Reden wir über Tradition (leider über alles)
Die Bundeswehr hat am (heutigen) Donnerstag die Reihe ihrer Workshops auf dem Weg zu einem neuen Traditionserlass fortgesetzt – Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte ja unter dem Eindruck des Falles Franco A., aber auch vor dem Hintergrund des Fundes von Wehrmachts-Gedenkstücken in Kasernen in der entbrannten Debatte über das Traditionsverständnis der Streitkräfte eine Überarbeitung des seit 1982 geltenden Traditionserlasses angekündigt (die Roadmap für die diversen Workshops hier).
Und eigentlich hätte es bei den Vorträgen und Diskussionsrunden am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam um die Geschichte und mögliche Traditionslinien eben vor NS-Zeit und Wehrmacht gehen sollen. Der Titel war eigentlich unmissverständlich: Kostbares Erbe oder drückende Last der Vergangenheit? Funktion und Bedeutung der älteren deutschen Militärgeschichte für die Tradition der Bundeswehr
Um es vorweg zu nehmen: Es ging eben nicht nur um die ältere deutsche Militärgeschichte, also nicht wie von der Ministerin schon mal skizziert um die Ereignisse seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon oder die preußischen Militär-Reformer oder gar die Folgen der Frankfurter Nationalversammlung für deutsche Streitkräfte. Genauer: darum ging es nur am Rande, denn irgendwie wurde es dann doch wieder zu einer Debatte über jegliche deutsche Militärgeschichte und -Tradition, vor der Gründung der Bundeswehr und danach, und mit einem nicht unerheblichen Teil Debatte über die Wehrmacht und ihre Auswirkungen auf aktuell gefühlte oder gelebte Tradition.
Die Vorträge habe ich im Originalton hier dokumentiert; ein paar Beobachtungen und Anmerkungen:
Der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler (den O-Ton habe ich leider aus technischen Gründen nicht) verwies einleitend darauf, dass auch der Rückgriff für die Reformer Anfang des 19. Jahrhunderts nicht unproblematisch seien – Scharnhorst, Gneisenau oder Clausewitz seien sicherlich nicht Demokraten in unserem heutigen Sinne gewesen und die Traditionslinien aus dem 19. Jahrhundert eben auch nicht unproblematisch. Der leitende Wissenschaftler des ZMSBw, Michael Epkenhans, brachte das auf die Formel: Ihr nationalistisches Gedankengut, ja der regelrechte Franzosen- und bei Gneisenau später Polenhass sind darüber hinaus ausdrücklich nicht traditionswürdig. Alle Reformer bedürfen deshalb der Kontextualisierung.
Epkenhans stellte darüber hinaus auch die Orientierung an Soldaten des 1. Weltkrieges infrage – inbesondere bei Traditionsnamen, die sich bei der Luftwaffe finden: Klassische militärische Leistungen und Tugenden, Tapferkeit und Ritterlichkeit oder das berühmte Feldherrngenie von Soldaten vor 1933 reichen allein nicht aus, um … traditionsbildend zu sein. … In der Konsequenz bedeutet dies, dass es für eine Hindenburg-Kaserne heute ebensowenig einen Platz gibt wie für eine Emmich-Cambrai-Kaserne oder die nach Immelmann, Richthofen oder Boelcke benannten Traditionsgeschwader der Luftwaffe. (Epkenhans kompletter Vortrag ist auf der Dokumentationsseite nachzulesen.)
Das dürfte nun vermutlich nicht bedeuten, dass die Taktischen Luftwaffengeschwader 51 31, 71 und 51 (wie zuvor schon 74) demnächst ihren Traditionsnamen verlieren. Aber es zeigte sich im Verlauf der Debatte ein, sagen wir, Disconnect zwischen den Wissenschaftlern und den Brigadegeneralen, die sich quasi als Vertreter der Truppe äußerten. Vor allem Kai Rohrschneider, der deutsche Stabschef bei der U.S. Army Europe und Panzeroffizier, verwies auf die grundsätzlich andere Wahrnehmung von Tradition in der Truppe als in der Öffentlichkeit (und wohl auch in der Wissenschaft).
Auch wenn der eigentliche Begriff der Tradition für die Soldaten eher sperrig sei – die Truppe habe eben ein besonderes, berufsspezifisches Verhältnis zur Militärgeschichte, und das führe zu einer Dynamik, die Soldaten von Historikern unterscheide. Soldaten, so eine von Rohrschneiders Thesen, suchten in der Tradition vor allem nach Vorbildern für das Gefecht, ihre wesentliche Aufgabe – und nähmen Geschichte deshalb anders wahr als die Gesellschaft.
Zugleich zeigte sich der Brigadegeneral ausdrücklich offen für eine Ausweitung des Traditionsspektrums – sowohl vor 1933 als auch nach 1956, nach Aufstellung der Bundeswehr. Dabei müssten sich alle von der obsessiven Betrachtung der Jahre 1933 bis 1945 lösen und nicht so tun, als wären 1.000 Jahre wirklich 1.000 Jahre gewesen. Vor allem aber: Symbole brauche die Truppe, um sich daran festzuhalten – und müsse dafür eine neue Formensprache finden.
Rohrschneiders Ansatz spielte auch in der Diskussion eine Rolle (die unter Chatham House Rules stattfand, aus der ich also berichten kann, aber ohne die Aussagen den Personen zuzuschreiben). Da wurde die ausdrückliche Warnung laut, Verbänden oder Einheiten ihre (Traditions)Namen einfach wegzunehmen – und schon gar nicht per Anweisung von oben: Der Name wird als Teil der Identität empfunden.
An der Stelle dürfte langfristig der Disconnect der Wissenschaftler (und der Gesellschaft?) und den Soldaten in eine schwierige Auseinandersetzung münden. Denn die einen sehen in bestimmten Traditionslinien und -Namen nicht die Verehrung von – zumindest teilweise auch fragwürdigen – militärischen Vorbildern, sondern eben einen wichtigen Bestandteil ihres Berufsverständnisses. Und die anderen argumentieren, dass es oft genug für die Auswahl dieser Traditionslinien und -Namen fragwürdige Kriterien gebe, die sie eben nicht traditionswürdig machten.
Der Wissenschaftler Epkenhans nannte in diesem Zusammenhang (auch nach der Diskussion im Gespräch mit mir) das Beispiel Helmut Lent: Wenn der erfolgreichste Nachtjäger der Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges as Vorbild und Namensgeber gewählt werde, bedeute das nichts anderes, als die Zahl seiner Abschüsse zum Maßstab für diese Vorbildfunktion zu nehmen. Ob das ausreiche? Ich meine nein.
Mit anderen Worten: Die Debatte über das, was künftig die Tradition der Bundeswehr ausmacht, wird auch mit dem für November (dann an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin) geplanten vierten und abschließenden Workshop dazu noch lange nicht beendet sein. Und vermutlich auch nicht mit der Inkraftsetzung eines neuen Traditionserlasses – wann immer der auch, angesichts der absehbar langwierigen Bildung einer neuen Koalitionsregierung, tatsächlich kommen mag.
Nachtrag: Das Deutsche Heer hat dazu ein Eigen-Interview mit Heeresinspekteur Jörg Vollmer veröffentlicht. Es steht hier auf der Webseite des Heeres; für das dauerhafte Auffinden und fürs Archiv hier die Seite als pdf-Datei:
20171012_Tradition_InspH_Vollmer_Interview
(Foto: Generalinspekteur Volker Wieker bei einem Diskussionsbeitrag während des Workshops)
Vielleicht lässt ein neuer VM ja das Thema ganz sachte und leise untern Tisch fallen und wir beschäftigen uns anschließend mit wichtigen Dingen.
Ich für meinen Teil kann diese ganze akademische Diskussion nicht mehr hören.
