Staatsanwaltschaft und Pfullendorf: Das sagt das BMVg (m. Transkript)

Aus Gründen von Zeit und Technik (bin unterwegs im Zug mit wackligem Mobilfunknetz) hier nur zur Dokumentation: Aus der Bundespressekonferenz am heutigen Mittwoch die Aussagen von Oberst Boris Nannt vom Verteidigungsministerium zu der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft im Fall Pfullendorf:

 

BPK_Pfullendorf_07jun2017     

 

 

 

Nachtrag: Das Transkript dazu:

Frage: Herr Nannt, könnten Sie vielleicht noch einmal erklären, warum Ihr Haus respektive Ihr Ministerin so einen Alarm bezüglich der Ereignisse in der Kaserne Pfullendorf geschlagen hat, obwohl auch Ihnen im Haus längst entlastende Fakten vorlagen?

Nannt: Vielleicht noch einmal zur Erinnerung: Die Zweifel an einer wirksamen inneren Führung am Standort Pfullendorf umfassen mehrere Vorkommnisse, die sich zum Teil auch über Wochen, Monate und Jahre erstreckt haben. Es geht zum einen um entwürdigende Aufnahmerituale, es geht aber auch insgesamt um ein frauenfeindliches Klima, es geht um entwürdigende Ausbildungspraktiken, es geht um Mobbing, es geht um die Art der Führung. Wie gesagt, da gibt es ganz verschiedene Komplexe, ganz verschiedene Dinge, zu denen Beschwerden oder Eingaben geschrieben wurden, über die sich also auch Soldatinnen und Soldaten beschwert haben.

Es ist so, dass wir zu dem Thema entwürdigende Aufnahmerituale damals gleich an die Staatsanwaltschaft Hechingen abgegeben haben, weil wir gesagt haben: Das hat strafrechtliche Relevanz. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft, die jetzt seit Mitte Mai vorliegt, bestätigt, dass die anderen Vorfälle – die wir auch nie an die Staatsanwaltschaft abgegeben haben – eben keine strafrechtliche Relevanz haben. So muss man diese Einstellungsverfügung auch lesen. Es gibt hier also – das jetzt einmal als Vorwort – zwei verschiedene Dimensionen, die wir auch nicht mischen dürfen: Das eine ist strafrechtlich relevantes Verhalten, das andere ist die truppendienstliche Bewertung unangemessenen Führungsverhaltens. Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Das heißt, wenn ich mich im Bereich der Führung oder im Bereich der Kommunikation vielleicht falsch verhalte, dann bin ich noch lange nicht im strafrelevanten Bereich. Das heißt also, man hat hier eine ganz andere Dimension. Den Unterschied zwischen diesen beiden Dimensionen hatten wir auch schon am 24. Mai, also ungefähr vor zwei Wochen, ausführlich hier in der Regierungspressekonferenz diskutiert. Ich zitiere einmal aus der Einstellungsverfügung:

„Ob die in Pfullendorf in der Vergangenheit praktizierten Ausbildungsmethoden sachgerecht oder pietätslos waren, haben die Strafverfolgungsbehörden nicht zu beurteilen.“

Das heißt, es geht hier um eine andere Dimension.

Wir haben damals dann aufgrund des Antrags der Staatsanwaltschaft Hechingen unsere Unterlagen zur Verfügung gestellt, und anhand dieser über 100 Dateien hat dort eine Prüfung stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat also nicht ermittelt, sondern hat ein Prüfverfahren durchgeführt. Das ist aber alles die strafrechtliche Dimension.

Eine andere Dimension ist die Frage: Was nehmen wir hin und was ist gute Führung, wie ist der Umgang untereinander? Da haben wir eine ganz hohe Anforderung an unser Personal. Dazu möchte ich vielleicht auch noch sagen – weil ich teilweise immer noch etwas anderes lese -: In dem Zwischenbericht, den wir im Verteidigungsausschuss am 13. Februar gegeben haben, geht es eben nicht um die strafrechtliche juristische Dimension; vielmehr geht es hier um die Aufarbeitung der Verstöße gegen die Grundsätze der inneren Führung. Wenn man da einmal hineinguckt – ich habe aufgrund der Berichterstattung natürlich auch noch einmal den Bericht gelesen -, kann man lesen – das zeigt auch die Überschrift -: Es geht hier um bekannt gewordene Verstöße gegen die innere Führung. Das ist die Dimension, die man verstehen muss.

