Dokumentation: Tagesthemen-Interview mit von der Leyen

Zu den Komplexen, die hier alle in diesen Tagen beschäftigten – von schikanöser Ausbildung, Vorwürfen der Führungsschwäche an die Bundeswehr, bis zum Fall des Oberleutnants Franco A. – hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den ARD-Tagesthemen am (heutigen) Dienstag ein Interview gegeben. Das Video des Interviews steht hier zum Anschauen; zur (auch langfristigen) Dokumentation der Wortlaut des Gesprächs mit Caren Miosga zum Nachlesen:

Caren Miosga: „Ich Berlin begrüße die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sie haben für Ihre Einschätzung, in der Bundeswehr gebe es Führungsschwäche, viel Kritik aus den Reihen der Soldaten bekommen. Halten Sie den Vorwurf trotzdem weiterhin aufrecht?“

Ursula von der Leyen: „Die ganz große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten macht einen tadellosen, hervorragenden Dienst, keine Frage – mit viel Verantwortung, aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen – nachdem sich die Fälle Pfullendorf, Bad Reichenhall, Sondershausen aber jetzt auch Illkirch zeigen – dass wir genauer hinschauen müssen, da haben wir ein echtes Problem und zwar haben wir ein Problem der Haltung und der Führung vor Ort, denn sonst hätten diese Fälle, die ganz unterschiedlich sind, von sexueller Herabwürdigung über Schikane bis hin zu Rechtsextremismus, sonst hätten diese Fälle nicht so lange unter der Oberfläche gehalten werden können und so lange gären können und diese Fälle müssen wir besprechen.“

Caren Miosga: „Das ist ja ein massiver Vorwurf. Sie haben das Problem verallgemeinert und großen Teilen Ihrer Truppe ein Haltungsproblem unterstellt. Warum machen sie das? Ist das eine Art Vorwärtsverteidigung, weil Sie durch den Fall Franco A. selbst jetzt massiv unter Druck geraten?“

Ursula von der Leyen: „Frau Miosga ich habe jetzt in den letzten Wochen und Monaten – wie gesagt Pfullendorf ganz anders gelagert, das war schlicht und einfach übelste Herabwürdigung, Sondershausen, Bad Reichenhall war Schikane, war die Art und weise von der wir dachten, die gibt es nicht mehr in der Bundeswehr, alles Fälle, die nur ans Tageslicht gekommen sind, weil sich Menschen dann entweder beim Wehrbeauftragten oder bei mir beschwert haben, und dann sind wir in die Tiefe reingegangen und haben gesehen: Viel früher hätte das abgebunden werden können. Nochmal: dieses Verhalten schädigt die ganz große Mehrheit, die unendlich vielen Standorte aber auch Auslandsmissionen, wo es hervorragend läuft und wo Verantwortung auf jeder Stufe wahrgenommen wird. Deshalb ist es gerade zum Schutz derer, die sich korrekt verhalten, wichtig, dass wir die Frage stellen nach: Was bedeutet für uns Innere Führung, haben wir einen gemeinsamen Konsens, wo ist Schikane, wo ist Ausbildung in militärischer Härte, die notwendig ist, was ist Meinungsvielfalt, wie politische Meinung und wo verlässt ein Soldat die freiheitlich-demokratische Grundordnung? Diese Fragen müssen wir uns offen stellen. Das ist auch zum Schutz all derer, die das ganz ausgezeichnet machen.“

Caren Miosga: „Das kann man jetzt mutig nennen, das kann man aber auch verwegen nennen. Es fällt auf, dass Sie keinerlei Unterstützung für Ihre Kritik, nicht mal aus der eigenen Partei. Jedenfalls gibt es keine öffentlichen Äußerungen. Stimmt sie das nachdenklich?“