Wer als rechts, links, islamistisch etc. auffällt wird weiterhin wie früher aus der Truppe entfernt, das ist richtig und nötig aber der einfache Soldat hat wohl zu 90% die Schnauze voll von dem Thema Traditionsstiftung. (Meine Wahrnehmung zumindest)
Harter Tobak aber ausdrücklich Danke für die Einordnung Herr Wiegold. Ich bin im Herzen ganz bei den beiden Generalen. Die Tradition muss dem Soldaten dazu dienen, ein besserer Soldat zu. Sie muss dem Soldaten dienen. Gemessen werden muss dies in seiner Leistungsfähigkeit im Einsatz, insbesondere im Gefecht. Für die Gesellschaft ist ein guter Soldat imho scheinbar immer noch NUR Vollblutdemokrat und Helfer mit der ständigen Bereitschaft sich dem jeweiligen Zeitgeist der Gesellschaft hinzugeben. Bloß nicht konservativ eigenständig oder gar „entkoppelt“ von der bundesdeutschen Realität.
Nochmals Danke für die Einordnung.
pi
@pi
Wir bleiben glaube ich dennoch grundsätzlich unterschiedlicher Ansicht. Streitkräfte, die von der Realität ihrer Gesellschaft entkoppelt sind, wären fatal und verkämen zu bloßem Selbstzweck.
@T.Wiegold | 12. Oktober 2017 – 21:05
„Wir bleiben glaube ich dennoch grundsätzlich unterschiedlicher Ansicht. Streitkräfte, die von der Realität ihrer Gesellschaft entkoppelt sind, wären fatal und verkämen zu bloßem Selbstzweck.“
Hmm, einerseits gebe ich Ihnen Recht. Streitkräfte dürfen in ihren Wertevorstellungen, Eigentümlichkeiten, Berufsspezifischen Eigenschaften etc. zwar eine gewisse und notwendige Unterscheidung zur allgemeinen Gesellschaft haben, aber eine generelle dauerhafte und zu weitgehende Entkopplung von der Gesellschaft wäre m.E.n. eine Katastrophe. Sowohl für die Streitkräfte, als auch für die Gesellschaft…
Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob die Streitkräfte sich wirklich mit dem von General Rohrschneider Selbstverständnis in einer unüberbrückbaren Entkoppelung zur Gesellschaft befinden.
Nach meiner Bewertung sind große Teile der Gesellschaft immer noch positiv bis desinteressiert-neutral zu einem solchen „klassischen“ Traditions- und Berufsverständnis.
Es gibt zwar zugegebener maßen eine relevante und vor allem laute und aggressive Minderheit, aber damit entkoppelt sich die Bw ja nicht von der Gesellschaft, sondern diese Traditionskritiker sind häufig (wenn auch sicherlich nicht alle!!!) ja auch Bundeswehr-Skeptiker.
Die Frage ist m.E.n. daher vielmehr ob die Bw nicht viel selbstbewußter und gleichzeitig erklärender und vermittelnder mit ihrem Traditionsverständnis an die Öffentlichkeit gehen sollte.
Bisher läuft es doch zumeist so, dass nach jedem durch Report Mainz o.ä. aufgedeckten „Skandal“ die Bw kuscht und ihre bisherige Position modifiziert. Damit kommt man dann ja auch irgendwann in ein doppeltes Rechtfertigungsproblem…
Ich glaube es wäre viel besser zu sagen „hier stehen wir und deswegen [XYZ] ist das auch gut und richtig so“. Aber natürlich bei tatsächlichen Skandalen weiterhin die Mängel abstellt…
„Soldaten, so eine von Rohrschneiders Thesen, suchten in der Tradition vor allem nach Vorbildern für das Gefecht, ihre wesentliche Aufgabe – und nähmen Geschichte deshalb anders wahr als die Gesellschaft.“
Klingt plausibel und nachvollziehbar, jedoch muss eine Armee wie die unsere sich auch selbstkritisch die Frage stellen, wie weit sie sich von den Ansichten der zivilen Mitbürger entfernen kann, ohne sich zu entfremden. Allerorts wird in der Bw derzeit vom verlorenen Vertrauen der Truppe in ihre Ministerin gesprochen – aber was ist mit dem Vertrauen des Volkes in die Truppe? Mein Eindruck: Deutsche Soldaten neigen derzeit sehr dazu, sich in der Rolle der unschuldigen Opfer einer grausamen Zensurpolitik zu sehen. Dass es sich dabei aus ziviler Sicht um eine als notwendige erachtete Korrektur eines unzeitgemäßen Traditonsverständnis einer kleinen aber bewaffneten Minderheit im Staate handelt, wird kaum beachtet.
Wichtiges Thema, interessante Beiträge; danke Ihnen, Herr Wiegold.
Nur eine kleine Korrektur: Herfried Münkler, nicht Herwig.
[Ups, danke. T.W.]
Der „Disconnect“ zwischen Wissenschaftlern und Truppe wird möglicherweise noch weitere „Störungen“ nach sich ziehen – auch und vor allem durch die harsche Linie, die VdL im Zusammenhang mit Franco A. vorgab: Die Wehrmacht darf nicht Traditionsresevoir der Bundeswehr sein. So weit, so gut und fraglos richtig.
Die nunmehr von Prof. Epkenhans pointiert formulierte Ausgrenzung von Personen des 1. Weltkrieges führt z.B. bei den Kampffliegern („Taktische LwGeschwader“ oder so) zur Abschaffung einer mehr als 50-jährigen Bundeswehrtradition – es sind sozusagen Markennamen, die sich da entwickelt haben. Ihre nunmehr offene Infragestellung sollte beim Inspekteur der Luftwaffe wenig Begeisterung hervorrufen.
Solche Konflikte verschärfen aber den Gegensatz zwischen Truppe und Geschichte und sorgen dafür, dass sich eben Subkultur entwickeln kann. Damit wird der Dialog zwischen Truppe, Führung und Wissenschaft auf den verschiedenen/unterschiedlichen Ebenen der Traditionsdebatte behindert.
Der Redebeitrag von Prof. Wolfsohn zeigte mit einem biblischen Beispiel auf, dass kein Säulenheiliger gesucht und/oder gefunden werden sollte. Es wäre daher von Vorteil, wenn alle Namen, die nunmehr zur Disposition gestellt scheinen und werden (Lent, Immelmann und Co) auch im öffentlichen Diskurs debattiert werden. Dazu müsste das Ministerium die Gutachten offen legen, die das ZMSBw wie weiland das MGFA erstellt hat. … Aber dann ist Kontrollverlust vorprogrammiert. Denn: nicht jeder versteht, wie Historiker darstellen, belegen, analysieren und argumentieren.
Die von Wolfsohn abgesprochene „Staat im Staate“-Problematik von Berufsarmeen birgt allerdings auch die Wirklichkeit des freundlichen Desinteresses in sich, dass MdB’s häufig auch zelebrieren. (Entweder ständig nörgeln à la Ulla Jelpke oder nix tun à la Union). Wer kümmert sich dann hier um wen?
Der Workshop heute – wie auch diejenigen zuvor und hernach – dürfte indes gezeigt haben und noch zeigen, dass ein einfaches Zöpfe abschneiden nicht hilft.
Herdried (Herwig ist denke ich ein kleiner Schreibfehler) Münkler ist ganz sicher einer der begabtesten deutschen Politikwissenschaftler unserer Zeit. Ich finde es gut, dass man ihn, diesen für den intellektuellen Streit so offenen Wissenschaftler, für diese Veranstaltung gewinnen konnte.
Danke Herr Wiegold für den Artikel. Und danke an die Beteiligten, dass die Veranstaltung unter die Chatham House Rules gestellt wurde, so dass berichtet werden konnte bzw durfte.
An der Stelle dürfte langfristig der Disconnect der Wissenschaftler (und der Gesellschaft?) und den Soldaten in eine schwierige Auseinandersetzung münden.
Das erwarte ich nicht. Die Gesellschaft in Form der Politik wird es den Soldaten einfach verbieten bzw vorgeben, was der Primat der Politik auch zweifellos darf, und damit ist es dann auch durch.
Ich kann die Demokratie Fixierung nicht nachvollziehen.
Es gibt da anderes was wichtiger ist.
