Mehr Geld für die Truppe: Mit unnötigem Streit ins neue Jahr

Deutschland hat vorerst und bis auf Weiteres nur eine geschäftsführende Regierung und keine handlungsfähige Regierungskoalition. Das ist auch aus verteidigungspolitischer Sicht zwar nicht besonders gut, aber wäre auch nicht direkt schlimm, wenn sich nicht unnötiger neuer Streit unter den absehbaren Koalitionspartnern abzeichnen würde. Kurz vor Jahresende wurde bekannt, dass die CSU auch in diesem Bereich auf Konfliktkurs zum möglichen Partner SPD geht: Die bayerische Partei, so berichtet die Süddeutsche Zeitung am (heutigen) Freitag, wolle in einem Positionspapier die Orientierung am NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt festschreiben.

Nun ist natürlich klar, dass das die Sozialdemokraten auf die sprichwörtliche Palme bringen dürfte. Denn auch wenn der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf gleich zwei NATO-Gipfeln dieses Zwei-Prozent-Ziel mitgetragen hat: Für die SPD-Spitze war im Wahlkampf vor der Bundestagswahl im September und ist auch jetzt dieses Ziel bestenfalls eine grobe Orientierungsmarke, schlimmstenfalls ein Irrweg.

Dabei, das muss man so hart sagen, ist diese Debatte derzeit für die tatsächliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik wie auch für das nächste und vermutlich sogar das übernächste Verteidigungsbudget maximal irrelevant. Denn weder die CSU noch die SPD gehen davon aus, dass sich diese Summe – irgendwo zwischen 60 und 70 Milliarden Euro pro Jahr – so schnell im Haushalt festschreiben lässt.

Was die CSU über ihre Provokation hinaus tatsächlich will, hat die Süddeutsche Zeitung* ebenfalls aus dem Positionspapier beschrieben:

In einer Beschlussvorlage, die die CSU-Bundestagsabgeordneten Anfang Januar auf ihrer Winterklausur in Kloster Seeon verabschieden wollen, heißt es, für „ein sicheres Deutschland, das seiner europäischen und internationalen Verantwortung gerecht wird“, sei „eine schlagkräftige, moderne Bundeswehr“ nötig. Die „bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung der Soldatinnen und Soldaten“ wie auch die Modernisierung der Bundeswehr kosteten Geld. Investitionen seien unter anderem „in den Bereichen Digitalisierung, Verlege- und Transportfähigkeit, unbemannte Aufklärung und bewaffnungsfähige Drohnen sowie mobile taktische Kommunikation notwendig“.

Das wäre eine Formulierung, die sogar von den Sozialdemokraten kommen könnte – denn es ist ja keineswegs so, als ob die SPD mehr Investitionen in die Verteidigung rundweg ablehnen würde. Aber genau so provokant wie die CSU für ihre Wähler die zwei Prozent zu benötigen scheint, genau so entschieden braucht die SPD die Ablehnung eben dieser zwei Prozent für ihre Wähler.

Mit anderen Worten: Das bedeutet unnötigen Streit noch vor Beginn von Koalitionsverhandlungen. Und für die Bundeswehr und die Verteidigungsausgaben hat es keinerlei praktische Bedeutung. Denn auch wenn die Truppe mehr Geld braucht (wie viel tatsächlich, das könnte noch ein ein Debattenpunkt werden). Es reicht ja nicht, einen Scheck rüber zu reichen: Das ganze schöne Geld muss auch sinnvoll verwendet werden – und das ist ganz offensichtlich nicht nur eine Frage der Summe, sondern auch eine Frage der Prozesse und der Leute, die nötige Ausgaben auch sinnvoll einsetzen und steuern können.

Und ich habe ernsthafte Zweifel, ob die Probleme der Bundeswehr allein am Geld liegen. Vielleicht hätten wir ein wenig mehr Klarheit, wenn die geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den einen oder anderen Bericht freigeben würde, der jetzt eigentlich zur Veröffentlichung ansteht. Der jährliche Bericht zur Materiallage bei den Großsystemen wird erst mal nicht ans Parlament weitergeleitet; der aktuelle Rüstungsbericht ist lachhaft: In beiden Fällen argumentiert das Ministerium damit, dass es ja weder eine handlungsfähige Koalitionsmehrheit noch funktionierende Bundestagsausschüsse gebe, für die diese Berichte bestimmt seien.

