Tod auf dem Marsch: Die Ursache bleibt unklar (Neufassung)

Der Hitzekollaps von vier Offizieranwärtern der Bundeswehr bei einem Marsch in Munster im Juli, in dessen Folge ein Soldat starb und ein weiterer noch immer auf der Intensivstation liegt, bleibt weiter ungeklärt. Eine Untersuchungsgruppe des Heeres unter Führung von Generalmajor Carsten Breuer legte am (heutigen) Donnerstag einen vorläufigen Bericht vor, nachdem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen Abschlussbericht bis Ende August angekündigt hatte. Kernaussage: Die Ursachen, die zum Tode des Offizieranwärters (OA) und zu den schwerwiegenden Erkrankungen von drei weiteren Soldaten führten, konnten bislang nicht vollständig aufgeklärt werden.

Neben dem Eingeständnis, dass die medizinische Ursache für das Zusammenbrechen der vier Soldaten – und den zeitweisen Ausfall von zwei weiteren – weiterhin unklar bleibt, listet die Untersuchungsgruppe auch Fehler der Ausbilder in Munster auf. Dabei geht es unter anderem um den vorgeschriebenen Anzug für die mehreren Teilmärsche, der aus Splitterschutzweste über dem Unterhemd und der Feldjacke bestand. Das sei dem Leistungsstand der Offizieranwärter und dem sommerlichen Wetter nicht angemessen gewesen. Auch Marschverschärfungen wie Laufschritt oder Liegestützen hätten nicht zu dem Ziel des Eingewöhnungsmarsches für die Soldaten gepasst, die erst seit wenigen Wochen bei der Bundeswehr waren.

Allerdings wird in dem Bericht wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass der später verstorbene Soldat kurz vor dem Zusammenbruch ein Asthmaspray benutzte. Zudem war er angewiesen worden, sein Gewicht zu verringern. Sowohl der später Gestorbene als auch der zweite Soldat, der noch in einer Klinik liegt, waren zudem aus in dem Bericht nicht genannten Gründen wenige Wochen zuvor in einer zivilen Notaufnahme gewesen. In den Spinden aller vier Soldaten wurden verschiedene rezeptflichtige Arzneimittel gefunden, die in dem Bericht jedoch nicht einzelnen Personen zugeordnet werden.

Interessant ist deshalb vor allem der Abschnitt G des – ohne Anlagen – 42 Seiten umfassenden Berichts, der sich mit den sanitätsdienstlichen Aspekten befasst. Darin wird, wie schon in einem früheren Zwischenbericht, darauf verwiesen, dass alle vier betroffenen Soldaten eine Körperkerntemperatur von über 40 Grad Celsius aufgewiesen hätten und deshalb von einem Hitzschlag auszugehen sei. Bei keinem dieser Offizieranwärter habe es jedoch Einschränkungen für die Dienstfähigkeit oder die Ausbildung geben; auch das Asthmaspray des später Verstorbenen und die zugrunde liegende Gesundheitsstörung hätten keinen Grund für eine Einschränkung der Belastung bedeutet.

In der Einschätzung, ob die gefundenen Medikamente sowie in den Spinden der vier Soldaten ebenfalls vorgefundenes Kreatininpulver sowie verschiedene Sorten Energy-Drinks in den Gemeinschaftskühlschränken mit dem Hitzschlag und dem Kollaps zu tun haben könnten, bleiben die Bundeswehr-Mediziner zurückhaltend. Einige der Arzneimittel könnten sich auf die Wärmeregulierung des Körpers auswirken; ebenso begünstigten die Energydrinks die Harnausscheidung. Allerdings heißt es dann aus sanitätsdienstlicher Sicht:

Die ohne weiteres bislang nicht erklärbare Häufung von gleichzeitig vier Einzelfällen dieses seltenen Krankheitsbildes an einem Ort und Zeitpunkt legen weitere Untersuchungen nach möglicherweise bisher nicht erkannten Kausal-Faktoren oder relevanten Begleitumständen nahe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann auch weiterhin keine eindeutige Ursache für die Häufung von Hitzschlägen am 19. Juli 2017 benannt werden. Aus medizinischer Sicht ist keine Kausalkette erkennbar, die für alle vier Soldaten gleichermaßen zutrifft, zumal Gesamtbelastung und gesundheitliche Ausgangssituation von Soldat 1 [der Verstorbene; T.W.] sich anders darstellen als von den anderen Soldaten. Nach bisherigem Stand ist davon auszugehen, dass jeweils eine individuelle Addition von mehreren Faktoren ursächlich für das Auftreten der Hitzschläge ist.