Wählte Ungehorsam wo Gehorsam nicht Ehre brachte.
Auch Demokratien sind keine reinen Engel, von Delenda es Carthago – zur französischen Doktrin…
Einige der Wissenschaftler haben hier das Thema verfehlt. Wolffsohn hätte ich schon gar nicht eingeladen.
Statt sog. Wissenschaftlern hätte man lieber auch einfache Soldaten der Kampfeinheiten und junge Offiziere oder OA einladen sollen.
Den Generalen kann man folgen. Für eine mögliche Ausweitung der BW Tradition wurde mit Admiral Brommy und der ersten Luftlandeoperation der Wehrmacht wenig angeboten.
Aber mit den Angriffen auf Scharnhorst & Co. oder der Meinung die BW brauche keine Tradition vor ihr, ist die Idee die Bundeswehrtradtionen zu erweitern, wieder in Frage gestellt worden.
Obwohl es hier die Möglichkeit gegeben hätte, die Schlachten von Friedrich dem Großen oder der Befreiungskriege herauszustellen und diese sinnstiftend heranzuziehen, wurde diese Chance vertan.
Und natürlich war die ganze Diskussion einseitig, weil kein Gegner des Traditionserlaßes von 1982 eingeladen war offensichtlich, keiner der einen konservativeren Tradtionserlaß haben will.
Die Traditionsnamen der Luftwaffe anzugreifen, ohne zu begründen, was die Namensstifter denn falsches getan hätten, außer Kriegshelden zu sein, ist nicht überzeugend.
Und was Lent angeht, so kommt die Vorbildfunktion doch daraus, daß wenige deutsche Nachtjäger gegen tausende von alliierten Bombern und Begleitjägern angetreten sind. Zu solchen Himmelfahrtskommandos gehört viel Mut.
Frage
Wann und wo ist der letzte Workshop in der Reihe Neufassung der Richtlinien?
Ich denke auch weite Teile der Gesellschaft sind zumindest nah bei den Generalen.Vielleicht liegt ja der Fehler eher darin den Zeitgeist bei jenen Teilen zu suchen der besonders laut „kräht“.
@all
Wer meint, jetzt hier antidemokratische Stimmung machen zu müssen, von „sog. Wissenschaftlern“ schwadroniert, nur weil ihm deren Meinung nicht passt, oder eine angebliche „Demokratie-Fixierung“ als Problem sieht: Dafür gibt es bestimmt passendere Foren mit entsprechend Gleichgesinnten.
Nicht das ich falsch verstanden werde: Ich räume dem wissenschaftlichen Erkenntnis(zu)gewinn Vorrang ein, denn ich halte die wissenschaftliche Methode für überlegen. Nur halte ich Wissenschaft ebenfalls nicht für unfehlbar und gegenwärtige Wissenschaft halte ich für ausgesprochen anfällig für Zeitgeist.
Bei einem Thema wie Tradition müssen die Alarmglocken läuten, wenn es ein Disconnect zwischen Wissenschaft und Truppe(Praktikern) gibt. Wobei die Truppe nicht durch einen ggf. einfach strukturierten Mannschaftsdienstgrad argumentierend vertreten wird, sondern durch eine durchaus gebildete Generalität.
Es kommt vor, dass Wissenschaftler sich verrennen. Es kommt vor, dass Praktiker in gewachsenen Strukturen verankert bleiben wollen, die einer analytischen Betrachtung nicht standhalten.
Wenn es hier zwischen Praktikern aus der Truppe und Wissenschaftlern gerade bei sozialwissenschaftlichen Fragestellungen ein Disconnect gibt, dann ist was grundlegend falsch gelaufen. Immer, wenn sowas auftritt, muss man Tempo aus dem Prozess nehmen, ggf. sogar den Reset-Knopf drücken und noch mal von vorn anfangen.
Ich weiß nicht, wo der Fehler liegt, vermutlich auf allen Seiten, denn das Thema ist komplex. Ich sehe aber, dass die angedachten Veränderungen fehlerhaft und umstritten sind, also sollte man sie nicht implementieren.
Beim Status Quo kennen wir inzwischen die Fehler und Brüche, damit kann man umgehen, zumindest für begrenzte Zeit. Beim Neuen sollte sichergestellt sein, dass es besser ist als das Vorherige.
Diesen Maßstab sehe ich (noch) nicht erfüllt.
Wenn es also um die Sache gehen sollte und nicht um die große von der Laien-Show, würde jeder Architekt im Sinne der Sache sagen: Zurück an die Zeichentische!!!
@J. König
November, Bundesakademie für Sicherheitspolitik Berlin. Siehe oben.
@closius
Nicht statt sondern auch.
Warum die Operationen der Wehrmacht, ihre Helden etc. als Vorbild und Traditionsstiftend angesehen werden sollten, ist für mich schwer nachvollziehbar spez. wenn ich dies mit den Gerechten unter den Völkern und ihren Taten vergleiche.
Gegen wen hat Friedrich der Große aus welchen Motiven nochmal Kriege geführt?
Mut alleine ist keine positive Charaktereigenschaft, erst andere Eigenschaften machen Mut hoffentlich positiv.
@T.Wiegold: Ich wüsste nicht, wo ich anti-demokratische Stimmung gemacht hätte?
Der Beitrag von Wolffsohn geht großteils am Thema vorbei, sein Codex hat nichts mit dem ‚Traditionserlaß zu tun und zu Recht wurde ihm erwidert, daß schon die Wehrmacht ihre 10 Gebote hatte im Soldbuch. Hätte die Wehrmacht sich daran gehalten, würden wir heute hier nichts zu diskutieren haben.
Mit dem sog. meinte ich Herrn Prof. Münkler. Dessen Beitrag ist nur unvollständig wiedergegeben, vielleicht ist deshalb mein Bild seines Beitrages falsch, oder ich verstehe seinen Humor nicht, aber seine Äußerungen zu den Zeitzeugen fand ich zynisch und menschenverachtend! Es leben nicht mehr viele Zeitzeugen, aber nicht alle davon haben Alzheimer, vor allem aber, diejenigen Zeitzeugen die Alzheimer haben, können einem oft nicht mehr sagen, was vor 5 Minuten war, aber ihre Kriegsgeschichten und Erlebnisse aus der Kriegszeit wissen sie meistens noch und können sie erzählen, als wäre es gestern gewesen.
@T.Wiegold
Entschuldigung, aber ich kann nicht nachvollziehen, warum Scharnhorst , Gneisenau etc. vorgeworfen wird keine Demokraten gewesen zu sein spez. im historischen Kontext .
Auch demokratische Streitkräfte haben Verbrechen mit Billigung höchster Stellen begangen, von daher ist es für mich wichtiger ob Scharnhorst und Co Verbrechen begangen, geduldet oder gutgeheißen haben oder nicht ob sie freiwillig einem verbrecherischen Unrechtsregime dienten oder nicht.
Damit will ich keine antidemokratische Stimmung machen, sondern kritisiere das der Kontext anscheinend ignoriert wurde.
Frage ist, wer käme denn beim Anlegen derart harter Maßstäbe an Demokratietreue überhaupt als Traditionsträger in Frage.
Selbst beim Blick auf die Alliierten des 2. Weltkrieges hat jeder der strahlenden Helden dort Leichen im Keller, die beim Anlegen des hier angenommenen heutigen Verständnisses von Demokratie und Menschenrechten zu einer Traditionsunwürdigkeit praktisch jeglicher alliierter Generäle und Politiker führen dürften.
Von der Realität des Demokrativerständnisses der napoleonischen Marschälle (den Gegnern von Gneisenau und Scharnhorst) sollte man erst gar nicht anfangen…
Warum können wir es nicht so machen wie alle anderen? Traditionslinien über Jahrhunderte zu spannen sollte dem Deutschen Militär leicht fallen. Ja, wir haben den letzten Krieg verloren und Deutsche Soldaten haben schreckliche Verbrechen begangen. Aber, wie in Adenauers Ehrenerklärung formuliert, auch ehrenhaft gekämpft. Das hilft aber nicht weiter.
