Fall Franco A.: Trotz Auffälligkeiten Berufssoldat (mehr Einzelheiten)
Im Fall des Bundeswehr-Oberleutnants, der sich als syrischer Flüchtling ausgab und möglicherweise einen Terroranschlag geplant haben soll, sieht das Verteidigungsministerium Hinweise auf ein rechtsradikales Netzwerk in der Truppe – und Belege dafür, dass er ungeachtet extrem rechter Haltung zum Berufssoldaten ernannt wurde. Staatssekretär Gerd Hoofe übersandte dem Verteidigungsausschuss des Bundestages am (heutigen) Dienstag ein umfassendes Paket mit ersten Ergebnissen der Bundeswehr-internen Untersuchungen.
Der Generalbundesanwalt übernahm inzwischen die Ermittlungen gegen den 28-jährigen Franco A. wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte ihre für diese Woche geplante Reise in die USA ab und will sich am morgigen Mittwoch in Illkirch bei Straßburg, Standort des Jägerbataillons 291 und Stationierungsort des verhafteten Oberleutnants, selbst ein Bild machen. Für Donnerstag sind 100 militärische Führungskräfte nach Berlin geladen, um, so das Ministerium, Aufklärung und Konsequenzen der aufgehäuften Vorfälle in der Bundeswehr zu besprechen.
Die Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft beruht auf einem Verdacht nach dem Paragraphen 89a des Strafgesetzbuches, wie ein Sprecher der Karlsruher Behörde auf Anfrage von Augen geradeaus! mitteilte. Eine solche Straftat beinhaltet unter anderem den Verdacht auf die Absicht von Mord oder Totschlag und muss geeignet [sein], den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
Nach den Ermittlungen innerhalb der Bundeswehr, mit denen die Verteidigungsministerin Generalinspekteur Volker Wieker beauftragt hatte, gab es Erkenntnisse, die nicht mehr nur von einem Einzeltäter sprechen:
In der Zwischenzeit haben die laufenden Ermittlungen am Standort Illkirch Hinweise auf rechtes und völkisches Gedankengut und Anhaltspunkte für einen möglichen Munitionsverlust/Diebstahl ergeben.
schrieb Staatssekretär Hoofe an den Verteidigungsausschuss. In Medienberichten ist davon die Rede, dass ein Netzwerk von bis zu fünf Soldaten identifiziert worden sein soll; dafür gibt es bislang keine Bestätigung. Im Zuge der Untersuchungen waren am Standort des Bataillons unter anderem ein G36-Gehäuse mit eingeritztem Hakenkreuz und weitere Hinweise auf mögliche NS-Devotionalien entdeckt worden.
Wesentlicher Teil der Untersuchungen in der Truppe waren zudem Ermittlungen zu dem Entwurf einer Masterarbeit, den der festgenommene Soldat 2014 an der französischen Militäruniversität Saint-Cyr eingereicht hatte. Der Text wurde auch von einem Dozenten des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) begutachtet, der im Januar 2014 zu der Einschätzung kam:
Bei dem Text handelt es sich nach Art und Inhalt nachweislich nicht um eine akademische Qualifikationsarbeit, sondern um einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell, den der Verfasser mit einigem Aufwand auf eine pseudowissenschaftliche Art zu unterfüttern versucht. (…)
Was der Verfasser als Attacke der Anführer der (völkischen) Subversion bezeichnet, ist nicht andres als der Mythos vom Rassenkampf. (…) Der als Masterarbeit zu begutachtende Text ist deshalb keine geschichts- oder politikwissenschaftliche Abhandlung zum politischen Wandel, wie der Titel vermuten lässt, sondern ein Aufruf dazu, einen politischen Wandel herbeizuführen, der die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz rassischer Reinheit anpasst.
Disziplinare Ermittlungen wurden wegen dieser Arbeit zwar eingeleitet, nachdem sich der französische Schulkommandeur an die zuständige Bundeswehr-Dienststelle in Frankreich gewandt hatte. Unter anderem sei der Soldat mit dem Hinweis Wenn es ein französischer Lehrgangsteilnehmer wäre, würden wir ihn ablösen, nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen worden.
Die Deutsche Stabsgruppe Frankreich nahm daraufhin disziplinare Vorermittlungen auf – die dann allerdings nicht zu Ende geführt wurden. Im Vermerk zum Ergebnis vom Februar 2014 ist unter anderem festgehalten:
Die gegen den Offizier geführten disziplinaren Vorermittlungen haben keinen Anhaltspunkt ergeben, dass Oberleutnant A. – trotz des Inhalts seiner vorgelegten Masterarbeit – eine innere Einstellung besitzt, die mit der soldatischen Pflicht aus §8 Soldatengesetz unvereinbar wäre.
Vorwerfbar ist jedoch ein sogenanntes „Anscheinsvergehen“, da er fahrlässig den bösen Anschein einer solchen Gesinnung gesetzt hat. Diese Pflichtverletzung ist allerdings deutlich minder schwer anzusehen. Aufgrund der Gesamtumstände wäre eine einfache Disziplinarmaßnahme (hier: Disziplinarbuße) angemessen.