Deutlicher werden die Mediziner allerdings bei der Frage der Bekleidung der Soldaten:

Bei der Ausbildung wurde am 19. Juli 2017 der Gefechtsanzug mit Splitterschutzweste und Feldjacke, jedoch ohne Feldbluse getragen. Die Bekleidungsisolation wird durch den Verzicht auf die Feldbluse zwar verringert, jedoch ist dieser Effekt nur minimal. Aufgrund der hohen zusätzlichen Belastungen durch das zumindest zeitweise Tragen der Schutzweste sowie weiterer Ausrüstungsteile und vor allem durch die, im Vergleich zu o.a. Modellrechnung, deutliche höhere metabolische Wärmeentwicklung (i.e. Leistungsmarsch/Bewegungsarten im Gelände) ist dieser Effekt vernachlässigbar. Nach einer groben Abschätzung betrug die Gesamtisolation der getragenen Bekleidung zumindest zeitweise mehr als 1,5 clo (Maßeinheit: clo = clothing units; entspricht fester Arbeitskleidung). Dieser Wert ist, insbesondere bei zusätzlich belastender körperlicher Arbeit, für wesentlich kühlere Witterungsbedingungen als die am 19. Juli 2017 im Großraum MUNSTER vorzusehen.
Für vergleichbare Ausbildungsvorhaben sollte zukünftig die Bekleidung bei sommerlichen Bedingungen nach folgenden Grundsätzen gewählt werden:
– Verzicht auf die Feldjacke zur Steigerung der Konvektion in der Bekleidung und gleichzeitige Verringerung des Wärme- und Wasserdampfdurchgangswiderstandes der Bekleidungsschichten,
– Körpernahes Tragen der Feldbluse (über der Unterwäsche) zur Erhöhung der Schweißpufferwirkung der Bekleidungsschichten und zur körpernahen Nutzung der Evaporation (i. e. Verdunstungskälte),
– Tragen der Schutzweste als äußere Bekleidungsschicht zur Verbesserung der Konvektion und
– Klima- und belastungsangepasstes Tragen der Schutzweste.
Die in bestimmten Phasen des Ausbildungstages getragenen Anzugsvariationen waren aus sanitätsdienstlicher Sicht in Bezug auf Leistungsstand und Witterung unangemessen.

Über den Bericht des Heeres, den der Parlamentarische Staatssekretär Markus Grübel den Obleuten der Fraktionen im Verteidigungsausschuss schickte, gibt es auch eine offizielle Mitteilung auf der Webseite des Heeres*. Die Aussagen dort sind im Wesentlichen wortgleich aus dem Bericht entnommen und enthalten die Zusammenfassung aus Sicht der Untersuchungsgruppe, wenn auch viele Details des Berichts eben nicht.

Wesentliche Passagen aus der öffentlichen Mitteilung:

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann auch weiterhin keine eindeutige Ursache für die Häufung von Hitzschlägen am 19. Juli 2017 benannt werden. Vielmehr verdichtet sich das Gesamtbild, dass in jedem Einzelfall eine ungünstige Verkettung von Umständen und Faktoren vorgelegen hat.

Am 19. Juli 2017 kollabierten bei sommerlichen Außentemperaturen insgesamt vier Soldaten eines Ausbildungszuges der 2. Kompanie des Offizieranwärterbataillons 1 im Rahmen der Ausbildung des Offizieranwärterlehrganges. Einer der Soldaten ist am 29. Juli in einem Universitätsklinikum verstorben. Ein weiterer Soldat befindet sich derzeit noch in einem kritischen Zustand und wird intensivmedizinisch behandelt. Die anderen beiden Soldaten wurden am 2. August aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen. Sie absolvieren momentan eine Anschlussheilbehandlung.