Dazu möchte ich vielleicht noch zwei Dinge zitieren, die in dem Bericht stehen. Erstens:

„Über die rein juristische Dimension hinaus stellt die Bundeswehr besondere qualitative Anforderungen an das Führungs- und Ausbildungspersonal im Hinblick auf zeitgemäße Menschenführung und konsequente Dienstaufsicht.“

Zweitens:

„Im [Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf] sind gravierende Defizite in Führung, Ausbildung, Erziehung sowie Dienstaufsicht festzustellen.“

Bei dem ganzen Komplex war es ja auch so, dass selbst der Generalinspekteur dort vor Ort war. Der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung hat einen ausführlichen Bericht erstellt und darin auch noch einmal festgestellt, dass die Vorwürfe berechtigt sind. Aber das ist eben die Dimension, die ich gerade angesprochen habe. Wir müssen jetzt auch aufpassen, dass wir Dinge nicht verharmlosen. Es zeigt sich eben auch, dass es richtig war, genau hinzuschauen. Wir haben jetzt auch gewisse Maßnahmen ergriffen: Wir haben ein neues Referat im Verteidigungsministerium geschaffen. Wir haben ein Meldewesen etabliert, um diese ganzen Dinge zu erfassen. Wir haben eine Ansprechstelle geschaffen. Wir haben jetzt das Thema „innere Führung heute“, wo wir quasi in den nächsten zwei Jahren in die Truppe hineingehen und wirklich noch einmal von unten nach oben das Thema aufrollen und schauen: Wo sind Defizite, woran liegen diese Defizite, wo müssen wir handeln?

Was das Meldeaufkommen betrifft, ist es einfach so, dass wir wahrscheinlich auch aufgrund einer wesentlich höheren Sensibilität in der Truppe feststellen, dass es im Vergleich 2016 zu 2017 jetzt schon mehr Meldungen im Bereich von Verstößen von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen, Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und auch Verstößen mit rechtsextremem und fremdenfeindlichem Hintergrund gibt. Dennoch – und dieser Punkt ist mir ganz wichtig – sprechen wir hier von Fällen – – Die Masse der Soldaten macht einen ausgezeichneten Dienst und leistet auch klasse Arbeit – zum Beispiel auch, wenn es um İncirlik geht, wenn man solche Dinge jetzt verlegt und das organisiert -, aber darum geht es gar nicht. Aber wenn wir Defizite feststellen – und das kann ich Ihnen auch aus meiner Zeit als Kommandeur sagen -, wenn Defizite da sind, dann müssen wir handeln. Wenn es so ist wie zum Beispiel in Pfullendorf, wo eine Tanzstange steht und BHs an einer Wand hängen und wo zum Beispiel Fotos mit einer entwürdigenden Darstellung entstehen – die ich auch selbst gesehen habe -, dann würde ich, wenn ich dort Vorgesetzter wäre, sagen: Da läuft irgendetwas nicht richtig. Das hat aber keine strafrechtliche Dimension.

Frage: Herr Nannt, Sie haben das mit der strafrechtlichen Dimension jetzt noch einmal erklärt. Ich würde aber gern noch einmal einen Satz aus Ihrer eigenen Ermittlungsakte der Bundeswehr zitieren, die ja seit Ende Januar im Ministerium vorliegt. Da ist ausdrücklich nicht von strafrechtlichen Fragen die Rede, sondern da heißt es: Die ermittelten Tatsachen reichen in der Mehrheit der Vorfälle nicht aus, Dienstvergehen nachzuweisen. Das heißt, da geht es genau um die innere Führung, die Sie gerade angesprochen haben. Gilt dieser Bericht von Ende Januar sozusagen als endgültiges Ermittlungsergebnis, was die Ausbildungspraktiken in Pfullendorf angeht, oder haben Sie im Nachhinein Zweifel gewonnen, dass dieser Bericht zu den richtigen Ergebnissen gekommen ist?

Nannt: Das ist vielleicht ein ganz wichtiger Punkt, den Sie noch einmal einbringen. Damals sind ja umfassende Ermittlungen gelaufen. Auch Sie haben das ja mitverfolgt: Zuerst laufen strafrechtliche Ermittlungen, und erst, wenn die abgeschlossen sind, können dienstrechtliche Ermittlungen laufen. Das heißt, auch die dienstrechtlichen Ermittlungen in Pfullendorf sind zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen; die Ermittlungen laufen also auch weiterhin. Auch damals war es so – ich glaube, das war im März; nageln Sie mich jetzt nicht auf ein Datum fest -, dass das Kommando Heer gesagt hat „So, wie bislang die Untersuchungen gelaufen sind, wird das von uns nicht akzeptiert“, und man ist noch einmal hineingegangen. Wir vergessen das alles, weil das teilweise schon Wochen oder Monate her ist; aber das ist ja ein Vorgang, der einige Zeit in Anspruch genommen hat. Genau das war der Punkt. Man hat gesagt: So, wie das bislang aufgearbeitet worden ist, teilen wir das nicht. Das war damals auch der Punkt, an dem das Ministerium noch einmal mit dem Kommando Heer gesprochen hat, und dementsprechend ist man dem auch nachgegangen. Deswegen laufen ja auch noch dienstrechtliche Ermittlungen; das ist also insgesamt noch nicht abgeschlossen.

