kann hier insofern unterstützen, als die Wehrpflicht im Moment auch möglich wäre. Dafür bräuchten wir aber einen Spannungs- und Verteidigungsfall, und über diese Situation reden wir hier in dieser Debatte jetzt nicht. Dann wäre das auch jetzt möglich.
Wenn man das jetzt erweiterte: Ich kann mich jetzt nicht in all diese Varianten, die da draußen in der Diskussion sind, und darin, was daran für juristische Kuratelen hängen, hineindenken. Das eine ist die Wehrpflicht, das andere ist eine allgemeine Dienstpflicht. Daran würden jeweils wieder andere Voraussetzungen hängen. Ich kann Ihnen das hier nicht näher erläutern und bitte auch um Verständnis dafür, dass dann in diesem Stadium der Diskussion, in dem auch wirklich sehr offen ist, wie dann am Ende das konkrete Szenario aussehen wird, das dann zu prüfen wäre, nicht alle spekulativen Varianten durchgespielt werden.
Zusatzfrage: Ich will ja gar nicht spekulieren. Ich will nur wissen, um es ganz konkret zu sagen: Spricht verfassungsrechtlich irgendetwas dagegen, die Wehrpflicht wieder einzusetzen?
Steffen: Ich glaube, so konkret können wir das hier einfach schlichtweg nicht sagen, weil das eine hypothetische Frage ist.
Zuruf: Doch, das ist eine einfache gesetzliche Frage!
Petermann: Genau. Wenn ich das ergänzen darf: Die Wehrpflicht wurde durch Gesetz ausgesetzt, und sie könnte auch durch Gesetz wieder eingesetzt werden, natürlich nur in dem vorherigen Rahmen.
Frage: Herr Flosdorff, Sie sagten, wir bräuchten einen Spannungs- oder Verteidigungsfall dafür. Heißt das, vorher ginge es nicht?
Flosdorff: Nein. Dann könnten wir auch so einziehen. Sie ist ausgesetzt. Dann bräuchten wir auch, so verstehe ich das jetzt – – – Entschuldigung, ich kann Ihnen das jetzt hier nicht durchdeklinieren. Dann könnten wir sofort wieder beginnen, einzuziehen. Aber es gibt ja lauter Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit man überhaupt so etwas machen kann. Das geht mir jetzt also alles zu weit. Ich bitte um Verständnis. Ich gehe hier nicht ins Detail. Sie können gerne, wenn Sie ein konkretes Modell vor Augen haben beziehungsweise wenn es das alte Modell ist, konkret diese Anfrage dazu stellen. Dann werde ich das unseren Juristen vorlegen. Die können Ihnen das dann in allen Varianten durcharbeiten.
Zusatz: Aber wenn wir im Verteidigungsfall anfangen, die Kreiswehrersatzämter zu revitalisieren, dann geht die Sache wahrscheinlich nicht gut aus. Das ist doch viel zu spät!
Flosdorff: Ich glaube, der Verteidigungsfall ist eine sehr besondere Situation, und dann gibt es auch noch andere Fragen, die sich stellen.
SRS’in Demmer: Vielleicht könnte ich auch einfach noch einmal abschließend etwas sagen: Die Wiedereinsetzung oder der Widerruf der Aussetzung der Wehrpflicht steht ja jetzt gar nicht zur Debatte. Es handelt sich um eine parteipolitische Debatte, die ganz am Anfang steht, und dabei sind viele Dinge zu bedenken. Dabei geht es um die Abwägung von Grundrechten junger Menschen gegenüber gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten.
Aber ich würde die Gelegenheit hier doch noch einmal nutzen wollen, darauf hinzuweisen, wie wertvoll und wie unverzichtbar der Dienst dieser vielen Freiwilligen auf beiden Seiten – also bei der Bundeswehr, aber auch im Bundesfreiwilligendienst – ist, der geleistet wird, der für unser Land nicht zu unterschätzen ist und der wertvoll ist. Solches freiwilliges Engagement ist wichtig für unsere Gesellschaft, und ohne es wäre unser Land an vielen Stellen ärmer.
Zusatzfrage: Frau Demmer, nachdem wir jetzt schon gelernt haben, dass die Verteidigungsministerin und die Familienministerin die Debatte wertvoll finden, und Sie uns gesagt haben, dass die Kanzlerin ja nie so richtig im Urlaub ist: Wie findet die Kanzlerin denn diese Debatte – auch wertvoll?
SRS’in Demmer: Wie gesagt: Es gibt eine parteipolitische Debatte, die wir hier von der Regierungsbank aus jetzt nicht bewerten. Debatten zu führen, ist in einer Demokratie immer gut. Grundsätzlich ist jedenfalls das freiwillige Engagement, das es jetzt schon gibt, sehr wertvoll für unsere Gesellschaft.
Frage: Ich wollte nur noch einmal eine ganz kurze Präzisierung vom Familienministerium erhalten. Sie haben sich ja sehr positiv gegenüber diesem freiwilligen Engagement geäußert. Aber würden Sie das bei einer allgemeinen Pflicht ähnlich positiv sehen, oder was ist die Haltung des Familienministeriums dazu?
Audretsch: Dazu kann ich noch einmal das wiederholen, was ich vorhin am Ende dessen gesagt habe, was ich ausgeführt habe, nämlich dass wir uns zu konkreten Konzepten – in welcher Form auch immer – hier im Moment nicht äußern. Das sind Konzepte, die gerade in parteipolitischen Zusammenhängen diskutiert werden, und die rechtlichen Fragen, die es in so einem Fall zu klären gilt, wurden genannt. Natürlich müssen solche rechtlichen Hürden bedacht werden, wenn man eine solche Debatte führt. Zu einzelnen Fragen, wie sie im Moment dann auch in den verschiedenen Varianten durchdekliniert werden, werde ich mich hier heute nicht äußern.
Frage: Ich wollte nur noch einmal darum bitten, dass wir für unser aller Hinterköpfe einfach klären, wie denn die Wehrpflicht der Bundeswehr wieder aktiviert werden könnte. Mein Verständnis war nämlich eher das von Frau Petermann, dass das relativ einfach per Bundestagsbeschluss gehen würde. Wenn Sie das einmal unter sich klären und es uns wissen lassen würden, dann fände ich das also gut.
Petermann: Es ist alles gesagt.
(Damit es nicht zerfasert, die Debatte dazu bitte nicht hier, sondern im anderen Thread zu diesem Thema.)
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