(…)

Die Ursachen, die zum Tode des Offizieranwärters (OA) und zu den schwerwiegenden Erkrankungen von drei weiteren Soldaten führten, konnten bislang nicht vollständig aufgeklärt werden. Die derzeit parallel laufenden staatsanwaltschaftlichen und disziplinaren Ermittlungen sowie die eingeleiteten truppendienstlichen Maßnahmen waren bis zur Vorlage des Berichtes noch nicht abgeschlossen.

Dennoch ist festzustellen, dass in Vorbereitung und Verlauf der Ausbildung mehrfach nicht sachgerechte – in einem Fall auch weisungs-/vorschriftenwidrig – Entscheidungen getroffen und Maßnahmen angewandt wurden. Vorbehaltlich der strafrechtlichen Bewertung waren diese aus derzeitiger Sicht für sich gesehen nicht singulär ursächlich für die tragische Entwicklung.

Diese sind im Einzelnen:

Die gleichzeitige urlaubs- und ferienbedingte Abwesenheit mehrerer Vorgesetzter, insbesondere des für die Ausbildung verantwortlichen Kompaniechefs, zu Beginn des Offizieranwärterlehrgangs (OAL) war nicht situationsangemessen und führte dazu, dass die Führungsverantwortung nicht durch den originären Vorgesetzten wahrgenommen wurde.

Die Abwesenheit des Zugführers zu Beginn des ersten Gefechtsdienstes des Zuges aufgrund einer Teileinheitsführerbesprechung war eine schlechte Entscheidung, auch wenn die Führungsverantwortung vor Ort klar geregelt war. Sinnvoller wäre in diesem Fall die Teilnahme des ungebundenen stellvertretenden Zugführers an der Teileinheitsführerbesprechung gewesen.

Die Planung und Durchführung der Ausrüstungskontrolle im Gelände und die daraus resultierende Folgemaßnahme, der Hin- und Rückmarsch zur Kaserne, waren nicht sachgerechte Führungsentscheidungen. Ob es sich bei diesen Maßnahmen um die Durchsetzung eines Befehls oder eine erzieherische Maßnahme handelt ist offen. Wäre es eine erzieherische Maßnahme gewesen, wäre sie falsch. Grundsätzlich ist eine (stichprobenartige) Vollzähligkeitsüberprüfung im Gruppenrahmen vor Verlassen der Kaserne durchzuführen. Darüber hinaus widersprechen der Hin- und Rückmarsch, um die vergessenen Ausrüstungsgegenstände zu holen, dem sich anschließenden Eingewöhnungsmarsch und konterkarieren den Zweck der stufenweisen Steigerung der Belastung beim Marsch. Durch die Vollzähligkeitskontrolle und durch diese Märsche hat die Mehrzahl der OA einen Großteil der gemäß Dienstplan befohlenen Ausbildung versäumt. Die Soldaten sollen zu Beginn ihrer Ausbildung schrittweise an körperliche Belastungen herangeführt werden. Dazu dient auch der Eingewöhnungsmarsch. Phasenweise Laufschritt, erhöhtes Marschtempo oder Liegestütze widersprechen der Zielsetzung eines solchen Eingewöhnungsmarsches und sind zu unterlassen.

Die Ausbildung im Gruppenrahmen und die damit verbundene klare Führung mit jeweils verantwortlichem Gruppenführer fanden nicht statt. Dies lief dem methodischen Grundsatz zuwider, vom Kleinen zum Großen, also von der Gruppe zum Zug, auszubilden. Die Einschätzung der individuellen Leistungsfähigkeit der OA durch den jeweiligen Gruppenführer, wie sie bei der Ausbildung im Gruppenrahmen gegeben ist, wird dadurch erschwert. Die originäre Gruppeneinteilung ist, soweit möglich, während der gesamten Ausbildung im OAL beizubehalten.