Formal ist das zwar richtig, klingt aber sehr danach, als sollten vor Koalitionsgesprächen allzu schlechte Nachrichten vermieden werden. Zumindest öffentlich.

Aber das ist ja keine Haltung alleine des BMVg. Auch das Deutsche Heer hält nicht so viel von schlechten Nachrichten, wenn sie den eigenen Laden betreffen. Beispiel gefällig? Am 18. Dezember veröffentlichte das Heer eine durchaus positive Geschichte** über die Vorbereitung auf die NATO-Speerspitze, die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF):

Unaufhaltsam haben sich die Leoparden des Panzerlehrbataillons 93 ihren Weg durch die Letzlinger Heide gebahnt. Sie bilden den Kern der Speerspitze der NATO, den Gefechtsverband 2019, die Very High Readiness Joint Task Force (Land) – VJTF (L). Erneut wurden die Männer und Frauen der Panzerlehrbrigade 9 im Gefechtsübungszentrum des Heeres (GÜZ) ausgebildet und so auf diesen Auftrag vorbereitet.

Der Schönheitsfehler: Gar so unaufhaltsam bahnten sich die Leoparden keineswegs den Weg, wie der Spiegel – undementiert – von dieser Übung berichtete:

Die Panzerlehrbrigade 9 aus Munster, die für die Führung vorgesehen ist, ließ in den vergangenen zwei Wochen rund tausend Soldaten im Gefechtsübungszentrum Altmark bei Magdeburg üben. Dabei konnten statt der geplanten 30 Kampfpanzer „Leopard 2“ nur 25 eingesetzt werden, von denen im Schnitt jeden Tag 8 ihren Geist aufgaben. Von 20 Schützenpanzern „Marder“ funktionierten nur 14. Auf eine Zertifizierung der Einheit hatte man wegen akuten Materialmangels vorsorglich verzichtet.

Die Probleme im GÜZ mögen mit Problemen bei Ersatzteilen und überaltertem Gerät, also letztendlich mit Geldmangel, zu tun haben – die Außendarstellung nicht.

Am Geld allein scheitern auch nicht die Projekte, auf die die Bundeswehr wartet. Augenfälligstes Beispiel dafür ist die geplante Beschaffung von Drohnen, die auch bewaffnet werden können: Die war vor der Sommerpause in letzter Minute am damaligen Große-Koalition-Partner SPD gescheitert. Und die dürfte auch bei den Gesprächen über eine Neuauflage eines Regierungsbündnisses von CDU, CSU und SPD wieder zum Problem werden.

Ähnliches gilt für die Mandatsverlängerungen, die nach der Kurzzeit-Neuauflage für drei Monate spätestens im Februar erneut zur Abstimmung anstehen. Die geschäftsführende Verteidigungsministerin hat die Debatte über eine Truppenaufstockung in Afghanistan erneut angestoßen – und die Begeisterung der Sozialdemokraten war überschaubar. Auch hier geht es nicht ums Geld.

Unterm Strich: Wenn alle die Parteien, die Anfang des Jahres ihre ersten vorsichtigen Gespräche über eine Regierungsbildung beginnen wollen, grundsätzlich nötige Aufstockungen des Verteidigungshaushalts nicht rundweg ablehnen, ist es nicht in erster Linie eine finanzielle Frage. Dann sollten vielleicht auch alle nicht so tun und sich mehr an den politischen Inhalten der künftigen Verteidigungspolitik orientieren. Die sind schon schwierig genug.

*Webseiten deutscher Verlage werden hier i.d.R. nicht verlinkt; in diesem Fall scheint mir erneut eine Ausnahme gerechtfertigt

**Da die dauerhafte Speicherung der Inhalte auf Bundeswehr-Webseiten angesichts einer absehbaren Umstellung nicht gewährleistet ist, hier der Text als pdf-Datei:
20171218_VJTF_GUeZ

(Archivbild Oktober 2017: Soldaten des Jägerbataillons 91 sichern die Ortschaft Heidedorf und Panzergrenadiere mit Schützenpanzer Marder werden nachgeführt bei der Station „Gefechtsschießen Operation verbundener Kräfte“ bei der Informationslehrübung Landoperationen 2017 – Bundeswehr/Marco Dorow)