Eines möchte ich auch noch anmerken: Das eine sind Strafrecht und Dienstrecht – was Sie mit Dienstvergehen meinten -, und das andere ist die Frage: Was dulden wir im Umgang miteinander? Auch wenn vielleicht nicht immer ein Dienstvergehen begangen wird – wo es also zu einem Bescheid kommt und man dadurch dann auch irgendwas veranlasst -, stellt sich trotzdem die Frage: Ist das gute Führung und ist das angemessen? Nicht jedes unangemessene Verhalten führt zwangsläufig dazu, dass ich auch gleich ein Dienstvergehen nachweise und dazu Dinge veranlasse. Es ist also eigentlich fast schon eine dritte Dimension, die wir ansprechen, und das Thema gute Führung – wie gehen wir angemessen miteinander um, welche Anforderungen haben wir an unser Personal? – ist aus meiner Sicht eben das entscheidende. Da müssen wir hohe Kriterien stellen, weil wir ja auch in Einsätze gehen, und die erfüllen wir.

Zusatzfrage: Um das noch einmal ganz klar zu machen: Das heißt, für das Ministerium oder für die Ministerin ist der Bericht von Ende Januar nicht abschließend und sie akzeptiert ihn nicht? Sie haben gerade ja gesagt: Wir teilen das nicht.

Nannt: Nein, das ist ja so gelaufen: Es gab damals im Februar einen Zwischenbericht – das war ja auch der Zwischenbericht, der am 13. Februar an den Verteidigungsausschuss gemacht wurde -, und der damalige Stand der Ermittlungen wurde der Staatsanwaltschaft Hechingen auf Anforderung zur Verfügung gestellt. Das heißt, es war kein Bericht des Verteidigungsministeriums, der an die Staatsanwaltschaft Hechingen gegangen ist – so habe ich es teilweise in der Berichterstattung gelesen -, sondern es waren eigentlich Rohdaten, die an die Staatsanwaltschaft gegangen sind; das waren über 100 Dateien, in denen der derzeitige Stand der Ermittlungen dargestellt wurde.

Frage : Noch einmal zu diesen Rohdaten und den durchaus nachvollziehbaren Differenzen zwischen strafrechtlichen und disziplinarischen Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft geht ja in ihrer Einstellungsverfügung ausdrücklich auf die internen Ermittlungen der Bundeswehr ein und kommt dann unter anderem zu dem Ergebnis:

„Die gelehrten Ausbildungsinhalte waren nicht nachweislich sexuell motiviert und dienten nicht der Herabwürdigung einzelner – insbesondere weiblicher – Lehrgangsteilnehmer …“

Das heißt doch, die materiellen Vorwürfe, die im Raum stehen, sind nicht nur von der Staatsanwaltschaft, sondern offensichtlich auch bundeswehrintern nicht bestätigt worden?

Nannt: Deswegen haben wir ja auch gerade die drei Dimensionen angesprochen. Wenn Sie zitieren, müssten Sie eigentlich auch weitere Passagen aus der Einstellungsverfügung zitieren.

Zusatz : Gerne, aber das wäre ein bisschen viel.

Nannt: Wir brauchen das jetzt nicht vorzunehmen, aber – –

Zusatz : Aber ich habe das ja alles geschrieben, Sie können die weiteren Passagen ja bei mir nachlesen.

Nannt: Ich lese Sie doch.

Zusatz : Gut.

Nannt: Die ganzen Passagen, alles, was die Einstellungsverfügung wiedergibt, ist eine rein strafrechtliche Gesichtsweise. Wie gesagt, es sind keine eigenen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Hechingen gelaufen, sondern nur eine Prüfung, und den Stand, der dort widergespiegelt ist, kommentiere ich jetzt nicht im Einzelnen. Fakt ist aber – und das habe ich Ihnen gerade deutlich gemacht -: Gute Führung ist eine ganz andere Dimension, und sowohl der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung als auch der Generalinspekteur waren dort vor Ort. Es ist insgesamt eine Dimension, bei der ich sage – ich habe Ihnen die Bilder beziehungsweise die Darstellungen gerade ja als Beispiel genannt -: Das kann so nicht richtig sein. Genau das ist ja der Punkt, der uns auch mit Blick auf Pfullendorf dazu hinführt, zu sagen: So, wie es gelaufen ist, geht es nicht; wir brauchen dort einen Neuanfang. Dieser Neuanfang läuft; wir begleiten ihn auch mit dem Zentrum Innere Führung. Wir gehen dort auch rein, um letztendlich auch vor Ort festzustellen: Was waren jetzt genau die Punkte? Das ist das, was entscheidend ist.

Zusatzfrage : Das klingt jetzt fast so, als ob Sie damit sagen wollten, die Fakten, die die Staatsanwaltschaft als Ergebnis der Bundeswehrermittlungen in ihrer Verfügung referiert, seien nicht zutreffend?

Nannt: Nein, da haben Sie mich missverstanden. Ich sage nur: Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem, was wir an den Verteidigungsausschuss gegeben haben, und das, was jetzt in der Verfügung der Staatsanwaltschaft Hechingen steht. Das ist der Punkt.

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