Warten auf Zapad (Nachtrag)

In gut einer Woche werden die russischen Streitkräfte, zusammen mit der Armee Weißrusslands, das Großmanöver Zapad 2017 beginnen – Zapad (deutsche Schreibweise: Sapad) steht für Westen  und ist Teil einer regelmäßigen Übungsserie in allen russischen Militärdistrikten, die nach 2013 turnusmäßig in diesem Jahr wieder an der Westgrenze Russland stattfindet.

Schon im Nachgang zu Zapad 2013 hatte der Westen ein wenig nervös reagiert; nach den angekündigten 10.000 Soldaten für diese Übung stellte sich anschließend heraus, dass die tatsächliche Zahl eher bei 70.000 lag. Ähnliches wird auch für die aktuelle Übung erwartet: Obwohl beide Übungsländer formal von 12.700 Soldaten ausgehen, dürfte die tatsächliche Zahl nach den bisherigen westlichen Beobachtungen eher bei rund 100.000 liegen – und das in einem Bogen von der Arktis bis zur Ukraine, also sowohl auf russischem als auch auf weißrussischem Territorium.

Die Zahl 100.000 wurde bislang immer wieder eher inoffiziell genannt, Litauens Verteidigungsminister Raimundas Karoblis hatte sie als zunächst einziger NATO-Verteidigungsminister im Juni konkretisiert . Heute wurde sie auch von der deutschen Ressortchefin Ursula von der Leyen am Rande des EU-Verteidigungsministertreffens in Estland angeführt:

vdL_Tallinn_ZAPAD17     

 

 

Auch wenn von der Leyen damit Russland (und in zweiter Linie auch Weißrussland) öffentlich vorwirft, falsche Zahlen zu verbreiten: Die deutsche Ministerin sieht zwar eine bewusste Demonstration russischer Stärke am Rande der NATO, der EU und der Ukraine, gibt sich aber ansonsten demonstrativ gelassen. Da ist sie ganz im Einklang mit deutschen Top-Militärs, die im inoffiziellen Gespräch zwar in Zapad 17 eine gewaltige russische Vorführung, aber nicht etwa eine unmittelbare Gefahr für den Westen sehen.

In den baltischen Ländern, teilweise auch in Polen, aber besonders in der Ukraine wird das anders wahrgenommen – zumindest als Drohgebärde, wenn nicht mehr. Eine Befürchtung ist, dass russische Truppen in Weißrussland und damit weiter nach Westen zur Übung einrücken und dann dort bleiben. Oder das im Windschatten oder als Folge dieser Übung in der Ukraine gewaltsam Fakten geschaffen werden. (Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Interview von Spiegel Online mit einem weißrussischen Sicherheitsexperten.)

Russland bestreitet vor allem, dass mehr als 12.700 Soldaten an der Übung teilnehmen. Aus gutem Grund, denn ab 13.000 Soldaten sehen die Vereinbarungen in der OSZE die Pflicht vor, ausländische Beobachter zuzulassen. Und das nicht nur, wie bei Zapad 17, als Zuschauer beim Besuchertag, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beklagte:

We see a more assertive Russia, which has implemented a significant military built-up over several years. Also with more and bigger exercises. NATO is closely monitoring Russia’s exercise Zapad. We are sending 3 experts to the exercise following invitations from Russia and Belarus, but these invitations fall short from the transparency required by the OSCE: briefings on the exercise scenario and progress, opportunities to talk to individual soldiers and overflights of the exercise. This is something which is part of the Vienna Document, which is the international agreement regulating the transparency, predictability related to military exercises. And even though we are invited to distinguished visitors’ days both in Belarus and in Russia, we are not invited to take fully part in any kind of Vienna Document observation of the exercise. So we call on Russia to observe the letter and the spirit of the Vienna Document, transparency and predictability are even more important when tensions run high, to reduce the risks of misunderstandings and incidents. So NATO remains calm and vigilant, and committed to keep Estonia and all our Allies safe.

Ungeachtet dessen sind Regierung und Militär in Moskau sehr darauf aus,  Befürchtungen und Bedenken zu zerstreuen. Das Briefing des russischen Verteidigungsministeriums von Ende August, das unter anderem den ausländischen Militärattachés in Moskau galt, gibt es hier zum nachschauen (wer wie ich kein Russisch kann: es gibt englische Untertitel):


(Direktlink: https://youtu.be/sn3hfjyqKGQ)

und eine von der russischen Botschaft in den USA zusammengestellte Übersicht der Angaben aus russischer Sicht. 

Eine der selbstkritischen Fragen an die NATO ist natürlich: Wäre das westliche Bündnis zu einer Übung in der Größenordnung von 100.000 in der Lage? Vermutlich eher nicht, kommentiert die US-Fachseite Defense One: Russia Has 100K Troops On the Move. Here’s Why NATO Can’t Do the Same

Unabhängig davon bemüht sich die NATO um aufmerksame Gelassenheit, während ab Mitte September nebenann die Großübung läuft. Die vier Bataillone der enhanced Forward Presence, darunter das von der Bundeswehr geführte in Litauen, machen ihre Arbeit weiter – ohne erhöhten Alarmierungsstatus, heißt es.

Das Thema dürfte aber die nächsten Wochen noch mit den dann aktuellen Erkenntnissen die Debatte bestimmen. Interessant wird auch, wie eine mögliche begleitende Propaganda-Auseinandersetzung in den sozialen Medien und im Internet abläuft. Wenn ich mir die aktuelle Version der deutschen (!) Wikipedia-Seite zu Zapad 2017 anschaue, kommt sie mir allein schon von Grammatik und Wortwahl sehr, nun, merkwürdig vor.

(Ich hab‘ den Stand vom heutigen 7. September vorsichtshalber mal gesichert: 20170907_Sapad 2017_Wikipedia )

Nachtrag: Wie Zapad in den direkten Nachbarländern wahrgenommen wird, zeigt dieser BBC-Bericht aus der Ukraine:

Ukrainian President Petro Poroshenko says he fears that Russia could use massive military manoeuvres next week as a cover for invasion.
In a major speech, Mr Poroshenko said Russia’s Zapad-2017 exercises with Belarus might be „a smokescreen to create new Russian army assault groups to invade Ukrainian territory“.

(Foto: Undatiertes Foto einer Übung der Pioniere der Baltischen Flotte im Oblast Kaliningrad – Russisches Verteidigungsministerium)