Die Wehrmachtsfokussierung muss weg, nicht die eigene Geschichte.
Besonders deutlich wird dies m.E. an der Äusserung des Hausherren (meine Interpretation des Kursiven): die Zahl der Abschüsse ist kein Maßstab für die Traditionswürdigkeit. Also taugt militärische Leistung nicht als Tradition?!? Genau hier liegt des Pudels Kern – Verkennung der Rolle des Soldaten als ? Tja, was soll er denn sein, wenn kein Kämpfer.
Achtung Zynismus: was zählt denn sonst, die Anzahl der Hausarbeiten, die Baudissin loben?
[Missverständnis: Das Kursive ist ein Zitat von Epkenhans, ist auch so gekennzeichnet – wie überhaupt hier das Kursive i.d.R. für Zitate verwendet wird. T.W.]
Guten morgen nach Deutschland.
Da ich der Ansicht bin, dass uns diese Diskussion alle anbelangt an dieser Stelle ein Beitrag von einem „jungen“ Offizier, ob repräsentativ oder nicht, sei an dieser Stelle offengelassen. Also, reden wir über Tradition, oder zumindest einen Teilaspekt, der mich umtreibt.
Ich halte die Traditionsdebatte in der derzeitigen Gemengelage für unangebracht, allein deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass es nach Franco A nun politisch „besonders sauber“ sein soll. Das birgt gewisse Risiken für ein Ergebnis, dass der Truppe letztendlich vermittelt werden muss und von dieser nicht als „zu weichgespült“ abgelehnt werden darf. Auf dieses Ergebnis sehe ich uns aber bereits jetzt zusteuern, auch nach jüngsten „Korrekturen“ im Liederbuch, ohne das Fass jetzt zu weit aufmachen zu wollen.
Dabei gibt es ja durchaus Beispiele für ungebrochene Tradition: Den Trompetergruß vom guten Kameraden auf militärischen Beerdigungen zum Beispiel, der- wenn wir ehrlich sind- auch nur deshalb seit 1870 Bestand hat, weil es so schön unpolitisch ist. Denn gestorben wird schließlich immer, wenn ich das an dieser Stelle etwas zynisch formulieren darf.
Damit komme ich zu meinem Hauptanliegen: Ich möchte gern von Gesellschaft und vor allem Politik, deren Parlamentsarmee all wir bunten Röcke sind, gerne wissen, was sie sich denn von einem deutschen Soldaten erwarten. Tapfer sein und ansonsten den Schnabel halten, kann es ja schon einmal nicht sein, denn dann wären ja zumindest die Jungs aus dem 1.WK fein raus. Jetzt darf der einstmals als Held gefeierte also auch keine Vorbehalte gegenüber Franzosen und Polen gehabt haben. Aha. Im Jahre des Reformationsjubiläums möchte ich dazu kurz anmerken, dass Luther bekennender Antisemit war… Es gibt sie nicht, die „durchweg Guten“, nur Kinder ihrer Zeit. Folglich suchen wir wohl nach einem bestimmenden Merkmal, dass das Wesen eines Vorbildes kennzeichnet, damit sich die Truppe (so ich das verstehe) ein Stück davon abschneiden kann, als „Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung“ so zu sagen. Dazu:
„Und was Lent angeht, so kommt die Vorbildfunktion doch daraus, daß wenige deutsche Nachtjäger gegen tausende von alliierten Bombern und Begleitjägern angetreten sind. Zu solchen Himmelfahrtskommandos gehört viel Mut“, kommentierte Closius.
Unbestritten. Aber wenn das zum Vorbild nicht genügt, dann bedeutet dies entweder, dass man von deutschen Soldaten keine Himmelfahrtskommandos mehr erwartet, oder eben, dass der Mut nicht das bestimmende Wesensmerkmal des Soldaten sein soll. Mit beidem kann ich leben, wenn auch als Bürger mit weniger Zähneknirschen als als Soldat. Wenn es mir denn wenigstens einmal jemand offen sagen würde.
Was machen wir hier? Wozu sind wir da und wie erwartet man von uns Soldaten, vom Gefreiten bis zum General, das ganze umzusetzen? Da ist es mit etwas Geschwurbel vom „Staatsbürger in Uniform“ mEn nicht getan. Was heißt denn das, wenn es hart auf hart kommt?
Für mich ist eine Frage nach der Tradition unabdingbar an diese Fragen, ja an den Sinn und Zweck geknüpft. Tradition in der Bundeswehr soll Identität stiften und als Leitbild dienen. Ja, gerne.
Dann bitte mit klarer 3a!
Grundsätzliche Anmerkung zu Lent von einem Heeresmann. Lent ist nicht wegen der Abschüsse an sich ein mögliches Vorbild, sondern wegen seiner psychischen Stärke da aufzusteigen und seiner handwerklichen Fähigkeiten, seinen Auftrag zu erfüllen. Und das mit vielen Nachteilen, die seine höchste politische und militärische Führung zu verantworten hatte. Und spätestens da schließt sich der Kreis. Als zeitweiliger Angehöriger der MilGeschWiss kann ich Wertungen wie „nicht Demokraten in unserem heutigen Sinne“ oder „nationalistisches Gedankengut, ja der regelrechte Franzosen- und bei Gneisenau später Polenhass sind darüber hinaus ausdrücklich nicht traditionswürdig“ nur noch als groteske Verzerrungen der Diskussion wahrnehmen. Und so lange die Geschichte der Bw und insbesondere ihrer Einsätze nicht mit offenen Akten erfolgt ist, wächst in mir die innere Abneigung gegen die Hybris die hier vor sich hergetragen wird. Dieses Forum hier „weiß“ hat die letzten Jahre ansatzweise gezeigt, wo wir uns mit unseren moralischen Ansprüchen einordnen sollten.
@ uli | 12. Oktober 2017 – 21:41Richtig, das ist auch meine Erfahrung.
MkG
T.L.
Es ist sehr schade, dass kaum über Tradition gesprochen wird, sondern fast ausschließlich über Geschichte und Personen. Verkürzter und am Sinn der Tradition an ihr vorbei, kann man dieses interessante Thema nicht diskutieren.
Ich habe mir die OT gestern bis in den späten Abend angehört. Danke dafür an den Hausherren. Nur zu gern wär ich bei der Diskussion dann Mäuschen gewesen.
Mir bleibt nur zu attestieren, daß es einen eklatanten Spalt zwischen den weit entrückten, hochgradig in meta-physisch – ethisch – moralischen Sphären unter sich debattierenden, von der Realität der „Schlammzone“ (und der Zivilgesellschaft) nicht zu verstehenden Elite der Höchstintellektuellen gibt. Um mal plakativ zu bleiben: ein gut geschriebenes, lesbares, anschauliches populärwissentschaftliches Geschichtsbuch ist in seiner Zielsetzung, Struktur und v.a. seiner Außenwirkung eine völlig andere Kreatur als ein höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes, mit Fußnoten und Quellen überlaufendes Standardwerk eines renommierten Historikers oder Soziologen für seine spezifische Fachwelt. Ersteres kann durchaus Otto Normalo einen Einstieg und Einblick in komplizierte und oftmals sonst eher ignorierte Themen bieten und eine öffentliche Debatte befeuern (z.B. Prof. Clarkes „The Sleepwalkers“) und wird deutlich größere Verbreitung finden als das angesprochene Multi-Bände-Monster des damaligen MGFA zum Dritten Reich im 2. Weltkrieg. Die Truppe fragt nach dem Equivalent eines populärwissenschaftlichen Werkes, aber die Historiker können nur ihr für den Normalbürger (ganz ehrlich gesagt) unverständliches und völlig abstraktes Fachmaterial liefern. Das war meiner Meinung nach ganz eklatant bei den ersten drei wissenschaftlichen Redebeiträgen zu sehen, interessant ist jedoch, daß die beiden letzten wissenschaftlichen Wortmeldungen dort den Finger in genau diese Wunde gelegt haben. Prof. Münkler hat ja nun wissenschaftliche und auch der Allgemeinheit zugänglichere Werke verfaßt und kennt das Problem daher selber (und hat es auch im Unterton angeschnitten).