Ursula von der Leyen: „Ich habe sehr wohl öffentliche Äußerungen aus der eigenen Partei gesehen, ich habe aber natürlich auch die massive Kritik der SPD gesehen. Gut, das ist jetzt vielleicht auch dem Wahlkampf geschuldet. Aber wissen sie, das nehme ich auch gerne an. Ich möchte, dass wir über das Thema sprechen. Und wenn es der SPD hilft, zunächst einmal die Person anzugreifen, wenn sie sich dann auch noch einlassen, über das Thema zu sprechen – und das ist ein Thema, das ist wichtig, nämlich was bedeutet auch tatsächlich Verantwortungsübernahme auf einer unteren Ebene, wo – wie gesagt –ganz viele es gut machen und was hat es für Konsequenzen, wenn weg geschaut wird. Wenn ich ihnen mal den Fall des Soldaten A., wenn wir den nur kurz mal betrachten: Da ist ja eine Masterabreit geschrieben worden vor Jahren, wo er ganz klar ein völkisches, rechtsextremes Gedankengut dargelegt hat, er Gutachter hat keinen Zweifel daran gelassen, dass das vollkommen inakzeptabel ist, aber das Ganze ist dann versandet, nicht einmal in der Personalakte gewesen und der Mann hat dann weiter Karriere in der Bundeswehr gemacht. Und diese Themen müssen wir ganz offen ansprechen.“

Caren Miosga: Nun ist ja Rechtsextremismus kein neues Phänomen in der Bundeswehr, der militärische Abschirmdienst zählt allein 240 Fälle, die schon länger untersucht werden. Warum werden diese Rekruten nicht längst auf ihre Gesinnung hin überprüft?

Ursula von der Leyen: „Das geht von Anfang an jetzt von Julei, das Gesetz haben wir auf den Weg gemacht. Aber nochmal, man muss es auch einordnen. Die Bundeswehr umfasst 250.000 Menschen, soviel ungefähr wir die gesamte Stadt Aachen, ich will das Problem nicht kleinreden, ich glaube das nimmt man mir ab, dass ich da sehr hart auch rangehe, aber wir müssen vor allen Dingen schauen, warum kann sich das entwickeln innerhalb der Bundeswehr? Also beim Soldaten A. stört mich am meisten, dass er im Freundeskreis ohne Weiteres im Kameradenkreis ohne Weiteres seine Bahnen hat ziehen können. In Illkirch haben wir, der Ort, wo er stationiert war, wo der Generalinspekteur und ich gleich ein Untersuchungsteam hingeschickt haben, jetzt Bilder gefunden von Wehrmachtsemblemen oder Hakenkreuzschmierereien. Das sind Themen, die müssen wir im Grundsatz ansprechen, denn da ist etwas richtig schiefgelaufen.“

Caren Miosga: „Ist nicht eigentlich vorher schon ganz viel schiefgelaufen? Sie werden jetzt Konsequenzen ziehen, aber müssen sie sich jetzt nicht auch fragen, ob sie nicht vorher hätten strukturell viel mehr verändern können? Wo ist denn ihre Führungsstärke?

Ursula von der Leyen: „Nun, wenn man die letzten dreieinhalb Jahre beobachtet: Wir kamen aus einer Phase, wo die Bundeswehr über 25 Jahre geschrumpft worden ist und wir haben in diesen drei Jahren zwei Dinge geschafft, nämlich erstens die Sicherheitslage hat sich so verändert, dass ganz viele Aufgaben auf die Bundeswehr zugekommen sind von Syrien, Irak über Mali über die gesamte Mission im Mittelmeer bis hin zur Flüchtlingshilfe und den Schutz der östlichen Grenze und zeitgleich habe ich gemeinsam mit der Bundeswehr sozusagen den Tanker einmal gedreht, nämlich die Trendwenden Material, die Trendwenden Personal und der Finanzen, das heißt, es sind auch enorme Veränderungsprozesse, haben enorme Veränderungsprozesse in die richtige Richtung, in die Modernisierung rein, wie wir die Cybertruppe jetzt aufgestellt haben ist ein Signum dafür. Aber: der Punkt, der jetzt auffällt, der fällt eben erst auf, wenn es zum Eklat kommt, das ist Pfullendorf, Sondershausen, Bad Reichenhall und Illkirch und ich finde es muss dann auch akzeptiert sein, dass wir beherzt das angehen. Ich kann nur gleich vorneweg sagen, das Dunkelfeld auszuleuchten, das wird mühsam, das wird schmerzhaft, das wird nicht schön werden. Das müssen wir durchhalten, das wird Zeit kosten, das wird über Wochen und Monate gehen dieser Prozess, aber er ist zum Besten der Bundeswehr.“

Caren Miosga: „Danke der Bundesverteidigungsministerin für das Gespräch.“

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(Foto: Screenshot des Tagesthemen-Videos)