Der am Ausbildungstag getragene Anzug mit der Feldjacke über der Splitterschutzweste war an Leistungsstand und Witterung nicht angepasst, jedoch durch die übergeordnete Befehlsgebung vorgegeben. Daher konnte der Zugführer der Auffassung sein, dass eine Änderung des Anzuges ein Verstoß gegen diesen Befehl sei. Die sinnvolle Maßnahme des Ablegens der Schutzweste erfolgte auf Empfehlung des Truppenarztes. Das Tragen des Helms beim Eingewöhnungsmarsch widersprach der Weisungslage.

Die fehlende Vorgabe in der geltenden Regelungslage, einen Unterricht/eine Belehrung zum Thema „Marsch“, einschließlich Vermeidung Hitze-/Kälteschäden, in Vorbereitung auf den „Eingewöhnungsmarsch sechs Kilometer“ durchzuführen, ist zu verändern. Dies muss auch Bestandteil der vorbereitenden Ausbildung der Ausbilder (AdA) sein.

Die oben genannten Untersuchungsergebnisse erscheinen nicht singulär ursächlich für einen Wärmestau als Ursache für einen Hitzeschlag, wirkten sich jedoch vermutlich nachteilig auf die Ereignisse aus. Daher sind sie im Heer insgesamt, ganz besonders aber im Ausbildungskommando (AusbKdo), im Ausbildungszentrum Munster und im Offizieranwärterbataillon 1 (OA-Btl 1) durch die Vorgesetzten intensiv auszuwerten, um eine Wiederholung auszuschließen. Erste Empfehlungen dazu, wie eine Anpassung der Anzugsregelung, sind bereits heeresweit umgesetzt.

Interessant ist, dass in der veröffentlichten Mitteilung möglichen Fehlern der Ausbilder deutlich mehr Raum – und Bedeutung? – gegeben wird und die medizinischen Schlussfolgerungen dagegen sparsam ausfallen. Das mag Gründe haben, ein wenig wirkt es aber so, als werde dieser Aspekt als wichtiger angesehen.

Immerhin heißt es in einem der letzten Absätze des Berichts der Untersuchungsgruppe:

Eine sachgerechte Anpassung der persönlichen Ausrüstung an Ausbildungsthemen und Witterung ist in die Verantwortung des Führers vor Ort zu legen. Dabei geht Zweckmäßigkeit vor Einheitlichkeit auf übergeordneter Ebene. Die Umsetzung dazu ist im Heer angewiesen.

Nachtrag 1. September: Die vom BMVg veröffentlichte Stellungnahme der Ministerin zu dem Bericht:

Ich bin sehr betroffen von dem Geschehen an diesem Ausbildungstag in Munster. Meine Gedanken sind sowohl bei dem verstorbenen Soldaten und seinen Angehörigen, aber auch bei allen anderen Betroffenen, die Hitzschläge erlitten haben und zum Teil noch hart mit den gesundheitlichen Folgen ringen. Das gleiche gilt für die beteiligten Ausbilder und Vorgesetzten, die schwer an den Geschehnissen tragen.
Die Spitzen von Heer und Sanität haben in den vergangenen Wochen enorme Anstrengungen unternommen, das Geschehen umfassend aufzuklären. Bisher zeichnet sich in dem vorliegenden Bericht trotz einiger beanstandeter Verhaltensweisen und widrigen Umständen keine klare singuläre Ursache ab, die für sich gesehen den Todesfall oder gar das tragische Gesamtgeschehen des Tages erklären könnte.
Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, zumal auch die Staatsanwaltschaft eigene Ermittlungen führt und immer noch neue Hinweise zur Kenntnis gelangen. Das sorgfältige und akribische Vorgehen der Untersuchungsgruppe in Verantwortung von Heer und Sanität verdient hohe Anerkennung. Für die gesamte Bundeswehr ist es wichtig, dass wir die Ursachen genau analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, um das Risiko einer Wiederholung des tragischen Geschehens in Zukunft zu vermindern.

(*Da in absehbarer Zeit die Bundeswehr-Webseiten auf ein neues System umgestellt werden dürften und dieser Inhalt dann dort nicht mehr abrufbar ist, hier zum späteren Nachlesen der aktuelle Stand der Webseite als pdf-Datei: 20170831_OA-Munster_Bericht)

(Archivbild 2010: Rekruten in der Grundausbildung beim Marsch in Torgelow – Thomas Köhler/photothek.net )