Da stellt sich doch langsam die Frage, was für einen Soldaten sich die Historiker so wünschen, wenn
„Klassische militärische Leistungen und Tugenden, Tapferkeit und Ritterlichkeit oder das berühmte Feldherrngenie von Soldaten vor 1933 reichen allein nicht aus, um … traditionsbildend zu sein. …“?
Die Vortragsweise von General Rohrschneider und Herrn Epkenhans zeigen deutlich den „Missmatch“ der in der Diskussion tief verwurzelt ist. Rohrschneiders Sprache ist klar verständlich. Es fällt leicht, ihm als Zuhörer zu folgen. Epkenhans liest seinen Vortrag, bestehend aus langen Schachtelsätzen Wort für Wort ab. Wer mit einer solchen trockenen, nicht mitreisenden Art und Weise Traditionen begründen will, wird unweigerlich scheitern, weil er sich auf die falschen Schwerpunkte konzentriert.
Der Duden definiert Tradtion als „etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o. Ä. in der Geschichte, von Generation zu Generation [innerhalb einer bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat]“.
Traditionsnamen der Luftwaffe haben seit 60 Jahren bestand. Es gibt unzählige aktive und ehemalige Immelmänner, Boelckianer und Richthofener. Diese Menschen verbindet der Name und auch die in den Verbänden jeweils individuell entwickelten Traditionen und Rituale untrennbar voneinander! Ein „Eingriff ins System“ von außen, wird nicht zum erwünschten Erfolg führen.
Der Ansatz der ganzen Diskussion um die Tradition der Streitkräfte geht m.E. in die falsche Richtung. Gefragt wird nicht „Welche Vorbilder undbwelche Tradition braucht die Bundeswehr, brauchen sie Soldaten.“ Gefragt wird ledigloch wer dem politischen Anspruch standhalten kann. Gesucht wird der demokratisch gefestigte, moralisch integere und soldatisch tugendhafte Soldat aus welcher Armee auch immer, der der Bundeswehr dann als Vorbild dargeboten werden kann. Vergessen wird dabei immer, dass alle, von Gneisenau bis von Stauffenberg, Kinder ihrer Zeit waren. Wir aber erhöhen und derart, dass wir glauben, nur unser Verständnis von Ehrbarkeit ist maßgeblich. Ich möchte an dieser Stelle einmal fragen ob jemand antizipiert wie man in 50 Jahren auf heutige Soldaten der Bundeswehr sehen wird, wenn man diese als Vorbilder installiert und dann jemand feststellt „ups! Der war ja AfD-Mitglied“. Ich halte es da mit Jesus Christus: „Der von euch der freut von Schuld ist, der werfe den ersten Stein“.
Wir sollten also wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen und ja, die Dinge auch im Kontext bewerten. Dazu empfehle ich aber insbesondere den historischen Kontext zu berücksichtigen. Maßstäbe des 21. Jahrhunderts können und dürfen für Menschen des 19. Jahrhunderts nicht gelten. Dazu fehlte diesen Generationen schlichtweg das Wissen, die Bildung und die Erfahrung. Das sollte eigentlich jedem klar sein, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, seinerseits in 100 oder 200 Jahren verurteilt zu werden.
Ganz kurz gefasst und ohne auch nur den Anspruch zu erheben, dem Thema in seiner Komplexität gerecht zu werden.
wenn es bei Tradition dem „einfachen Soldaten“ v.a. darum geht, konkrete Vorbilder zu finden, an denen er sich in seinem militärischen Handeln (Handwerk?) orientieren kann, glaube ich, dass wir in die übliche Falle tappen, uns zu sehr am „letzten Krieg“ zu orientieren.
Wenn unsere Soldaten heute in einem Gefecht militärisch gleichstarker Gegner stünden, wären doch die Rahmenbedingungen sooooo unendlich unterschiedlich zu denen der historischen Beispiele, dass ich einfach nicht glaube, dass daraus ein „Mehrwert“ resultieren kann. Das gesellschaftliche Umfeld wäre vermutlich anders, die Soldaten und ihre Familie sind anders, die Waffensysteme sind anders, die Informationslagen sind komplett anders.
Wenn das alles keine Rolle spielen würde, dann könnte es viel mehr konkrete historische Vorbilder geben, die als Projektionsfläche dienen – bis hin zu Armin dem Cherusker. Darauf käme ja auch niemand.
Und daher denke ich, dass durch den im Ländervergleich ziemlich radikalen Schnitt, den Deutschland nach dem WK II hingelegt hat, dieser Zug nun auch abgefahren bleiben muss.
Die Entscheidung, Traditionslinien ganzer Wehrmachtsverbände nicht fortzusetzen (im Gegensatz zu anderen Nationen) halte ich in Anbetracht der Bewertung der Wehrmacht in ihrer Gesamtheit für absolut legitim.
Im Rahmen der operativ-taktischen Ausbildung auf Bezüge aus dem WK II zu verzichten, ist wiederum m.E. dann deutlich über das Ziel hinausgeschossen und sollte selbstverständlich Teil der militärischen Ausbildung sein.
Im Ergebnis: wir brauchen einen komplett neuen Ansatz – meinetwegen unverkrampft mit Blick auf militärische Operationsführung in konkreten Gefechten über alle Epochen hinweg aber ohne Bezug zu historischen Einzelpersonen oder Verbänden.
@ Sagittarius | 13. Oktober 2017 – 3:59
Zustimmung in weiten teilen Ihrer Ausführung und der von General Rohrschneider.
@T.W.
„Das dürfte nun vermutlich nicht bedeuten, dass die Taktischen Luftwaffengeschwader 51, 71 und 51 (wie zuvor schon 74) demnächst yihren Traditionsnamen verlieren. “
Gemeint sind doch sicher die TaktLwG 31, 51 und 71. (Boelcke, Immelmann, Richthofen, )
[Yep, ein Schreibfehler. Sorry, wird berichtigt. T.W.]
Noch ein Hinweis zu Personen wie Lent, die natürlich keine Vorbilder für die heutige Bundeswehr, auch nicht für die Kampftruppe sein können. Lent oder Marseille etc. stehen für das rein handwerkliche, unkritische „wie“. So tapfer sie auch gekämpft haben (mögen), so haben sie in einem Angriffs- und Vernichtungskrieg dem Hitler gedient (siehe deren Eid), sich auch für die NS-Propaganda missbrauchen lassen, in einem Unrechtstaat steile Karriere gemacht. Das sind keine Vorbilder für Bundeswehrangehörige in einer Parlamentsarmee, die wissen, „wofür“ sie dienen. Verweise noch auf die Sentenz von BM Apel (1980): „Soldatische Leistung und militärische Tüchtigkeit sind nicht zu trennen von den politischen Zielen, denen sie dienen“. Lent in der Ausbildung / historische Bildung ja (übrigens dieses Heroische, er habe doch das Vaterland gegen die bösen Feinde verteidigt, … Rotterdam, Conventry etc. Wer hat diesen Krieg begonnen, der dann zurück kam in das eigene Land?). Lent und Co für die Tradition der Bundeswehr, definitiv nein. Leider waren diese Professoren so weit ab von dem Thema, als hätte sie jemand aus dem Schlaf erweckt (alle um die 60 und aufwärts), wer hatte/hat von denen denn Kontakt zur Truppe. Wer hat von denen denn dazu überhaupt was veröffentlicht? Im Übrigen, Mut und Tapferkeit finden wir in der Budneswehrgeschichte – auch im Kampf – hinreichend, nur brachte keiner der Herren irgendein Beispiel. Wohl aus Unkenntnis.
Es hätte gerade mit den beiden Generalen eine gute Diskussion werden können, aber Chance vertan, lieber wurden auf weite Strecken alte Geschichte erzählt, eigene Bücher vorgestellt und Selbstdarstellung betrieben. Hätte irgendwie etwas von einem akademischen Männer-Stammtisch (no women allowed).