Gemäß Auskunft Bundesamt für Personalwesen der Bundeswehr würde allerdings eine förmliche einfache Disziplinarmaßnahme die bereits erteilte und nur unter dem Vorbehalt des akademischen Abschlusses stehende Zusage zur Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten hinfällig machen. Diese existentiellen Folgen einer disziplinaren Würdigung wären jedoch nicht mehr angemessen.
Mit ausschlaggebend war dafür offensichtlich auch, dass Franco A. bei einer Anhörung im Januar 2014 erklärt hatte, dass er sich voll und ganz mit der durch §8 Soldatengesetzt geforderten Einstellung identifiziere. Die Formulierung Diese „existentiellen“ Folgen einer disziplinaren Würdigung wären jedoch nicht mehr angemessen, findet sich daraufhin auch in der Stellungnahme des Wehrdisziplinaranwalts beim Streitkräfteamt. Der schlug in Abstimmung mit dem Leiter der Deutschen Stabsgruppe Frankreich die Einstellung der Vorermittlungen vor; gegenüber dem Offizier sollte es bei einer mündlichen Ermahnung bleiben.
Im Juli 2015 wurde Franco A. dann auch, wie aus einer Übersicht des Ministeriums hervorgeht, zum Berufssoldaten ernannt, begann Ende November den Einzelkämpferlehrgang in Hammelburg – und noch im Dezember des selben Jahres meldete er sich in Offenbach als angeblicher Flüchtling aus Syrien und beantragte Asyl. Im Januar 2016 wurde er einer Flüchtlingsunterkunft in Bayern zugewiesen und erhielt seitdem staatliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – wenige Woche später wurde er zum Jägerbataillon 291 versetzt. Im Zusammenhang mit dem Aufnahmeverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war auch ein Stabsfeldwebel der Reserve beteiligt, der wie Tausende andere Bundeswehrsoldaten als Helfer zum BAMF abgestellt war. Nach Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) sei aber davon ausuzgehen, dass beide Soldaten sich nicht kannten, heißt es in der Übersicht es Ministeriums. Dienstliche Überschneidungen habe es nicht gegeben.
Nachdem der Oberleutnant in Wien von der österreichischen Polizei festgenommen worden war, weil er eine Waffe im Flughafen versteckt hatte, liefen neben den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch die Ermittlungen des MAD an. Dabei wurde der Soldat auch direkt befragt: Als Befagungsergebnis zeichnet sich eine Einstufung als Extremist ab (rechtsextremistischer Einzeltäter, der Vorbereitungshandlungen zur politisch motivierten Gewaltanwendung getroffen hat), erläuterte das Ministerium.
Die Hinweise auf rechtes/völkisches Gedankengut am Stationierungsort Illkirch gab es laut Ministerium dann Ende April.
Die Geschichte wird natürlich noch weitergehen.
(Archivbild: Abordnung des Jägerbataillons 291 im Juli 2013 in Straßburg – Wikimedia Commons unter CC-BY-SA-Lizenz)
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@ Koffer:
also keine harten Belege – sondern nur „gefühlte Wahrnehmung“. Denn alle Dinge, die sie angesprochen haben unterliegen einem Ermessensspielraum in der Bewertung (womit wir wieder beim Thema wären) und nicht alle Dinge, die sie ansprechen, können Sie bewerten, da sie vermutlich nicht der GI sind und daher überhaupt nicht wissen können, wer mit wem wann und welcher Form gesprochen hat (bezogen auf die persönlich Betroffenen)
Ich habe übrigens persönlich schon öfter erlebt, dass die politische Leitung einem militärischen AbtLtr einen Gesprächsführungsauftrag gegeben hat, den diese dann wieder nach unten delegiert haben – in vielen Fällen völlig nachvollziehbar (Auftragstaktik!), ab und zu aber eben auch nicht.
Also selbst wenn, GM Spindler in der öffentlich bekannten Weise informiert worden wäre, ist das nicht zwangsläufig das persönliche Versäumnis der BM’in.
Und wenn Sie das nicht 100% wissen, dann sollten Sie auch nicht so harsch urteilen.
Und unabhängig davon, dass unsere DV so eine Art eigene Judikative sind, die nicht einer Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht unterliegen, wäre mir komplett neu!
@Harry | 04. Mai 2017 – 8:46
Ich muss Ihnen entschieden widersprechen. Die IBuK hat durch ihren (mehrmaligen) Gang an die Presse von sich aus das „Wahrnehmungsspiel“ in Gang gesetzt.
Sie muss sich also auch an dieser öffentlichen Wahrnehmung messen lassen.
Und die Innere Führung verlangt ganz klar bestimmte Verhaltensweisen von Vorgesetzten und diesen hat sie in mehreren Punkten nicht genügt.
„Und unabhängig davon, dass unsere DV so eine Art eigene Judikative sind, die nicht einer Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht unterliegen, wäre mir komplett neu!“
Noch nicht einmal ansatzweise habe ich das behauptet. Ich bitte mir so etwas nicht in den Mund zu legen.