@Harry | 13. Oktober 2017 – 8:59
Danke für diesen Kommentar – ganz meine Meinung. Überspitzt könnte man die Vertreter der deutschen Kämpfertradition im Generalsrang auch einmal fragen, ob sie im Bereich Ausbildung und Erziehung sowie operativ-taktische Führung mittlerweile so „einfallslos“ (aka inkompetent) sind, dass Ihnen nur der Rückgriff auf soldatische“Vor)bilder bleibt, die in einem fundamental anderen geschichtlich-politisch-operativ-technischen Kontext für einen (End)Sieg gekämpft haben, der sich dann trotz aller vorbildlichen Heldenhaftigkeit der deutschen Soldaten als katastrophale Niederlage für Deutschland herausstellte.
Natürlich sind die Herren Generale von der Traditionsdiskussion persönlich und dienstlich betroffenER als die Herren Wissenschaftler, denn sie haben ja im Laufe ihres Werdeganges inkl. Einsatze ja wohl diese WK II Schattentraditionen in der Kampftruppe zumindest geduldet und durch diese Namensdiskussionen vielleicht sogar befürdert. Die Herren sind also Teil des Problems und nicht Teil der Lösung und nun üben sie sich in einer Art Inkompetenzkompensationskompetenz (Odo Marquard) unter dem Motto „die Truppe braucht das“. Nö, meine Herren Generale, sie brauchen das. Letztendlich geben sie ja auch ihre eigene Inkompetenz zu Protokoll, wenn sie zwischen den Zeilen immer durchblicken lassen, dass ohne Wehrmachts-Vorbilder und -Beispiele die Truppe quasi nicht einsatzfähig sei, bzw. dass die Truppe das so will. Aber ich persönlich denke, dass mit dieser Generalsanhörung das letzte Pulver „der Truppe“ in Sachen Wehrmachtsvorbilder und Tradition als Teil der Innere Führung der Bundeswehr verschossen ist.
Das Deutsche Heer startet ab dem 17. Oktober – bis Ende 2018 eine Untersuchung im Herr, was Tradition für das Heer bedeutet. Darüber berichtet die HP der BW in einem Interview mit dem Heeresinspekteur vom 12.10.2017
Da mit dem Projekt der neue Traditionserlaß aktiv begleitet werden soll, würde dies bedeuten, daß der neue Traditionserlaß nicht mehr in diesem Jahr(wie mal geplant) und auch nicht nach eine neuen Regierung, sondern frühestens Ende 2018 erlassen werden könnte oder verstehe ich das was falsch?
[Danke für den Hinweis auf das Vollmer-Interview; habe das oben als Nachtrag eingefügt. T.W.]
@Klabautermann
1+
Wenn ich das hier so lese muss ich feststellen, dass es hier hauptsächlich um Personen geht. Sagittarius hat finde ich gut auf den Punkt gebracht, dass man an jeder Person, wenn nicht jetzt, dann spätestens in ein paar Jahren etwas findet was nicht mehr in den „Zeitgeist“ passt (entweder zu frauenfeindlich, nicht umweltbewusst genug oder was auch immer da kommen mag). Deshalb scheint mir der Ansatz mit den Werten doch der zweckmäßigste.
Was m.E.n. auch zu wenig Beachtung findet, ist das ich nenne es jetzt mal „Erfinden“ von neuen Traditionen. Da gibt es eine Menge was man ausprobieren kann. Divisionsturniere o.ä. gesetzt den Fall es wird angenommen (erzwingen kann man sowas nicht) tut sich der Dienstherr damit sicher einen Gefallen im Bereich Fitness. Und es gibt ja auch schon Verbände wo solche Veranstaltungen nach Jahren der Durchführung als Tradition bezeichnet werden können. Es ist eben einiges an Aufwand nötig um das zu etablieren allerdings würde es sich lohnen.
Abgesehen von solch kleinen Dingen wird es schwer eine „Kriegertradition“ von oben zu etablieren, da wir (glücklicherweise) einfach nicht genug „Rechtschaffene“ Kriege haben ( die ja auch von Soldaten mit ausgezeichnetem Leumund und ohne Tötung ausgeführt werden müssten)
Ganze Debatte kalter Kaffee weil Tradition + Vorbilder Nachwehen mittelalterlicher Ritter- / Adelsvorstellungen (Ehre, Treue, Feldherren-Verehrung etc)?
Realität 2017 m.M.n.:
Staatliche und private Akteure führen vom Bedarfsträger gebuchte Arbeiten aus.
Fertig.
Fehlleistungen (Bomben auf Hochzeit..) werden, wenn opportun, sanktioniert.
Bezahlt ist Lob genug. Militärbeamten und -angestellte haben ihren Deal mit BMVg, Söldner mit ihren Agenturen.
Ehre, Tradition etc war mal letztes Jahrtausend.
@Tjede
Nochmal Kdr KSK, BrigGen Sollfrank nachhören, er brachte mehrere Beispiele zu „Mut und Tapferkeit aus Bundeswehrgeschichte“.
Persönlich lege ich Wert auf die Feststellung, die in dieser Thematik Anzusprechenden sind sicherlich SOLDATEN. „BundeswehrANGEHÖRIGE“ sitzen als Zivilpersonal in zahlreichen Dienststellen.
Neugierig hinterlässt mich die Bewertung der Unterschiedlichkeit in den Darstellungen der Generale vs der akademischen Bewertungen und Anempfehlungen.
Frage, wo findet sich der HGefr und MGSchtz wieder, wo der angehende Offizier an der OSH, der künftige GenstOffz an der FüAkBw?
Zitat: […]Der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler (den O-Ton habe ich leider aus technischen Gründen nicht) verwies einleitend darauf, dass auch der Rückgriff für die Reformer Anfang des 19. Jahrhunderts nicht unproblematisch seien – Scharnhorst, Gneisenau oder Clausewitz seien sicherlich nicht Demokraten in unserem heutigen Sinne gewesen und die Traditionslinien aus dem 19. Jahrhundert eben auch nicht unproblematisch.[…]Zitat Ende.
Wenn die Herren nicht traditionswürdig sind, weil mit heutzutage zweifelhaftem demokratischem Leumund versehen, was machen wir denn mit den hunderten oder tausenden Scharnhorst-, Gneisenau- Clausewitz-, Kaiser-, -strassen, -plätzen, -denkmälern? Was passiert mit Kaiserslautern, Kaisersesch, Kaiserswerth, Kaisersau, Karlstadt, Karlsruhe, etc. etc.?
Mir erscheinen die aktuellen „Ziele“ der Traditionsdiskussion als recht bigott und einseitig zur Diffamierung der Bundeswehr und ihrer Mitarbeiter eingesetzt.
Mögen die Bürger von Karslruhe und Kaiserslautern etc. zunächst ihr Demokratieverständnis hinterfragen (lassen). …., doch, es geht, auch Karl-Marx-Stadt wurde zu Chemnitz.
Tradition und Militärgeschichte lassen sich nicht rigoros voneinander trennen. Aber miteinander verquirlen muss man sie auch nicht. Insofern kann ich den Kameraden nur zustimmen, die danach fragen, was die Tradition denn nun sein soll und darauf hinweisen, was sie für die Soldaten tun könnte – und sich daraus dann ein „cherry picking“ aus der Geschichte ergeben sollte. Und natürlich sollte es ein solches sein, da gerade die Militärgeschichte etwas grundsätzlich Furchtbares in sich trägt.
Ja, Scharnhorst und Gneisenau waren auch nicht unproblematisch und keine Demokraten im heutigen(!) Sinne. (Bumblenee wies zu Recht auf eventuelle morgige Zeitgeist-Perspektiven hin.) Man ehrt sie nun aber nicht aufgrund ihrer Einstellungen zur Demokratie.
Ist es wirklich notwendig, die historischen Kollegen darauf hinzuweisen, daß sie auch schlichtweg keine Möglichkeit hatten, gute Demokraten zu sein?
Ebenso wie Lentner nicht aufgrund irgendeiner Zahl gewürdigt werden könnte, sondern aufgrund dessen, was als seine individuelle Leistung hinter dieser Zahl steht.
Ähnliches gelte für Schmidt, Stauffenberg, Hindenburg, Hammerstein-Equord, Lützow oder weniger berühmte „Identifikationsfiguren“ wie Otto Carius oder Vicco und Johann von Bülow oder all jene in welchem Krieg auch immer, die Menschen gerettet oder Schaden abgewendet haben.
Ja, Symbole braucht die Truppe.
Nein, sie allein können keine Tradition begründen. Aber sie können Teil einer Tradition sein, die aus einer reichhaltigen Geschichte schöpfen kann. Einer Geschichte mit vielen dunklen Facetten, aber eben auch mit Lichtern darin. Keineswegs reine Glanzlichter im heutigen Sinne. Aber Lichter, die so menschlich fehlerhaft sie waren, sie dennoch in einigen Aspekten Halt und Orientierung geben können. Seien es die genannten historischen Personen oder der Weihnachtsfrieden 1914.
Und einige unperfekte und wenig berühmte Lichter werden sich auch in der Armee der Einheit finden lassen. Nur Mut!
Hm. Falls hier jemand mitliest, der gestern bei dem Workshop auch dabei war: Ich würde mich natürlich freuen, wenn auch andere (im Sinne von: weitere) Wahrnehmungen der Debatte dort hier einfließen würden.
Es existieren schlicht keine Demokraten in Uniform, die „post-45-Ansprüchen“ genügen. Die Begründungsverrenkungen solcher Bemühungen sind vergeblich.
Selbst ein Graf Stauffenberg hätte im Sommer ’44 einen anderen Entschluss gefasst, wäre die Lage an den Fronten wie ’42 gewesen, behaupte ich.
Ich glaube, die Debatte krankt an zweierlei Punkten. Zum ersten scheint die Debatte sich schnell an der Traditionswürdigkeit von Einzelpersonen festzubeißen. Das Tradition aber eine eher diffuse Emotionswolke ist, die sich eben nicht nur aus Taten einzelner Personen speist, scheint unterzugehen. Da finde ich solche Punkte wie Verbandswettkämpfe und ähnliche Aspekte, wie sie hier auch schon aufgeführt worden sind, unterrepräsentiert. Das man sich dafür um Kontinuität bei den Verbänden bemühen müsste, um eine Tradition als (Kampf)Gemeinschaft überhaupt aufkommen zu lassen, steht auf einem anderen Blatt.
Das zweite Problem ist eng mit dem zweiten verwoben und liegt in der Suche nach der eierlegenden Traditions-Wollmilchsau. Wo die Tradition dem Soldaten hilft, sich und sein Berufsbild zu definieren (die Militärs mögen mir verzeihen, ihnen ihre Denke vorzuschreiben), hilft ihm das Vorbild beim Erreichen herausragender Einzeltaten im Angesicht schlimmster Gefahren. Oder auch nur schlichtweg dabei, sich Ihnen zu stellen und nicht zu verzagen. Gesucht ist also ein Kämpfer (ich nehme an, ein Bürgerrechtler, so heldenhaft sein Verdienst auch sein mag, hilft Ihnen nicht dabei, sich über die Grabenkante zu schwingen) der in einem gerechten Krieg auf ehrenhafte Weise gekämpft hat und dabei auch noch in seiner Denke gegenwartskonform war. Sprich Demokrat, und überhaupt von der Vision der freiheitlich demokratischen Grundordnung beseelt. Ist das erstere schon schwierig, lässt letzter Punkt die Suche zur Unmöglichkeit verkommen.
Zusätzlich erschwert wird die Suche nach traditionsstiftenden Einzelpersonen in der Geschichte der jungen Bundeswehr dadurch, dass wir in postheroischen Zeiten leben, in denen das eigene Leben für eine Sache zu geben abstrus anmutet (da hat Herr Münkler mit seinem Sacrificium vs. Victima Ansatz ja einiges beizutragen). Eine postheroische Gesellschaft soll nun also anfangen, Heroen zu produzieren – das wird so ohne weiteres kaum gelingen. Gefordert ist also ein gesellschaftliches Umdenken, und da sind die Streitkräfte halt nur eine (wenn auch überproportional stark, weil in ihrem Berufsethos betroffene) Teilmenge. Es können noch so viele Bundeswehrsoldaten für ihr Land und ihre Kameraden auf absolut heldenhafte Weise ihr Leben geben, solange die Gesellschaft das Opfer nicht als heroisch anerkennt, wird es auch mit der Tradition schwierig.
Da wir eine heroische BW wollen muß also die Gesellschaft auch wieder heroisch transformiert werden ? Seltsame Logik/SARC
Ich erinnere mich noch gut an Diskussionen im BMVg (um die Jahrtausendwende) in Sachen vollumfängliche Gültigkeit der Inneren Führung auch im Einsatz. Die Diskussion verlief im Sande und mehr als 15 Jahre später diskustiert „man“ darüber ob „heroische“ Traditionen nicht auch im Grundbetrieb im Zentrum der InFü stehen sollten. Seltsame Lesson Learnt aus Afghanistan. Da kann einem schon der Verdacht einer gewissen politisch-pragmatischen „Verirrung“ kommen, die zwar zur „Motivierung/Mobilisierung“ der Kampftruppe für gefährliche Auslandseinsätze – vielleicht – notwendig und opportun war, die aber nun in Form eines negativen Feedback am über jahrzehnte gewachsenen inneren Gefüge der BW imho kräftig rüttelt. Braucht Deutschland in Sachen Verteidigungfähigkeit vorrangig Hero Leaders und Leaders of Heros – ich denke einmal nein, und ich glaube auch nicht, dass eine solches Traditionsverständnis weder politisch noch gesellschaftlich mehrheitsfähig ist.
Aus welchem Grund soll ein Soldat unter Einsatz seines Lebens für sein Land kämpfen, wenn er nicht Solz auf diese Nation ist und es daher für vertreidigungswürdig hält?
Ein Soldat muss also eine gewisse Konservative, nationalistische Einstellung haben, sonst wäre er nur ein Söldner.
Insofern haben alle Soldaten, mit Ausnahme der Verbrecher natürlich, in allen Kriegen ihr Leben für ihre Heimat, für ihr Land, ihre Familie und Freunde, ihr Leben für den Erhalt dessen eingesetzt.
Natürlich gilt es ein abrutschen in einen Nationalismus wie zu NS-Zeiten zu verhindern.
Aber es kann doch nicht sein, daß ein Mensch schief angesehen wird, wenn er laut sagt, daß er stolz auf Deutschland ist und stolz ein Deutscher zu sein. Egal ob er jetzt Soldat oder Zivilist ist.
Die Helden des 1. und 2. Weltkrieges haben ihrem Land als Soldat gedient und haben
diesen Dienst hervorrangend ausgeführt.
Nichts anderes. Wer von denen politisch das jeweilige Regime unterstützt hat, mag gesondert behandelt werden.
Aber die Tradition einer Armee kann doch nur auf den Leistungen der Vergangenheit aufbauen.
Was soll also dieses ganze Gewäsch? lebt diese Tradition, aber unterbindet eine radikalisierung, damit wäre der Truppe mit Sicherheit geholfen.
WarAuchDabei | 13. Oktober 2017 – 11:14
, doch, es geht, auch Karl-Marx-Stadt wurde zu Chemnitz.
Sollte sicherlich heissen: ….wurde wieder zu Chemnitz.
Und damit ist Ihr Argument nichtig.
@ klabautermann | 13. Oktober 2017 – 14:27
Vielleicht muss unsere Gesellschaft auch einfach wieder Toleranz lernen.
Es herrscht offenbar inzwischen Einigkeit, dass ein Infanteriesoldat („Krieger“) ein anderes Mindset hat und haben muss als die Homöopathin am Prenzlauer Berg.
Die Anforderung der Truppe an ein Mem wie Tradition ist also eine andere, als die Anforderungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, die „ihre Soldaten“ gern wie ein dummes Mündel bevormunden wollen und ohne Sachkunde unsinnige Vorgaben tätigen.
Da wir in eine Phase geraten, in der die Bundeswehr wieder kämpfen können muss, sollten Meme wie das Traditionsverständnis die Leistungsfähigkeit des Soldaten auf seinem Gebiet unterstützen, sonst gibt es im Zweifelsfall einfach zu viele Leichensäcke oder Massengräber.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus sinnvoll, wenn sich das Offizierskorps mal mit Historikern und andere gesellschaftlichen Gruppen über solche Themen austauscht, dabei wird man immer klüger. Ein Setzungs- und Bestimmungsrecht für tradierbare Narrative würde ich aber eher bei Offizieren denn bei Historikern zuordnen.
Die Gesellschaft wird damit leben lernen müssen, dass zur pluralistischen Vielfalt einer bunten Republik eben auch Soldaten zählen, die in einer Gedankenwelt erzogen werden, die sie bei Auftragserfüllung durchsetzungsstark bestehen lässt. Alles, was die Auftragserfüllung und die geistige wie körperliche Gesundheit der Staatsbürger in Uniform gefährdet, hat in der Breite zu unterbleiben.
@JCR, Klabautermann: Nun mit der Inneren Führung könnte da überhaupt ein Soldat der Vorgeschichte Tradition stiften?
Fachliches Genie vs. Wertevorbild? Letzteres suchen wir doch bitte nach 1956, Fachwissen fragt nicht nach Charakter.
Der Herr General hat das schon sehr deutlich unterstrichen.
@MirbusK: Wer war noch der Kamerad der sich in Ex-Jugoslavien alleine vor eine Kirche voller Zivilisten gestellt hat und eine Miliz daran hinderte, ein Massaker anzurichten?
@Harry | 13. Oktober 2017 – 8:59
„wenn es bei Tradition dem „einfachen Soldaten“ v.a. darum geht, konkrete Vorbilder zu finden, an denen er sich in seinem militärischen Handeln (Handwerk?) orientieren kann, glaube ich, dass wir in die übliche Falle tappen, uns zu sehr am „letzten Krieg“ zu orientieren.“
Ich denke nicht, wenn wir nicht über konkrete „handwerkliche“ Ausbildung reden, sondern über Motivation, Berufsverständnis, Selbstbild etc., dann sind ältere Beispiele häufig viel besser, als jüngere Beispiele. Denn es geht ja bei historischen Gefechten und Personen in Wahrheit nicht um konkrete Bezüge, sondern eher um die „Blaupause“ die man projizieren will. Überspitzt gesagt sozusagen ein Mythos oder eine Fabel, aber eben mit dem „Anstrich“ einer realistischen Person und/oder Situation.
Da sind die Helden und Schlachten des (vor-)letzten Krieges manchmal besser geeignet als die noch lebende echten Helden (so man sie denn hat und der Bw fehlen mangels umfangreicher Gefechte in den letzten 60 Jahren solche außerdem auch noch in ausreichender Anzahl).
Wie gesagt, dies ist natürlich bei konkreten „handwerklichen“ Lehren anders, hier kann ich manche Dinge zwar ebenfalls „abstrakt“ besser anhand von historischen Beispielen lernen, aber für bestimmte Dinge benötige ich dann doch die aktuellsten Gefechte.
Meine Schlussfolgerung also: Tradition kann keinesfalls auf frühere Epochen verzichten und aufgrund des umfangreichen und intensiven Kriegsverlaufes des 2. WK auch nicht auf diese Zeit. Aufgrund der schlimmen Verbrechen die in diesem Kriege begangen wurden können wir übrigens allein deswegen schon nicht auf diese Zeit verzichten, weil sich Tradition natürlich nicht nur an den Positivbeispielen aus den 12 dunklen Jahren orientiert, sondern auch durch die Abgrenzung von den Negativbeispielen!
@klabautermann | 13. Oktober 2017 – 10:40
„Die Herren [Generale] sind also Teil des Problems und nicht Teil der Lösung und nun üben sie sich in einer Art Inkompetenzkompensationskompetenz (Odo Marquard) unter dem Motto „die Truppe braucht das“. Nö, meine Herren Generale, sie brauchen das. Letztendlich geben sie ja auch ihre eigene Inkompetenz zu Protokoll, wenn sie zwischen den Zeilen immer durchblicken lassen, dass ohne Wehrmachts-Vorbilder und -Beispiele die Truppe quasi nicht einsatzfähig sei, bzw. dass die Truppe das so will.“
Ich würde Ihnen ja zustimmen, wenn es nur die „alten Männer“ (Generale oder nicht) wären, welche eine „klassische“ Traditionspflege unter Einbeziehung aller Zeiten DEU Geschichte fordern.
Aber das ist nun einmal so nicht. Nehmen wir doch einmal die öffentlich so kritisierten Wandverzierungen im Uffz-Keller.
Hier waren m.W.n. zwei Infanteristen an die Wand gemalt. Einer aus der Zeit vor dem 1. WK und einer aus dem 2. WK.
Diese Wandverzierungen sind nun offiziell und definitorisch kein Teil der Traditionspflege, aber sie gehören m.E.n. „in das weite Feld“ der Tradition.
Und diese Bilder wurden nun einmal von Unteroffizieren angebracht. Die höchste Ebene die dies explizit genehmigt hat dürfte ein Hptm gewesen sein (der Chef) und die höchste Ebene, die im Tagesdienst nicht dagegen vorgegangen ist (sie also „implizit“ genehmigt hat) dürfte ein Oberstlt (der Kdr) gewesen sein.
Oder denken Sie an das übermalte Rommelbild und das (vorübergehend?!) abgehängte Rommelbild in HAMMELBURG beides waren Truppenentscheidungen. Bei der Wandmalerei waren es vermutlich die Uffze und beim Bild war es ein OAJ (Offizieranwärterjahrgang) der Infanterie.
Oder nehmen Sie die Kompaniefahne der 3./WachBtl, die in Form einer modifizierten preußischen Regimentsflagge durch das Uffz-Korps gestiftet worden war.
Oder nehmen Sie die Myriaden K98 Karabiner und Bajonette, die als Abschiedsgeschenke in der Infanterie von Zügen an ZgFhr, von Uffz-Korps an Spieße und KpChefs verschenkt wurden.
Oder nehmen Sie das Beispiel der Lent-Kaserne, wo ich mir ziemlich sicher bin, dass es denn vorgesetzten Generalen sehr lieb gewesen wäre, wenn die Soldaten am StO dem ja erklärten Wunsch der Ministerin zur Umbenennung gefolgt wären. Aber nach meinem Kenntnisstand gibt es im Btl weder bei den Landsern noch bei den Unteroffizieren noch bei den Offizieren einen Wunsch zur Namensänderung. Der Meinungsbildungsprozess ist wohl noch nicht abgeschlossen, aber die Tendenzen sind ja angeblich recht eindeutig…
[Einschub zum Thema Zivilgesellschaft: wenn ich das richtig verstehe wird hier den Soldaten der Kaserne ja wohl auch von Seiten der Zivilgesellschaft vor Ort der Rücken gestärkt!]
Oder, oder, oder…
@reinerels: Ein Soldat muss eine nationalistische Einstellung haben?! Ich bitte Sie.
Die Bundeswehr hat eine 60 jährige Geschichte und in dieser Zeit eine Reihe von ehrenwerten Katastropheneinsätzen (übrigens wohl auch die NVA) , eine Vielzahl von multinationalen Einsätzen und eine Reihe persönlicher heldenhafter Leistungen erlebt. Warum begründen diese nicht eine Tradition? Warum diskutiert man über Leistungen, die in ganz anderen staatlichen Grenzen und anderen politischen Systemen mit deren Wertesystemen erbracht wurden?